Submission — Anita Schneider
Bitterer Aufstieg
14. April 2013 — MYP No. 10 »Meine Nacht« — Text & Foto: Anita Schneider
Morgengrauen, warte doch noch ein bisschen, bevor du die Banalität der Nacht mit dem pragmatischen Realismus des Tages verdrängst.
In der Nacht haben Dinge viel mehr Bedeutung. Pläne wurden abgeschlossen, die am Tag weiter verfolgt werden. Was zählt ist lediglich das Jetzt, die Umgebung, das nicht Reibungslose.
In der Nacht verschwindet die Wärme der Sonne. In der Nacht glüht die Hitze, drängt die Rastlosigkeit der Menschen. Ideen entstehen für die Geschichtsbücher.
Am Tag sind wir formal, distanziert, wir tauschen aus… schnell… Nützliches… Körperliches?… Höchstens einen Händedruck, vielleicht eine Umarmung.
In der Nacht, egal was wir machen, sich im Arm halten, uns auf die Schultern klopfen, dem anderen über das Haar streichen, mit der Faust ins Gesicht schlagen… Jenseits eines animalisch-leidenschaftlichen sexuellen Akts liegen wir gemeinsam Haut an Haut, vielleicht eine Zigarette im Mund. Wer braucht ein Dach über dem Kopf, wenn man den warmen Körper eines Geliebten neben sich hat?
Rebellion ist die Nacht, in der wir uns die Freiheit nehmen, Drinks zu trinken, draußen Autos anzuzünden oder im Fluss nackt zu baden. Zigarrenrauch, Lachen und die nackte Freude sind Teil einer Nacht, die uns wie eine nie vergehende Ewigkeit einnimmt und absorbiert. Und es ist gut. Nichts soll uns diesen Höhenflug zum Sturz bringen.
Für uns Nachtkinder ist das aufgehende Licht des Morgengrauens der bittere Abschied von einer berauschenden Welt.
Tragische Helden sind wir, die zu Boden gehen, während wir noch einen Augenblick vorher an den unendlichen Aufstieg geglaubt haben. Der Aufprall ist umso härter, je höher wir gestiegen sind.
Doch schaue dir das an! Ich erkenne, wie unumgänglich und schön diese Gegensätze sind. Ich erkenne, dass es gut ist. Weisheit braucht keinen weißen Bart, sie offenbart sich auch im Lächeln einer 21-jährigen tragischen Heldin, welche noch unzählige, ungewisse, aufregende Aufstiege vor sich hat, in Nächten wie auch an Tagen.
Felix Kessler ist 17 Jahre alt, Schüler und Fashion Photographer und lebt im Raum Würzburg.