Submission — Britta Heitkamp

Zeitwohlstand

26. September 2022 — Text: Britta Heitkamp, Fotografie: Tânia Ribeiro

Wie sähet ihr wohl aus, du und dein Leben
würdet ihr nicht viel zu oft
zu viel Zeit für Geld hergeben?
Müsstet ihr nicht täglich rechargen,
fundamentale Reserven aufladen,
müssten nicht immer Leerstellen und Müßiges
ganz unten auf einer to-do list landen?
Wurdet ihr etwa so designt? Als Batterie,
als Kollektiv an Arbeitskraft und Energie?
Dabei diskutiert die Welt bedingungsloses Grundeinkommen.
Ich wär‘ zunächst schon dankbar,
– und für mich liegt’s irgendwie auf der Hand –
hätten wir, mal ganz hypothetisch angenommen,
ein Gesetz für Zeitwohlstand.
Zeitwohlstand für alle.

Wir müssten nicht mehr jedes Jahr
in Neujahrsvorsätzen niederschreiben,
wer wir waren, nur mehr davon zu leben,
was wir lieben, um uns mehr Zeit dafür zu geben:
für mehr Frühlingsgefühle im Winter,
Akrobatik im Kopf und die Welt sehen wie Kinder.
Für mehr headspace für dich, im Herzen mehr Licht,
mehr inneres Klippenspringen, mehr Herzklopfen für mich.
So, als wär’s das Neujahr, das uns Renaissance,
das your best self verspricht.

Ich denke, gerade haben viele das Gefühl,
die Welt kämpft um sich an jeder Front,
mit uns an erster Stelle,
und schreibt dabei die Verantwortung
auf unsere Agenda.
Und wir nehmen sie an, die Last dieses Planeten,
als hätten wir’s gewollt, selbst um die Krise gebeten.
Doch wir, die Zukunft, scheinen trotzdem nie genug.

Sind mangelhaft, nicht engagiert, nicht motiviert genug.
Und so werden wir leise laut.
Fragen, nicht überall, doch immer öfter sicherlich:
Wie sieht’s mit mir aus, der Verantwortung für mich?
Und mit meinem Leben, meiner Zeit?
Wer, wenn nicht ich bestimm‘,
was davon am Ende bleibt?

Ja, die Zeit, lass uns darüber sprechen.
Zunächst eine Prämisse: Zeit ist knapp.
Hat Meister Hora per Definition wohl mal so gesagt.
Doch Zeit ist keine Ressource, wie Kohle oder Öl.
Zeit verändert nicht die Substanz, liegt nie brach,
Zeit ist nicht pflanzbar, wächst nicht nach.
Zeit lässt sich nicht sammeln, stehlen oder sparen
– du weißt schon, wie’s die grauen Männer sagen,
die in Geschichten unserer Zeit nachjagen.
In Wahrheit fließt die Zeit stetig weiter,
ohne Besitzer, unbeeindruckt,
ist subjektiv fühlbar, mal lauter und mal leiser.
Dennoch: Zeit ist schlichtweg endlich
und sie verschwenderisch zu nutzen
leider allzu menschlich.

Als nächstes also der Appell:
Hey du, geh achtsam um
mit den Ressourcen unserer Welt.
Auch das Leben lässt sich nachhaltig konsumieren.
Fang an bei dir und deiner Zeit,
da hast du gerade am meisten zu verlieren.
Verbuch es als achtsame Zeitökologie.
Nein, nicht Zeitmanagement oder Effizienz,
keine life optimisation Kompetenz.
Gemeint ist aktives Nichtstun und Genuss.
Nimm dir Zeit, die frei dir gehört,
du nichts und niemandem verpflichtet widmen musst.
Ja, gib Acht auf unseren Planeten.

Aber gib genauso Acht auf dein Leben.
They say, there is no plan(et) B.
Gab‘s – weder für die Erde oder für dein Leben –
noch nie.