Portrait — Smatka
Schönheit, frei von Konventionen
Nach einer Dekade wilden Lebens in London ist Sängerin Smatka zurück in Berlin. Im Gespräch erzählt sie uns von ihrem Debütalbum »Eden« und verrät, warum sie in Kitsch und skurrilen Gedanken an den Tod kreative Sicherheit findet.
27. August 2019 — MYP N° 26 »Stil« — Text: Katharina Weiß, Fotos: Ansgar Schwarz
Smatka, dieser singende Kokainschub auf zwei Beinen, hat es endlich zurück nach Berlin geschafft – die Stadt, in der sie im Alter von 16 auf Bühnen stand, an deren Türstehern Gleichaltrige ohne falschen Ausweis gar nicht vorbeigekommen wären. Als Sklavenherrin und Frontfrau der Band Smatka Molot ließ sie sich bei ihren Liveshows von einem nackten Mann bedienen, während ihr Zeilen wie „Lolidiale Ideale, durchs Orale ins Anale“ mit einer Leichtigkeit über die Lippen flogen, als wären es pastorale Choräle.
Wer die Nullerjahre im ungezähmten Berliner Stadtteil Kreuzberg verlebt hat, erinnert sich vielleicht noch an dieses rotzige Electro-Punk-Lolitaprojekt, über das die Berliner Morgenpost im Jahr 2004 schrieb: „Smatka Molot spucken auf alle Schubladen, spielen im Zieh-dich-sexy-an-oder-besser-gleich-aus-Schuppen Kit Kat Club oder auf Motorradfreaktreffen.“ Das Kit Kat ist mittlerweile kein exotischer Geheimtipp mehr. Und die sagenumwobenen Anfänge der hedonistischen, heimlichen Berliner Electro-Szene gehören ebenso der Vergangenheit an wie das provokante Kunstkollektiv, zu dem sich Smatka Molot damals zählte.
Während sich die Spreemetropole zum Ibiza für Raver mauserte, hatte sich Sängerin Smatka eine neue wilde Heimat im Herzen der Londoner Musikszene gesucht. Jetzt, nach einem Jahrzehnt englischen Hauptstadtflairs, in dem sich Smatka einen internationalen Namen sowohl als Künstlerin als auch als Künstlercoach machen konnte, ist sie zurück in der Heimatstadt, die sie eigentlich nie verlassen wollte.
Zur Geografie ihrer Geborgenheit gehört auch das Studio R des Maxim-Gorki-Theaters, wo wir sie durch einen heißen Sommernachmittag begleiten. Wir flanieren mit ihr durch den Backstage-Bereich und lauschen ihrem A-capella-Gesang beim Soundcheck zu ihrem Konzert im Rahmen des bevorstehenden „Spark Festival“. Sie hat so viel Charisma, dass es für fünf Frontsängerinnen reichen würde. Deshalb stört es nicht, dass Smatka nach fast zwei Jahrzehnten des Getümmels die lauten Lieder etwas beiseite geschoben hat, um sich stattdessen auf Stücke zu konzentrieren, die – in ihrer zwischenweltlichen Schönheit – für die deutsche Karriere der Künstlerin ein neues Musikkapitel aufschlagen.
»Heute haben wir nur noch wenige Tabus, die Versuchungen sind nicht mehr so nett. Deshalb ist auf einmal die Keuschheit wieder spannend.«
„Eden“, ihr Debütalbum unter dem Namen Smatka, erschien Ende Juni auch in einer Live-Version. Es führt die Hörer durch den Transit-Bereich zwischen Himmel und Erde, Wachen und Träumen – und wird dabei von Smatkas eigenen Beschreibungen gerahmt, die das englisch- und deutschsprachige Werk mit einer beinahe katholisch anmutenden Imagination von Sünde und Keuschheit umwabert. „Die Sünde an sich ist ja schon sehr sexy, weil man dafür der Versuchung folgen muss. Aber heute haben wir nur noch wenige Tabus, die Versuchungen sind nicht mehr so nett. Deshalb ist auf einmal die Keuschheit wieder spannend“, sagt Smatka, die eigentlich nie trinkt, sich heute vor der Show im Maxim Gorki aber ausnahmsweise eine Weinschorle gönnt.
In routinierter Professionalität hat sie zusammen mit ihrem Vertrieb RecordJet ihre Kreativität in zehn radiolange Songs gegossen, die ihre meditative Wirkung aber erst in ihrer Gesamtheit voll entfalten. Im Internet wird der Hörgenuss von bewegenden Visualisierungen unterstützt: Zu fast jedem „Eden“-Lied findet sich ein Video im Netz, dazu erhält jeder Song zur Veröffentlichung des Live-Albums nochmal einen eigenen Performance-Clip.
