Interview — Kakkmaddafakka

Alle Zeit der Welt

Kaum ein Festival kam diese Saison ohne die augenzwinkernden Hits von Kakkmaddafakka aus, die mit ihren drei schrägen Backgroundtänzern jeden Tanzmuffel überzeugen. Die sympathischen Musiker verraten uns das Geheimnis hinter ihrem Markenzeichen.

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Maximilian König

Die Orte, an denen man die Zeit vergessen kann, sind rar geworden in Berlin. Aus allen Ritzen des jungen Hauptstadtbetons drückt sich mittlerweile ein klebriges Höherschnellerweiter, das wie Baumharz an Fingern und Kleidung haftet. Unterlegt von einem ewig-wummernden Beat kriecht es langsam die zahllosen neuen Glasfassaden herab, um sich wie ein Klebefilm über die Straßen zu legen und auch die letzten Bastionen der Zeitlosigkeit zu erobern.

Ein Entkommen scheint kaum möglich – es sei denn, man ist mobil. Und so treibt es Rosmarie Köckenberger mit ihrem „Kjosk“ von Saison zu Saison in eine andere Ecke Berlins, die noch nicht von dem klebrigen Höherschnellerweiter erfasst wurde. Der „Kjosk“, das ist eigentlich ein Doppeldecker-Bus, gebaut im Jahr 1965 und die meiste Zeit seines Lebens im Dienste der Berliner Verkehrsbetriebe unterwegs.

Doch das war einmal. Mittlerweile genießt der Best Ager in vollen Zügen seinen Ruhestand. Und erlebt gleichzeitig seinen zweiten Frühling. Vor kurzem hat das rollende Hierdarfstduglücklichsein einen neuen Standort erobert und bietet in der Cuvrystraße im Nordosten Kreuzbergs alles, was das Herz begehrt: Kaffee, Bier, Eis am Stiel, Nintendo-Games aus den Neunzigern und lecker Kuchen mit Sahne oder ohne. Alles liebevoll. Und unaufgeregt.

Hier wollen wir heute Nachmittag Axel und Pål Vindenes treffen, die quasi als Repräsentanten ihrer Band Kakkmaddafakka aus dem schönen Bergen nach Berlin gereist sind.

Gott sei Dank, will man fast sagen, denn es wäre mit dem kompletten Aufgebot der insgesamt fünf Musiker und drei Backgroundtänzer wohl etwas eng geworden in dem kleinen Bus.

Wir sind eine halbe Stunde zu früh. Unser Fotograf Maximilian König hat also alle Zeit der Welt, um das Equipment aufzubauen und die Location zu inspizieren. Als wir uns wenig später im Erdgeschoss des „Kjosk“ einen kleinen Vorabkaffee gönnen wollen, schallt aus der ersten Busetage plötzliches Gelächter. Neugierig steigen wir die schmale Treppe nach oben und entdecken Axel und Pål, die ausgelassen an den alten Nintendo-Konsolen rumdaddeln.

Vorbildlich, die Beiden sind schon da! Herzlich willkommen in Berlin. Und herzlich willkommen im „Kjosk“.

Jonas:
Seit heute ist euer neues Album „Six months is a long time“ offiziell erhältlich. Wie geht’s euch damit, dass euer drittes Baby nun endlich das Licht der Welt erblickt hat?

Axel:
Das fühlt sich absolut großartig an! Wir haben ziemlich lange an dieser Platte gearbeitet und sind daher total froh, dass wir den Leuten wieder viele neue Kakkmaddafakka-Songs vorstellen können.

Jonas:
Erinnert ihr euch, wann die allererste Idee zu diesem Album entstanden ist?

Pål:
Wir haben eigentlich schon direkt mit dem Release unseres zweiten Albums „Hest“ damit begonnen, neue Songs zu schreiben – und das auch seitdem kontinuierlich getan.

Jonas:
Ihr habt in den letzten zwei Jahren so viele Konzerte und Festivals gespielt, dass ihr quasi „always on the road“ gewesen seid. Wie ist es euch gelungen, da noch das Songschreiben dazwischenzuschieben?

