Interview — Die Orsons
Mit Schnaps, Stinkefinger und Schopenhauer
Mit »Tourlife4Life« präsentieren Die Orsons ein Album, das nicht weniger ist als eine Hommage an das gemeinsame Touren als Band, auch wenn das zurzeit etwas schwierig ist. Im Interview verraten die vier Rapper, welche Schnaps-Rituale sie hinter der Bühne zelebrieren, was das Tolle an Eisenbahnvideos ist und warum es nicht nur den Stinkefinger braucht, um sich gegen Rechts zu positionieren, sondern auch gute Argumente – wie etwa die des Philosophen Arthur Schopenhauer.
21. Juli 2020 — MYP N° 29 »Vakuum« — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke
Mit der Definition von Glück ist es so eine Sache. Mathematisch kann man es versuchen, biochemisch sicher auch. Und philosophisch sowieso. Doch am Ende ist und bleibt es eine ganz persönliche Betrachtung, was man unter Glück versteht. Macht bei knapp 7,8 Milliarden Menschen, die sich auf der Erde tummeln, genauso viele Definitionsversuche.
Doch keine Panik, ein kleines bisschen lässt sich diese Anzahl reduzieren. Denn zumindest bei vier Personen, alle Musiker von Beruf, lässt sich Glück als etwas beschreiben, das entsteht, wenn man zusammen in einem Doppeldeckerbus von Stadt zu Stadt fährt, Konzerte spielt und ab und zu mal einen Kurzen trinkt. Die Rede ist von den Orsons, jener illustren deutschen Hip-Hop-Gruppe, die aus den Rappern Tua, Kaas, Maeckes und Bartek besteht.
Ihr neues Album „Tourlife4Life“ – der Name lässt es schon erahnen – haben Die Orsons dem Leben auf Tour gewidmet, für das die vier Jungs gerne den Begriff Paradies bemühen. Doch damit nicht genug: Entstanden ist die neue Platte ebenfalls on the road, genauer gesagt während der Festival-Tour der Band im Sommer 2019 und wenig später, im Oktober, auf ihrer großen Tour zum Album „Orsons Island“, das im August des letzten Jahres erschien.
Am 17. Juli 2020 nun, keine zwölf Monate später, ist „Tourlife4Life“ gestartet. Und ja, auch dieses Album macht wieder sehr viel Spaß. Wie auf „Orsons Island“ gibt es etliche Hooklines und Melodien, die sich schnell ins Ohr bohren, wie etwa in den Songs „Leb schnell“ oder „Lovelocks“. Insgesamt bewegen sich die 14 Tracks des neuen Albums zwischen energetisch und relaxt, zwischen sorglos und nachdenklich, zwischen cool und noch cooler. Wir prognostizieren mal, dass nicht nur die treuen Orsons-Fans frohlocken werden.
Doch da ist noch was. Auf „Tourlife4Life“ feiern die vier Rapper nicht nur sich selbst und ihre Trips von Stadt zu Stadt im Doppeldecker. Sie skizzieren auch ihren ganz persönlichen Blick auf Deutschland, Europa und die Welt – und das ziemlich unverblümt. Dass sie beispielsweise im Song „Energie“ allen Nazis den Mittelfinger entgegenstrecken, war zu erwarten. Doch dass sie wie im Stück „Oioioiropa“ nicht nur ihr eigenes Privileg als gefeierte Band hinterfragen, sondern auch eine schonungslose Momentaufnahme der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation beschreiben, macht einen irgendwie ein bisschen stolz auf diese Orsons.
So lassen sie es sich auch nicht nehmen, in jenem Song den berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer zu zitieren, der sich schon im 19. Jahrhundert wie folgt zum Phänomen des Nationalismus geäußert hatte:
„Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz, denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er angehört, stolz zu sein. Übrigens überwiegt die Individualität bei weitem die Nationalität, und in einem gegebenen Menschen verdient jene tausend Mal mehr Berücksichtigung als diese. Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Jede Nation spottet über die andere und alle haben recht.“
Wenige Wochen vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums treffen wir Tua, Kaas, Maeckes und Bartek im Berliner Volkspark Friedrichshain.
