Interview — Prinz Pi

Über dem Radar

Fortschrittsfanatiker und Fernweh-Typ: Wir fühlen Prinz Pi auf den Zahn und sprechen mit dem Rapper über seinen Kompass und ausbleibende Erfolge.

14. April 2013 — MYP No. 10 »Meine Nacht« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Ole Westermann

Es ist noch etwas früh an diesem Morgen im Nordosten Kreuzbergs. Die sonst so lebhaften Straßen zwischen Görlitzer Park und Spree scheinen zwar bereits erwacht zu sein, wirklich aufstehen wollen sie aber irgendwie noch nicht. Wer könnte es ihnen auch verübeln, schließlich ist dieser März vom Gefühl her eher ein hartnäckiger Januar als der Beginn eines warmen Berliner Frühlings.

Die Zugvögel, die gerade aus dem Süden zurückgekehrt sind, machen auch nicht den entschlossensten Eindruck. Aufgeregt flattern sie umher und diskutieren energisch, ob
sie bleiben sollen oder besser wieder abreisen – zurück in die Wärme, aus der sie kommen.

Die Sonne könnte die Entscheidung ja erleichtern – sie müsste dazu nur die Wolken, die hartnäckig ihre Sicht versperren, frühzeitig in den Feierabend schicken. Aber ein Machtwort scheint ihr an diesem Morgen noch nicht über die Lippen zu kommen, dazu wirkt sie zu verschlafen.

Wie gut, dass es im Café Nest in der Görlitzer Straße schon etwas geschäftiger zugeht. Irgendwer muss den Tag ja in Gang bringen – und unseren Kreislauf. Der doppelte Espresso kommt also gerade recht.

In wenigen Minuten erwarten wir hier Friedrich Kautz, der bereits seit Ende der 90er Jahre in der deutschen HipHop-Szene für Musik sorgt und sich dort Prinz Pi nennt. In Kürze wird er sein fünfzehntes Album veröffentlichen, das den Namen „Kompass ohne Norden“ trägt. Ja, richtig gelesen: Fünfzehn. Also darf man gespannt sein.

Während wir noch unser Equipment vor einer gemütlichen Wohnzimmer-Sitzecke am Fenster aufbauen, schlendert Friedrich um die Ecke und betritt das Café. Er hat seinen besten Freund Wassif Hoteit dabei, mit dem er vor vier Jahren das Label „Keine Liebe Records“ gegründet hat. Und obwohl dieser Tag als Pressemarathon in ihrem Kalender geblockt ist, wirken beide absolut entspannt.

Nach einem freundlichen „Hallo!“ und „Einen Cappuccino bitte!“ lässt sich Friedrich auf einem der kleinen Wohnzimmersessel nieder und schaut uns an. Im Gegensatz zu den Kreuzberger Straßen und der Sonne ist er bereits hellwach.

„Der Cappuccino für den Herrn?“ Ja, dankesehr. Es kann losgehen.

Jonas:
Wenn man den Song „Fähnchen im Wind“ auf deinem neuen Album hört, fühlt man sich total in die Vergangenheit zurückgeschossen. Plötzlich hat man wieder die Bilder der eigenen Abifahrt vor Augen. War es für dich selbst auch wie eine Zeitreise, als du den Song geschrieben hast?

Friedrich:
Ja, schon. Dieser Song leitet das neue Album ein, da er bei den Erinnerungen an die Grundschulzeit ansetzt. Die sind wahrscheinlich bei den meisten Leuten gleich: Man saß wenige Wochen vor den Sommerferien in der Schule, goldenes Licht fiel in die Klasse und man konnte es kaum noch erwarten, dass endlich die große Freiheit anbrach. Die sechs Ferienwochen erschienen einem damals wie eine unendlich lange Zeit, die dann leider viel schneller rum war, als man dachte.
So sprang man von Schuljahr zu Schuljahr, bis plötzlich das Abi vor der Tür stand. Und man dachte schon wieder: Wenn das vorbei ist, beginnt ein riesengroßes Abenteuer. Doch irgendwie tut’s das halt doch nicht – und davon handelt der Song.
Bei mir zum Beispiel kam nach dem Abi direkt der Zivildienst und dann gleich das Studium. Man wartet dabei die ganze Zeit auf diesen Klick-Moment. Aber der kommt nicht.

Jonas:
Wartest Du immer noch?

Friedrich:
Ja, das tue ich. Bei mir hat es bisher nur so halb klick gemacht, aber eben noch nicht richtig.

