Submission — Hamid Sepahzad
Klarheit in den Sinnen
19. September 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Bilder und Text: Hamid Sepahzad
Als ich das Angebot bekam, einen Beitrag für dieses Magazin zu schreiben, war mir die Tiefe und die Aktualität des vorgegebenen Themas nicht bewusst – wir leben in einer Zeit, in der sich jegliche Werte aufzulösen scheinen. Wir nehmen keine Rücksicht auf die Gefühle und die Würde des Menschen.
Zu dem Wort Ektase habe ich zunächst in meinem Wortschatz und in meinem Verständnis eine falsche Bedeutung registriert, die in keiner Art und Weise die Intensität, Ernsthaftigkeit, Wichtigkeit, Notwendigkeit und Bedeutung dieses Wortes widerspiegelte.
Da die deutsche Sprache nicht meine Sprache ist, musste ich erst einmal ein Äquivalent in meiner Sprache finden. Dadurch bin ich automatisch in einen Bereich gelangt, in dem das Religiöse und das Überirdische in den Vordergrund getreten sind. In diesen Zeiten, in denen sich Moral und Mitgefühl in Opportunismus und finanziellem Interesse auflösen, ist es sehr schwer, sich nicht von diesem Leichtsinn beeinflussen zu lassen.
Ekstase – man muss sich von den gesamten weltlichen sowie historischen und persönlichen Erfahrungen loslösen, damit man in Ekstase geraten kann. Dies ist sicherlich ein schöner und sehr idealistischer Traum. Wenn wir uns von diesen Sachen lösen können, haben wir den ersten Schritt getan, um freien Raum zu schaffen in unseren durch und durch rationalisierten Gedanken. Wenn man die Ekstase erleben will, benötigt man einen freien Kopf, ein reines Herz und einen klaren Verstand, um sich das nicht Begreifbare begreifbar zu machen.
Wenn dies gelingt, wird die Leichtigkeit des Seins von einem starken sowie intensiven Gefühl begleitet, das jegliche Selbstsucht und Banalität desselben Seins in sich auflöst. Um an diesen Punkt zu gelangen, braucht man Übung, Klarheit und Disziplin.
Da wir durch unsere gesellschaftliche Funktion einer Schein-Integrität ausgesetzt sind, erfahren wir viele Hemmungen und viele Hindernisse. Wir akzeptieren diese als unsere Wahrheit, die Loslösung von ihnen ist eine sehr schwierige Aufgabe. Durch diese Modalitäten wird die Wahrheitsfindung antiekstatisch.
Ich habe in den letzten paar Jahren meines Lebens oft versucht, dahin zu gelangen. Das war der Anfang und das Ende eines Zwiespalts voller Dasein. Ich glaube, man muss sehr ehrlich mit sich selbst sein, um das Geglaubte in Frage stellen zu können, und um diesem unbeschreiblichen Gefühl Herr zu werden.
In der jetzigen Zeit, in der man Demagogen, die jeglichen Anstand, Menschlichkeit, Würde und Mitgefühl vernichten, eine Bühne gibt, ist die Sehnsucht nach Ekstase um so stärker. Diese humanistischen Werte sind so allgemeingültig, dass darauf eine Vielzahl von Religionen auf dieser Welt begründet sind.
Ich kann allen, die sich mit Kunst, Literatur, Philosophie und der bildenden Kunst beschäftigen, eine intensive Auseinandersetzung mit dem oberflächlich Gelernten und der tatsächlich existierenden Wahrheit raten.
Wir machen Kunst, da wir was bewegen wollen. Was will man bewegen? Was will man verändern?
Ich habe immer gesagt, und sage immer noch, dass der Künstler ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Wir haben die meisten Sensoren, die meisten Antennen und die Sensibilität, die uns dazu getrieben hat, diesen Beruf zu wählen. Es wäre töricht, diese Berufung auf die leichte Schulter zu nehmen.
Wenn man die Kunst als Berufung sieht, hat man mit Absicht viele gesellschaftliche Berufe nicht gewählt. Sondern man hat einen Beruf ausgesucht, der die gesellschaftlichen Diskrepanzen sowie Unklarheiten schonungslos zeigen sollte. Durch intensive Bearbeitung dieser Gedanken und Erfahrungen findet man automatisch den Zugang zur Ekstase – da rein rein ist, klar klar und recht recht.
Nach meinem Verständnis der deutschen Sprache – und aufgrund meiner Erfahrungen – wird das Wort Ekstase vor allem mit menschlichen Gelüsten in Verbindung gebracht und auf körperliche Loslösung reduziert. Dies ist eine Empfindung eines momentanen Hochgefühls, das im Laufe der Zeit verblasst.
Ekstase ist aber mehr als das. Die echte Ekstase ist Meditation, Enthaltsamkeit und manifestiert sich als Klarheit in den Sinnen. Der Nachklang dieses Gefühls verblasst nicht, sondern intensiviert sich im Laufe der Zeit. Man kann auf lange Sicht nur davon profitieren.
Dieses Gefühl wünsche ich jedem.
Bildlegende (v.o.n.u.):
01 talk about rights
02 smell of life
03 to aarive
04 prison of time
05 heroes
Hamid Sepahzad, Jahrgang 1959, ist Künstler und lebt in Dortmund.