»Wir drücken unseren Dank dafür aus, dass wir uns gegenseitig lieben, achten, ehren und auf Händen tragen.«
Jonas:
Euer neues Album startet mit einem Intro, in dem Ihr beschreibt, wie Ihr vor einem Auftritt einen großen Kreis bildet und allen Leuten dankt, die Euch auf Tour begleiten. Zelebriert Ihr dieses Ritual grundsätzlich vor jeder Show?
Bartek:
Ja, das könnte man so sagen. Auf diese Weise drücken wir unseren Dank aus – dafür, dass wir das alles überhaupt machen dürfen. Und dass wir uns gegenseitig lieben, achten, ehren und auf Händen tragen. (grinst)
Maeckes:
Andere Stimmen behaupten, dieser große Kreis sei nur dafür da, dass wir zusammen noch einen Schnaps trinken können, bevor die Show losgeht…
Tua:
… und einer von uns hält meistens eine richtig dämliche Rede.
Bartek:
Aber auch darin ist ja der Hinweis versteckt, dass wir um unser Privileg wissen und für alles eine große Dankbarkeit zeigen.
»Tua kann technisch aus allem etwas zaubern – sogar, wenn jemand mal in eine Socke aufnimmt.«
Jonas:
„Tourlife4Life“ erzählt nicht nur vom gemeinsamen Unterwegssein als Band, das Album ist auch weitestgehend auf Eurer letzten großen Tour entstanden. Dabei gibt es Menschen wie den berühmten Produzenten Rick Rubin, die behaupten, man könne kein gutes Album machen, wenn man auf Tour ist…
Bartek:
Bezogen auf uns hat das erstaunlicherweise sehr gut geklappt.
Jonas:
Wie hat das in Eurem Tour-Alltag rein praktisch funktioniert?
Bartek:
Wir hatten ja schon immer einiges an Produktionsequipment dabei, wenn wir auf Tour waren. Aber dieses Equipment hatten wir nie permanent genutzt. Klar, an einem Offday hatte man mal einen Beat gebaut oder so, aber das war’s auch. Bei unserer letzten Tour dagegen hatten alle so Bock, Musik zu machen, dass sich jeder eine eigene Workstation aufgebaut und Musik geschrieben hat. Außerdem hatten wir unsere Geheimwaffe Tua dabei, der technisch aus allem irgendwie was zaubern kann – sogar, wenn jemand mal in eine Socke aufnimmt. Am Ende waren wir selbst überrascht, wie gut das alles funktioniert hat.
»Es gibt nichts Besseres, als sich auf YouTube Eisenbahnromantik-Videos anzuschauen.«
Jonas:
Ist es richtig, dass Ihr euch im Tourbus über der Fahrerkabine ein kleines Studio eingerichtet hattet?
Tua:
Ja, das hatten wir tatsächlich. Diese Doppeldeckerbusse haben verschiedene Aufenthaltsbereiche, zum Beispiel gibt es oben sowohl vorne als auch hinten eine Lounge. Die vordere ist mit zwei Sofaecken ausgestattet, auf denen man sehr, sehr schön chillen kann – vor allem, wenn man nachts die Straße an sich vorbeifliegen sieht. Es gibt eigentlich keinen geileren Ort, um sich gedanklich treiben zu lassen und Musik zu machen. Vor allem Kaas hat dort sehr viel Zeit verbracht und geschrieben.
Jonas:
So, wie Du das beschreibst, erinnert das ein wenig an diese Eisenbahnromantik-Videos, die nachts im TV laufen.
Bartek:
Ich liebe diese Clips! Beste Strecke: Frankfurt – Köln. Es gibt wirklich nichts Besseres, als sich auf YouTube solche Videos anzuschauen, um besser einschlafen zu können.
»Wenn ein Typ mit der falschen Energie zur Tür reinkommt, kann das alles zerstören.«
Jonas:
Im Pressetext zu Eurem neuen Album sagt Ihr, dass Ihr „selten zuvor so instinktiv zusammen Musik gemacht“ habt. Was meint Ihr damit?
Bartek:
Die gesamte Produktion ist so harmonisch und reibungslos vonstattengegangen, wie es vorher nie der Fall gewesen war. Ich glaube, das liegt daran, dass wir uns spätestens mit unserem Vorgängeralbum „Orsons Island“ ein anderes Bewusstsein freigespielt haben, bei dem es in erster Linie darum geht, das Beste für den jeweiligen Song herauszuholen. Dadurch gibt es automatisch weniger Reibereien untereinander – während gleichzeitig natürlich jeder genau das ausspielen darf, worin er gut ist.
