Submission — Julian Heun
Eine indische Rupie in einer Dose
14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Julian Heun, Foto: Roberto Brundo
Ich weiß nicht mehr, wie es genau geschah, aber ich stand in Bangalore neben einem Straßenstand für gebratene Eingeweide und hatte kein Geld mehr. Eine unglückliche Mischung aus gestrichenen Flügen und fehlgeschlagenen Überweisungen trug Schuld.
Also ging ich tagelang immer wieder zum Geldautomaten durch die Slums und hasste die Stadt mit ihrem Smog und der fettigen Luft, die einen Schmierfilm auf die Haut legte. In Indien kann man Essen für Kleinstbeträge kaufen, aber irgendwann war die letzte Münze weg und sogar die verbrannten Schafsinnereien unerschwinglich.
Das Blickfeld quoll über vor blauer Plastikplanen der sich aneinanderdrängenden Behausungen aus Altmetallstücken, Pappfronten, Palettenkisten und immer wieder jenen blauen Plastikplanenfetzen. Hügel aus Müll wie Vorgärten. Aber alles Interesse für die Fremde war überdeckt von meiner Kraftlosigkeit und Aggressivität. Nichts essen können, nichts tun können, nur warten und schwitzen. Dann die unwirklichen Shoppingcenter voll geleckter Bars und Läden für IT-Yuppies, an deren Fassaden der Blick ausrutschte und gegen reiche Inder prallte, die in den unterkühlten Glasgängen ihre seltsame Neigung für Schlaghosen befriedigten.
Bankautomat für Bankautomat, doch es gab kein Geld. Meist war ich zu schwach, die Bettler anzuschauen. Bis irgendwann auf halbem Weg zu den Bankautomaten in einem Slum ein kleiner Junge vor mir stand in einer Wand aus Geruch. Er war von seinen Eltern zum Betteln verkleidet worden als der Affengott Hanuman. Mit der einen Hand formte er eine Essgeste und mit der anderen hielt er seinen lila Affenschwanz. Aber diesmal konnte ich nicht weggucken und was blieb mir, außer zu sagen, dass ich nichts habe, gar nichts.
Da lächelte er, fasste in ein Beutelchen und reichte mir daraus eine Rupie. Die Rupie hat wie jede einen Wert von 1,7 Cent und ich bewahre sie in der abgebildeten Dose auf. Sie ist mir heilig. Deshalb möchte ich sie auch nicht fotografieren. Wenn man es versuchte, entstünde eine digitale Rückkopplung, die Linse splitterte. Sicherlich käme ein lila beschwanzter Trockennasenaffe herbeigeeilt, der – bevor das Glaskonfetti zu Boden gefallen wäre – dem Photograph die Kamera entrisse und sie kreischend am Sockel einer großen Hanuman-Skulptur opferte.
Julian Heun ist 24 Jahre alt, Slam Poet und Autor und lebt in Berlin.