Interview — Kings Elliot
»Meine Lieder erzählen davon, wie ich immer alles kaputt mache«
Die Schweizer Singer-Songwriterin Kings Elliot wirft in ihrer eindrücklichen Musik existenzielle Fragen auf, ihre Songs strotzen nur so vor Seelentiefe und Verletzlichkeit. Ein Gespräch entlang der zehn schönsten Fragen aus den Tagebüchern des Schriftstellers Max Frisch – über den Schmerz der Liebe, ungesunde Selbstkritik und das Weiterleben als ein vegetarisch speisender Adler.
11. Januar 2023 — Interview & Text: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Frederike van der Straeten
In der Geschichte des Menschseins gibt es immer wieder Momente, die uns daran erinnern, dass das Wesen unserer Gefühle zeitlos ist. Beeinflusst zwar von den Umständen, in denen wir leben. Doch im Grunde sind die menschlichsten aller Emotionen immer gleich. Seit Jahrhunderten. Seit Jahrtausenden.
Als der berühmte Schweizer Schriftsteller Max Frisch in seinen Tagebüchern elf Fragebogen zu Themen wie Liebe, Freundschaft und Tod entwickelte, gab es mal wieder so einen Moment. Doch es braucht nicht unbedingt Weltliteraten, um uns das Wesen unserer Gefühle vor Augen zu führen. Existenziell und eindrücklich geht es beispielsweise auch bei der Schweizer Singer-Songwriterin Kings Elliot zu. Ihre Songs strotzen nur so vor Emotionalität. Sie erzählen vom Überlebenskampf sensibler Seelen und zeichnen mit klarer Stimme ein dichtes Gewebe aus Geschichten, die einem nach wenigen Streams das Gefühl verleihen, diese Frau und ihre Lebensthemen schon beinahe intim zu kennen.
Im November 2020 veröffentlichte Anja Gmür, so ihr bürgerlicher Name, den Song „I’m Getting Tired of Me“. Begleitet wurde dieser von einem Video, bei dessen Dreh sie eine Panikattacke bekam. Doch anstatt dieses Ereignis rauszuschneiden, besteht das Video nun aus drei Minuten und 40 Sekunden Verletzlichkeit.
Die Aufrichtigkeit, mit der Kings Elliot über ihre eigene Unzulänglichkeit singt, begeistert vor allem die junge Generation. Im Spätsommer 2022 begleitete sie über sechs Wochen hinweg die Pomp-Rocker von Imagine Dragons und den Rapper Macklemore auf deren Tour durch 20 US-Stadien und spielte dabei vor Hunderttausenden Fans. Doch immer wieder waren in den Reihen auch Plakate zu sehen, die beispielsweise mit der Aufschrift „Sick Puppies“ versehen waren – so nennt sich die Fangemeinde von Kings Elliot, die zahlreich zu den Konzerten der jungen Schweizerin angereist war.
Die Fans fühlen eine starke Verbindung zu der Art und Weise, wie die Musikerin Disney-Niedlichkeit mit düsteren Visuals vermischt. Aus diesem Grund haben wir Kings Elliot zum Interview in die knallbunte Burlesque-Bar „Wilde Mathilde“ am Berliner Alexanderplatz geladen. Wir lernen die Newcomerin kennen, indem wir ihr zehn der schönsten Fragen aus den Tagebuchbogen von Max Frisch stellen.
»Manchmal frage ich mich: Hätte ich ohne meine vielen Kämpfe überhaupt so früh und intensiv damit begonnen, Musik zu schreiben?«
MYP Magazine:
Frage 1: „Was fehlt Dir zum Glück?“ – zwar hast Du gerade eine Wahnsinnstour hinter Dich gebracht, aber wir hören in Deiner aktuellen EP „Bored of the Circus“ auch deutlich heraus, wie viel du dich aufgrund deiner Borderline-Diagnose mit dem Thema der mentalen Gesundheit beschäftigen musst.
Kings Elliot:
Für diese Herausforderungen bin ich dankbar. Denn nur aufgrund dieser Auseinandersetzungen kann ich genau die Musik schreiben, die mir so viel bedeutet. Die Tiefe des Thema hat mir so viele Türen geöffnet und macht das Leben auf eine bestimmte Art auch viel schöner für mich. Deswegen schließt sich hier ein Kreis – und ich definiere Glück vielleicht auch etwas anders: Aufgrund meiner Krankheit bin ich mal ganz oben und mal ganz unten, aber für mich gehört das dazu, ich habe mich so akzeptiert. Manchmal frage ich mich: Hätte ich ohne meine vielen Kämpfe überhaupt so früh und intensiv damit begonnen, Musik zu schreiben? Oder hätte ich diese große Liebe meines Lebens dann vielleicht nie entdeckt?
»Meine Lieder erzählen davon, wie ich immer alles kaputt mache.«
MYP Magazine:
Frage 2: „Lernst Du von einer Liebesbeziehung für die nächste?“
Kings Elliot:
Ja, ganz bestimmt. Es ist zwar schwierig, die eigenen Fehler nicht zu wiederholen, denn es kostet viel Arbeit, eingefahrene Muster zu durchbrechen. Verglichen mit jemandem, der etwas ausgeglichener ist, sind meine Reaktionen in Beziehungen sehr stark. Für den anderen kann das schnell anstrengend werden. Meine Liebe kann manchmal sehr schwer sein. Ich habe viel Gepäck und manchmal konnten meine Partner das nicht mehr mittragen. Diese Trennungen waren für mich immer unglaublich schwer. Aber auch schon innerhalb der Beziehungen spüre ich extreme Verlassensängste, die tief in mir verankert sind. Davon singe ich in den Liedern, sie erzählen, wie ich immer alles kaputt mache. Ich kann nicht ohne Schmerz lieben.