Tua:
Ich habe das Gefühl, dass wir ganz allgemein auch in dem Prozess besser geworden sind, wie Musik bei uns entsteht. Damit meine ich zum einen den kreativen Prozess, bei dem es darum geht, für einen Song eine Idee zu entwickeln und diese auch zu Ende zu bringen. Zum anderen denke ich da an das Operative, also die konkrete Zusammenarbeit untereinander, etwa wenn es um das gemeinsame Schreiben geht. Auf „Orsons Island“ haben wir das unterwegs Musikmachen für uns entdeckt – als Gegenentwurf zum im Studio sitzen und auf Knopfdruck Ideen ausspucken müssen. Wir haben uns dafür entschieden, Musik zu machen, wann und wo wir darauf Bock haben.
Bartek:
Wie oft wir uns früher auch Songs kaputtgemacht haben!
Maeckes:
Stimmt. Einfach nur durch falsches Timing und ohne jede Absicht, die Ideen eines anderen zu zerschießen… Beim Musikmachen gibt es manchmal Phasen, die so inspiriert sind, dass alles aus einem herausquillt. Dann wiederum erlebt man Phasen, die eher etwas ruhiger und nachdenklicher sind. In diesen Momenten braucht man immer den richtigen Vibe, um weiterzukommen – das ist wie klassisches Rätsellösen. Wenn da ein Typ mit der falschen Energie zur Tür reinkommt, kann das alles zerstören. Zumindest wir haben uns dadurch schon viele, viele Lieder kaputtgemacht. (lacht)
Tua:
Früher haben wir oft unwissentlich darauf gewartet, dass sich alle vier Bandmitglieder gleichzeitig in demselben Vibe befinden. Das kam zwar ab und zu mal vor, aber meistens war es doch so, dass mindestens einer eine andere Stimmung hatte. Das machen wir heutzutage sehr viel besser.
»Wir waren von Anfang an ziemlich dicke – aber auch ziemlich beste Feinde.«
Jonas:
Dieser Vibe, von dem Du sprichst, ist etwas, das man direkt spürt, wenn man Euch zum ersten Mal begegnet – eine eingeschworene Gemeinschaft, die man als Außenstehender erst mal nicht decodieren kann. War dieser spezielle Orsons-Vibe von Stunde Null an existent? Oder ist er über die Jahre erst gewachsen?
Maeckes:
Ganz ehrlich, wir alle waren von Anfang an ziemlich dicke miteinander – allerdings auf eine andere Art und Weise als heute. Ich würde sagen, dass wir uns mittlerweile sehr viel besser checken, einfach weil wir schon seit so vielen Jahren Zeit miteinander verbringen.
Tua:
Stimmt, wir waren von Anfang an ziemlich dicke – aber auch ziemlich beste Feinde…
Bartek:
… eben ein sehr lebendiges Ding. Oder eher vibrant, um es auf Englisch zu sagen. Stets vibrant.
»Am Anfang einer Tour ist man noch etwas nervöser und will dementsprechend nüchterner sein – wie bei einem ersten Date.«
Jonas:
Euer neues Album wird sehr stark gefüttert von den Geschichten, die Ihr zusammen auf Tour erlebt habt. An welche ganz besonderen Momente erinnert Ihr euch?
Maeckes:
Genauso, wie es bei uns das Ritual gibt, vor einem Auftritt einen großen Kreis zu bilden, so pflegen wir auch direkt nach einer Show immer die Tradition, hinter der Bühne einen Schnaps zu trinken. Am Anfang einer Tour ist man noch etwas nervöser und will dementsprechend nüchterner sein – wie bei einem ersten Date. Aber von Gig zu Gig wird man entspannter. Konkret läuft das so ab, dass man sich nach dem Bühnenabgang irgendwen schnappt, der da gerade rumsteht, und mit dieser Person einen Kurzen trinkt. Dummerweise war unser Tourmanager immer der, der direkt hinter der Bühne wartete – das war sein Pech. Wie wir den kaputtgetrunken haben bei den Gigs, weil er mit jedem von uns mit Schnaps anstoßen musste! Wir haben zwei Kurze getrunken und er zehn – dabei hatten wir schon Feierabend und er musste noch funktionieren. Das ist die erste Erinnerung, die mir in den Kopf schießt, wenn ich an die Tour zurückdenke.
