Interview — Cornelia Gröschel

Neues Nest

Mit dem Dresdener Tatort »Das Nest« feiert Cornelia Gröschel in der Rolle der Kriminaloberkommissarin Leonie Winkler einen fulminanten Einstand. Ihr erster Fall entpuppt sich als packender Thriller, der tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt.

28. April 2019 — MYP N° 25 »Zwielicht« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Maximilian König

Als die ARD am 29. November 1970 mit „Taxi nach Leipzig“ die allererste Tatort-Folge ausstrahlte, ahnte noch niemand, dass damit der Grundstein für eines der beliebtesten Fernsehformate im deutschen Fernsehen gelegt wurde. Seit fast 50 Jahren nun versammeln sich jeden Sonntagabend Millionen Menschen auf den Sofas der Republik, um sich zum Abschluss des Wochenendes noch mit einer kleinen Dosis Mord zu versorgen.

Doch es sind nicht nur die treuen Fans, die den Tatort schon so lange am Leben halten. Das Format hat es über fünf Jahrzehnte immer wieder geschafft, sich zu erneuern und mit der Zeit zu gehen. Etwa 1981, als Götz George in der Rolle des Kriminalhauptkommissars Horst Schimanski den Dienst antrat und sich zehn Jahre lang rotzig-frech durch Duisburg und seine sterbende Steinkohleindustrie bulldozerte. Oder 1989, als Ulrike Folkerts im Tatort Ludwigshafen das Ruder übernahm. Als Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal eckte sie anfangs bei den Zuschauern nicht nur wegen ihrer Kurzhaarfrisur und schroffen Art an, sondern sorgte generell für Irritationen – weil sie eine Frau war. Westdeutschland vor 30 Jahren eben.

Die Tatort-Landschaft, wie wir sie heute kennen, ist zum einen geprägt von Ermittlerteams wie Ballauf und Schenk in Köln oder Thiel und Boerne in Münster, die bereits um die Jahrtausendwende ihren Dienst antraten und sich seitdem in die Herzen der Zuschauer gespielt haben. Zum anderen sind gerade in den letzten Jahren diverse neue Tatorte und Ermittlerteams aus dem Boden geschossen, die nicht nur mit ihren jungen Gesichtern die Tatort-Welt bereichern. Auch die filmische Umsetzung hat sich mit diesen neuen Playern stark verändert, es wird viel mehr experimentiert und interpretiert. So variiert der Charakter der einzelnen Tatorte mittlerweile von Komödie bis Psychothriller.

Mit Kriminaloberkommissarin Leonie Winkler wird der illustre Kreis der Tatort-Ermittlerinnen und -Ermittler nun um ein weiteres Gesicht ergänzt. Im noch jungen Tatort Dresden tritt sie die Nachfolge von Kriminaloberkommissarin Henni Sieland an. Gespielt wird Leonie Winkler von der 31-jährigen Cornelia Gröschel. Die erfahrene Film- und Theaterschauspielerin kennt sich in Dresden bestens aus, denn sie ist dort geboren und aufgewachsen. Mit ihrem ersten Fall „Das Nest“ feiert sie nun unter der Regie von Alex Eslam einen fulminanten Einstand in einem packenden Thriller, der so auch im Kino laufen könnte.

»Mir persönlich erscheint der klassische Tatort optisch manchmal etwas grau und Autofahrten-lastig.«

Jonas:
In den letzten Jahren ist eine ganze Reihe neuer Tatort-Ermittlerinnen und -Ermittler auf die Bildfläche getreten. Eine so starke Verjüngungskur hat der Tatort zuletzt Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre erlebt. Was bedeutet so ein deutlicher Generationenwechsel für ein knapp 50 Jahre altes, etabliertes Format wie den Tatort?

