Portrait — Instinkt und Psyche (Teil 2)
Raus aus dem Kopf, rein in den Körper
Instinkt und Angst sind biologische Geschwister. Wenn dieser Mechanismus häufig einen Fehlalarm schlägt, werden wir krank – seelisch und körperlich. Eine Betroffene erzählt uns, wie sich Panikattacken anfühlen und was ihr geholfen hat.
23. Oktober 2018 — MYP N° 23 »Instinkt« — Text: Katharina Weiß
Teil 2 der Serie über Instinkt und Psyche:
Die Patientin
Die Geschichte von Stefanie und der Angst hat sich in mehreren Kapiteln in ihre Biografie eingeschrieben. Zum ersten Mal klopfte sie mit Anfang 20 an – oder sie schlug vielmehr die Türe mit dem Vorschlaghammer ein. „Ich musste in der Kindheit sehr früh Verantwortung übernehmen, die gar nicht meine war. Dadurch blieb viel Unsicherheit zurück. Passenderweise bekam ich die erste Panikattacke, als ich versucht habe, mich von meinem Elternhaus zu lösen“, erzählt Stefanie. Sie war gerade auf dem Weg zu einer Wohnungsbesichtigung, als ihr der Himmel auf den Kopf fiel: „Du denkst, die Welt geht unter, du kriegst ’nen Herzinfarkt, du stirbst gleich.“ Für einen Menschen, der immer alles unter Kontrolle hat (und haben will), fühle sich das wie der größtmögliche Kontrast an. Auch wenn Stefanie, ganz Kämpfernatur, von Anfang an Schritte dagegen unternahm: Die Angst, der ungebetene Gast, kam immer wieder zu Besuch: Umzüge, neue Jobs, Trennungen, frische Liebe – mit Situationen, die intensive emotionale Unsicherheit hervorriefen, wurde auch die Panik wieder wach.
Die 45-Jährige, die mit ihrem Mann, einem 15 Monate alten Sohn, einem Hund und einem Pferd am Waldrand in Brandenburg lebt, holte sich schon früh Hilfe. Sie versuchte es mit Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie und Gestalttherapie. Geholfen haben alle, aber Stefanie spürte immer eine Lücke im Erfolg: „Die Vorarbeit war wichtig, weil ich ganz viel über die Hintergründe meiner Probleme erfahren habe. Aber sie liefen alle über die intellektuelle Ebene, man versucht zum Beispiel, in seinem Kopf verschiedene Perspektiven einzunehmen. Heute weiß ich: Die körperliche Ebene kam zu kurz.“ Erst mit den Besuchen bei Lisa Sundermeyer, die in ihrer Berliner Praxis nach der Grinberg-Methode heilt, konnte der Therapieerfolg rund gemacht werden.
»Wir heiraten jetzt, wir gründen noch eine Familie – da ist mein System kollabiert.«
Auslöser für diesen experimentellen Behandlungsversuch war ihre letzte Begegnung mit der Panik. Es geschah vor drei Jahren, als Stefanie mitten in den Vorbereitungen ihrer Hochzeit steckte: Sie hatte sich gerade eine Location für die Feier angesehen und fuhr auf der Autobahn zurück nach Brandenburg, als die Attacke kam. Mit 60 km/h schlich sie über den Standstreifen, bis das Herz aufhörte zu rasen. „Der Gedanke: Wir heiraten jetzt, wir gründen noch eine Familie – da ist mein System kollabiert“, sagt Stefanie. Danach war sie so geplättet, dass sie monatelang nicht vernünftig arbeiten konnte. Einmal fuhr ihr Mann sie zum Bahnhof, sie hatte eine einwöchige Dienstreise vor sich. Doch an Einsteigen war nicht zu denken: „Ich konnte den Zug einfach nicht betreten“, sagt Stefanie.
Neben den Angstattacken selbst war in all den Jahren auch die Angst vor der nächsten Attacke lähmend. „Das schränkt einen deutlich in allen möglichen Aktivitäten ein, der Radius wird eng. Nach meiner Therapie bei Lisa ist er so groß, wie er in den letzten 20 Jahren nicht war“, sagt Stefanie. Nach dem Vorfall auf der Autobahn hatte ihr eine Bekannte die Praxis in Prenzlauer Berg empfohlen.