Tua:
Ich persönlich habe mittlerweile gar nicht mehr den Eindruck, dass sich dieses Album um eine ganz spezielle Tour dreht. Es erzählt eher ein generelles Tour-Gefühl, wie es sich in den letzten zehn Jahren unserer Bandgeschichte entwickelt hat. Für mich ist dabei übrigens nicht nur die psychische Komponente interessant, die das viele Touren mit sich bringt. Es geht mir auch um die Metapher des Ganzen: tourlife for life – im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wo sich dabei eine Schnittmenge zum normalen Leben auftut – und wo sie damit radikal bricht.
»In diesem klassenfahrtmäßigen Tour-Gefühl erleben wir auch immer wieder Momente, in denen wir darüber sprechen, was gerade in der Welt passiert.«
Jonas:
Ihr wart zuletzt im Oktober 2019 gemeinsam unterwegs. Das ist gerade einmal neun Monate her, doch gerade in diesen neun Monaten haben wir in Deutschland, Europa und der Welt viele einschneidende Ereignisse und Entwicklungen erlebt. Hat dies in irgendeiner Weise Euren Blick auf die zurückliegende Tour verändert – und in der Konsequenz auf das Album, das dabei entstanden ist?
Tua:
Absolut. Im letzten Jahr haben sich das Musikmachen und das gemeinsam unterwegs sein noch nicht ansatzweise nach etwas Extravagantem angefühlt. Das stellt sich jetzt natürlich völlig anders da – einfach deshalb, weil es nicht mehr möglich ist. Als wir das Album im Frühjahr 2020 fertiggestellt haben, waren wir in der Hochphase des Lockdowns. Nichts ging mehr. Wirklich nichts. Durch diese Ereignisse hat „Tourlife4Life“ nochmal eine ganz andere Bedeutung bekommen. Und das nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen des ganzen Rechtsrucks und der sich weiter verschärfenden Flüchtlingskrise.
Wenn man es genau nimmt, haben wir nicht erst auf der Oktober-Tour damit angefangen, an unserem neuen Album zu schreiben, sondern bereits auf der Festival-Tour im Sommer. In dieser Zeit waren die Nachrichten voll von Meldungen, wie quasi jeden Tag Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Aus dieser Situation heraus ist der Song „Oioioiropa“ entstanden. Darin beschreiben wir, wie wir in diesem klassenfahrtmäßigen Gefühl, das wir auf Tour generell haben, auch immer wieder Momente erleben, in denen wir darüber sprechen, was gerade in der Welt passiert – sprich außerhalb der Blase, in der wir tagtäglich unterwegs sind. Dadurch wissen wir auf jeden Fall unsere Privilegien nochmal mehr zu schätzen.
»Wir mussten uns kurzerhand überlegen, wie wir aus der Not eine Tugend machen können.«
Jonas:
Ohne den Corona-Lockdown wäre „Tourlife4Life“ wahrscheinlich etwas früher erschienen. Kann so eine Zwangsverzögerung auch Vorteile mit sich bringen, die man vorher nicht vermutet hätte?
Tua:
Ne, bei uns wird’s nur schlechter. (alle lachen) Aber im Ernst: Corona hat vieles erschwert und wir mussten uns kurzerhand überlegen, wie wir aus der Not eine Tugend machen können. Das betrifft in erster Linie Dinge wie Promotion, Videodrehs oder Fotoshootings – das war ja plötzlich alles nicht mehr möglich. Zu der Zeit, als wir all das gebraucht hätten, war absoluter Stillstand. Dabei hatten wir schon diverse Videoideen und entsprechende Drehs geplant. Aber diese Vorhaben sind von heute auf morgen geplatzt. Aus diesem Grund haben wir unter anderem beschlossen, für das Artwork unseres neuen Albums diese Aufblasästhetik, wie wir sie schon bei „Orsons Island“ verwendet hatten, einfach weiterzuführen.
Maeckes (grinst):
Dadurch hatte ich auf jeden Fall viiiel mehr Arbeit…
Tua:
Jaja. Maeckes ist bei uns normalerweise der, der sich federführend um die visuelle Komponente kümmert. Diesmal hat er wegen Corona nichts machen können – und dementsprechend auch nichts machen müssen.
