Interview — Maximilian Mundt

Neuland

Mit seiner Hauptrolle in der Netflix-Serie »How To Sell Drugs Online (Fast)« wurde Maximilian Mundt quasi über Nacht bekannt. Wir haben den jungen Schauspieler zum Gespräch getroffen und sind mit ihm, getrieben von der Sommerhitze, an einen Brandenburger See gefahren.

4. August 2019 — MYP N° 26 »Stil« — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotografie: Maximilian König

„Es gibt Länder, wo was los ist / Es gibt Länder, wo richtig was los ist / Und es gibt Brandenburg“

Als Liedermacher und Kabarettist Rainald Grebe im Jahr 2005 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin sein neues Lied zum Besten gab, war das Gelächter im Publikum groß. Das Stück, das der gebürtige Kölner als traurige Hymne an das Bundesland Brandenburg geschrieben hatte, bündelte wirklich alle Klischees, die man – 15 Jahre nach der Wiedervereinigung – mit dieser dünn besiedelten Region im Osten Deutschlands in Verbindung bringen konnte: Alleenunfälle, Abwanderung, Nazis, Langeweile, Tristesse, Provinzialität. Bam! Ein Song wie ein Fingerzeig, der schnell zum Erfolg wurde, jedenfalls im Rest der Republik. Dabei war doch alles nur als Spaß gemeint.

Nun kommt es im Leben aber vor, dass sich die Zeiten ändern. Soll heißen: Was früher mal belächelt oder gar verachtet wurde, hat heute oft die Chance, mindestens den Mainstream-Geist zu treffen, wenn nicht sogar zum Kult zu werden. Man denke nur an Bio, Birkenstock, Die Grünen.

Was Brandenburg damit zu tun hat? Naja, als Rainald Grebe damals am Klavier saß und sein Lied gewordenes Stigma präsentierte, gab es noch kein Instagram. Und wer nur ansatzweise versteht, wie diese Plattform funktioniert, der weiß, dass man mit Abgeschiedenheit durchaus punkten kann, insbesondere wenn man wie Brandenburg unzählige Naturparks, Wälder und Seen zu bieten hat. Das digitale Volk von heute sucht eben Orte, an denen man sich perfekt in Szene setzen kann. Einsame Natur als Unique Selling Proposition. Am Pragser Wildsee gibt’s das schon lange nicht mehr.

An eine dieser Brandenburger Locations hat es auch uns heute verschlagen. Etwa eine Stunde südöstlich von Berlin stößt man auf den Pätzer Vordersee, gleich daneben liegt der kleinere Tonsee. Zwei Gewässer, an denen sich außer ein paar Nackten nicht wirklich viele Menschen tummeln. Im Gepäck haben wir Maximilian Mundt, den 23-jährigen Schauspieler, der seit etwa zwei Monaten als Hauptdarsteller in der Netflix-Produktion „How To Sell Drugs Online (Fast)“ zu sehen ist. Die Serie beruht auf der wahren Geschichte von Maximilian S. aus Leipzig, der aus seinem Kinderzimmer heraus im Darknet einen florierenden Online-Shop für Drogen aller Art betrieben hatte. Bereits im Frühjahr hatten wir einen der Regisseure, Lars Montag, zum Interview getroffen und ausführlich über die Serie und die Geschichte dahinter berichtet.

Wenn man es genau nimmt, ist Maximilian Mundt nicht zum ersten Mal in unserem Magazin vertreten. Im März 2015 veröffentlichte er in MYP einen selbst verfassten Artikel zum Thema „Mein Ritual“. Ein Ritual, so schrieb er damals, sei etwas, das ihm Ordnung und Halt gebe – Halt, den er brauche, um klar zu sein. Das Theater, so erzählte er, sei ein Ort, der ihm diesen Halt gebe. Denn er habe dort gelernt, wer er sei.

Illustriert war Maximilians Artikel damals mit einem seiner vielen künstlerischen Fotos, die er in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Der junge Mann, der seit 2016 an der Hamburger Kunsthochschule Filmkunst studiert, scheint ohnehin ein kreativer Tausendsasser zu sein. Maximilian ist nicht nur Schauspieler und Fotograf, er führt auch Regie, ist Kameramann, Cutter oder kümmert sich, wenn’s sein muss, auch gerne mal um Ausstattung und Garderobe.

