Interview — Gloria Blau
Wie man den Tod überlebt
Humor, Schmerz und eine Prise Vergnügungssucht: Sängerin Gloria Blau erzählt in modernen deutschen Chansons Geschichten von den kleinen Übeln der Liebe und von der unbegreiflichen Tragödie des Todes.
10. Januar 2020 — MYP N° 27 »Heimat« — Interview & Text: Katharina Weiß, Fotos: Ansgar Schwarz
„Deine Heimat“, so sagen Mütter und andere weise Menschen manchmal, „ist nicht auf einer Landkarte zu finden. Sondern in den Herzen derer, die dich lieben.“ Wenn wir diese Menschen verlieren, zieht es uns den Boden unter den Füßen weg. Und wir werden heimatlos im Herzen.
Die gebürtige Karlsruherin Gloria Blau musste sich in den letzten zwei Jahren mit genau diesem Verlust auseinandersetzen. Im Gespräch mit uns beschreibt sie, wie sie ihren Albtraum in schmerzlich-schöne Lieder gegossen hat, und präsentiert vor der Kamera ihre künstlerische Seite im charmanten Mix aus Galgenhumor, Koketterie und unverblümter Frechheit.
»Ich bin eine junge Frau, die leichtfüßig in die Welt hinausgehen und ihr Leben genießen möchte.«
Katharina Weiß:
Du hast einen tief berührenden Song mit dem Titel „Zwei Leben“ geschrieben. Wer das Lied zum ersten Mal hört, kann darin seiner verlorenen Beziehung nachspüren. Andere hören einen lang gefürchteten Abschied heraus. Aus welchem echten Verlust ist dieser Song entstanden?
Gloria Blau:
2018 ist mein Bruder an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, im selben Jahr hat sich mein Ex-Freund ganz unerwartet das Leben genommen. Dass sich einige der Lieder, die ich seitdem geschrieben habe, mit diesen unfassbaren Geschehnissen beschäftigen, liegt natürlich daran, dass ich noch im Verarbeitungsprozess stecke. „Zwei Leben“ floss mitten in der Nacht aus mir heraus. Er klingt nach der Zerrissenheit und der Ambivalenz der Trauer: Ich bin eine junge Frau, die leichtfüßig in die Welt hinausgehen und ihr Leben genießen möchte. Gleichzeitig wurde ich in dieses lähmende Vermissen hineingeworfen. Wenn ich aus diesem unermesslichen Schmerz noch etwas Wertvolles wie einen Song kreieren kann, dann hat er wenigstens in einer Hinsicht seine Daseinsberechtigung.
Katharina Weiß:
Versuchst Du, durch Deine eigenen Lieder auch die Deutungshoheit über das, was dir passiert ist, zurückzugewinnen?
Gloria Blau:
Total. Es geht um verstehen lernen. Und darum, was überhaupt abgeht. Viele denken, dass ich ein irre emotionaler Mensch bin. So sehe ich mich selbst aber nicht ausschließlich. Ich versuche, die Welt rational zu sehen und durch Einordnung zu verarbeiten. Und in einem dreiminütigen Song kann man vieles strukturiert zusammenfassen, das hilft mir sehr.
»Der Song schreibt mehr mich, als dass ich den Song schreibe.«
Katharina Weiß:
Wie kam es dazu, dass du Deine Liedtexte so autobiografisch gestaltest?
Gloria Blau:
Ich tue es nicht vorsätzlich. Ich überlege mir nicht, worüber ich schreiben möchte, sondern es passiert einfach. Wie Gefühle, die ich nur dadurch loslassen kann. Deshalb finde ich für mich vor allem Themen, die mich berühren, weil sie extrem traurig sind oder von intensivem Glück erzählen. Der Song schreibt mehr mich, als dass ich den Song schreibe.
»Ich würde nicht bis zum fünften oder sechsten Date warten, bis ich offen über meine Gefühle und meinen Schmerz rede.«
Katharina Weiß:
Gehst Du im persönlichen Gespräch auch so offen mit Deinen Narben um?
Gloria Blau:
Ja. Ich würde nicht bis zum fünften oder sechsten Date warten, bis ich mit meinem Rendezvous offen über meine Gefühle und meinen Schmerz rede. Wenn das schon zu doll ist, dann hätten wir ohnehin keine Chance. Tatsächlich sind mir in den letzten Monaten auch einige Freundschaften entglitten, weil sich Menschen in meinem Alter, die den Tod noch nicht erlebt haben, von diesem Thema abgrenzen wollten – allerdings nicht, weil ich ihnen ständig als Wrack entgegengetreten bin. Sondern weil es sich für sie so anfühlte, dass ihre negativen Erlebnisse – wie etwa Liebeskummer – im Vergleich zu meinen so profan seien. Und sie deshalb mit mir nicht mehr guten Gewissens darüber reden konnten.