Cornelia:
Mir persönlich erscheint der klassische Tatort optisch manchmal etwas grau und Autofahrten-lastig, daher glaube ich, dass in diesem Generationenwechsel vor allem eine große Chance liegt – im Sinne von: neue Leute, frische Ideen! Ich habe das Gefühl, dass manche der jungen Regisseure für dieses Format einfach mehr Lust und mehr Mut entwickeln, etwas Neues auszuprobieren. Für unseren Fall „Das Nest“ beispielsweise hatte Alex Eslam ein glasklares Konzept und wusste genau, was er dramaturgisch wollte. Das, was am Ende dabei herausgekommen ist, finde ich sehr ansprechend und modern. Und dieses Moderne im Tatort mag ich sehr – allerdings ohne dabei irgendwelche alten Werte über Bord zu werfen. Ich bin keine, die sagt, dass die Jungen per se alles besser machen.

Jonas:
Was sind denn deiner Meinung nach die „alten Werte“ des Tatort?

Cornelia:
Zum einen ist es natürlich die Gewohnheit des Tatort-Schauens an sich: Jeder weiß, dass am Sonntagabend Millionen von Zuschauern gleichzeitig vor dem Fernseher sitzen und am Montag bei der Arbeit darüber sprechen, auswerten und fachsimpeln. Viele haben vielleicht sogar eine Lieblingskommissarin oder einen -kommissar, kennen die Vorgeschichte oder mögen die Stadt. Zum anderen kann man sich darauf verlassen, dass der Mörder – in den meisten Fällen – gefasst wird. Die Geschichte geht also vermeintlich gut aus, das Böse wird besiegt und alle können beruhigt ins Bett gehen. Wie das Medium Film dabei in seinen Möglichkeiten ausgereizt wird, ist meiner Meinung nach persönliche Geschmacksache.

»Bei einer anderen Stadt wäre ich bei weitem nicht so bereit gewesen, den Tatort zu übernehmen.«

Jonas:
Du bist in Dresden geboren und aufgewachsen. Welche Bedeutung hat es für dich, dass du gerade im Dresdener Tatort die Rolle der Ermittlerin übernimmst? Hat es überhaupt eine Bedeutung?

Cornelia:
Ja, natürlich hat es eine Bedeutung! Ich glaube, bei einer anderen Stadt wäre ich bei weitem nicht so bereit gewesen, den Tatort zu übernehmen.

Jonas:
Aus welchem Grund?

Cornelia:
Weil ich räumlich ein sehr aufgeteiltes Leben habe. Ich wohne in Karlsruhe, ich habe viele meiner Freunde und die meisten beruflichen Termine wie etwa Castings in Berlin, eine meiner Schwestern lebt mittlerweile in Rosenheim, der Rest meiner Familie immer noch in Dresden. Wenn mir jetzt der Tatort oder eine andere Serie irgendwo anders angeboten worden wäre, gäbe es für mich noch einen weiteren Standort, an dem ich mich regelmäßig zweimal im Jahr für vier bis fünf Wochen aufhalten würde. Und das wäre mir wahrscheinlich am Ende zu viel geworden. Ich habe mal für einen Film drei Monate lang in Ungarn gedreht und das war ok – weil das Projekt danach abgeschlossen war. Für ein dauerhaftes Projekt in noch einer weiteren Stadt hätte ich mich fünfteilen müssen. So aber habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich habe eine Rolle im Tatort übernommen und kann öfter meine Familie sehen. Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr so lange Zeit am Stück in Dresden, wie ich es jetzt durch die Tatort-Drehs sein kann. Aber wer weiß, was noch kommt – es kann sich ja alles wieder ändern (lacht).

»Viele von uns wollen letztendlich die oder der Eine sein, warum die Leute einschalten.«

Jonas:
Als du vor kurzem bei der MDR-Talkshow Riverboat zu Gast warst, hast du über deinen Tatort-Einstand gesagt: „Das muss gut werden!“ Warum verspürst du diesen Druck? Zweifelst du trotz deiner immensen TV-Erfahrung an deinen eigenen Fähigkeiten?