Und so wirkt es heute auch, als seien wir nicht hier, um ihn, den Protagonisten, in die Mitte des Geschehens zu stellen. Vielmehr haben wir den ganzen Tag lang das Gefühl, als seien wir gemeinsam als lustiges, dreiköpfiges Fototeam in der Brandenburger Natur unterwegs, um dort nach geeigneten Motiven zu suchen – und von allen anderen schief angeschaut zu werden. Wir sind scheinbar die Einzigen, die hier Klamotten tragen. Maximilian sogar im Wasser.

Bevor wir ins Gespräch eintauchen, sei das Wichtigste vermerkt: Netflix hat vor wenigen Tagen verkündet, dass es eine zweite Staffel von HTSDO(F) geben wird. Die Dreharbeiten dazu starten im Herbst, mit der Veröffentlichung kann man wohl im nächsten Frühjahr rechnen. Wir sind gespannt, wie’s weitergeht. Aber schauen wir erst mal auf die aktuelle Staffel 1 – und auf denjenigen, der darin die Hauptrolle spielt.

»In Deutschland gab es bislang keine Jugendserie, bei der nicht die Dialoge von irgendwelchen 50-Jährigen geschrieben wurden.«

Jonas:
Wenn man deine persönlichen Social-Media-Aktivitäten verfolgt, hat man den Eindruck, dass du selbst ein großer Serien-Junkie zu sein scheinst. Ist „How To Sell Drugs Online (Fast)“ ein Format, das dir als Zuschauer noch gefehlt hat?

Maximilian:
Schwierig zu sagen. Auf der einen Seite ist es so, dass ich unsere Serie mit keiner anderen vergleichen kann. Klar, es gibt gewisse Anklänge an „13 Reasons Why“ oder „Sex Education“, aber dieses Drogen-Ding von Jugendlichen habe ich – jedenfalls in Verbindung mit so viel Comedy – noch nirgendwo gesehen. Auf der anderen Seite ist HTSDO(F) gar nicht so mein Genre. Ich finde Comedy zwar grundsätzlich super, aber ich stehe vielmehr auf Fantasy und weniger auf das ganze Crime-Zeug. Ich mag beispielsweise „The OA“, „Dark“ oder „Stranger Things“ total. Allerdings finde ich „Haus des Geldes“ auch ziemlich gut und habe mir insgeheim gewünscht, dass sich unsere Serie über die nächste Staffel – oder Staffeln, wer weiß – etwas in diese Richtung entwickeln wird. In den ersten Folgen unserer aktuellen ersten Staffel ist der Plot ja noch recht sweet und teeniemäßig. Aber mit jeder Episode wird es ernster und man hat das Gefühl, dass bald der crazy shit losgehen könnte.
Ganz allgemein würde ich sagen, dass so eine Serie definitiv für Deutschland gefehlt hat. Hier gab es bislang keine Jugendserie, die wirklich realistisch dargestellt wurde – und bei der nicht die Dialoge von irgendwelchen 50-Jährigen geschrieben wurden. Bei HTSDO(F) ist der jüngste Drehbuchautor, Stefan Titze, gerade einmal 24. Ich hatte immer das Gefühl, dass das Autorenteam total am Puls der Zeit ist. Als beispielsweise die App „Musicall.y“ in „TikTok“ umbenannt wurde, wussten das die Autoren sofort und haben es ins Drehbuch eingearbeitet.

»Als ich zum ersten Mal zum Casting gegangen bin, stand ich plötzlich vor einer Teppichreinigung.«

Jonas:
Die Bildundtonfabrik wurde in den letzten Jahren hauptsächlich durch ihre vielen unorthodoxen Produktionen rund um Jan Böhmermann bekannt. Ist die Arbeit mit einer solchen Truppe anders als mit einer „herkömmlichen“ Produktionsfirma?

Maximilian:
Für mich hat es sich angefühlt, als wäre man dort sehr auf schnelle Improvisationskünste aus. Klar, alles ist auch immer gut durchdacht, hat einen gewissen Pfiff und man weiß, wie man am besten provozieren kann. Aber die Leute bei der Bildundtonfabrik machen auch viel aus dem Impuls heraus und probieren Dinge gerne aus. Auf jeden Fall ist es eine krasse Firma, von der ich allerdings vorher noch nie etwas gehört hatte. Als ich zum ersten Mal zum Casting gegangen bin, stand ich plötzlich vor einer Teppichreinigung, die unter derselben Adresse zu finden ist wie die BTF. Das hat mich ziemlich verwirrt und ich dachte, diese Teppichreinigung hätte ihre Räume fürs Casting zur Verfügung gestellt. Erst danach habe ich mal gegoogelt – und bin fast vom Stuhl gefallen, als ich gesehen habe, was die BTF so alles gemacht hat.

