Interview — Franziska Brandmeier

Innere Stimme

Wie kommt man eigentlich ins Fernsehen? Wer sich nicht bei DSDS peinlich machen will, muss es wohl mit echtem Talent versuchen: Wir fragen bei Nachwuchsschauspielerin Franziska Brandmeier nach, wie sich der Weg auf die Bühne gestaltet.

27. Oktober 2013 — MYP N° 12 »Meine Stille« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke

Von manchen Ecken Deutschlands scheint die große weite Welt zum Greifen nah. Wer hier verweilt, den packt die Sehnsucht – und Abenteuerlust beflügelt den Verstand.

Der Grasbrookhafen im Herzen Hamburgs ist eine dieser Ecken. Hier an der Norderelbe wird der volle Blick auf das gelenkt, was so gern als Tor zur Welt bezeichnet wird: Dutzende Ozeanriesen aus aller Herren Länder legen an und übergeben ihre Fracht an ein Heer von Kränen, die flink wie Spinnen durch den Hafen krabbeln. Sind die Schiffe neu beladen, brechen sie auf in Richtung Ferne und verschwinden irgendwann am Horizont.

Vor der Ubahn-Station Baumwall nordöstlich der Hafencity treffen wir die junge Schauspielerin Franziska Brandmeier. Nach einem herzlichen Hallo schlendern wir gemeinsam durch die Speicherstadt, laufen vorbei an der Elbphilharmonie und zahlreichen Kreativagenturen, Restaurants und Cafés, die alle hier ihr hanseatisches Zuhause gefunden haben.

Nach einigen Minuten erreichen wir den Dalmannkai am Grasbrookhafen und lassen uns auf einer kleinen Aussichtsplattform direkt am Wasser nieder. Das Tor zur Welt ist gut besucht an diesem Sonntagnachmittag, und so genießen wir mit vielen anderen den Mix aus rauem Wind und warmer Sonne. Möwen kreischen, die Luft schmeckt salzig und nach Freiheit. Spätsommer in Hamburg – wie wunderschön!

Jonas:
Du hast vor wenigen Monaten dein Abitur gemacht. Stehen in deinem Leben jetzt alle Zeichen auf Schauspielerei?

Franziska:
Mit der Schule sind ziemlich viele Strukturen in meinem Leben weggefallen, jetzt muss ich mich erst einmal selbst finden.
Auf jeden Fall ist die Schauspielerei ein sehr wichtiger Teil von mir, ich liebe sie sehr. Sie stützt mich und ist eine Konstante in meinem Leben, die mir über die Schulzeit hinaus geblieben ist.
Es wird sich einfach zeigen, wie sich das Ganze im Laufe der nächsten Monate weiterentwickeln wird. Man selbst entwickelt sich ja auch mit jeder Rolle, die man spielt.

Jonas:
Dabei kommst du eigentlich aus einem ganz anderen Bereich: Seit du drei Jahre alt bist, tanzt du Ballett. Wurdest du diesbezüglich von deinen Eltern in irgendeiner Form beeinflusst?

Franziska:
Falls du damit auf diese berühmt-berüchtigten Eislaufmütter anspielen solltest: Meine Eltern waren das absolute Gegenteil davon und haben mir alle Freiheiten gegeben.
Das war für mich auch genau das Richtige, weil ich dadurch immer für mich ganz alleine herausfinden konnte, ob ich etwas wirklich mag und weiterverfolgen will. Tanzen war immer genau mein Ding, daher gehe ich nach wie vor regelmäßig zum Ballett-Training.

Jonas:
Und wie bist du vom Ballett zur Schauspielerei gekommen?

