Portrait — Elsa van Damke
»Ich glaube an die Wut«
Sie ist laut, sie ist präzise, sie ist politisch: Die Berliner Regisseurin und Grimme-Preisträgerin Elsa van Damke krempelt mit feministischer Wut und popkulturellem Feinsinn die deutsche Serienlandschaft um.
21. April 2025 — Text: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Birgit von Bally

»Ich bin ein Ostberliner Mädchen. Und ich finde, wir haben hier in der Ecke Deutschlands ein anderes Verhältnis zu Gerechtigkeit.« Elsa van Damke lehnt sich in den plüschigen roten Sessel des Kino Union, wo wir uns zum Gespräch treffen. Für die 31-jährige Regisseurin aus Berlin-Köpenick ist das Kino ein Ort ihrer Kindheit und Jugend, voller Erinnerungen – an verregnete Nachmittage mit ihrer Mutter, an die Aufregung des ersten richtigen Kusses auf ebendiesen Kinosesseln, an Partys zwischen Popcorn-Maschine und Projektionskabine.
Jetzt sitzt sie hier als zweifache Grimme-Preisträgerin. Dass sie gerade trotzdem noch nicht weiß, wie sie in der zweiten Jahreshälfte ihre Miete zahlen soll, sagt viel über die Filmbranche in Deutschland. Denn van Damke hat mit ihrem Debüt »Angemessen Angry« eine Serie geschaffen, die wehtut, heilt, lacht. Sie erzählt von weiblicher Wut als Superkraft – und hat nicht nur ein Publikum elektrisiert, sondern auch eine Branche provoziert.

Kein Cape, kein Latex – nur Haltung
Doch wie wird man zur feministischen Superheldinnen-Regisseurin? Elsa van Damke lacht. »Ich wollte weibliche Figuren erzählen, die mehr sind als Sidekick, Opfer oder Heilige. Also warum nicht gleich eine Superheldin, deren Superkraft Wut ist?« Inspiriert von »Jessica Jones«, aber genervt von Marvels Glattgebügeltem, erzählt »Angemessen Angry« von Hysteria – einer Frau, die Trauma in Superkraft verwandelt. Kein Cape, kein Latex, aber messerscharfer Humor und Rage mit Haltung.
»Wut ist ein Gefühl, das uns als weiblich gelesene Personen abtrainiert wird. Wir sollen nett lächeln, hübsch und angepasst sein, niemandem zur Last fallen, so wenig Raum wie möglich einnehmen. Ich wollte das aufbrechen.« Und wie. In der Serie wird keine Gewalt voyeuristisch ausgestellt, sondern kontextualisiert. »Ich bin selbst Betroffene sexualisierter Gewalt. Ich wusste genau, wie ich diese Szenen nicht erzählen will.«


»Don’t you fucking touch me!«
Elsa van Damke hat die Nase voll von männlicher Übergriffigkeit. »Erst heute auf dem Weg hierher zu unserem Interview hat sich mir ein Typ in den Weg gestellt und wollte mich ansprechen. Ich habe ihm ein klares Nein signalisiert, da hat er mich – am helllichten Tag – an den Schultern gepackt und wollte mich festhalten. Ich habe geschrien: Don’t you fucking touch me! Und dann habe ich ihm den Mittelfinger gezeigt und bin einfach zügig weitergelaufen.«
Als Frauen sind wir gezwungen, unsere Reaktion auf solch übergriffiges Verhalten innerhalb von Sekunden zu analysieren und zu prüfen, wie gefährlich die Situation ist und ob Menschen gegebenenfalls in unserer Nähe sind, die helfen könnten. Wir müssen unsere Sicherheit gewährleisten, wollen aber gleichzeitig zum Beispiel unseren Angreifer oder das Arschloch uns gegenüber nicht zu sehr verärgern.

