Interview — Paula Hartmann
»Ich lasse auch schwierigen Emotionen ihren Raum«
Mit ihrem Debütalbum »Nie verliebt« hat Musikerin und Schauspielerin Paula Hartmann gerade eine Platte veröffentlicht, die vor allem wegen ihrer klugen und feinsinnigen Texte im Gedächtnis bleibt. Doch auch musikalisch fühlt man sich gut aufgehoben, denn der Sound ist erfrischend klar, reduziert und präzise – und ein bisschen melancholisch. Ein Gespräch über emotionale Offenheit, den Reiz des Alleinseins und einen Horrordreh im strömenden Regen.
15. April 2022 — Interview: Paul Sundheim, Fotografie: Steven Luedtke
Es gibt Tage, da hat man von allem die Nase voll. Der Himmel ist grau, die Stimmung auch, und alles im Leben ist irgendwie nur lästig. Jackpot. Für solche Tage gibt es die Wohnzimmer Bar im Prenzlauer Berg: ein Ort wie eine Kuscheldecke, in die man sich tief verkriecht, wenn man sich der Welt da draußen mal wieder entziehen will.
Seit vielen Jahren schon gilt die beliebte Bar am Helmholtzplatz als verlässlicher Partner in Sachen Alltagseskapismus. Das liegt vor allem an der ungewöhnlichen Einrichtung. Hier hatte nicht Tine Wittler ihren Einsatz in vier Wänden, sondern eher das Seniorenwerk Berlin: Überall stehen schwere Polstermöbel, antike Tischchen und schrullige Hocker. Die Tapeten sehen aus wie in Opas Partykeller. Und die vielen Leuchter und Lämpchen hüllen die gesamte Bar in ein wohlig-schummriges Licht. Ne, wat schön!
Wer an einem jener stimmungsgrauen Tage den Weg in den Prenzlauer Berg scheut oder sich erst gar nicht aus dem Bett bewegen will, dem sei „Nie verliebt“ ans Herz gelegt. Das Debütalbum von Musikerin und Schauspielerin Paula Hartmann versprüht genau das richtige Maß an Melancholie: Einerseits ist es in der Lage, einem mit seinen dunklen Beats und nachdenklichen Texten die Seele zu streicheln. Andererseits ist der Sound so präzise, zeitgeistig und nachdrücklich, dass man sich dann doch mal aus dem Bett bequemt. Und sich mit der Welt da draußen irgendwie versöhnt.
Kurz vor der Veröffentlichung von „Nie verliebt“ am 8. April haben wir die 21-jährige Berlinerin in der Wohnzimmer Bar zum Interview getroffen.
»Ich möchte mich nicht irgendwelchen Inhalten verschreiben, denen ich dann gerecht werden muss.«
MYP Magazine:
Du giltst in der deutschen Hip-Hop-Szene als etablierte Künstlerin und erhältst Props von Rappern wie Haftbefehl, Casper oder Disarstar. Gleichzeitig bilden Deine Texte ein Gegengewicht zum teilweise toxisch-maskulinen Hip-Hop-Wortschatz vieler Deiner Kollegen. Beispiele hierfür sind Zeilen wie „zum Glück nichts im Getränk, für drei Minuten flenn“ aus dem Song „Truman Show Boot“ oder „Nachts alleine U-Bahn fahren, der dritte Typ versucht es mal / Dinge, die nur Mädchen kennen, Heimweg, immer letzte Meter rennen“ aus dem Track „Kein Bock“. Warum ist es Dir so ein Bedürfnis, diese Dinge zu thematisieren?
Paula:
Diese weibliche Perspektive ist nichts, worauf ich meinen Fokus gelegt habe. Oder anders gesagt: Es ist kein Ziel von mir, feministische Zeilen zu texten. Ich möchte mich nicht irgendwelchen Inhalten verschreiben, denen ich dann gerecht werden muss. Ich will einfach nur Geschichten erzählen, die von meinem Leben und meiner Realität inspiriert sind. Und da kommt es natürlich immer wieder zu solchen Zeilen. Es wäre doch komisch, wenn ich den Leuten in meiner Musik von meinen drei G-Klassen oder so erzählen würde. Das ist nicht meine Realität, dazu habe ich keinen persönlichen Bezug.
MYP Magazine:
Ist es nicht trotzdem interessant, dass Deine Texte so einen Anklang finden, insbesondere in der Hip-Hop-Welt?
Paula:
Klar! Es ist spannend zu sehen, wer alles meine Musik teilt. Aber auch überraschend. Denn für mich persönlich sind weder die von Dir zitierten Zeilen aus „Truman Show Boot“ noch die aus „Kein Bock“ die tragenden Textstellen des jeweiligen Songs. Da sind mir andere Lyrics deutlich näher.