Bartek:
Trotzdem sind wir immer noch sehr schnell mit unserem Release. Ob Corona oder kein Corona, wir haben noch nie in so kurzer Zeit nach einer vorherigen Albumveröffentlichung wieder eine neue Platte an den Start gebracht. Zwischen „Orsons Island“ und „Tourlife4Life“ liegen noch nicht einmal zwölf Monate.
Jonas:
Apropos Artwork: Das Design Eures neuen Albums wirkt mit seinen knalligen Farben wie eine Kaugummiwerbung und erinnert ein wenig an die Fotografie von David LaChapelle. Haben Euch seine Arbeiten in irgendeiner Form inspiriert?
Maekes:
Wir sind jetzt nicht die größten LaChapelle-Fans. Ich glaube, diesen Bezug stellen eher Leute von außen her.
Tua:
An der Stelle übrigens liebe Grüße an unseren Grafiker Daniel Wenhardt von Chimperator, der diese Kampagne für uns realisiert hat.
Bartek:
Ja, liebe Grüße an Dani. Ein schöner Mann, ein schöner Mann!
»Die Zeile solidarisiert sich mit einer Gruppe von Menschen, die ständig unterwegs ist und überall aufs Neue einen Platz findet – und gleichzeitig auch nicht.«
Jonas:
Zu den ersten Singles, die Ihr aus Eurem neuen Album veröffentlicht habt, gehört der Song „Leb schnell“. Darin singt Tua: „Meine Crew ist jenisch / Irgendwann ist jede Stadt ähnlich“. Bezieht Ihr euch damit inhaltlich auf das Nomadentum, das man mit der Volksgruppe der Jenischen verbindet? Oder geht es in der Zeile auch ein wenig um den Umstand, dass es sich bei Jenischen um Menschen handelt, die von der Mehrheitsbevölkerung schon immer mehr oder weniger ausgeschlossen wurden?
Tua:
Ich habe die Sorge, dass ich mich mit dieser Textzeile ein wenig aus dem Fenster gelehnt habe. Dabei fand ich einfach die Idee des Fahrenden Volks gut – und der Begriff jenisch erschien mir da am sympathischsten. Vielleicht hätte Fahrendes Volk doch besser gepasst, weil das Wort jenisch fast schon eine Etno-Komponente besitzt. Auf jeden Fall ist es null despektierlich gemeint, sondern vielmehr bewundernd und solidarisierend mit einer Gruppe von Menschen, die ständig unterwegs ist und überall aufs Neue einen Platz, ihren Platz, findet – und gleichzeitig auch nicht. Also: ein freundliches Rüberwinken an alle Jenischen! Ich fühle Euch!
»Ich habe eine große Faszination für sogenannte Randgruppen.«
Jonas:
Ich wollte Dich auch gar nicht in die Defensive drängen, ganz im Gegenteil: Ich kann mir vorstellen, dass spätestens nach der Veröffentlichung Eures Albums am 17. Juli viele Leute erstmal googeln werden, was es mit dem Begriff auf sich hat. Und vielleicht setzen sie sich dadurch auch etwas ausführlicher mit einer Gruppe von Menschen auseinander, die mehr oder weniger aus dem gesellschaftlichen Blickfeld geraten ist.
Maeckes:
Absolut! Ich muss gestehen, dass ich selbst bis zu diesem Interview nicht wusste, was der Begriff bedeutet. Ich dachte immer, das sei eine Zeiteinheit.
Bartek:
Oder Leute, die aus Jena kommen.
Tua:
Jenische sind eine nationalitätenunabhängige, „fahrende“ Bevölkerungsgruppe, die man hauptsächlich in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz findet. Korrekterweise würde man sie als transnationale europäische Minderheit bezeichnen. Irgendwann bin ich mal über die Geschichte dieser Menschen gestolpert und fand das alles sehr spannend. Ich habe eh eine große Faszination für sogenannte Randgruppen und hatte diese Gedanken lange im Kopf. Der Titel unseres Albums – „Tourlife4Life“ – klingt für mich ein bisschen wie der Slogan für einen solchen Lebenswandel. Deswegen kam ich auf die Zeile.
»Entweder man kommt mit unseren Kindsköpfen klar oder eben nicht. Aber grundsätzlich machen wir an andere erst mal eine Einladung.«
Jonas:
Ihr habt im Laufe der Jahre eine recht spezifische Art und Weise entwickelt, wie Ihr miteinander umgeht. Das merkt man alleine an Eurer Sprache, die für Außenstehende wie ein Code wirkt. Wie schwer ist es, als Neuling in dieser eingeschworenen Gemeinschaft aufgenommen zu werden? Wie offen seid Ihr gegenüber anderen?
