Interview — Fye & Fennek

Von Licht und Finsternis

Mit Fye & Fennek auf Großstadtsafari: In der Berliner Kneipe „Dschungel“ haben wir mit der Band über ihr neues Album „Separate Together“ gesprochen – und erfahren, dass es immer einen prägenden Moment braucht, um einen guten Song entstehen zu lassen.

2. Oktober 2018 — MYP N° 23 »Instinkt« — Interview: Katharina Weiß, Fotos: Ansgar Schwarz

Wer aus der grellen Helligkeit des Tages in das Dickicht des Urwalds tritt, ist erst mal blind. Doch wessen Augen sich an die Schummrigkeit gewöhnt haben, der erkennt zwei exotische Wesen, die sich im Unterholz zu eleganten Verrenkungen zusammengerollt haben: Ihre blauen Augen funkeln neugierig, und wer ihre Klänge vernimmt, der hört kein Brüllen oder Zischen, sondern das atmosphärische Klingen sphärischer Purität.

Was das Poetenherz so romantisch zu verpacken weiß, hat einen Anker in der Pragmatik: Im Dschungel, einer ehrlichen Berliner Kneipe mit tropischer Deko, treffen wir Fye & Fennek, die gerade ihr erstes Studioalbum „Separate Together“ veröffentlicht haben. Die Neuköllner Bar bietet hochqualitative Cocktails ohne Schnickschnack zu einem Preis, der stets dazu einlädt, noch ein bisschen länger zu bleiben.

So natürlich und sympathisch wie die Location sind auch die beiden Musiker. Während Fye (30) mittlerweile in Berlin wohnt, ist Fennek (27) extra aus Kassel angereist, wo er mit seiner kleinen Tochter lebt. Die unzähligen Musikinstrumente, mit denen sie ihre Songs einspielen, haben die beiden dieses Mal zuhause gelassen. Dafür bringen sie gute Laune und Trinkfestigkeit mit – und das ist bei einem Treffen mit Journalisten bekanntermaßen nie verkehrt…

Katharina:
Ihr seid weder verwandt noch verliebt, sondern habt beruflich zueinander gefunden. Fye, wie hast du Fennek kennengelernt?

Fye:
Ich kannte seinen Mitbewohner! Der hat mich zu seiner WG-Party eingeladen, dort haben wir Musik gemacht. Da war Fennek auf einmal im Raum. Wir haben zuerst über Songs geredet und danach ordentlich einen weggetrunken.

Fennek:
Ich hatte davor schon ein Soloalbum und eine Platte mit einer anderen Künstlerin produziert – aber beide wollte ich dann doch nicht veröffentlichen. Die Arbeit vor unserer Begegnung war mein Boot Camp. Ich musste wissen, was ich machen kann und wer ich bin. Und dann kam Fye und innerhalb einer Nacht haben wir beschlossen, am nächsten Tag einen Song aufzunehmen, den wir einen Monat später veröffentlicht haben.

»Ich empfinde es eher als Erleichterung, dass meine Familie beruflich nichts mit Musik am Hut hat.«

Katharina:
Habt ihr musikalische Eltern, oder woher kommt die kreative Ader?

Fennek:
Meine Eltern haben eine spannende Geschichte: Sie sind als Flüchtlinge aus Polen gekommen. Dort war meine Mutter Schauspielerin und mein Vater Rennfahrer. Die Zeiten waren nicht so gut…

Katharina:
…du sprichst vom Eisernen Vorgang?

Fennek:
Genau. Mein Großvater sagte zu meinem Vater: „Mit diesen Jobs verdient ihr kein Geld.“ Deshalb haben die beiden dann Medizin studiert. Und danach sind sie mit dem Trabbi über Schlesien nach Saarbrücken geflohen, mit tausend Złoty in der Tasche. Tja, und so haben sie sich hier ein Leben aufgebaut und fünf Kinder großgezogen. Die beiden haben eigentlich ihre künstlerische Freiheit für uns aufgegeben, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Meine Schwester zum Beispiel hat Geige gespielt, und ich durfte unter anderem Klavier und Schlagzeug lernen. Doch als ich älter wurde kam die Frage: „Hast du dir schon ein Berufsfeld ausgesucht?“ Und ich dachte mir: Fuck, wie erkläre ich ihnen, dass ich weiterhin Musik machen möchte? Dafür musste ich mich schon rechtfertigen.