»Es gibt einen Punkt, ab dem ich Geschichten erzählen möchte, die über meine eigene Autobiografie hinausgehen.«
MYP Magazine:
Bleiben wir bei „Truman Show Boot“. In diesem Song geht es um eine toxische Beziehung – und darum, dass eine Person die andere innerlich zerstört. Inwiefern bedienst Du dich bei solchen Themen im Regal der eigenen Erfahrungen und Erlebnisse?
Paula:
Die Emotionen, die meinen Songs zugrunde liegen, stammen tatsächlich oft aus eigenen Erfahrungen. Aber es gibt auch einen kreativen Punkt, ab dem ich Geschichten erzählen möchte, die weit über meine eigene Autobiografie hinausgehen. Ab diesem Punkt möchte ich einfach meine Fantasie weiterspielen lassen.
MYP Magazine:
Wofür steht in dem Song die Zeile „Doch mein Truman Show Boot fährt im Sonnenuntergang / Gegen eine Wand“?
Paula:
Für einen Realitätscheck. Und das Zweifeln an eben dieser Realität. Mir hat erst gestern noch jemand geschrieben, dass sich für ihn alles so anfühle, als wäre man in einer Simulation gefangen. Und dass diese Vorstellung echt lustig wäre, wenn alles gerade nicht so traurig wäre. Manchmal hat man so einen Moment, in dem man denkt: Alles ist anders, als ich es dachte, und wirkt im eigenen Kopf völlig überzeichnet. Ich finde, dieses Momentum bringt dieser Satz auf dem Punkt.
MYP Magazine:
Die zentrale Figur des Films „Die Truman Show“ ist der Versicherungsangestellte Truman Burbank, der, gespielt von Jim Carrey, der Hauptdarsteller einer beliebten Fernsehserie ist, ohne selbst davon zu wissen. Geht es Dir manchmal auch so wie ihm? Dass Du in einer Situation denkst, das kann doch kein Zufall sein?
Paula:
Nein, ich habe wirklich überhaupt keine Angst, dass sich die ganze Welt um mich dreht. Vielleicht spielen die anderen Menschen um mich herum auch einfach so gut, dass ich es nicht merke. Aber im Ernst: Ich glaube, dass bestimmte Zufälle einfach passieren, weil es so sein soll.
»Ich wusste nicht mehr, was man so macht, wenn man allein ist.«
MYP Magazine:
Deine Songs wirken wie ein Spiegelbild der Gefühlswelt junger Menschen. Welche dieser Themen spielen in Deinem persönlichen Leben eine Rolle?
Paula:
Jeder meiner Songs stammt aus einer ganz eigenen Konfliktschublade – wobei er sich nicht immer auch um einen konkreten Konflikt dreht. Daher weiß ich nicht, ob ich die Frage wirklich beantworten kann. Ganz allgemein würde ich aber sagen, dass sich das Thema des Alleinseins als roter Faden durch meine Songs zieht.
MYP Magazine:
Bist du gerne allein?
Paula:
Ich fühle mich manchmal allein, aber ich bin nicht einsam. In den letzten drei Jahren habe ich nur gearbeitet. Und wenn ich mal Zeit hatte, habe ich versucht, andere Leute zu sehen. Im Januar gab es mal ein paar Abende, an denen ich allein zuhause war. Einer dieser Abende war der 6. Januar, daran erinnere ich mich noch genau: Ich war allein in meiner Wohnung in Hamburg und wusste nicht mehr, was man so macht, wenn man allein ist. Schaue ich einen Film? Koche ich mir was? Packe ich meinen Koffer? Ich war richtig überfordert mit der Situation. Aber nach drei Tagen fand ich‘s richtig toll, ich wollte nur noch allein sein. Mittlerweile weiß ich, dass ich es genauso liebe, allein zu sein wie unter Menschen. Wahrscheinlich bin ich einfach hypersozial. Deshalb komme ich selten in die Situation, Zeit allein zu verbringen.
»Mit schwierigen Emotionen offen umzugehen ist ein schöneres Ventil, als die Verdrängung zu wählen.«
MYP Magazine:
Deine Songs klingen stellenweise recht depressiv. In „Fahr uns nach Hause“ etwa singst Du: „Zieh uns ne Plastiktüte übern Kopf und geh dann mit mir unter“. Was möchtest Du damit verarbeiten?
Paula:
Ich höre tatsächlich oft von Freunden, dass ihre Eltern fragen, ob ich ein trauriger Mensch sei – oder ob ich mal mit jemandem reden wolle. (lacht) Aber ich kann ihnen und allen anderen die Angst nehmen, im Grunde bin ich eine sehr zufriedene und glückliche Person. Dennoch lasse ich in meinem Leben auch schwierigen Emotionen ihren Raum. Damit offen umzugehen ist ein schöneres Ventil, als die Verdrängung zu wählen. Irgendwann kommt ohnehin alles wieder ungewollt hoch.