»Viele Menschen denken, ich selbst sei dieser Maximilian S. aus Leipzig, auf dessen wahrer Geschichte die Serie beruht.«

Jonas:
Du hast im Vorgespräch erklärt, dass du nach dem Serienstart den Fehler gemacht hättest, auf Instagram in die Konversation mit Fans einzusteigen. Du sagtest, es koste unendlich viel Zeit, alle Nachrichten zu beantworten. Wie schaut man insbesondere aus dem Ausland auf die Serie?

Maximilian:
Insgesamt ist das Feedback megapositiv, ich habe bis jetzt noch keine einzige negative Nachricht erhalten. Die Leute sind einfach begeistert. Viele sagen auch, dass sie gar nicht vermutet hätten, dass es sich um eine deutsche Serie handelt, sondern eher um eine amerikanische Produktion oder eine aus ihrem eigenen Land. Erst später haben sie dann gemerkt, dass es sich tatsächlich um deutsche Schauspieler in einer fiktiven deutschen Stadt handelt.
Was mich am meisten beeindruckt – und gleichzeitig auch schockiert –, ist, dass viele Menschen denken, ich selbst sei dieser Maximilian S. aus Leipzig, auf dessen wahrer Geschichte die Serie beruht. Ich werde etwa gefragt, wie ich es geschafft hätte, mit Netflix einen solchen Deal abzuschließen, und wie es dabei sein könnte, dass ich momentan nicht hinter Gittern sitze. Dieser Eindruck ist wahrscheinlich deshalb entstanden, weil die allererste Folge mit einer Art Interview mit Moritz startet, das so authentisch wirkt, als sei es ein reales Hintergrundgespräch zur Serie.

»Dieser Dreh hat mich körperlich wie mental herausgefordert.«

Jonas:
Mit dem Start der Serie gab es quasi von jetzt auf gleich ein enormes Interesse an deiner Person. Hast du damit gerechnet?

Maximilian:
Als im Oktober 2018 die Dreharbeiten losgingen, habe ich noch überhaupt nicht einschätzen können, wo das am Ende hingeht – auch weil die die Bildundtonfabrik wie so eine süße, kleine Produktionsfirma wirkt, die wie bereits erwähnt sehr viel ausprobiert und improvisiert. Daher ist es für mich auch absolut überwältigend, wie viele Leute die Serie schauen und wie gut das Ganze ankommt. Ich freue mich auch über jeden, der mich auf der Straße anspricht. Das ist eine schöne Bestätigung dafür, dass sich die große Mühe gelohnt hat, denn dieser Dreh war für mich auch ziemlich anstrengend und hat mich körperlich wie mental herausgefordert.

Jonas:
Das heißt, du bist danach erst mal für ein paar Tage ins Bett gefallen?

Maximilian:
Für einen ganzen Monat!

»Bis zum ersten Drehtag dachte ich, dass für die Rolle vielleicht doch noch ein anderer Schauspieler rangeholt würde – irgendein deutscher Shooting Star, der mehr Erfahrung und Bekanntheit hat als ich.«

Jonas:
Warum hat dich der Dreh so mitgenommen?

Maximilian:
Ich hatte mir vorher unendlich viel Druck gemacht. In mir gab es eine riesige Angst, auf ganzer Linie zu versagen. Denn eigentlich war meine Rolle schon besetzt, es wurden nur noch Schauspieler für die Figur Lenny gecastet. Ich selbst habe auch erst für diese Rolle vorgesprochen. Aber am selben Tag noch wurde ich auf dem Weg zum Bahnhof darum gebeten, nochmal zurückzukommen und mir die Texte für Moritz anzuschauen. Bis zum ersten Drehtag dachte ich, dass für diese Rolle vielleicht doch noch ein anderer Schauspieler rangeholt würde – irgendein deutscher Shooting Star, der mehr Erfahrung und Bekanntheit hat als ich.

»Mittlerweile könnte ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen, als an der Seite von Danilo zu spielen.«

Jonas:
Dabei hast du mit deiner Besetzung als Moritz selbst jemand anderen „verdrängt“.