Cornelia:
Ich war mir von Anfang an ziemlich sicher, dass „Das Nest“ etwas Gutes wird – und am Ende hat der Film meine Erwartungen sogar bei weitem übertroffen. Allerdings muss man ganz ehrlich sagen, dass es gar nicht so sehr in meiner Hand liegt, ob das Gesamtergebnis gut wird oder nicht. In erster Linie ist so ein Film das Werk des jeweiligen Regisseurs und Autors.
Meine Bemerkung bei Riverboat hatte mehr damit zu tun, dass beim Tatort gerade der bereits erwähnte Generationenwechsel stattfindet, was bedeutet, dass überall neue, junge Ermittlerinnen und Ermittler aus dem Boden schießen. Für mich persönlich stellt sich dabei die Frage, ob ich in diesem Umfeld einfach nur die nächste neue Tatort-Kommissarin sein will oder die Leute sagen: „Ah ja, die Gröschel, die schau‘ ich mir gerne an!“ Und diesen Wunsch haben die anderen natürlich auch: Viele von uns Schauspielerinnen und Schauspielern wollen letztendlich die oder der Eine sein, warum die Leute einschalten. Deshalb verspüre ich einen gewissen Druck – weil ich mir einfach wünsche, dass unser Projekt nicht irgendein neuer, beliebiger Tatort wird. Davon abgesehen bedeutet so ein Tatort aus Karrieresicht auch eine Stufe nach oben, alleine was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht. Auch deshalb möchte ich, dass dabei was Gutes herauskommt.

»Das alte Serienschiff Tatort weiß, dass man nicht jedem Hype hinterherrennen muss, um erfolgreich zu sein.«

Jonas:
„Das Nest“ wirkt sehr cineastisch. Durch den Look des Films, die Dramaturgie oder das Screenplay fühlt man sich spontan an Netflix-Serien wie Fargo, Dark oder House of Cards erinnert. Ist es nicht interessant, dass unsere Sehgewohnheiten innerhalb nur weniger Jahre so konditioniert wurden, dass Streamingdienste heute die Benchmarks bei Serien setzen und wir TV-Formate daran messen? In welchem Verhältnis steht deiner Meinung nach eine 50-jährige Marke wie der Tatort zu Netflix, Amazon & Co.? Was kann sich der Tatort bei diesen noch jungen Plattformen abschauen – und was können umgekehrt die Streamingdienste von so einem alten Serienschiff lernen?

Cornelia:
Dieses alte Serienschiff weiß auf jeden Fall, dass man nicht jedem Hype hinterherrennen muss, um erfolgreich zu sein. Auch wenn die TV-Quoten über die Jahre vielleicht etwas abnehmen: Noch immer sitzen ja jeden Sonntagabend zig Millionen Menschen vor dem Fernseher und schauen Tatort, obwohl – oder gerade weil – er so ist, wie er ist. Und obwohl wie bei der Bundesliga wir Zuschauerinnen und Zuschauer immer wissen, wie man es hätte besser machen können, läuft die Sendung seit knapp 50 Jahren, ist anhaltend erfolgreich und es werden immer wieder neue Folgen in Auftrag gegeben.
Auf der anderen Seite beweist natürlich ein Film wie „Das Nest“, dass es durchaus in Ordnung ist, wenn man sich an manchen Stellen mal öffnet. Der Regisseur Dietrich Brüggemann zum Beispiel hat mit „Murot und das Murmeltier“ vor kurzem einen Tatort gemacht, in dem Kommissar Felix Murot jeden Tag denselben Fall wieder aufs Neue durchlebt und erlebt – auch eine gute Idee! So etwas kann der Tatort gerne mit aufnehmen: zu lernen, dass es ihm nicht schadet, wenn er neue Einflüsse zulässt und trotzdem seiner Linie treu bleibt.

»Unsere Fälle werden inhaltlich so spannend und hart sein, dass sie vielleicht fast ein wenig realitätsfern wirken.«

Jonas:
Der Charakter der einzelnen ARD-Tatorte kann sehr stark variieren: Der Münsteraner Tatort beispielsweise ist bekannt für seinen albernen Humor, Weimar steht für Ironie und das Ermittler-Duo aus Köln hat in den letzten 22 Jahren immer wieder soziale und gesellschaftspolitische Themen aufgegriffen. Gibt es eine Idee, wie sich euer Dresdener Tatort mittelfristig positionieren soll? Vielleicht als der cineastischste unter den Tatorten?