Jonas:
Was genau meinst du mit „halb klick“?

Friedrich:
Naja, es gibt Leute, die wissen mit 16, 17 Jahren schon, was sie mal werden wollen. Und werden das dann auch. Für mich ist dieses Musikerdasein etwas, mit dem ich mich erst arrangieren musste – immerhin habe ich mich ziemlich lange dagegen gesträubt.
Ich habe ja eigentlich Kommunikationsdesign studiert und wollte ursprünglich auch in diesem Job arbeiten. Aber wie man sieht, bin ich dann doch nicht in einer Werbeagentur gelandet.

Jonas:
Vielleicht hätte die auch deine Seele einbehalten…

Friedrich:
Ja, die hätte ich dort wahrscheinlich irgendwie für 3.000 brutto im Monat verkauft.

Jonas:
Wie und wann bist du zur Musik gekommen?

Friedrich:
Das war zu meiner Abiturzeit. Ich war auf einem superkrassen Gymnasium, das sich als eine Art Eliteschule verstand. Die Schüler dort waren alle etwas anders drauf als ich und hatten einfach nicht meinen State of Mind. Dementsprechend habe ich mich mit ihnen nicht wirklich gut verstanden und bin daher auch nicht mit auf Abifahrt gekommen. Es war damals ein wunderschöner Sommer mit tollem Wetter – und ich habe mich in den kalten, nassen Keller meiner Eltern verkrochen.
In diesem Keller habe ich angefangen, meine ersten Songs zu schreiben. Unter anderem ist das Stück „Keine Liebe“ dort entstanden, das zu einer Art Klassiker von mir wurde. Der Song wurde aus dem Gefühl heraus geboren, dass es für mich absolut keine Gruppe gab, in der ich aufgenommen wurde und die mich mochte. Ich wollte der Welt die fehlende Liebe, die mir entgegenschlug, irgendwie zurückgeben – das ist die traurige Geschichte meines musikalischen Anfangs. Friedrich grinst.

Jonas:
Gott sei Dank verschwindet die Traurigkeit ja im Laufe der Zeit – vielleicht auch deshalb, weil man irgendwann die Leute von früher wieder sieht und sich ziemlich wundern muss, was aus ihnen geworden ist…

Friedrich:
Ja, das beschreibe ich auch in meinem Song „Kompass ohne Norden“. Manche trifft man nach einigen Jahren wieder und denkt sich: Oh mein Gott, wie kann man so klischeehaft sein? Da fallen nur Sätze wie „Das hier ist mein Auto, das meine krasse Uhr und das meine (viel zu) junge Frau.“

Jonas:
„Die Ersten sind gescheitert, die Ersten was geworden…“

Friedrich:
Genau – und die trifft man eben irgendwann wieder. Und ich habe nach wie vor keine Gruppe gefunden, zu der ich mich zugehörig fühle.
In der Musikszene ist es übrigens dasselbe: Ich sehe ja nicht unbedingt so aus und bin so drauf wie die meisten meiner Kollegen. So bin ich auch dort eher ein Einzelgänger, ein Steppenwolf sozusagen.

Jonas:
Treibt dich das um?

Friedrich:
Es gibt ja ganz viele Leute, die mich gerade deshalb mögen, weil ich so bin, wie ich bin: Das sind meine Fans. Daher finde ich das nicht wirklich schlimm.

Jonas:
Eigentlich könntest du ja total entspannt sein…

Friedrich:
Ich bin auch total entspannt. Ich glaube übrigens nicht, dass ich dadurch etwas Besonderes bin. Das ist so ein bisschen wie bei den Leuten, die sagen: „Oh Mann, ich bin ja so individuell! Ich hab’ einen so krass eigenen Style, der ist komplett anders als der Style von allen anderen.“ Irgendwann kommen sie dann aber nach Berlin-Friedrichshain und müssen feststellen: Dort sehen alle exakt so aus wie sie selbst.

In meinem Metier trägt man ja eher die „Babo-Jacke“ als die Barbour-Jacke.

Jonas:
Jede Gruppe hat eben ihre Uniform – bei den BWL-Studenten zum Beispiel sind es die Segelschuhe, das Polo von Ralph Lauren mit hochgestelltem Kragen und die Barbour-Jacke.