Solche Erlebnisse sind kein Einzelfall – aber sie sickern ein in van Damkes Arbeit. »›Angemessen Angry‹ ist keine Therapie, aber ich habe viel während der Arbeit am Projekt gelernt. Auch, dass ich nichts mehr aus Verlegenheit weglächele, das eigentlich ein klares lautes ›Nein!‹ sein sollte.«
Die Serie vermeidet bewusst jede Ästhetisierung von Gewalt. »Ich habe mit meiner Kamerafrau Doro Götz lange recherchiert, wie sexualisierte Gewalt im Film inszeniert wird – und meistens war es ästhetisch, voyeuristisch, aus der Täterperspektive. Das wollten wir nicht.« Stattdessen erzählt »Angemessen Angry« von außen, respektvoll – und mit Humor. »Humor ist eine Überlebensstrategie. Vor allem aber wollten wir so viel wie möglich nach oben treten. Und wir haben um jeden Witz gekämpft.«


Penis ab
Die Szene, die Elsa van Damke selbst am mutigsten findet? »Definitiv die Penis-ab-Szene. Ich spoilere jetzt: Ja, sie tut einem Mann Gewalt an. Aber dass in Superhelden-Filmen ständig Fußgänger:innen oder Nebencharaktere als Kollateralschäden sterben, ist okay – solange Männer die Täter sind. Sobald eine Frau einen Mann angreift, ist es ein Skandal.«
Bereits vor dem Release wurde van Damke zur Zielscheibe in den sozialen Medien. »Es kamen Drohungen von Männern – in privaten Nachrichten auf Social Media – die meinten, ich würde zu Gewalt aufrufen. Diese Männer hatten die Serie noch nicht mal gesehen.«
Abgeschreckt hat sie das nicht. Tabus für die Zukunft? Da fallen ihr keine ein: »Mit der richtigen Haltung kannst du meiner Meinung nach alles erzählen. Ich würde sogar einen Film über die Polizei machen – kritisch. Oder über Inzest – wenn es nicht verharmlost oder bagatellisiert wird.«

Mainstream, aber mit Message
Elsa van Damke ist nicht nur wütend. Sie ist auch witzig. Und popkulturell aufgeladen. »Mein Sternzeichen ist Fische. Ich liebe Love Songs, Heartbreak Songs, bin chronisch online und verrückt nach Popkultur generell.« In »Angemessen Angry« laufen Lieder von Florence and The Machine und Taylor-Swift-Banger neben düsterem Elektropop. Die Verbindung von poppigem Vibe und politischem Inhalt ist kein Zufall. »Ich will Mainstream-Stoffe machen – damit die auch geschaut werden. Nur weil etwas viele Menschen erreicht, heißt das nicht, dass es einfach oder handwerklich schlecht produziert sein muss.«
Van Damke hat Journalismus studiert, bevor sie zur Regie fand. »Ich habe im Rahmen eines Uni-Ausschreibens mein erstes Musikvideo umgesetzt – und Blut geleckt. Ich wusste: That’s it.« Das Schreibtalent steht trotzdem im Zentrum ihrer vielen Fähigkeiten, weil es so brillant ist und ihrem großartigen komödiantischen Timing als Regisseurin die nötige Tiefer verleiht.


Aus Angst, ›die Anstrengende‹ zu sein
Einer der stärksten roten Fäden in ihrer Arbeit – und in ihrem Leben – sind ihre Freundinnen. »Ich habe eine sehr radikale Ehrlichkeitskultur mit meinen besten Freundinnen. Wir waschen uns manchmal den Kopf und geben uns ehrliches und nicht selten auch schmerzhaftes Feedback zu unserem Verhalten. Nur so können wir voneinander lernen und unsere Beziehungen vertiefen.«
Elsa van Damke hat viele Freundschaften, die teilweise seit über zwei Dekaden halten. Diese unterstützenden Netzwerke anstatt ewiger Konkurrenz sind für sie ein Quell der Stärke – obwohl es Frauen nicht leicht gemacht wird, zusammenzuhalten. »Wir Frauen haben sozial erlernt, dass es ganz oben nur eine geben kann. Es ist Arbeit, das zu durchschauen und zu verlernen. Aber diese Arbeit lohnt sich. Trotzdem kenne ich auch Neidgefühle.«

Außerdem weiß van Damke, wie schwer es als junge Frau in der Unterhaltungsbranche ist. »Ich finde es traurig, wie wenig Freiheit wir haben, zu sagen, was wir wirklich denken – aus Angst, die Anstrengende zu sein. Ich hatte das Glück, bei »Lang lebe der Fischfriedhof« und »Angemessen Angry« mit vielen tollen Frauen zu arbeiten – auch weil ich beim Casting und in der Teamzusammenstellung versuche, auf mein Bauchgefühl zu hören.«