MYP Magazine:
Das Cover Deines neuen Albums ist im Stil einer Retro-Kinderkassette gestaltet. Was ist die Idee dahinter?
Paula:
Ich habe mir letztes Jahr ein Tape Deck gekauft und angefangen, darauf Kassetten zu spielen. Dadurch habe ich dieses Medium für mich wiederentdeckt – und musste aufs Neue lernen, wie so ein Gerät überhaupt funktioniert. Ich habe sogar ein altes Band gefunden, auf das ich als Kind gesprochen habe. In dem Alter wusste ich noch ganz intuitiv, wie ich mir meine Märchen- oder Gute-Nacht-Geschichten anmachen kann… Naja, so ist auf jeden Fall die Idee mit dem Märchenbezug entstanden.
»Ich erzähle sehr gerne gute Geschichten.«
MYP Magazine:
Du bist nicht nur Musikerin, sondern auch Schauspielerin. Wie lassen sich für Dich beide Berufe miteinander vereinen?
Paula:
Die lassen sich sehr gut vereinen – weil Schauspielerei und Musik für mich zwei vollkommen unterschiedliche Welten sind. Dennoch haben beide Berufe gemeinsam, dass man mit ihnen Emotionen professionell aufbereiten und gute Geschichten erzählen kann. Ich persönlich erzähle sehr gerne gute Geschichten.
MYP Magazine:
Hast Du manchmal das Gefühl, dass eine der beiden Passionen zu kurz kommt?
Paula:
Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe in den letzten zwei Jahren nicht nur wahnsinnig viel Musik gemacht, sondern auch mehr gedreht als je zuvor.
»Ständig hielten Autos an, weil die Leute dachten, ich hätte einen Unfall gehabt.«
MYP Magazine:
Apropos Schauspielerei: Wieso liegst du in deinen Musikvideos so oft auf dem Boden?
Paula: (lacht)
Tue ich das?!
MYP Magazine:
Ja, zum Beispiel im Video zum Song „Fahr uns nach Hause“.
Paula:
Stimmt. Diese Szenen waren übrigens der absolute Horror – weil uns nach Drehschluss auffiel, dass bei den Aufnahmen etwas mit dem Licht nicht stimmte. Und das eine Woche vor Veröffentlichung! Also haben wir uns spontan entschieden, die entsprechenden Szenen nachzudrehen. Dummerweise hat es an diesem Tag nur geschüttet. Ich hatte schon acht Hosen übereinander an und es war immer noch irre kalt. Und da ich im strömenden Regen auf dem nassen Boden lag, hielten ständig Autos an, weil die Leute dachten, ich hätte einen Unfall gehabt. Das Licht der Scheinwerfer hat permanent die Aufnahme gestört, daher mussten wir alles ewig wiederholen. Am Ende war ich echt fertig mit den Nerven und bin mit Tränen in den Augen zum nächsten Termin gefahren. Da stand ich dann auch noch mal bis 23 Uhr in der Kälte.
»Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen man sich außerhalb der eigenen Komfortzone begibt.«
MYP Magazine:
Ist in Deinem Leben eigentlich Lampenfieber ein Thema? Bist Du nervös vor einem Live-Auftritt oder Dreh?
Paula:
Wenn ich wüsste, dass ich bis an mein Lebensende immer so nervös sein würde wie vor meinem letzten Auftritt, würde ich aufhören, live zu spielen. Bei der Schauspielerei ist das das absolute Gegenteil. Null vergleichbar. Ich hatte vor einer Szene noch nie das Gefühl, ich müsse jetzt sofort nach Hause. Aber natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen man etwas Stressiges spielt oder sich in einer Szene außerhalb der eigenen Komfortzone begibt. Aber da empfinde ich in Sachen Nervosität vielleicht ein Hundertstel von dem, was ich vor meinen Live-Auftritte fühle. Dafür sind aber auch die Emotionen nach einer Show immer ganz besondere: Ich stolpere von der Bühne und will sofort alles noch mal neu machen.
MYP Magazine:
Junge Menschen wie wir werden gerne gefragt, wo sie sich in fünf Jahren sehen. Hast Du einen Wunsch für die Zukunft?
Paula:
Ich will einfach weiterhin das machen, worauf ich Lust habe. Und ich würde mir wünschen, dass ich mich in fünf Jahren meiner selbst so sicher fühle, dass ich nur noch Schritte gehe, weil ich sie wirklich gehen will.
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Mehr von und über Paula Hartmann:
Interview: Paul Sundheim
Fotografie: Steven Lüdtke
Assistenz: Julian Noah Probst
Lektorat: Jonas Meyer & Katharina Viktoria Weiß