Friedrich (lacht):
In meinem Metier trägt man ja eher die „Babo-Jacke“ als die Barbour-Jacke. Aber ja, im Prinzip ist es das gleiche.
Interessanterweise ist dieser Drang, möglichst anders und individuell sein zu wollen, meistens an den Wunsch geknüpft, trotzdem Teil einer Gruppe oder einer Gesellschaft zu sein. Diesen Mechanismus habe ich schon sehr, sehr früh verstanden.
Als ich zum Beispiel 15, 16 Jahre alt war, war ich ziemlich links interessiert. Ich bin auf Demos gegangen, in meinem Zimmer hing ein Plakat von Che Guevara und ich hatte überall „Bildet Banden“-Sticker kleben. Ich war damals total begeistert von dem ganzen Antifa-Zeug und so.
Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass es auch bei diesen total toleranten Anarchisten eine ziemlich krasse Uniformierung gibt. Dort darfst du nicht unbedingt so aussehen, wie du willst, sondern musst dich kleiden, wie sich ein Punk eben kleidet. Und wenn nicht, wirst du schräg angeschaut.
Das fand ich total bescheuert. Wenn man schon Anarchist ist und sich über alle Normen und Gepflogenheit der Gesellschaft hinwegsetzen will, muss man auch so weit gehen, dass man in seinem eigenen Haufen Leute akzeptiert, die aussehen können wie sie wollen.

Friedrich nimmt einen großen Schluck seines Cappuccino und schaut aus dem Fenster. Wer hätte es gedacht: Die werte Sonne hat sich endlich dazu durchgerungen, die Wolken vor sich zu verjagen. Wie entfesselt durchströmen ihre Strahlen den Nordosten Kreuzbergs und tauchen unsere kleine Interviewecke in ein wunderschönes Licht.

Mit dem Auftritt der Sonne scheint auch etwas Ordnung in die Diskussion der Zugvögel gekommen zu sein, die nicht mehr ganz so wild umherfliegen. Immer mehr von ihnen formieren sich und wechseln ins Lager derer, die sich für ein Bleiben entscheiden.

Jonas:
Du bist ja hier aufgewachsen…

Friedrich:
Ja, ich bin born and raised in West-Berlin!

Jonas:
Wird dir die Stadt so langsam fremd?

Friedrich:
Fremd nicht, aber Berlin verändert sich schon sehr schnell. Der Wrangelkiez zum Beispiel – die Hood, wo wir gerade sind. Vor zehn Jahren bin ich hierher gezogen. Damals war das die Gegend mit der höchsten Kriminalitätsrate in Deutschland. Die Wrangelstraße war so ziemlich die schlimmste Ecke und wirklich mies. Hier bist du nachts nicht gerne rumgelaufen.
Kein einziges teures Auto stand damals hier – und heutzutage bekommst du vor lauter geparkten Porsche Panamera keinen Platz mehr mit deinem Kleinwagen. Es hat sich extrem verändert, aber ich will gar nicht das übliche Touristen-Bashing betreiben und sagen, dass alles total schlecht geworden ist. Die Touris bringen ja Geld in den Kiez und wir Berliner leben davon.

Jonas:
Und wenn man irgendwo anders auf der Welt unterwegs ist, ist man dort ja selbst Tourist…

Friedrich:
Genau. Allerdings versuche ich im Ausland nicht so aufzutreten, wie das die deutschen Touris so gerne tun: Mir ist echt aufgefallen, dass es so ein typisch deutsches Ding ist, im Ausland beispielsweise im Restaurant wie selbstverständlich auf Deutsch zu bestellen. Für gewöhnlich versteht ein Einheimischer aber kein Deutsch. Anstatt es dann mal auf Englisch zu probieren, wiederholen sie auf Deutsch – nur doppelt so laut: „Ich meinte eine Pizza! Verstehen sie mich nicht?“

Wenn ich ins Ausland fahre, wirke ich eher wie ein gut gekleideter Frank Sinatra.

Jonas:
Ich kann mir dich auch wirklich schlecht in Tennissocken und Sandaletten vorstellen.

Friedrich:
Stimmt, das Schlimmste sind Sandalen und Socken. Das ist wirklich peinlich, so sehe ich nicht aus.
Wenn ich ins Ausland fahre, wirke ich eher wie ein gut gekleideter Frank Sinatra. Ich trage dann nur klassische Sachen: eine braune Sonnenbrille, ein Hemd und einen Hut.

Jonas:
Bist du eher so der Fernweh-Typ?

Friedrich:
Ich liebe andere Länder und würde gerne viel mehr reisen. Und ja, ich habe wirklich oft großes Fernweh. Ich bin aber jemand, der lieber alleine reist.

Jonas:
Weil du dann endlich mal Zeit für dich findest?