Moritz:
Ja, das tat mir total leid, auch weil ich denjenigen bereits aus dem Casting kannte. Wir haben mal gemeinsam eine Probeszene gespielt – ich als Lenny, er als Moritz. Das hat eigentlich ziemlich gut funktioniert und war irgendwie cool. Ich dachte, dass diese Konstellation wirklich funktionieren könnte und ich am Ende die Rolle des Lenny bekomme. Aus diesem Grund hatte es mich auch so gewundert, dass ich nochmal zum Vorsprechen gebeten wurde. Die Figur des Lenny hatte ich ja komplett anders angelegt als die des Moritz. Am Ende bin ich natürlich trotzdem megaglücklich. Mittlerweile könnte ich es mir auch gar nicht mehr anders vorstellen, als an der Seite von Danilo zu spielen, den ich während des Drehs sehr liebgewonnen habe.

»Ich bewundere das Feuer, mit dem Moritz die Dinge angeht. Das ist aber gleichzeitig auch das, was ich nicht an ihm mag.«

Jonas:
Nach deiner Besetzung hast du mit diesem Moritz letztendlich sehr viel Zeit verbracht. Was magst du an der Rolle am meisten – und was nicht?

Maximilian:
Am meisten mag ich diese Awkwardness, die er hat, und seine Angewohnheit, diese in den unangenehmsten Situationen auszuspielen – ohne sich selbst dabei bewusst zu sein, wie unangenehm es gerade ist. Als wäre es einfach selbstverständlich. Außerdem bewundere ich seinen Willen, etwas umzusetzen, und das Feuer, mit dem er die Dinge angeht. Das ist aber gleichzeitig auch das, was ich nicht an ihm mag. Ich finde es wirklich schwierig, dass er so wenig nachdenkt, vieles aus dem Bauch heraus entscheidet und damit fast automatisch große Scheiße baut. Wenn es also etwas gibt, das man aus der Serie lernen kann, ist es „Macht genau das Gegenteil von dem, was Moritz und Lenny tun!“ Soll heißen: Bleibt euch treu und denkt erstmal nach, bevor ihr irgendeinen Mist fabriziert. Man merkt meiner Meinung nach recht deutlich, dass es den beiden Jungs noch gar nicht wirklich bewusst ist, was sie da tun, zumindest Moritz nicht. Der will eigentlich nur seine Freundin zurückgewinnen und hat das, was sich im Hintergrund abspielt, noch nicht realisiert.

»Hinter dem Bildschirm kann man sich verstecken und jemand völlig anderes sein.«

Jonas:
Diese Awkwardness findet einen ihrer vielen Höhepunkte unter anderem in einer Szene, in der sich Moritz bei Lenny persönlich entschuldigen will. Das tut er, indem er Lenny sein Smartphone vor die Nase legt und von einem Sprachassistenten einen selbst verfassten Entschuldigungstext vorlesen lässt. Wie hast du diese und andere Schlüsselszenen empfunden, als du sie zum ersten Mal im Drehbuch gelesen hast?

Maximilian:
Solche Momente sind ja keine Standardsituationen, sondern stellen überzogene Charakterzüge von Moritz dar. Die Drehbücher wirkten dementsprechend auch an vielen Stellen total grotesk und bescheuert, aber gerade deshalb auch so genial. Beim Lesen musste ich oft laut loslachen – meistens saß ich dabei übrigens im Zug nach Köln. Man kann sich vorstellen, wie mich die Leute angeschaut haben.

Jonas:
Auch wenn es sich dabei um überzogene Charakterzüge handelt, ist gerade eine solche Szene ein bezeichnendes Bild für die Art und Weise, wie Menschen heute kommunizieren: unpersönlich und indirekt, mit Hilfe diverser Devices und Plattformen.

Maximilian:
Ja, weil es einfach ist. Hinter dem Bildschirm kann man sich verstecken und jemand völlig anderes sein. Für die Person auf der anderen Seite wird nicht mehr ersichtlich, wer wirklich hinter einer Nachricht steckt. Auch für mich persönlich sind solche Technologien wie ein kleiner Schutz – wie eine Mauer, die man um sich herum aufbauen kann. Wenn ich beispielsweise verabredet bin und kurzfristig absagen muss, fällt es mir viel leichter, eine Textnachricht zu schicken statt anzurufen. Wenn ich das gemacht habe, kann ich das Handy einfach weglegen und sehe nicht, ob die entsprechende Person angepisst ist oder irgendwie darauf reagiert. Ich kann eine einzige Ansage machen, die Sache von mir wegschieben und muss mich nicht weiter erklären. Traurig, oder?

