Submission — Jenny Fitz
Spurensicherung
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text & Foto: Jenny Fitz
Es gab da diesen Künstler aus den 60er Jahren. Der hat mal seinen Abendbrottisch konserviert. Den ich dann 40 Jahre später in irgendeinem schicken Museum an die Decke genagelt betrachten durfte. Man fragt sich, was die da gegessen, worüber die sich unterhalten haben, und alles nur, weil man auf zerfressene, getrocknete Artefakte schaut.
Kunst? Vermutlich einfach ein x-beliebiger Abend mit Freunden, einer von vielen.
Sechs Tage später.
Ich habe eine Menge herausgefunden in den letzten sechs Tagen. So lange räume ich nämlich schon meine Küche nicht mehr auf. Essensreste zum Beispiel. Die fangen gar nicht sofort zu schimmeln an. Die trocknen erstmal. Ein Salatblatt. Das verwandelt sich in so eine Art Papierskulptur. Oder Nudelsoße. Eine richtig tolle Nudelsoße. Jetzt starre ich auf eine harte bräunliche widerliche Substanz und muss mich an die Zutaten erinnern. Überreste einer x-beliebigen Woche, eine von vielen.
Wenn ich morgens aufstehe und erstmal einen Geschirrberg wegspülen muss, macht mich das wütend. Dachte ich jedenfalls. Aber ich bin nicht wütend. Allenfalls ein wenig genervt, weil ich jetzt wirklich keine Tasse mehr finden kann, die noch sauber ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Den Dreck, den ich verabscheue, gerade gehört er dazu. Wut und Gewohnheit. Schließen die sich aus? Es ist nicht das Geschirr, das mich wütend macht. Es ist die Überraschung, die ich erlebe, wenn ich einen sauberen Tisch erwarte – und dann das Geschirr herumsteht.
Ich habe versucht, mich auszutricksen. Die Wut zu planen. Aber Wut will nicht gesucht werden. Sie will einen anfallen, von hinten, blitzschnell. Heimtückisch.
Jedenfalls kommt die Wut nicht von vorne, sie winkt nicht und sie hat sich auch vorher nicht angemeldet.
Und jetzt?
Sechs Tage lang habe ich hier keinen Finger gerührt. Jetzt mache ich mich über jeden Fleck her und bearbeite ihn mit Essig, lauter Musik und einer Intensität, die befreiend ist. Dabei mag ich das eigentlich gar nicht, Hausarbeit. Da, irgendetwas ist hinter den Kühlschrank gefallen. Da ist es ja auch besonders dreckig, seit vier Jahren habe ich hier nicht sauber gemacht.
Jetzt aber soll alles blitzen. Mit einem langen Besen stochere ich nach Küchenabfällen und einer Packung von irgendetwas, was ich zwischendurch bestimmt schon mal gesucht habe. Ein plötzlicher Schmerz an der Stirn – ich habe mich an einem Scheißnagel gestochen, wo kommt der denn her. Achja, da hängt der Besen dran, den ich gerade zum Stochern benutze. Wütend taste ich nach meiner Stirn. Ich blute. Ha, ich bin wütend. Da hat sie mich erwischt, mich angesprungen und direkt einen Sündenbock gefunden.
Mich.
Tief durchatmen. Fertig putzen. Und dann erstmal eine schöne Tasse Kaffee. Ich betrachte die saubere Küche und denke an die Wut. Die schon wieder verflogen ist. Und der man so schwer auf die Spur kommt, wenn man nach ihr sucht.
Jenny Fitz ist freischaffende Fotografin und lebt in Berlin.