Fye:
Meine beiden Eltern sind Lehrer – aber nicht für Musik. Ich habe es vielleicht von meiner Oma. Sie war die Einzige, die wirklich musikalisch war und sich autodidaktisch jede Menge Instrumente beigebracht hat. Ansonsten empfinde ich es eher als Erleichterung, dass meine Familie beruflich nichts mit Musik am Hut hat. Ich wurde nicht in ein Feld gesetzt, sondern kann mich ganz frei bewegen. So bin ich der kleine Exot und das ist auch ganz positiv.

Katharina:
Wo in Berlin entstehen eigentlich eure Songs?

Fennek:
Wir haben Ewigkeiten kein passendes Studio gefunden. Am Ende war das Label so frei und hat uns ihre Raucherkammer angeboten. Das ist ein kleiner, schöner Ort in Mitte – genau richtig für uns. Ich penne dort auch meistens, wenn ich in Berlin arbeite.

Katharina:
Hat dir Fye keine Couch angeboten?

Fennek:
Doch, doch! Aber wenn wir den ganzen Tag zusammen spielen und ich noch an ihrem Gesang herumproduziere…

Fye: (lacht)
…dann kann er meine Stimme irgendwann nicht mehr hören.

»Ein Song kommt immer aus einem gewissen Moment, von dem er getragen wird.«

Katharina:
Dass ihr euch erst später im Leben getroffen habt, als ihr beide schon eine Geschichte hattet, merkt man an der Vielseitigkeit eurer Songs. Was habt ihr euch bei der Zusammenstellung des Albums gedacht?

Fye:
Das Album ist unser beider Sprachrohr und wir haben einen gemeinsamen Klang gefunden. Ansonsten wollten wir einfach frei damit sein und kein Konzeptalbum machen, sondern viele verschiedene Elemente mitnehmen. Jedes Lied hat sein Eigenleben.

Fennek:
Bei uns geht das wahnsinnig schnell. Wir machen einfach und probieren uns aus. Wir schreiben einen Song, manchmal in ein paar Stunden – und lassen ihn dann nicht ewig rumliegen, sondern produzieren ihn zügig fertig. Ein Song kommt immer aus einem gewissen Moment, von dem er getragen wird: ein Gefühl oder ein prägendes Ereignis, ein Highlight oder ein Absturz.

Katharina:
Wenn so viele Emotionen in Songs fließen, dann muss man sich ganz schön nackt voreinander machen. Ist das manchmal komisch? Vor allem für dich, Fye, weil du größtenteils die Texte schreibst?

Fye:
Da war nur eine kurze Phase des Kennenlernens – danach gab es keine Tabus mehr.

Fennek:
Ein bisschen wie Bruder und Schwester. Fye konnte mir erzählen, wenn irgendein Typ wieder Scheiße gebaut hat – dann habe ich mir den vorgeknöpft.

Fye:
Als ich nach so einem Liebeskummer mal mit Fennek im Studio war, kam eine Freundin dazu und meinte: „Mensch, Fye! Du bist halt auch so eine, die das Drama braucht. Denn danach kannst du einen Song schreiben, der richtig geil wird. Du bist einfach nicht der Typ, der fünf Jahre in einer Beziehung steckt, und nie passiert irgendwas Spannendes.“

Fennek:
Du brauchst auf jeden Fall die Reibung. Du bist wie ein Schloss, in dem überall kleine Türchen sind, hinter die man nochmal schauen kann…

Katharina:
Ein Adventskalender der Erotik.

Fye: (alle lachen)
Geile Metapher.

Katharina:
Und wie ist das bei dir Fennek, wann wirst du am kreativsten?

Fennek:
Viele Songs entstehen auf dem Weg von Berlin nach Kassel – oder umgekehrt. Ich nehme Gefühle mit und versuche sie auf der Reise in Melodien zu verwandeln. Das klingt abstrakt, für mich ist es aber sehr greifbar. Ich singe bewusst nicht mehr so viel, weil mittlerweile die Töne meine Worte sind. Und wenn Fye dann über meinen Song jammt und einen Text findet, spricht sie mir total aus der Seele. Wir sind musikalisch eins geworden.