Franziska:
Das ist eine lustige Geschichte: Als ich etwa 14 Jahre alt war, fragte ein Filmproduktionsteam meine Eltern, ob sie einige Szenen auf dem Grundstück unseres Hauses drehen dürften. Meine Eltern hatten nichts dagegen und so wurde direkt vor unserer Haustür gefilmt. Das war alles total aufregend für mich.
Und da ich schon immer eine große Klappe hatte, habe ich bei diesen Leuten einfach mal nachgefragt, ob sie wüssten, wie man Schauspielerin wird, und ob sie mir da irgendwie weiterhelfen könnten – ich ahnte damals ja noch nicht, dass es dafür spezielle Agenturen oder Schulen gibt.
Mir wurde von den Leuten eine Kinderschauspielschule empfohlen, an die meine Frage weitergeleitet wurde. Dort wurde ich aufgenommen und wenig später auch zu meinem ersten Casting geschickt.
Es ging um eine kleine Rolle in der Hamburger Kinderkrimi-Serie „Die Pfefferkörner“, für die ich schließlich auch besetzt wurde. Damals haben wir unter anderem hier in der Speicherstadt gedreht. In meiner ersten Rolle musste ich zwar nicht so viel machen, aber es hat mir trotzdem total gefallen – und so hat alles angefangen.

Jonas:
Danach ging es für dich richtig los, du hast Rollen in bekannten TV-Produktionen wie „Die Kinder von Blankenese“, „Notruf Hafenkante“ oder „Soko“ übernommen.

Franziska:
Ja, das war toll. Vor allem der „Soko“-Dreh in München hat mir richtig viel Spaß gemacht. Dort durfte ich eine Ballett-Tänzerin spielen und konnte meine Rolle mit dem verbinden, was ich schon immer gemacht habe. Außerdem war es meine erste Produktion außerhalb Hamburgs und mir wurde allmählich klar, dass dieses Schauspielerding für mich nicht regional beschränkt sein muss.

Vor allem in meiner Anfangszeit hat mir das Ballett sehr geholfen, weil ich damals noch keinen Schauspielunterricht hatte und recht unerfahren war.

Jonas:
Hilft dir deine Ballett-Ausbildung auch bei anderen Rollen?

Franziska:
Ja, recht viel sogar. Ballett ist eine sehr körperliche Disziplin: Man muss lernen, seinen eigenen Körper zu kontrollieren und ihn trotzdem im Fluss zu halten, damit es natürlich wirkt.
Diese Fähigkeit ist in der Schauspielerei sehr hilfreich, weil es dort ebenfalls darum geht, den Körper unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig nicht überkünstelt zu wirken.
Vor allem in meiner Anfangszeit hat mir das Ballett sehr geholfen, weil ich damals noch keinen Schauspielunterricht hatte und recht unerfahren war. Ich habe mich daher einfach auf mein Ballettwissen gestützt und meinen Körper als Instrument gesehen, mit dem ich die Rolle ausfüllen kann.

Dieser wundervolle Spätsommertag schreit förmlich nach einem guten, heißen Kaffee. Wir verlassen die wind- und sonnenerfüllte Aussichtsplattform und steuern ein nahegelegenes Café-Restaurant an, das sich „CARLS Brasserie“ nennt und uns mit seiner breiten Glasfront direkt am Wasser lockt. Am Eingang begrüßt uns ein freundlicher Herr und führt uns zu einem Tisch mit Blick über den gesamten Hafen.

Nur wenige Plätze im Inneren der Brasserie sind belegt. Die meisten Gäste haben sich für die Außenterrasse entschieden, um die warmen Sonnenstrahlen einzufangen. So umgibt uns eine angenehme Stille und ein Gefühl tiefer Entspannung stellt sich ein.

Wir lassen unsere Blicke durch den lichtdurchfluteten Raum wandern: Dunkles Holz, schwere Lederbänke in Aubergine und Kachelbilder über der offenen Küche kombinieren hanseatische Zurückhaltung mit französischem Flair, verbinden Heimat und die große weite Welt.

Jonas:
Würdest du behaupten, dass du von Beruf Schauspielerin bist?

Franziska:
Ich würde nicht so weit gehen und tatsächlich schon das als Beruf bezeichnen, was ich zur Zeit mache. Ich bin zwar mit dem Herzen voll dabei, habe viel Spaß und arbeite auch hart, wenn wir drehen oder ich mich auf eine Rolle vorbereite – dennoch gehe ich mit dem Wort Beruf eher vorsichtig um, da ich einen gehörigen Respekt vor Menschen habe, die in der Schauspielerei schon wirklich etwas erreicht haben.

Jonas:
Wie zum Beispiel Götz George, mit dem du vor kurzem eine „Schimanski“-Episode gedreht hast?