Bartek (lacht):
Fast unmöglich! Wir sind erst mal ganz schlimm. Nein, im Ernst: Wir sind eigentlich supernett.
Tua:
Davon abgesehen haben wir in der gesamten Crew die unterschiedlichsten Menschen und Charaktere, da ist von A bis Z alles dabei. Ein wichtiger Punkt ist allerdings immer der Humor – und eine gewisse Offenheit. Ich finde, man merkt als Außenstehender relativ schnell, ob man mit uns auf einer Wellenlänge ist oder nicht. Davon abgesehen gibt es echt schlimmere Gruppen, mit denen man unterwegs sein kann. Und mit Leuten, die nicht gerade Teil des innersten Kreises sind, gehen wir auch nicht so ellenbogig um wie untereinander. Da sind wir eher respektvoll.
Bartek (grinst):
Zu allen anderen sind wir höflich. Nur nicht zu uns.
Maeckes:
Es passiert tatsächlich relativ schnell, dass wir alle Türen aufmachen und sagen: Lasst uns eine gute Zeit zusammen haben – und dabei so normal und unaffektiert sein, wie es nur irgendwie geht.
Tua:
Entweder man vibet mit und kommt mit unseren Kindsköpfen klar oder eben nicht. Aber grundsätzlich machen wir an andere erst mal eine Einladung.
Maeckes (lacht):
Und dann schlagen wir die Tür zu und fahren weiter in die nächste Stadt!
»Wir sehen die Welt als Ganzes und merken, dass außerhalb unserer hedonistischen Bubble die Hölle los ist.«
Jonas:
Ebenfalls im Song „Leb schnell“ singt Kaas folgende Zeilen: „Womit hab‘ ich das verdient? / Leben wie im Paradies“. Ist für Euch das gemeinsame Touren tatsächlich die höchste Form von Glück?
Kaas:
Ja, auch. Es ist ein riesiger Segen, auf diese Art und Weise leben zu dürfen. Und mit Musik so viel Erfolg haben zu dürfen. Das ist alles andere als selbstverständlich. Daher ist der Begriff Paradies in erster Linie als Wertschätzung gemeint.
Tua:
Uns war es auf dem neuen Album wichtig, die Zeilen „Leb schnell, stirb jung / Womit hab‘ ich das verdient / Leben wie im Paradies“ nicht so unreflektiert stehenzulassen. Wir sehen die Welt schon als Ganzes und merken, dass außerhalb unserer hedonistischen Bubble die Hölle los ist. Daher reicht es uns als Band auch nicht mehr, einfach nur abzufeiern, wie gut es uns geht. Wir wissen das alles echt zu schätzen und fragen uns immer wieder, ob wir dieses Leben überhaupt verdient haben. Aus diesem Grund machen wir uns auch so viele Gedanken darum, wie wir etwas zurückgeben können. Oder sehe ich das falsch? (dreht sich zu den anderen)
Maeckes:
Wir tun das seit über zehn Jahren – seit es Die Orsons gibt.
»Schopenhauers Text bricht auf ganz nüchterne Art und Weise herunter, warum Nationalismus Quatsch ist.«
Jonas:
Diese Ambivalenz thematisiert Ihr auch im Song „Oioioiropa“. Dabei ist der Track auch auf eine ganz andere Weise interessant, weil er demonstriert, wie Ihr auf der Platte auf verschiedenen Wegen Position gegen rechts bezieht. Während Ihr beispielsweise im Song „Energie“ allen Nazis wortwörtlich den Mittelfinger entgegenstreckt, bemüht Ihr in „Oioioiropa“ Zitate des Philosophen Arthur Schopenhauer zum Thema Nationalismus – womit Ihr den Mittelfinger intellektuell unterfüttert. Wie seid Ihr auf diese Schopenhauer-Stelle gestoßen?
Tua:
Ich mag Schopenhauer. Und da gibt es im Internet wunderschöne Lesungen. Eines Tages bin ich auf jene Stelle gestoßen, die wir in den Song eingebaut haben. Der Text stammt aus dem Buch „Aphorismen zur Lebensweisheit“ und bricht auf ganz nüchterne Art und Weise herunter, warum Nationalismus Quatsch ist. Ich mochte einfach, wie das sprachlich klingt. Und wir fanden es wesentlich klüger ausgedrückt, als wir selbst das hätten tun können.