»Stardust Hotel«: der nächste große Wurf?
Gerade arbeitet Elsa van Damke zusammen mit Regisseur Simon Ostermann an ihrem nächsten Projekt, der ARD-Serie »The Stardust Hotel«. Der Plot stammt diesmal nicht aus ihrer eigenen Feder, stattdessen kann sie sich bei der Serie ganz aufs Inszenieren konzentrieren. Noch ist nicht viel bekannt: Die romantische Komödie, die im Weltraum spielt, befindet sich aktuell in der Postproduktion und wird frühestens 2026 erscheinen. »Aber es wird wieder absurd, komisch und laut. Und Taylor Swift ist, zumindest in meiner Hälfte, auch wieder dabei!«
Bei Projekten wie diesem hat sie in einem männlich dominierten Team Haltung zeigen müssen. »Die erste Woche am Set bist du nur dabei, dich beweisen zu müssen. Das kostet so viel Kraft, die ich lieber in kreative Arbeit stecken würde«, sagt sie.


»Neulich in einer Postproduktionsbesprechung habe ich mich bewusst gegen einen prominenten Comedian ausgesprochen, weil ich seine politische Haltung nicht mittragen konnte. Das hat Diskussionen ausgelöst, vor allem bei meinen männlichen Kollegen. Aber ich habe ein Prinzip: Ich will mit Menschen arbeiten, die meine Werte teilen. Alle (Männer) haben Angst vor dieser Cancel Culture, aber sorry – die sehe ich nirgends. Du kannst in Deutschland Vergewaltigungsfantasien in Gedichtbänden veröffentlichen, du kannst dein rassistisches und sexistisches Gedankengut in Stand-ups, in Talkshows und zur besten Primetime in die Welt brüllen, ja du kannst sogar buchstäblich vergewaltigen – und es passiert: nichts.“
Am Ende ist Elsas Angst, den Stempel die Anstrengende zu erhalten, wahrscheinlich gerechtfertigter als die Angst eines Mannes, gecancelt zu werden.

Kontrolle als Kreativraum
Van Damke ist ein selbsternannter Kontrollfreak. »Ich glaube, ich bin Regisseurin geworden, weil ich so viel kontrollieren kann.« Exzesse? Entsprechen nicht so ganz ihrem Temperament. »Am Ende entscheide ich mich immer lieber für meine Couch oder einen Abend in Köpenick am Wasser.« Oder sie schläft: »Drehen ist Hardcore. Ich brauche meine neun Stunden Schlaf.«
Aktuell lebt die Berlinerin in Lichtenberg, auf absehbare Zeit will sie ihrer Heimatstadt treu bleiben. »Hier ist meine Familie. Und hier ist meine Prägung. Ich finde, in Ostberlin haben wir ein anderes Verhältnis zu Arbeit, zu Gerechtigkeit – auch, weil unsere Mütter und Omas die Unterdrückung der DDR miterlebt haben.« Dieses Umfeld hat sie früh und nachhaltig politisiert. »Meine Mama hat mich mit ihrem Gerechtigkeitssinn erzogen. Ich war Klassensprecherin, weil ich immer dachte: Wenn was falsch läuft, muss jemand was sagen.«


Mit Mama zum Grimme-Preis
Bei der Verleihung des Grimme-Preises zeigte van Damke, wie gut ihr große Bühnen und große Reden stehen. Und die wenige Zeit auf der Bühne, live im TV, nutzte sie beeindruckend (ab 56:57 min): »Ich muss an die Branche appellieren: Gebt uns genügend Gelder, damit wir nicht ausbrennen! Lasst uns unsere Geschichte erzählen! Wir brauchen mehr weibliche und diversere Stoffe!« Ihre Begleitung an dem Abend war übrigens ihre Mutter: »Meine Mama ist meine Nummer eins.«
Elsa van Damke ist eine Regisseurin und Visionärin, die sich nicht schont. Die kreative Courage hat. Die kämpft – mit Kamera, mit Worten, mit Witz. Und die an die Kraft von Kunst und Kollektiv glaubt. An Popkultur. An radikale Ehrlichkeit. Und daran, dass Freundinnenschaft die beste Superkraft überhaupt ist.
Vielleicht braucht man keine Superheldin mit Cape. Vielleicht reicht schon eine junge Frau aus Köpenick mit einer klaren Haltung und einem verdammt guten Soundtrack.

»Angemessen Angry«, abrufbar auf RTL+
Mit besonderem Dank an das Team des Kino Union in Berlin-Köpenick.
Mehr von und über Elsa van Damke:
linktr.ee/elsavandamke
instagram.com/elsavandamke
die-agenten.de
Interview & Text: Katharina Viktoria Weiß
Fotografie: Birgit von Bally
Produktionsassistenz: Sarah Czaplinski