Franziska:
Oh ja, der gehört auf jeden Fall dazu. Oder Anna Loos, die ich ebenfalls bei dieser Produktion sehr schätzen gelernt habe. Beide sind äußerst herzliche Menschen, weshalb die Atmosphäre während unseres Drehs in Rotterdam auch richtig familiär war. Ich habe dort versucht, schauspielerisch alles aufzusaugen und zu verinnerlichen.
Anna hat mir beispielsweise geraten, in meinem Spiel noch mehr mit den Augen zu arbeiten, weil sie fand, dass ich einen guten Blick habe. Das hat mich sehr geehrt und mir geholfen, besser zu werden.
Eine ähnliche Erfahrung durfte ich während der Dreharbeiten zu „Arnes Nachlass“ machen: In einer Szene sollte mir Susanne von Borsody eine Ohrfeige geben. Wir hatten das Ganze im Vorfeld geprobt und genau besprochen, wie alles ablaufen soll. Als wir dann vor der Kamera standen, hat Susanne etwas komplett anderes gemacht. Ich war richtig erschrocken, aber das war auch ihr Ziel. Die Szene wirkte dadurch total authentisch. Ich weiß seitdem: Sollte ich im Laufe meines Schauspielerlebens auch mal jemandem in einer Szene eine Ohrfeige geben, werde ich es wohl genauso machen, wie ich es von Susanne gelernt habe.

Jonas:
Mit der Figur des Horst Schimanski, gespielt von Götz George, ist quasi eine ganze Generation deutscher Fernsehzuschauer aufgewachsen. Als Tatort-Kommissar ermittelte er von 1981 bis 1991 in der ARD, seine Geschichte wird seit 1997 im ZDF in der Reihe „Schimanski“ weitererzählt. Wusstest du um die Bedeutung dieser Figur, als du für eine Rolle in der Episode „Loverboy“ gecastest bzw. besetzt wurdest?

Franziska:
Nein, ehrlich gesagt kannte ich Horst Schimanski nicht wirklich und musste erst einmal googlen – er quittierte seinen Dienst als Tatort-Kommissar ja zwei Jahre, bevor ich geboren wurde. Aber ich habe relativ schnell gemerkt, was für eine Institution diese Figur im deutschen Fernsehen ist und mit welcher Ikone man es zu tun hat.
Umso überraschter war ich am Set, als ich sah, wie jung Götz George wirkt und wie frisch er mit seinen 75 Jahren spielt. Das hat mich sehr beeindruckt.

Jonas:
Ihr habt im Juli die Dreharbeiten zu „Loverboy“ abgeschlossen. Springst du jetzt in die nächste Produktion? Oder hast du andere Pläne für die nächsten Monate?

Franziska:
Ich bewerbe mich zur Zeit an mehreren Schauspielschulen in München und Berlin. Außerdem habe ich einige Projekte in der Pipeline und stecke mitten in Castingprozessen.
Ende des Jahres will ich noch verreisen, wahrscheinlich über Silvester als Bagpacker nach Bali. Diese Reisezeit ist ideal, weil da so gut wie keine Dreharbeiten stattfinden. Ich finde es total wichtig, die Welt kennenzulernen und mit anderen Kulturen in Berührung zu kommen, vor allem als Schauspieler. Was bringt es einem, wenn man im stillen Kämmerlein verstaubt?

Jonas:
Ist es dir wichtig, eher ernstere Rollen zu spielen? Oder es dir der Charakter der Figur eher egal, solange das Drehbuch gut ist?

Franziska:
Ich würde nicht sagen, dass mir das ganz egal ist. In den ernsteren Themen fühle ich mich schon sehr zuhause – obwohl man auch in einer Komödie ein ernstes Thema in den Vordergrund rücken kann. In letzter Zeit habe ich hauptsächlich düstere und ernste Rollen übernommen, daher würde ich mich freuen, wenn ich mal wieder eine total fröhliche Figur spielen könnte. Ich bin ja selbst auch ein eher fröhlicher Mensch.

Wenn man etwas spielt, das sehr viel mit einem selbst zu tun hat, berührt einen das unter Umständen viel mehr als ein anderes Rollenprofil.

Jonas:
Viele Schauspieler empfinden es als größere Herausforderung, eine Figur zu spielen, deren Charakter möglichst weit von ihnen entfernt ist. Wie siehst du das?