Pål:
Wir gönnen uns selbst nicht wirklich viel Freizeit und arbeiten hart, egal ob wir gerade unterwegs sind oder zuhause in Bergen sitzen. Es gibt Leute, die uns das gar nicht abnehmen. Wenn sie unsere ausgelassenen Shows sehen, glauben sie, dass alles so easy ist, wie es auf der Bühne wirkt. Welche Kraftanstrengung hinter dem Ganzen steht, davon haben sie leider keine Ahnung.

Jonas:
Ihr setzt in eure Auftritte ein enormes Maß an Kraft und Energie, die ihr auf das Publikum übertragt. Woher nehmt ihr eure Power?

Axel:
Wenn du nicht wirklich liebst, was du da tust, funktioniert es nicht. Dann wärst du nach wenigen Tagen einfach total fertig. Uns macht diese Arbeit richtig Spaß und wir haben uns vor langer Zeit dazu entschieden, unsere gesamte Aufmerksamkeit auf die Musik zu richten. Wir wissen, dass wir für eine gute Sache arbeiten, und das treibt uns an. Außerdem könnten wir eh nicht lange stillsitzen, ohne irgendetwas zu tun.

Jonas:
Wie würdet ihr den Sound eures neuen Albums beschreiben? Was hat sich verändert?

Pål:
Insgesamt gibt es gar keine so großen Veränderungen im Kakkmaddafakka-Sound, die Songs sind einfach nur etwas ruhiger. Der größte Unterschied zu „Hest“ ist wohl, dass wir diesmal die Platte in einem wesentlich besseren Studio aufnehmen konnten.

Axel:
Ich würde es mal so formulieren: Während wir durch „Hest“ erst nach und nach gelernt haben, wie man gute Songs schreibt, konnten wir das bei „Six months is a long time“ von Anfang an praktizieren. Alle Tracks auf der neuen Platte sind mit der gleichen Technik entstanden wie nur die besten auf „Hest“.

Es geht uns nicht in erster Linie darum, die Instrumente perfekt zu beherrschen. Wir wollen vielmehr eine Geschichte erzählen.

Jonas:
Hilft es euch beim Songschreiben, dass ihr alle eine klassische Musikausbildung habt?

Pål:
Für mich persönlich spielt das keine große Rolle. Ich schreibe Songs eher instinktiv und überlege nicht wirklich, wie ich systematisch die Sache am besten angehen könnte.

Axel:
Das stimmt. Sie hilft uns auch nicht bei der Art und Weise, wie wir unsere Instrumente spielen. Aber trotzdem hat diese klassische Musikausbildung einen entscheidenden Vorteil: Wir sind bereits in sehr jungen Jahren mit Musik in Berührung gekommen, die dadurch schon recht früh ein wichtiger Teil unseres Lebens wurde. Man entwickelt so eine ganz bestimmte Art und Weise, mit Musik umzugehen, und lernt viel über die Bedeutung und Wirkung z.B. von Melodien.
Trotzdem machen wir immer noch Popmusik und verfolgen daher einen ganz anderen Ansatz: Es geht uns nicht in erster Linie darum, die Instrumente perfekt zu beherrschen. Wir wollen vielmehr eine Geschichte erzählen. Ich würde übrigens auch nie von uns selbst behaupten, dass wir die allerbesten Sänger oder Gitarrenspieler sind – obwohl uns viele Leute sagen, dass wir gut seien. Das schätze ich wirklich sehr.

Pål (lacht):
Die haben wahrscheinlich auch noch nie einen richtig guten Sänger oder Gitarrenspieler gehört. Unser Vater beispielsweise hat eine klassische Gitarrenausbildung, der ist wirklich extrem gut. Aber er übt auch jeden Tag zwei bis drei Stunden, und das mit seinen 45 Jahren.
Aber ganz im Ernst: Natürlich ist es ein Kompliment, wenn einem die Leute sagen, man sei gut. Ich selbst würde dieses Kompliment aber in erster Linie auf unseren Pianisten Jonas Nielsen beziehen, der beherrscht sein Instrument nämlich absolut großartig.

Jonas:
Gibt es auf dem neuen Album einen Song, der euch besonders beschäftigt hat?