»Lenny ist für Moritz das, was Steve Wozniak für Steve Jobs ist.«

Jonas:
Obwohl sich Moritz so grotesk entschuldigt, steht Lenny weiter zu ihm und unterstützt ihn. Welche Bedeutung hat Lenny für Moritz in der Serie? Und welche Bedeutung hat Danilo Kamperidis für dich persönlich?

Maximilian:
Lenny ist für Moritz das, was Steve Wozniak für Steve Jobs ist: der Typ, der über das technische Know-How verfügt, um die Ideen des anderen, des Visionärs, umzusetzen. Lenny ist der einzige Freund, den Moritz hat. Und er ist auch der Einzige, der dessen Vorhaben Realität werden lassen kann.
Was Danilo angeht, ist er für mich jemand, der mir beim Dreh ganz viel Gelassenheit gegeben hat. Während ich immer krass aufgeregt war, unter Druck stand und abends im Hotelzimmer in Gedanken an den nächsten Drehtag fast hyperventiliert habe, war er supercool und entspannt. Er hat immer versucht, etwas davon auf mich zu übertragen.

»Ich habe versucht, Moritz viel von meinen eigenen unangenehmen Momenten im Leben und von meiner eigenen schlaksigen Körperlichkeit mitzugeben.«

Jonas:
Würdest du sagen, dass es gewisse Überschneidungen zwischen dir und deiner Rolle gibt? Wieviel Moritz steckt in dir – und umgekehrt?

Maximilian:
Beim Lesen der Drehbücher war es für mich sehr schwierig nachzuvollziehen, wie die Rolle den Zuschauer mitziehen wollte. So, wie sie anfangs geschrieben war, war sie erkennbar unemotional, unempathisch, kühl und karriereorientiert. Zeitweise stand sogar im Raum, den Charakter in etwa so anzulegen, wie Marc Zukerberg von Jesse Eisenberg in „The Social Network“ gespielt wurde. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie man so eine Persönlichkeit über eine ganze Serie und dann noch mit einer Off-Stimme erzählen kann. Das hat mir ein wenig Bauchschmerzen bereitet. Ich wusste quasi bis zum ersten Drehtag nicht, was wir mit diesem Moritz anstellen werden und in welche Richtung sich das Ganze bewegen soll.
Mein Gefühl hat mir gesagt, dass ich ihn irgendwie etwas liebenswerter und nahbarer machen muss. Also habe ich sehr stark in mich selbst geschaut und versucht, Moritz viel von meinen eigenen unangenehmen Momenten im Leben und von meiner eigenen schlaksigen Körperlichkeit mitzugeben. Ich wollte zeigen, dass er kein kompletter Creep ist und sogar eine verletzliche Seite hat. Dass Moritz beispielsweise in manchen Momenten ziemlich leidet und sogar Tränen in den Augen hat, stand vorher so nicht im Drehbuch. Darüber hinaus stammen auch die vielen Zeichnungen von mir, das war in der Figur ebenfalls nicht angelegt.

»Für mich fühlt sich diese erste Staffel fast wie ein Teaser auf etwas noch viel Größeres an.«

Jonas:
Euer Regisseur Lars Montag hat uns im Interview verraten, dass Maximilian S. mal am Set in Bonn vorbeigeschaut hat, als er auf Freigang war und in der Gegend einen Gerichtstermin hatte. Hast du davon etwas mitbekommen?

Maximilian:
Ja – und ich war froh, dass ich ihn nicht getroffen habe. Mir war es wichtig, durch diese reale Person nicht darin beeinflusst zu werden, wie ich meine Rolle anlege. Außerdem ist er ein Krimineller und ich hatte keine Lust, mit ihm zusammen womöglich noch auf irgendwelchen Pressefotos zu landen. Wagner Moura, der in der Serie „Narcos“ die Rolle des Pablo Escobar spielt, hätte sich mit der realen Person wohl auch nicht mal eben auf einen Plausch getroffen. Davon abgesehen hatte ich die Befürchtung, dass Maximilian S. sich persönlich angegriffen fühlt, wenn er sieht, wer ihn da portraitiert – und dass er denkt, man wolle sich über ihn lustig machen. Gott sei Dank haben wir zu den realen Ereignissen immer einen gewissen Abstand gewahrt. Und so, wie ich das mitbekommen habe, muss er es letztendlich ziemlich lustig gefunden, was wir aus dem Ganzen gemacht haben.