Franziska:
Wenn man etwas spielt, das sehr viel mit einem selbst zu tun hat, berührt einen das unter Umständen viel mehr als ein anderes Rollenprofil. Das merkt zwar der Zuschauer nicht, weil er im Allgemeinen nur die 90 Minuten eines Film kennt, trotzdem arbeitet man als Schauspieler im Vorfeld mit dieser Rolle sehr intensiv und versucht, sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten – und diesen professionellen, objektiven Blick von außen auf sich selbst empfinde ich als große Herausforderung.

Jonas:
Siehst du selbst gerne fern und gehst oft ins Kino?

Franziska:
Ich lande ehrlich gesagt so gut wie nie vor dem Fernseher, ich bin eher eine Leseratte. Ins Kino gehe ich zwar auch nicht so oft, aber wenn ich mich einmal dazu entscheide, muss es ein richtig tolles Kino sein. Ich liebe zum Beispiel das Passage-Kino hier in Hamburg, die Atmosphäre vor und nach den Vorstellungen erinnert mich immer ein wenig ans Theater.

Jonas:
Magst du das Theater?

Franziska:
Oh ja, sehr! Ich habe leider selbst noch kein Theater gespielt. Trotzdem fühle ich mich dem sehr verbunden – durch das Ballett ist mir die Bühne ja nicht fremd. Ich würde die Theaterwelt gerne besser kennenlernen und hoffe deshalb auch, dass ich an einer der Schauspielschulen in München oder Berlin angenommen werde.

Jonas:
Solltest du angenommen werden, müsstest du Hamburg verlassen. Würde dir das schwer fallen?

Franziska:
Ich komme ja nicht direkt aus Hamburg, sondern aus einem ruhigen Vorort – und dort war noch nie wirklich etwas los. Deshalb gibt es in mir einen enormen Erlebnisdrang, dem ich einfach nachgeben muss. Da ist eine Stimme, die ständig sagt: „Du musst raus, raus, raus!“
Hamburg selbst ist aber toll, ich hatte hier jahrelang Ballettunterricht und bin deshalb mehrmals pro Woche mit der Bahn in die Innenstadt gefahren. Es gibt hier viele Ecken, die ich sehr mag: Die Schanze zum Beispiel, aber auch die Colonnaden zwischen Gänsemarkt und Jungfernstieg. Dort habe ich mich nach dem Ballett oft mit einer Freundin auf einen Karamell-Macchiato getroffen, da hängen viele Erinnerungen dran. Trotzdem zieht es mich irgendwie hier weg – und ich glaube, wenn ich mich zwischen München und Berlin entscheiden müsste, würde die Wahl auf Berlin fallen. Diese Stadt scheint irgendwie so offen und so frei zu sein.

Ich weiß, dass ich immer zurück nach Hause kommen kann, wenn ich meine Stille suche.

Jonas:
Fühlst du dich hier dennoch zuhause?

Franziska:
Absolut. Ich bin ein sehr wasserbezogener Mensch, daher könnte ich auch nie in einer Stadt leben, in der es nicht viel Wasser gibt. Und ganz egal, wohin es mich verschlägt: Ich weiß, dass ich immer zurück nach Hause kommen kann, wenn ich meine Stille suche. Und das liebe ich sehr.

Langsam legt sich die Dämmerung über den Hafen, wir beenden unser Gespräch. Für eine Weile noch beobachten wir die unermüdlichen Containerkräne, die fleißig ihre Arbeit verrichten. Unzählige Scheinwerfer erleuchten jetzt die vielen Ozeanriesen, deren stählerne Bäuche im Akkord geleert und wieder befüllt werden. In Kürze werden sie wieder aufbrechen in die Ferne und irgendwann am Horizont verschwinden.

Ein freundliches Lächeln breitet sich über Franziskas Gesicht aus, ihre blaugrünen Augen wirken wach und entschlossen. Auch für sie scheint von dieser Ecke Deutschlands die große weite Welt zum Greifen nah.

Wen die Sehnsucht packt und wer von Abenteuerlust beflügelt wird, der sollte losziehen in die Ferne.

Man muss ja nicht am Horizont verschwinden wie die großen Schiffe.

Und zurückkommen kann man immer noch.