Der Kirchenchor bot Smatka die erste Bühne ihres Lebens.
Sowohl die Texte als auch die Videoideen stammen allein von der Künstlerin selbst – und transportieren dabei eine Bandbreite an emotionalen Erfahrungen, bei der man sich schnell fragt: Wie viel muss jemand gelebt haben, wie wahnsinnig und unglücklich muss jemand geliebt haben, um Stücke wie „Außer Mir“ oder „Ohne dich“ schreiben zu können?
Viele Anekdoten klingen so fantastisch, dass sie in ihrer Fülle fast unglaublich scheinen. Smatka, deren Name wie der Inbegriff einer urbanen Szene-Künstlerin klingt, wuchs mitten im Wald auf, im tiefen Forst der sächsischen Provinz. Noch heute zieht sie sich zum Musikschreiben in den Wald zurück. Manchmal trifft sie dann ältere Menschen aus umliegenden Orten, die sich daran erinnern, wie sie ihnen als Kind ein Lied vorträllerte – im Austausch gegen Süßigkeiten. Oder wie sie das „Ave Maria“ in der Kirche sang. Der Kirchenchor bot ihr die erste Bühne ihres Lebens. Sängerin wollte Smatka damals allerdings nicht werden, eher Detektivin oder Busfahrerin.
»Man hatte prognostiziert, dass ich mit 21 im Rollstuhl sitzen würde.«
In ihrer Kindheit und Jugend hatte sie ohnehin ganz andere Sorgen. Smatka leidet an einer Hüftdysplasie, eine Sammelbezeichnung für Fehlstellungen der Verknöcherung des Hüftgelenks. Aus diesem Grund war ihr bereits in jungen Jahren ein weniger bewegliches Leben prophezeit worden, insgesamt musste sie bisher dreimal laufen lernen: „Man hatte prognostiziert, dass ich mit 21 im Rollstuhl sitzen würde“, sagt sie. So hat sie sich relativ früh an Sprüche wie „Da kommst du niemals hin!“ gewöhnen müssen. Aber das hat Smatka nicht davon abgehalten, an ihren Träumen festzuhalten: „A dreamer is a believer“, lässt sie uns wissen. Durch Glück und viel Sport traten die Vorhersagen der Ärzte nicht ein. „Ich habe mich nicht verbittert durchgesetzt, sondern einfach gemacht.“
Mit 15 zog die Unerschrockene zuhause aus. Zuerst landete sie in Dresden. „Ich habe in Diskotheken geputzt, in Tankstellen oder bei der Post Geld verdient und in gefühlt jeder Bar gearbeitet“, erinnert sie sich. „Erlaubt war es natürlich nicht, in dem Alter Schnaps auszuschenken.“
Erst nach Monaten begriff sie, dass die Schokoladenpäckchen Haschisch beinhalteten.
Nach dem Schulabschluss marschierte sie in das Europäische Theaterinstitut an der Jannowitzbrücke in Berlin, legte in breitestem Sächsisch ihr Anliegen dar und füllte noch vor Ort die Bewerbung aus. Zu diesem Zeitpunkt war ihr erstes Bandprojekt bereits in vollem Gange. Im Alter von 16 Jahren gründete sie Smatka Molot. Mit dabei war die noch jüngere Bassistin Erika Maria. Bald wurde der doppelt so alte Produzent auf die ungewöhnlich dynamischen Mädchen aufmerksam. Er scheuchte sie durch die Kreuzberger Szene und leierte einen Umzug nach Großbritannien an. Dort landete Smatka schließlich eher widerwillig – und ohne ein Wort Englisch zu sprechen.
Das unfreiwillige Abenteuer ließ sie Teil der Szene um Pete Doherty, The Maccabees und später Amy Winehouse werden. Doch nicht nur ihre Konzerte waren für die junge Künstlerin aufregend, sondern auch ihre Lebensumstände in East London – manchmal mehr, manchmal weniger freiwillig. Smatka jobbte zum Beispiel in einem marokkanischen Café, das sich unterhalb eines besetzten Lagerhauses befand, in dem sie zu diesem Zeitpunkt einen Unterschlupf gefunden hatte. Erst nach Monaten begriff sie, dass die Schokoladenpäckchen, die sich in dem Café so wahnsinnig gut verkauften, Haschisch beinhalteten.