Axel:
Oh ja, das ist der Song „Saviour“. Ich habe echt seit vielen Jahren versucht, ein Stück wie dieses zu schreiben, aber ich habe es nie hinbekommen. Ich hatte eigentlich schon aufgegeben – aber zack! Plötzlich war der Song da. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein! Warum klappt das mit einem Mal so einfach, was seit Ewigkeiten nicht klappen wollte? Vielleicht lag es daran, dass wir wild gefeiert hatten und am Tag darauf total im Off waren. Jedenfalls war der Song danach von jetzt auf gleich in meinem Kopf.

Jonas:
Bringen sich alle Bandmitglieder in ähnlicher Art und Weise ein, wenn es darum geht, neue Songs zu schreiben? Oder habt ihr da eine gewisse Hierarchie?

Pål:
Jeder bringt sich ein und trägt Ideen vor. Wenn eine Idee gut ist und funktioniert, ist es egal, von wem sie kam. Es zählt dann nur das Ergebnis, einzig und allein der Song entscheidet.

Wir entscheiden uns, die Treppen nach unten zu steigen und im Freien einige Fotos zu schießen. Vor dem Bus sind liebevoll einige Holzbänke aufgebaut, auf denen man stundenlang verweilen könnte.

Axel und Pål machen es sich gemütlich und lassen sich geduldig von Max fotografieren. Auch wenn ihr Terminkalender heute randvoll ist mit Interviews und Promo-Terminen, wirken sie gerade, als hätten sie alle Zeit der Welt.

Jonas:
Ihr habt mit „Restless“ vor wenigen Jahren einen Song geschaffen, der mittlerweile fester Bestandteil der Indie-Kultur ist und dort bereits jetzt als Klassiker gelten kann. Dementsprechend verbinden unzählige Menschen diesen Track mit ganz bestimmten Situationen oder Gefühlen. Gibt es in eurem Leben auch derartige, besondere Songs?

Axel:
Dass du „Restless“ als Klassiker bezeichnest, ist echt schön zu hören. Vielen Dank dafür! Es ist ja auch tatsächlich unser Bestreben, zeitlose Musik zu machen. Und wenn dadurch wirklich ein oder mehrere Klassiker entstehen sollten, ist das natürlich toll.
Richtige Klassiker sind übrigens auch unsere wichtigste Inspirationsquelle, man nehme nur so großartige Songs wie „Africa“ von Toto oder „Dancing Queen“ von Abba. Und natürlich gibt es auch für uns ganz bestimmte Lieder, die mit besonderen Stimmungen und Gefühlen verknüpft sind. Jede Stimmung hat quasi ihren eigenen Song.

Jonas:
Und für welche Stimmung ist die Kakkmaddafakka-Musik gemacht?

Pål:
Wir versuchen, in unserer Musik in erster Linie diejenigen Lebenssituationen zu beschreiben und zu verarbeiten, die wir selbst erlebt haben – und die sind sehr, sehr unterschiedlich. Ich glaube daher, dass wir für sehr viele Stimmungen den jeweiligen Song parat haben.

Bei uns ist alles mehr oder weniger wie am ersten Tag, es gibt nur eine einzige Regel: die „rule of being cool“.

Jonas:
Ihr habt euch bereits im Jahr 2004 gegründet. Hat sich seitdem etwas innerhalb eurer Freundschaft verändert?

Axel:
Nein, überhaupt nicht. Ich erkenne keinen Unterschied zwischen damals und heute. Aber eigentlich denken wir auch nicht wirklich über so etwas wie Zeit nach. Bei uns ist alles mehr oder weniger wie am ersten Tag, es gibt nur eine einzige Regel: die „rule of being cool“.

An einer Häuserwand im Hintergrund prangt ein überdimensionales 198 Streetart-Painting, das wie ein Mahnmal wirkt gegen jenes ewige Höherschnellerweiter, das diese wunderschöne Ecke Berlins bisher Gott sei Dank verschont hat. Ein Geschäftsmann ist dort dargestellt, gesichts- und namenlos. An beiden Händen trägt er schwere Uhren aus Gold, die ihn in Ketten legen und für immer die Zeit ketten.

Jonas:
Hattet ihr auch von Anfang an das Gefühl, musikalisch gut zueinander zu passen?