»Jeder von uns hat Licht und Dunkelheit in sich.«

Katharina:
Welche Motive beschäftigen euch besonders?

Fye:
Licht und Dunkelheit – jeder von uns hat beides in sich. Ein Kontrast muss da sein. Auch schlechte Sachen haben meistens einen guten Aspekt. Im Lied „Dark Lights“ geht es zum Beispiel um meine Anziehung zu dem Dunklen. Wenn man weiß: „Der Typ, der tut mir gar nicht gut, aber ich renne ihm trotzdem hinterher.“ Und dadurch lernt man. Man wird mit der Zeit nicht mehr beschädigt, sondern stärker.

Fennek:
Traut euch, Mut zu fassen! Wenn man jung ist, hat man so viele Träume und Ziele. Viele schmeißen ihr Talent aber weg und verlieren sich. Dabei kann man all die großartigen Dinge nur einmal machen, wenn man das ewig verschiebt, ist es schade.

Fye:
Wir sind mit diesen Herausforderungen zwar auf uns alleine gestellt – aber die Tatsache, dass wir alle mit gewissen Herausforderungen zu kämpfen haben, haben wir gemeinsam. Deshalb heißt das Album auch „Separate Together“.

Katharina:
Was sind eure Herausforderungen?

Fye:
Momentan ist es noch ein steiniger Weg, finanziell mit der Musik über die Runden zu kommen. Manche Leute denken, das ist ein geiles Hobby für uns. Ne! Wir sind Vollblutmusiker und machen das im zeitlichen Umfang eines Vollzeitjobs. Und wir glauben daran, dass es Menschen gibt, die feiern werden, was wir für Lieder schreiben.

»Es gibt wenige Talente, die es schaffen, mit 20 gute Songs zu schreiben.«

Katharina:
Wer in die deutschsprachigen Charts schaut, sieht jede Menge Leute, die sich—noch als Minderjährige—riesige Follower-Schwärme über YouTube oder Instagram aufgebaut haben. Die sind zehn Jahre jünger als ihr. Habt ihr manchmal das Gefühl, dass euch die Zeit davonrennt?

Fye:
Gar nicht. Ich mache schon lange Musik und habe schon als Teenie eigene Songs geschrieben. Aber aus heutiger Perspektive weiß ich: Mit 20 habe ich andere Sachen erzählt, vieles wusste ich noch nicht. Ich brauchte die Zeit. Es gibt wenige Talente, die es schaffen, mit 20 gute Songs zu schreiben. Oft stehen da erfahrene Songwriter dahinter.

Katharina:
Eigentlich ein spannender Punkt: dass die allermeisten jungen Popstars zwar den Körper von Teenagern haben, aber mit der Weisheit viel älterer Menschen singen, die ihnen ihre Geschichten sozusagen „ausgeliehen“ haben.

Fennek:
Totale Körperwirtschaft. Es ist ja auch geil für die Leute, da ein junges Mädel mit Knackarsch zu sehen und den Eindruck zu gewinnen: „Wow, die ist ja so reif! Oh mein Gott, die hat ja schon so viel durch.“ Da springt die ganze Industrie auf. Ich finde das durchaus auch bewundernswert, so funktioniert die Branche eben. Aber es gibt auch immer wieder andere Talente, die sich trotz dieser Vorherrschaft durchsetzen können.

Katharina:
Fennek, welche Abgründe faszinieren dich am meisten?

Fennek:
Extreme! Zum Beispiel in der Feierszene. Wenn ich mal rausgehe, begegnen mir in Berliner Clubs Menschen, die Dinge sagen wie: „Ich bin seit acht Tagen da, was ist mit dir?“ Ich dann zwar erst seit acht Minuten – aber ich feiere das total: in richtige Dark Clubs zu gehen, um in dieser Leere zu sich selbst zu kommen.

Fye:
Ich bin ständig auf Achse und total schlecht darin, nichts zu machen. Ich mag eher lichtdurchflutete Festivals als dunkle Clubs. Für mich ist es außerdem schon mal ein Erfolg, nicht planen zu müssen. Wenn ich immer fünf Tage beim Feiern versacken würde, dann hätte ich schon längst meinen Job verloren – ich arbeite auch als Kunstlehrerin. Mir geht es am besten, wenn ich in der wilden Natur bin oder etwas erschaffe.