»Ich werde noch ganz viel anderes sein als die Musikerin, die ihren Bruder verloren hat.«
Katharina Weiß:
Hast Du Angst, dass Deine Offenheit gegenüber der Presse zu einem Nachteil werden kann? Dass Dir dadurch ein Stempel aufgedrückt wird – die Sängerin, die ihren Bruder verloren hat?
Gloria Blau:
Ich habe diese Bedenken, denn meine letzten Veröffentlichungen hatten definitiv einen Trauerschwerpunkt, genauso wie die unmittelbar geplanten Werke. Aber es ist mir ein einfach ein riesiges Anliegen, meinen Beitrag zu leisten, um Schicksalsbewältigung und Depression mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich weiß, dass ich noch ganz viel anderes sein werde als die Musikerin, die ihren Bruder verloren hat.
Katharina Weiß:
Bringen verschiedene Arten von Kummer verschiedene Arten von Songs hervor? Gibt es Kummer, der produktiver ist?
Gloria Blau:
Bei Liebeskummer merke ich an der Art, wie ich das in einem Song verarbeite – ob als Randnotiz, flotten Spruch oder als ganzen Refrain –, wie ernst es mir mit dem Mann gewesen ist. In meinem Lied „Alleine sein“ stelle ich zum Beispiel fest, wie okay ich damit bin, plötzlich wieder Single zu sein. Und die erste Zeile lautet: „Ich hab‘ dir nie ein Lied geschrieben, zumindest keins für die großen Bühnen.“ Erst als ich das Lied fertiggestellt hatte, fiel mir auf, dass er mir wohl wirklich nicht so viel bedeutete, da ich wochenlang nicht das Bedürfnis verspürte, ihn in meiner Musik zu verarbeiten.
»Um Erfolg haben zu können, muss man sich zuerst persönlich gefunden haben, zumindest einigermaßen.«
Katharina Weiß:
Du hast vor über einem Jahr beschlossen, nicht mehr darauf zu warten, entdeckt zu werden – sondern die Aufnahme eines Albums und die Organisation einer Tour einfach selbst in die Hand zu nehmen. Warum denkst Du, dass das der richtige Schritt für Dich ist?
Gloria Blau:
Um Erfolg haben zu können, muss man sich zuerst persönlich gefunden haben, zumindest einigermaßen. Man muss erstens wissen, wo man hinwill. Und zweitens muss man realistisch einschätzen können, wie man das anstellen muss. Durch Therapie und sehr viele Gespräche mit anderen Künstlerinnen und Künstlern habe ich viel über mich gelernt. Zudem kenne ich mittlerweile das Musikbusiness und weiß, wo wichtige Stellen für mich sind.
Es wuchs so langsam alles zusammen, bis der Moment kam, in dem ich bereit war, ein paar tausend Euro in die Hand zu nehmen, um die ersten Videos und Songs aufzunehmen. Ich habe das Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten gefunden und bin bereit, Schritt für Schritt das zu tun, was nun mal getan werden muss.
Katharina Weiß:
Welches Team steht hinter Gloria Blau?
Gloria Blau:
Ich schreibe alles selbst und spiele Piano und Saxofon. 2017 habe ich mein Musikstudium beendet. Daraus ging die Zusammenarbeit mit meinem ehemaligen Dozenten hervor, der jetzt mein Produzent ist. Er gehört zu einem Kernteam von vier Leuten, die mich auf und abseits der Bühne unterstützen.
»So tief ich in meine Trauer fallen kann, so hoch wirft mich meine Begeisterungsfähigkeit.«
Katharina Weiß:
Wie erlebt man dich in leichten Momenten?
Gloria Blau:
Über Helge Schneider lachend und irgendetwas Süßes essend, mit Spuren von Glitzer im Gesicht und Katze auf dem Schoß. Aller Melancholie zum Trotz bin ich wohl ein sehr optimistischer und weitgehend glücklicher Mensch. So tief ich in meine Trauer fallen kann, so hoch wirft mich meine Begeisterungsfähigkeit. Das war schon immer einer meiner stärksten Wesenszüge, der mir in den letzten Jahren erst richtig bewusst geworden ist.
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Interview & Text: Katharina Weiß
Fotografie: Ansagr Schwarz
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