Friedrich:
Ich bin so ein sehr, sehr kompliziertes Wesen, das es mag, viel Zeit mit sich selbst zu verbringen – und sich mit sich selbst zu unterhalten und auseinanderzusetzen. Das brauche ich ab und zu.

Wir unterbrechen das Gespräch und zahlen. Wir wollen Friedrich und Wassif noch zu ihrem Studio begleiten, das nur wenige Minuten entfernt liegt. Unterwegs halten wir immer wieder an, um ein paar Portraits von Friedrich zu schießen – das Licht bietet ja sich mittlerweile einfach an.

Nach etwa hundert Metern kommen wir an einem kleinen Spielplatz vorbei. Zwei junge Leute, die um die 20 sein müssen, schaukeln wild auf einem der Spielgeräte herum. Friedrich hält für einen Moment an, beobachtet das Treiben kurz und schüttelt den Kopf: „Seht ihr, die Hipster nehmen den Kindern die Spielplätze weg.“

Jonas:
In deinem Song „Moderne Zeiten“ beschreibst du, wie jeder versucht, irgendwie auf Retro zu machen…

Friedrich:
Ja, das ist eine Beobachtung, die ich immer wieder gemacht habe. Dieser Retro-Trend hat ja seinen Ursprung in einer gewissen Zukunftsangst – also die Angst vor einem Morgen, in dem es beispielsweise weniger Arbeitsplätze gibt, der Wohlstand abnimmt oder die Polkappen schmelzen. Man könnte etliche Punkte aufzählen.
In meiner Kindheit sah das alles noch anders aus. Wenn man damals in Büchern und Zeitschriften etwas über Zukunftsszenarien gelesen hat, war das alles toll und utopisch – mit fliegenden Autos und Wohnen auf dem Mars. Das war einfach eine geile Welt, auf die man sich gefreut hat. Heute malt man sich nur noch Horrorszenarien aus.
Daher suchen die Leute etwas, das sie kennen und wohin sie sich flüchten können. Sie suchen einfach nach der heilen Welt aus ihrer Kindheit. Meine Generation betreibt das so intensiv wie keine Generation vorher: Wir fliehen zu den Sneakers aus den 80ern und zu den alten Star Wars Filmen, die wir viel schöner und unperfekter finden als die neuen. Die machen uns eher Angst.
Diese alten Star Wars Filme sind echt ein gutes Beispiel: Sie beschreiben eine einfache und verständliche Welt mit klar definierten Rollen: Der Draufgänger Han Solo, der tugendhafte Held Luke Skywalker und das absolute Böse in Form von Darth Vader und dem Imperator.
Die heutigen Star Wars Streifen zeigen viel kompliziertere Charaktere und haben eine weitaus vielschichtigere Handlung. Das passt zwar in unsere heutige Zeit, gefällt uns aber nicht, weil wir uns nach dem einfachen Leben und klar definierten Rollen sehnen – wie bei Shakespeare.

Jonas:
Bist du selbst ein eher ängstlicher Typ?

Friedrich:
Ne, ganz im Gegenteil. Ich freue mich total auf das, was kommt. Ich bin ein absoluter Fortschrittsfanatiker. Ich habe ja Design und Gestaltung studiert und mag schon alleine deswegen alles, was modern ist. Ich als iPhone-Poweruser liebe die ganzen technischen Spielzeuge und finde das alles toll.
Allein diese gigantische Entwicklung der letzten Jahre beispielsweise in der Filmtechnik ist echt beeindruckend. Heute kann man mit einer relativ einfachen Kamera und überschaubarem Aufwand einen richtig guten Film drehen. Das war noch vor zehn Jahren undenkbar.
Diesen Fortschritt begrüße ich sehr. Das ist, wie wenn einem einfachen Arbeiter plötzlich alle Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So ist es übrigens schon in „Das Kapital“ von Karl Marx gefordert.
Nur wegen dieser Entwicklung habe ich mit meinem kleinen Independent-Team überhaupt die Möglichkeit, gegen die viel größeren Major-Player zu bestehen. Hinter deren Produktionen verstecken sich ja ganz andere Strukturen und Budgets als bei mir. Und obwohl bei uns im kleinen Kreis das Meiste selbst gemacht wird, spielen wir qualitativ auf demselben Level. Das ist eine sehr moderne Herangehensweise, die total den Zeitgeist widerspiegelt.

Jonas:
Es gibt sicherlich viele, die dich heimlich um diese Freiheitsgrade beneiden.

Friedrich:
Bestimmt. Ich bin auch echt froh um diese Freiheit und sehr dankbar.