Jonas:
Neben der Tatsache, dass Maximilian S. einen illegalen Drogen-Shop im Darknet betrieben hat und dafür verurteilt und inhaftiert wurde, hat er wohl noch ein viel größeres Problem: Es scheint eine Menge Leute zu geben, denen er noch Geld schuldet und die nur darauf warten, dass er aus dem Knast kommt. Oder anders gesagt: Wer so ein Business betreibt, setzt sich einer Vielzahl von – vielleicht sogar lebensgefährlichen – Gefahren aus. Ist das ein Aspekt, den ihr in Staffel 2 stärker beleuchten werdet?

Maximilian:
Es gibt ja gegen Ende der ersten Staffel die Bemerkung von Lenny, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem alles aus dem Ruder läuft. Wir werden also sehen, wie’s weitergeht (Maximilian grinst). Für mich persönlich fühlt sich diese erste Staffel ohnehin fast wie ein Teaser auf etwas noch viel Größeres an.

»Ich finde unsere Serie auch so realitätsnah, weil Drogen mittlerweile Teil einer Jugendkultur sind.«

Jonas:
In den letzten Jahren gab es immer wieder Stimmen, die den medialen Umgang mit der Geschichte von Maximilian S. kritisiert haben. Es heißt, seine Taten würden in der Berichterstattung oft marginalisiert, der Online-Verkauf von Drogen aus dem Kinderzimmer heraus würde wie eine clevere Startup-Idee behandelt. Dabei werde kein Licht auf die persönliche Situation derer geworfen, die am anderen Ende „der Leitung“ säßen und deren Schicksale maßgeblich durch den Konsum von Drogen bestimmt würden. Wie hast du dich selbst mit dieser Problematik auseinandergesetzt?

Maximilian:
Ich habe in meinem ganz privaten Umfeld die Erfahrung gemacht, dass Drogen bei Freunden und Bekannten ein ganz normales Thema sind. Ich kenne 16-Jährige, die standardmäßig immer wieder eine Pille schmeißen oder Speed ziehen. Aus diesem Grund finde ich unsere Serie auch so realitätsnah, weil Drogen mittlerweile Teil einer Jugendkultur sind. Man dröhnt sich einfach zu, wenn man mal wieder allem überdrüssig geworden ist. Was ich in diesem Zusammenhang sehr spannend finde, ist die Haltung unserer Produktionsfirma, die immer wieder betont, dass wir mit unserer Serie nicht die Erziehungsberechtigten der Zuschauer sind. Wir zeigen nur eine etwas überzogene Realität, haben dabei aber keinen Lehrauftrag. Trotzdem zeigen wir, welche Wirkungen und Nebenwirkungen der Konsum von Drogen haben kann. Ich persönlich finde es auch viel wichtiger, gerade darüber aufzuklären, statt einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger zu fuchteln.

»Für viele Leute ist es nach wie vor ein Tabuthema, über Sex oder ihre Sexualität zu reden. Und über Drogen wird noch viel weniger gesprochen.«

Jonas:
Glaubst du, dass es heute für Jugendliche eine ähnliche pionierartige Drogenaufklärung braucht, wie es vor wenigen Jahrzehnten eine Sexualaufklärung à la Dr. Sommer gab?

Maximilian:
Ich weiß gar nicht, ob alleine die Sexualaufklärung schon so weit ist, wie sie sein sollte. Es gibt immer noch etliche Vorurteile und Unsicherheiten – und für viele Leute ist es nach wie vor ein Tabuthema, über Sex oder ihre Sexualität zu reden. Und über Drogen wird noch viel weniger gesprochen. Von etlichen Seiten heißt es nur: „Nehmt keine Drogen, denn das ist schlecht!“ Deshalb bin ich absolut der Meinung, dass es mehr Aufklärung braucht – alleine, was die Begriffe angeht, die so auf dem Schulhof zu hören sind: Was sind „Pappen“, was sind „Teile“, was ist „Acid“? Das kann man bisher nur von Freunden oder aus dem Internet erfahren. Also lasst uns viel mehr darüber reden!