Neun Monate lang hatte sie regelmäßige Sitzungen bei Lisa Sundermeyer gebucht – und dabei gelernt, dass sie ihre Angst gar nicht bekämpfen muss: „Die Angst ist sowieso da und steckt als Energie im Körper. Man kann sie nicht festhalten, man muss sie durchfließen lassen und in etwas anderes, Positiveres verwandeln.“ Esoterisch sei das aber ganz und gar nicht gemeint. Das Gefühl, wenn sie die Panik in sich aufsteigen spürt, ruft körperliche Symptome hervor: Muskelanspannung, Schwitzen, schneller Puls, Schwindel und weiche Knie werden von ihr als „Angst“ interpretiert. „Wenn ich akzeptiere, dass in dem Moment nicht mehr passiert, als dass jede Menge Adrenalin durch meinen Körper gepumpt wird und ich das auch zulasse, dann geht es erstens schneller vorbei und zweitens bleibe ich handlungsfähig und muss weder erstarren noch fliehen“, sagt Stefanie.
Seitdem sie das Motto ‚Raus aus dem Kopf, rein in den Körper‘ verinnerlicht hat, ist auch die Migräne, für die sie früher ständig Medikamente in der Handtasche mitnehmen musste, sehr selten geworden. Als Allheilmittel würde Stefanie die Grinberg-Methode trotzdem nicht bezeichnen: Bei ihrer Problemlage sehe sie Lisa Sundermeyers Heilkonzept weniger als Ersatz zu klassischen psychotherapeutischen Methoden, sondern eher als Ergänzung.
»Ich würde mir wünschen, dass die Kasse für weniger privilegierte Menschen die Stundenhonorare übernimmt.«
Obwohl sie nicht mehr regelmäßig in die Praxis kommt, empfindet sie sich als „noch nicht fertig.“ Auch in den letzten Monaten griff sie wieder zum Hörer, um einen der raren Termine bei Lisa Sundermeyer zu bekommen. „Mein Mann und ich mussten einige Verluste hinnehmen. Mich haben unter anderem Todesfälle beschäftigt und dann hatte ich noch einen schweren Reitunfall mit Gedächtnisverlust. Neben der Trauerbewältigung war auch die Traumaverarbeitung eine wichtige Baustelle, um wieder aufs Pferd zu können.“ Eine Notfallnummer sei die Therapeutin trotzdem nicht. Für Krisen habe sie zum Glück ihr enges Umfeld. In den Sitzungen gehe es auf lange Sicht eher um Selbstermächtigung.
Immer wenn Stefanie zudem einen Knoten in der eigenen Entwicklung spürt, lässt sie sich von der Therapeutin dabei helfen, den neuen Schritt mit vollem Elan anzugehen. Die ständige Weiterentwicklung ist auch für ihren Beruf nützlich. Sie coacht Führungskräfte, vorrangig aus Wirtschaftsunternehmen, und berät sie bei Konflikten mit Mitarbeitern oder hilft ihnen bei der Zusammenstellung von neuen Teams. Ein anstrengender Job, der viel Aufmerksamkeit erfordert. Und bei dem sich auch wieder die Angst einschleicht… nur dieses Mal auf der Seite der Kunden. „Durch meine Erfahrungen mit der Grinberg-Methode sehe ich auch bei den Klienten viel deutlichere Körpersignale und kann sie bei ihren Herausforderungen besser unterstützen.“
Zu viel möchte sie aber gar nicht von Lisa Sundermeyer schwärmen, es sei jetzt schon schwer genug, einen der raren Termine bei der Therapeutin zu bekommen. Aber mit ihr sei die Chemie einfach so stimmig: „Das muss auf jeden Fall passen, es wird ja sehr intim – körperlich und seelisch.“ Damit noch mehr Patienten mit Panikattacken von der innovativen Methode profitieren könnten, würde sie sich wünschen, dass die Kasse für weniger privilegierte Menschen die Stundenhonorare, die in der Branche zwischen 70 und 130 Euro liegen, übernehmen würde.
Was genau dahintersteckt und wie die Expertin Lisa Sundermeyer ihre Technik erklärt, erfahrt Ihr in den anderen beiden Teilen der Serie über Instinkt und Psyche:
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