Jonas:
Und obwohl du diese Freiheitsgrade besitzt und es unzählige Menschen gibt, die du mit deiner Musik erreichst, sagst du von dir selbst, dass du seit Jahren knapp unter dem Erfolgsradar fliegst.

Friedrich:
Was ich damit meine, ist Folgendes: Wenn in Deutschland jemand von diesem Radar erfasst ist, kennt jeder seinen Namen – egal ob man mit seiner Musik was anfangen kann oder nicht. Ein Beispiel: Sogar meine Mutter kennt Peter Fox – spätestens seit Heino. Mich dagegen kennen über meine Fans hinaus nur wenige. Das ist das, was ich mit „knapp unterhalb des Erfolgsradars fliegen“ sagen will.
Um es nicht falsch zu verstehen: Ich bin super dankbar und freue mich total, dass ich so erfolgreich bin. Trotzdem ist es ein Fakt, dass mein Name noch nicht in aller Munde ist.

Jonas:
Ist es dein oberstes Ziel, diese Schwelle zu überschreiten und irgendwann in den Radar zu fliegen?

Friedrich:
Ne, das oberste Ziel ganz sicher nicht. Ich freue mich über alle, die ich mit meiner Kunst erreiche und die sich für meine Musik interessieren. Wenn Menschen das tun, ehrt mich das sehr.
Kunst muss ja auch nicht immer jeden ansprechen. Vor allem in der Musik passiert es oft, dass das Niveau gesenkt wird, um ein größeres Publikum zu erreichen. Das will ich aber auf gar keinen Fall. Ich müsste mich dann ja verbiegen – und dazu bin ich nicht gelenkig genug. Friedrich lacht.

Irgendwas sollte man schon hinterlassen können.

Jonas:
Musik, deren Niveau runtergeschraubt wird, überlebt naturgemäß ja auch nicht lange.

Friedrich:
Das stimmt. Irgendwas sollte man schon hinterlassen können. Wenn ich etwas von meiner humanistischen Schulbildung mitgenommen habe, dann den Anspruch, etwas für die Gesellschaft tun zu können. Meine Referenz ist da „De re publica“ von Cicero, der in seinem Werk dafür plädiert, dass es die Pflicht eines jeden Bürgers sein muss, seiner Gesellschaft zu dienen.
Wenn ich irgendwann mal ins Gras beißen werde, ist das in meinem Fall zwar eher der Lederbezug von dem Sitz meines Sportwagens, mit dem ich mich irgendwo gegen die Wand semmele, trotzdem will ich dann sagen können, dass ich etwas Vernünftiges gemacht habe – und nicht nur mein eigenes Bankkonto gefüllt habe.
Ich sehe deshalb meinen Dienst an der Gesellschaft darin, dass ich vernünftige Musik mache – Musik, die ich persönlich ziemlich gut finde.

Jonas:
Und Bob Dylan ist dabei der Kompass?

Friedrich:
Bob Dylan war einer der Musiker, die ich schon als Kind viel gehört habe, allerdings ohne wirklich zu verstehen, was er da sagt. Mein Papa hat mir dann irgendwann ein Buch geschenkt, in dem alle seine Texte ins Deutsche übersetzt waren.

So etwas hatte ich noch nicht gesehen: Die Songtexte von Bob Dylan waren so selbstverständlich in einem Buch abgedruckt, wie ich es vorher nur von Dichtern und Romanautoren kannte.
So habe ich gelernt, dass Texte auch ohne die Musik eine gewisse Gültigkeit und Wertigkeit besitzen können. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Wir sind mittlerweile am Studio angekommen und verabschieden uns. Der Prinz-Pi-Pressemarathon geht in die nächste Runde: Friedrich ist zu einem Telefoninterview verabredet, das in wenigen Minuten ansteht.

Während Friedrich und Wassif im Hauseingang verschwinden, wandern unsere Blicke erstaunt Richtung Himmel: Die Zugvögel haben sich geeinigt! Stolz verkünden sie, dass sie sich zum Bleiben entschieden haben.

Und so sammelt sich der Schwarm am Himmel, formiert sich und steigt auf, immer weiter und weiter. Wie eine Speerspitze wirkt er und zieht entschlossen der Sonne entgegen.

Wären die Vögel Flugzeuge, man würde sie kaum entdecken. Zu hoch sind sie schon aufgestiegen. Und fliegen über dem Radar.

Wer hätte das heute Morgen noch gedacht!

Sie haben wohl einfach einen Kompass gebraucht.