MYP Magazine:
Frage 3: „Wie viele Freunde hast Du zurzeit?“
Kings Elliot:
Ich habe nicht viele Freunde – aber die wenigen, die ich habe, sind sehr gute. Ich brauche lange, bis ich jemandem vertrauen kann, und habe Schwierigkeiten damit, diese Bindung und dieses Vertrauen zu neuen Personen aufzubauen.
»Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man gerade mit seinen Dämonen ringt.«
MYP Magazine:
Frage 4: „Hältst Du dich für einen guten Freund?“ – auch vor dem Hintergrund Deiner teilweise monatelangen Abwesenheit wegen Deiner beruflichen Reisen.
Kings Elliot:
Ich bin oft überwältigt von den Eindrücken, die die Welt um mich herum abstrahlt. Vielleicht bin ich übersensibel. Deshalb fällt es mir schwer, mit Menschen in regelmäßigem Kontakt zu bleiben. Ich melde mich nicht oft, obwohl ich die jeweilige Person ganz fest lieb habe. Ich habe oft verpasste Anrufe, komme aber aufgrund der fehlenden Routine in meinem Arbeitsleben kaum dazu, diese abzuarbeiten. Aber wenn mir ein Freund signalisiert, dass er mich wirklich braucht, dann bin ich natürlich sofort zur Stelle. Auch wenn mir jemand aus der „Sick Puppy“-Community schreibt und einen schweren Tag hat, dann versuche ich sofort zurückzuschreiben. Denn ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man gerade mit seinen Dämonen ringt. Und ich habe das Gefühl, mit meinem Zuspruch manchmal einen kleinen Unterschied für diese Menschen machen zu können, mit denen ich durch meine Lieder verbunden bin.
»Wenn man sich in seinen Träumen immer moralisch verhält, ist es langweilig.«
MYP Magazine:
Frage 5: „Träumst Du moralisch?“
Kings Elliot:
Ich glaube, wenn man sich in seinen Träumen immer moralisch verhält, ist es langweilig. Ich habe definitiv eine blühende Fantasie und träume generell sehr viel und sehr detailliert – und oft ganz gruselige Dinge. Doch auch am Tag suchen mich manchmal düstere Gedanken heim. Diese versuche ich dann allerdings in schöne Musik zu verpacken. Deshalb habe ich zwar einen Künstlernamen, aber ich habe mir dafür nicht extra eine eigene Künstlerpersona ausgedacht. Kings Elliott ist die wahrste Version meiner Persönlichkeit.
»Gerade Kritik im Internet ist oft so ungefiltert, dass es einen ganz unmittelbar verletzen kann.«
MYP Magazine:
Frage 6: „Was fürchtest Du mehr: das Urteil von einem Freund oder das Urteil von Feinden?“
Kings Elliot:
Das Urteil meiner Freunde ist mir wichtiger, aber ich weiß, dass die mich eigentlich so nehmen, wie ich bin. Deshalb fürchte ich mehr das Urteil von Fremden. Gerade Kritik im Internet ist oft so ungefiltert, dass es einen ganz unmittelbar verletzen kann.
MYP Magazine:
Frage 7: „Überzeugt Dich deine Selbstkritik?“
Kings Elliot:
Ja. Das ist aber nicht unbedingt immer gesund. Es gibt phasenweise viel, dass ich an mir selbst nicht mag. Teilweise treibt mein Perfektionismus auch alle anderen zur Weißglut. Zum Glück habe ich ein gutes Umfeld, dass mich dann wachrüttelt und dazu auffordert, aus den Unreifen meines Kopfes wieder aufzutauchen.
»Ich wäre gerne ein Adler, würde dann aber eine vegetarische Ernährung bevorzugen.«
MYP Magazine:
Frage 8: „Was tust Du für Geld nicht?“
Kings Elliot:
Alles, was sich für mich nicht richtig anfühlt. Ein Beispiel: Ich würde nie mit Tieren arbeiten, wenn es den Verdacht gäbe, dass sie nicht artgerecht behandelt würden. Wenn ich hier den Platz mal nutzen darf, das passt ja auch irgendwie zur Frage: Adoptiert Tiere – nicht kaufen!
MYP Magazine:
Frage 9: „Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als ein gesundes Tier? Und als welches?“
Kings Elliot:
Ich liebe Hasen, aber generell werden sie von Menschen oft unterschätzt und nicht besonders gut behandelt. Deshalb würde ich kein Hase sein wollen, es sei denn ich könnte bei mir selbst wohnen. Generell wäre ich eher ein großer Vogel. Einer, der nicht gegessen wird und weite Strecken fliegen kann. Wie zum Beispiel ein Adler, allerdings würde ich dann keine Mäuse jagen, sondern eine vegetarische Ernährung bevorzugen.
»Ich war die Einzige im Dorf, die Musik gemacht hat.«
MYP Magazine:
Frage 10: „Hätten Sie lieber einer anderen Nation (Kultur) angehört und welcher?“
Kings Elliot:
Ich habe mir immer gewünscht, in New York oder London geboren worden zu sein. Denn es schien mir so, als ob es Menschen, die in einer so vielfältigen Metropole aufgewachsen sind, von Anfang an leichter in der Kreativbranche hätten. Meine Lebensrealität sah anders aus: Ich war die Einzige im Dorf, die Musik gemacht hat. Andererseits hat dieser Lebensweg natürlich einen prägenden Einfluss auf meine Lieder. Daher bin ich mittlerweile ganz froh, dass ich gelernt habe, mich durchzubeißen.
Mit besonderem Dank
an die Burlesque-Cocktailbar Wilde Matilde am Berliner Alexanderplatz.
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Interview & Text: Katharina Viktoria Weiß
Fotografie: Frederike van der Straeten