Jonas:
2013 hat Angela Merkel den legendären Satz gesagt: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Darüber haben sich viele Leute lustig gemacht: Kein Satz schien besser geeignet, um eine Generation zu beschreiben, die den Sprung ins Internet-Zeitalter verpasst hat. Wenn man diesen Satz aus der heutigen Perspektive betrachtet – mit all den Unwägbarkeiten, die das Internet mit sich bringt, und all dem Unwissen, was dort mit den eigenen Daten passiert – scheint dieser Satz gar nicht mehr so entlarvend, wie ihn viele damals empfanden. Wie hast du selbst zu dem ganzen Darknet-Thema recherchiert? Bist du in diese Welt mal eingetaucht?

Maximilian:
Ich bin in der Hinsicht tatsächlich ein riesiger Angsthase und habe mir das alles nicht angetan. Ich habe mir nur mal auf YouTube einen Beitrag dazu angeschaut, das hat mir völlig gereicht.

»Diese jungen Leute am Theater konnten vollkommen davon loslassen, anderen etwas darüber vorzulügen, wer sie sind.«

Jonas:
Vor gut vier Jahren hast du in unserer 17. Ausgabe einen eigenen Artikel zum Thema Ritual veröffentlicht. Darin schreibst du: „Mein Ritual besteht aus einer sich wiederholenden Tätigkeit, die mir Ordnung und Halt gibt. Halt, den ich brauche, um klar zu sein. Das Theater ist ein Ort, an dem ich gelernt habe, wer ich bin. Ein Ritual, mich selbst zu spielen, zu fühlen und zu meinen Gedanken zu stehen.“ Was genau hast du mit diesen Zeilen gemeint?

Maximilian:
2013 habe ich angefangen, im Jugendclub des Hamburger Thalia Theater zu spielen. Ich habe neben der Schule immer nach etwas gesucht, was mich erfüllt. Ich war kein besonders guter Schüler war, außer in den Fächern Theater oder Kunst, aber das wurde nicht besonders gefördert. Ich habe in der Schule sehr wenige wirklich enge Freunde gehabt – die habe ich erst in der Theatergruppe gefunden. Diese jungen Leute konnten vollkommen davon loslassen, sich in irgendeiner Art und Weise präsentieren zu müssen oder anderen etwas darüber vorzulügen, wer sie sind. Es gab Momente, da sind wir einfach frei auf der Bühne herumgerollt, haben megaverschwitzt zusammen im Pulk gelegen und wie Wildschweine gegrunzt. Gerade diese Körperlichkeit fand ich toll. Am Theater habe ich das erste Mal gemerkt, was ich wirklich gut kann und wer ich bin. Und ich habe gelernt, zu mir selbst zu stehen und für meine Meinung einzustehen. Das wiederum konnte ich in der Schule ganz gut für meine Zeit in der Oberstufe nutzen, mein Zeugnis ist plötzlich viel besser geworden – aber nicht, weil ich durch das Theater besser in den einzelnen Fächern geworden wäre. Sondern weil ich meine künstlerischen Fähigkeiten besser einbringen und zu meiner Meinung stehen konnte.

»Wenn man sich in fremde Identitäten hineinlebt, kann einen das manchmal ganz schön fertigmachen.«

Jonas:
In 2017 und 2018 hast du an deutschen Seminaren des berühmten Ron Burrus Actors Conservatory teilgenommen. Was hast du daraus für dich mitgenommen?

Maximilian:
Ich habe gelernt, dass Schauspielerei ein Job ist – ein Handwerk. Dass es wichtig ist, sich von der emotionalen Bindung zu seiner Rolle auch wieder lösen zu können. Dass man kein besserer oder anderer Mensch ist, nur weil man Schauspieler ist, sondern lediglich jemand, der auch nur seine Leistung darbietet. Und dass man aufpassen muss, nicht daran kaputtzugehen. Wenn man sich in fremde Identitäten hineinlebt, kann einen das manchmal ganz schön fertigmachen.

Jonas:
Das heißt, diese Seminare haben dich letztendlich auch für deine Rolle in HTSDO(F) gerüstet?

Maximilian:
Absolut. Nur dass ich mir dort leider durch eigene Ängste und Versagensängste ziemlich viel Druck gemacht habe, den ich mir eigentlich hätte sparen können. Ich glaube, dass meine Darstellung von Moritz auch davon geprägt ist, dass ich so unter Spannung stand. Ich war nicht in der Lage, nach den Drehtagen loszulassen – ganze zwei Monate lang nicht. Immerhin weiß ich jetzt, wie ich in Zukunft damit umgehe.