Pål:
Wir haben alle eine sehr, sehr ähnliche Einstellung, was die Musik aber auch den Spaß angeht. Es liegt auch irgendwie etwas ganz Besonderes in der Luft, wenn wir zusammen auf der Bühne stehen und spielen – und diese Energie spüren auch die Leute im Publikum.

Axel:
Wir haben in unserem Leben ja auch noch nie mit jemand anderem gespielt und kennen daher gar nichts anderes. Für uns ist dieses Besondere eigentlich total normal.

Jonas:
Wie und wo habt ihr eigentlich eure drei männlichen Backgroundsänger aufgegabelt? Die Jungs sind ja mittlerweile ein echtes Markenzeichen eurer Band.

Axel:
Ach, die waren plötzlich einfach da, das muss wohl um das Jahr 2006 gewesen sein.
Wir wollten ursprünglich nur mit mehr Leuten abhängen, wenn wir unterwegs oder auf Tour waren, und dadurch die Band etwas größer machen. Die Jungs standen irgendwann einfach mit auf der Bühne und sind quasi dort geblieben. Das ist die ganze Story. Unglücklicherweise hat sich vor kurzem einer der Drei verletzt, aber er spielt jetzt unsere Percussions und die anderen beiden tanzen weiter.

Jonas:
Ihr lebt alle nach wie vor in Bergen. Ist das ein guter Ort, um kreativ arbeiten zu können?

Pål (grinst):
Ja, absolut! Es regnet einfach so viel, dass einem gar nichts anderes übrig bleibt, als zuhause zu sitzen und irgendetwas zu machen.
Aber im Ernst: Bergen ist richtig toll. Die Landschaft ist unglaublich schön, man kann alles zu Fuß erreichen und wir haben ein tolles Studio dort. Auch viele andere Bands tummeln sich in der Stadt.

Bei Musik geht es nicht darum, ein guter Musiker zu sein. Bei Musik geht es darum, dass sie echt ist. Und von Herzen kommt.

Jonas:
Und welches Andenken an eure Heimatstadt tragt ihr mit euch, wenn ihr gerade irgendwo auf der Welt unterwegs seid? Welche Bilder habt ihr im Kopf?

Pål:
Ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich an das Meer und die Berge denke – absolut spektakulär!

Axel:
Das stimmt, Bergen ist untrennbar mit dieser schönen Naturkulisse verbunden. Ich mag es außerdem, dass es da so hanseatisch und international zugeht. Es macht mich total stolz, diese offene Stadt in der Welt repräsentieren zu dürfen. Und ich hoffe, dass Bergen auch ein wenig stolz auf uns ist – auch wenn wir nicht überragend sind in dem, was wir tun. Wir lieben es einfach, Musik zu machen, und freuen uns riesig, wenn uns die Leute sagen, dass wir tolle Songs schreiben. Und darauf kommt es doch eigentlich an, oder? Bei Musik geht es nicht darum, ein guter Musiker zu sein. Bei Musik geht es darum, dass sie echt ist. Und von Herzen kommt.

Langsam müssen wir uns verabschieden, denn in wenigen Stunden fliegen die beiden Musiker zurück nach Bergen.

Für einen kurzen Moment wirkt es, als hätte man aus der bemalten Häuserwand im Hintergrund ein lautes Seufzen gehört. Vielleicht wäre er ja gerne mitkommen, der große Gefangene der Zeit. Aber er kann einfach nicht, denn er ist gefesselt an die Uhr. Und das zähe Höherschnellerweiter klebt schon viel zu lange an ihm.

Axel und Pål lässt das gänzlich unbeeindruckt, auf ihren Gesichtern breitet sich das zufriedenste aller Lächeln aus. Und dabei scheint es, als ob auch dem „Kjosk“ gerade ein leichtes Grinsen über die Motorhaube fahren würde.

Alle sind sich einig: Wer ein Rezept braucht gegen das klebrige Harz des Höherschnellerweiter, muss einfach zeitlos sein. Und einen Klassiker erschaffen.

Bei den einen ist das ein Bus. Und bei den anderen ein Song.

Dann hat man alle Zeit der Welt.