»Der Stinkefinger ist zwar wichtig, aber gegen Rechts braucht es eher Argumente – und vor allem die richtigen Taten.«
Jonas:
Ist „Mittelfinger und Schopenhauer“ die einzig wirksame Strategie, um gegen Rechts erfolgreich anzukommen?
Tua:
Was die Kombination aus dem Stinkefinger und den klugen Argumenten angeht, braucht es meines Erachtens eher die Argumente – und vor allem die richtigen Taten. Der Stinkefinger ist zwar ebenfalls wichtig, aber er allein löst das Problem des rechten Gedankenguts nicht. Was dieses Problem letztendlich lösen kann, dafür bin ich selbst nicht weise genug. Aber ich finde es zum Beispiel sehr schön, was Kaas in seinem Part auf simple Art und Weise zur Sprache bringt – im Sinne von: Hey, wir sind auch nicht die, die dieses traurige Phänomen erklären können. Aber zwischenmenschliche Nähe, Empathie, Toleranz und aufeinander zugehen sind für uns auf jeden Fall die richtigen Werkzeuge, auch wenn das jetzt floskelhaft klingt. So leben wir das privat, so leben wir das auf der Bühne, so werden wir das immer von uns geben.
Außerdem wünschen wir uns, dass diese Haltung in Europa wieder mehr zum Standard wird. Zumindest mehr, als es gerade jetzt zu sein scheint. Seit einiger Zeit hat man ja das Gefühl, dass die Angst regiert. Und dass viele Leute lieber die Türe zumachen wollen statt auf. Vielen Menschen erscheint die völlige Abschottung plötzlich wie eine Zuflucht, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass das so nicht funktionieren kann.
»Wir wollten aufzeigen, wie wir uns fühlen: links, tolerant und als Europäer.«
Jonas:
Vielleicht sollten sich diese Menschen mal Euren Song anhören.
Tua:
Wir haben wirklich lange darüber geredet, was man in dem Lied überhaupt sagen kann, sagen soll. Ich meine, wer sind wir, dass wir irgendjemandem sagen können, wie was zu funktionieren hat oder was eventuelle Lösungen sind? Wir selbst können ja auch nicht wirklich etwas erklären. Aus diesem Grund wollten wir lediglich unsere Verwirrung zum Ausdruck bringen und aufzeigen, wie wir uns fühlen: links, tolerant und als Europäer – in der Hoffnung, dass die Geisteshaltung, in der wir Europa als einen offenen Ort verstehen, wieder erstarkt und in die Köpfe zurückkehrt. Momentan gibt es einfach zu viele Stimmen und zu viel Geschrei. Und wenn man nicht aufpasst, droht sich die Geschichte in gewisser Weise zu wiederholen. So etwas wie jetzt gab es in den 1930er Jahren ja schon einmal.
»Am Ende geht es nur darum, die richtige Haltung zu haben.«
Jonas:
Findet Ihr selbst bei anderen Bands und Musikern einen ähnlichen Mehrwert, den Ihr als Die Orsons für Eure Fans schafft?
Tua:
Welchen Mehrwert meinst Du?
Jonas:
Den Mehrwert, dass mir ein Künstler auf der einen Seite mit seiner Musik tatsächlich etwas Sinnhaftes sagt und ich dabei gleichzeitig wahnsinnig viel Spaß und Energie erfahren kann.
Maeckes:
Ich finde, beides kann auch zusammen funktionieren, wenn die Lieder nicht per se politisch sind oder eine klare Agenda haben. In meiner Twitter-Timeline beispielsweise bekomme ich viele kluge Anstöße von Musikerkollegen, die sich öffentlich ganz klar aussprechen und positionieren. Diese Haltung muss jetzt nicht zwanghaft in einem Liedtext stattfinden. Mir reicht es auch schon, wenn jemand etwas Sinnhaftes retweetet, was mich persönlich in irgendeiner Form aufklärt. Am Ende geht es nur darum, die richtige Haltung zu haben. Und die kann man auch auf der Bühne zwischen zwei Tracks kundtun – und danach zehn Lieder lang tanzen.
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Interview & Text: Jonas Meyer
Fotos: Steven Luedtke