»Ich brauche eine Aufgabe, eine Fragestellung, um etwas zu erschaffen. Aus mir selbst heraus kann ich das nur sehr schwer.«

Jonas:
Lars Montag hat uns verraten, dass dir die Rolle im letzten Jahr mehr oder weniger „in die Quere“ gekommen ist, weil du ursprünglich vorhattest, dich aus der Schauspielerei zurückzuziehen. Was war der Grund dafür?

Maximilian:
Naja, Theater spiele ich weiterhin mit sehr viel Freude. Was Film und Fernsehen angeht, hatte ich zwar immer wieder Anfragen, aber leider nur wenige Besetzungsvorgänge – meistens war mein Typ einfach zu speziell. Aus diesem Grund bin ich auch wahnsinnig dankbar, dass mir sowohl die Showrunner Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann als auch die beiden Regisseure Lars Montag und Arne Feldhusen das Vertrauen entgegengebracht haben, ihre Serie als Darsteller zu tragen.
Als die Rolle kam, war ich gerade mit meinem Kunstfilm-Studium an der Hamburger Kunsthochschule beschäftigt, aber dort kann es wirklich langweilig sein. Man wird nicht wirklich gefordert und die Leute interessieren sich nicht für einen. Ich persönlich brauche aber einen Arschtritt, um kreativ zu sein. Ich brauche eine Aufgabe, eine Fragestellung, um etwas zu erschaffen. Aus mir selbst heraus kann ich das nur sehr schwer. Ein Beispiel: Ich bin kein Autorenfilmer, das finde ich einfach zu verkopft. Für mich ist es viel interessanter, einen fremden, frischen Blick auf etwas zu bekommen und eine neue Perspektive einzubringen. Das kann man an der Kunsthochschule nicht fördern, da will dir keiner sein Skript geben oder über seine eigenen Projekte reden. Das ist verdammt schade!

»Heute weiß ich, dass ich diese Kritik an mir hätte abprallen lassen sollen.«

Jonas:
Wenn du ohne einen Anschub von außen nicht kreativ sein kannst, wie entstehen dann deine überaus kreativen Fotos, die du in den letzten Jahren so zahlreich erschaffen und veröffentlicht hast? Diese Bilder wirken wie Schlüsselszenen aus Filmen, die es noch gar nicht gibt.

Maximilian:
Leider hat mir die Kunsthochschule diese Arbeit ein wenig zerstört. 2015 habe ich mich dort mit meinen Fotografien beworben und wurde abgelehnt – mit der schlechtesten Bewertung, die es gibt. Es hieß, das sei keine Kunst, sondern Werbung oder Modefotografie. Einfach nur schön, sonst nichts. Dieses Urteil hat sich bei mir so eingebrannt, dass ich aufgehört habe zu fotografieren, zumindest in dieser Richtung. Im Hinterkopf hatte ich immer die Frage: Warum machst du das? Was willst du damit? Das zerstört einem die intuitive Arbeit – und dann macht man lieber gar nichts. Bis dahin war die Fotokunst neben dem Theater mein Ort, um mich auszudrücken und etwas zu sagen. Vor allem, weil ich innerhalb der Schule ziemlich schweigsam war. Heute weiß ich, dass ich diese Kritik an mir hätte abprallen lassen sollen. Das habe ich aber damals nicht. Es ist so sehr hängengeblieben, dass mit der Zeit immer weniger Bilder entstanden sind.

Jonas:
Wie kommt es, dass du gerade den Meinungen von Experten so viel Beachtung schenkst?

Maximilian:
Wahrscheinlich aus einer Unsicherheit heraus, aus einer Suche nach Bestätigung. Meine Freunde haben mich immer extrem unterstützt und mir Halt gegeben, aber das hat mir nicht gereicht, zumindest damals nicht. Ich wollte eine Bestätigung von Leuten, die vom Fach sind – von Autoritäten. Das ist manchmal immer noch so. So hatte ich beispielsweise auch während des Drehs im letzten Jahr oft das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Warum auch immer.

Jonas:
In den letzten Wochen wurden es weltweit ein paar Millionen Menschen mehr, die sich für das interessieren, was du tust. Vielleicht hilft das ja.

Maximilian (lacht):
Ich habe seitdem tatsächlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Es ist einfach ein schönes Gefühl, so viel Zuspruch zu erhalten – aber nicht in dem Sinne, dass ich jetzt denke, ich wär’ ein toller Hecht. Sondern einfach deshalb, weil es schön ist, den Leuten eine Freude zu bereiten.