»Persönlich mag ich mein englisches Ich lieber als mein deutsches.«
Wenn Smatka über London spricht, dann malt sie eine Zeit der wilden Wunder. In Berlin versucht sie nun, eine andere Art von Abenteuer zu finden. Unsere Hauptstadt sei und bleibe ihre große Liebe, sagt sie – und wer liebt, müsse sich keine Sorgen machen. Menschlich wieder Fuß zu fassen stellt für Smatka jedoch aktuell die größte Herausforderung dar: „Persönlich mag ich mein englisches Ich lieber als mein deutsches. Mit diesem bin ich jedoch in den ersten Monaten gar nicht gut angekommen, eher angeeckt. Bekannt für mein Feuer, meine positiv-aggressive Ausdrucksweise und mein explosives Durchsetzungsvermögen, hatte ich vor allem mit alten Bekannten, teilweise sehr alten Freunden, meiner Familie, aber auch neuen Bekanntschaften meine Schwierigkeiten.“
»Jetzt war ich ‘ne Spinnerin, ‘ne Verrückte, eine Wiedergekehrte, die es wohl da draußen nicht geschafft hatte.«
Auch wenn Smatka so wirkt, als könne man sie eine Dekade nicht sehen und sie trotzdem nicht vergessen: Die zehn Jahre, in denen sie weder als Mensch noch als Musikerin in Deutschland sichtbar war, fallen nun stärker ins Gewicht, als beim Auszug in die weite Welt vermutet. „Zu allererst bin ich als Sächsin nach Berlin gekommen – als Berlin noch voll von Berlinern war. Für die war ich ‘ne Sächsin. Und nun kam ich wieder und wollte genau da anknüpfen, wo ich in England aufgehört habe. Doch jetzt war ich ‘ne Spinnerin, ‘ne Verrückte, eine Wiedergekehrte, die es wohl da draußen nicht geschafft hatte. Für mich selbst war ich gefühlt eine Weltbürgerin und stolz auf mein scheinbar abgelegtes Ego sowie auf die Dinge, die ich menschlich sowie beruflich erreicht und gelernt hatte.“
»Zum Erfahrungen sammeln ist Urlaub das beste Mittel, aber zur Erholung ist er für mich eher ungeeignet.«
Smatkas Musik schwankt – je nach Perspektive der Hörenden – zwischen lyrischer Erhabenheit und sphärischer Dunkelheit. Sie selbst habe die hellsten Orte in der tiefsten Finsternis erfahren. Dafür muss sie sich aber schon lange nicht mehr als Draufgängerin stilisieren. Sie findet diese Nuancen in der Schwärmerei über vergangene Alltagsgeschichten. Deshalb passt es zu Smatka, dass sie nie in den Urlaub fährt. Das ergäbe für sie keinen Sinn und fühle sich furchtbar an: „Zum Erfahrungen sammeln ist Urlaub wahrlich das beste Mittel, aber zur Erholung ist er für mich eher ungeeignet. Meine Sehnsucht ist die Liebe und schon in meinem ersten Urlaub, kurz vor meiner Einschulung, habe ich mich in einen Jungen verliebt. Einen Jungen, den ich nach diesem Urlaub nie wieder gesehen habe, dessen Gesicht sich aber in mein Herz gebrannt hat.“
Er hieß Marco, hatte leuchtend grüne Augen und schwarzes Haar. Smatka lernte ihn während eines Winterurlaubs in Rehefeld kennen, ein damals beliebtes Ziel im Osterzgebirge. Smatka erinnert sich genau – und während sie erzählt, hat man die Szene genau vor sich: Das Hotel, in dem sie damals wohnten, sei ein alter DDR-Plattenbau gewesen, mit einer riesengroßen, freischwingenden Steintreppe, die von den oberen Etagen durch das Restaurant hindurch, den Eingangsbereich, den Club und schließlich bis zu den Kellerräumen führte. Dort unten, hinter den letzten Stufen, da habe Marco immer gesessen und mit seinen Spielzeugautos gespielt. „Erst später wurde mir bewusst, dass er sich versteckte und weinend Trost in seinem Spiel suchte. Das war der erste traurige Mensch, dem ich begegnet bin.“
»Die Hölle gibt es nicht mehr, zumindest nach ›Eden‹. Das, was war, kann nie mehr sein – und was nun?«
Smatkas Leichtigkeit im Umgang mit der Schwere des Lebens ist vielleicht ihr Markenzeichen. Eines der zentralen Themen in ihrem Album „Eden“ war der Tod. Nun befindet sie sich bereits in der Produktion für Album Nummer zwei, das den Arbeitstitel „Nichts“ trägt und ebenfalls zusammen mit ihrem musikalischen Partner Willi Sieger entsteht. Als Fortführung von „Eden“ wird „Nichts“ wieder ein Konzeptalbum sein. Die zentrale Frage darin: Was passiert mit uns, wenn es uns nicht mehr gibt? Im neuen Werk, so sagt sie, stünden Stillstand, Entstehen und Verwandlung im Mittelpunkt. „Die Hölle gibt es nicht mehr, zumindest nach ‚Eden‘. Das, was war, kann nie mehr sein – und was nun?“, fragt Smatka.
»Der Kitsch, der Traum, das Skurrile, der Dada oder der Surrealismus geben mir eine gewisse Sicherheit.«
Wenn die Musikerin nicht diverse Nachwuchskünstler unterrichtet, mit Kollegen an neuen Projekten bastelt oder eigene Songs schreibt, lebt sie gern in der Stille. Dann baut sie ihr eigenes Gemüse an, bereitet das Holz für den Winter vor oder denkt nach. Was dabei herauskommt, erstaunt sie oft selbst. „Leben und Tod kommen meistens unverhofft und nicht geplant. Egal, wie man es dreht und wendet, man sitzt vor diesem weißen Blatt Papier und verspürt Angst und Widerstand. Je mehr Menschen aus unserem Leben in den Tod gehen, desto stärker wird die Angst. Der Kitsch, der Traum, das Skurrile, der Dada oder der Surrealismus geben mir eine gewisse Sicherheit. Sie sind in der Lage, mir die Angst vor dem Umgang mit beispielsweise dem Tod – dem Unbekannten – und vor dem Realismus zu nehmen.“
»Von innen und außen schön zu sein, ist garantiert unendlich anstrengend, da die Gefahr des Verlusts so groß ist.«
Wenn sie diese Haltung auf ihren Musikstil überträgt, dann befindet Smatka, dass Authentizität in Stimme, Haltung und Sound für sie die Magie eines Songs ausmachen. Das Genre sei dabei absolut nebensächlich. Das Hadern mit den vielen Begrifflichkeiten der Schönheit sei hingegen ein ständiger und dabei produktiver Begleiter ihres kreativen Werdegangs. „Wenn man äußerlich schön ist, sollte man für sein Gegenüber zumindest innen etwas Hässliches haben oder leer sein. So kommt es mir zumindest häufig vor. Tatsächlich von innen und außen schön zu sein, ist garantiert unendlich anstrengend, da die Gefahr des Verlusts so groß ist“, philosophiert sie und verrät uns dann ihre Definition von Schönheit. Für Smatka verhält sich diese analog zur Weisheit: Sie sei rein, doch wer könne das schon von sich behaupten?
»Oft erfahre ich gerade in der Arbeit mit Musikern eine Abneigung gegen schöne Stimmen.«
Bei Smatka fließen die Assoziationsketten ineinander. Begriffliche Trennschärfe wird zu Gunsten einer fließenden Poesie vornübergekippt. Als nächstes springt sie zu einer popokulturellen Ebene: Unverständlich, so sagt Smatka, sei für sie nur die Abneigung gegenüber der Schönheit. „Schön singen, eingängig schöne Melodien, sich schön fühlen oder schön aussehen ¬– oft erfahre ich gerade in der Arbeit mit Musikern eine Abneigung gegen schöne Stimmen, vor allem in deutscher Sprache. Das ist dann immer gleich Schlager. Ja und? Dann ist es eben Schlager. Aber Schlager bedeutet für viele, hässlich zu sein. Warum können sie die Schönheit nicht akzeptieren? Woher kommt dieser Widerstand? Dann legen sie einen urbanen Beat drunter und schon wird aus Schlager böser HipHop.“
Smatka sagt, dass sie das einfach nicht verstehen könne. Es sei nicht mehr cool, schöne Musik zu machen. Die Angst davor, schön zu singen und dafür weniger im Trend zu liegen, hat sie mittlerweile verloren. Das Wunderbare sei, dass sie seit dieser Entwicklung nicht mehr den Druck verspüre, schreien zu müssen, sich schräg zu verhalten oder zu kleiden, nur um erfolgreich zu sein. Denn, so sagt sie: „Authentizität ist Schönheit, frei von jeglichen Konventionen.“
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Text: Katharina Weiß
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