Cornelia:
Der „Cineastische“ wird er wohl nicht werden, denn das ist in erster Linie vom jeweiligen Regisseur einer Episode abhängig, der eine bestimmte Vision seines Films hat und umsetzen will. Soll heißen: Unser zweiter Fall wird bestimmt ganz anders. Dennoch ist die Frage absolut berechtigt, wofür Dresden letztendlich steht und wie man sich positionieren soll – und diese Frage wird auch immer wieder gestellt.
Wenn man allerdings darüber nachdenkt, welcher der vielen Tatorte tatsächlich ein differenzierendes Profil hat, sind’s am Ende auch nicht viel mehr als die drei bereits genannten: Münster, Weimar und Köln. Ich würde mir wünschen, dass auch Dresden ein so starkes Profil bekommt, glaube aber, dass wir da noch in der Entwicklung sind. Der erste Versuch, das Ganze etwas komödiantisch anzulegen, wurde nach kurzer Zeit wieder verworfen – was ich auch in Ordnung finde. Man kann ja einfach mal was ausprobieren.
So, wie ich das gerade sehe, wird sich der Tatort Dresden aber in eine ganz andere Richtung entwickeln, das zeichnet sich zumindest ab. Die kommenden Episoden werden wahrscheinlich als sehr spannende, extreme Filme angelegt sein, die eher in die Thriller-Richtung gehen. Unsere Fälle werden inhaltlich so spannend und hart sein, dass sie vielleicht fast ein wenig realitätsfern wirken – dazu gehört auch „Das Nest“. Aber das macht nichts, weil uns, wie ich finde, damit trotzdem ein superguter Krimi gelungen ist.

»Ich nehme an, dass es solche Männer wie unseren Mörder in der Realität tatsächlich gibt. Aber nicht tagtäglich.«

Jonas:
Ist dieser Fall wirklich so realitätsfern? Es geht um einen braven und unscheinbaren Familienvater, der als Arzt in einem Krankenhaus arbeitet und in dem eine verborgene, monströse Seite steckt. Wenn man die Nachrichten der letzten Monate betrachtet, werden auch in der Realität immer wieder grausame Verbrechen aufgedeckt, bei denen die Täter eher unscheinbar und unauffällig wirkten.

Cornelia:
Ich glaube, diese Einschätzung ist abhängig von der eigenen selektiven Wahrnehmung, also davon, wie viele dieser dunklen Stories man sich selbst medial zuführt. Ich nehme an, dass es solche Männer wie unseren Mörder in der Realität tatsächlich gibt. Aber nicht tagtäglich – und auch nicht in der Masse, wie wir sie in unseren Tatorten produzieren.

»Es ist mein Anliegen, mit unserem Tatort grundlegend mehr von Dresden zu zeigen. Damit meine ich nicht unbedingt die Innenstadt oder Pegida.«

Jonas:
Wenn du als Oberkommissarin Leonie Winkler die Möglichkeit hättest, in den nächsten Jahren mehr Facetten von Dresden zu zeigen, welche würdest du gerne erzählen? Welche Seiten Dresdens würdest du beleuchten wollen, die vielleicht bisher im TV oder in der Öffentlichkeit zu kurz gekommen sind?

Cornelia:
Das ist eine Frage, über die ich noch nachdenken muss und auf die ich noch keine Antwort habe. Tatsächlich ist es mein Anliegen, mit unserem Tatort grundlegend mehr von Dresden zu zeigen. Damit meine ich nicht unbedingt die Innenstadt oder Pegida – denn der MDR möchte nicht politisch produzieren, was ich auch in Ordnung finde. Dennoch, die Frage bleibt: Was genau will man darstellen? In Bezug auf Köln könnte man beispielsweise antworten: die rheinische Frohnatur. Bei Berlin könnte man sagen: die Berliner Schnauze. Bei München würde einem einfallen: die bayerische Gemütlichkeit. Es gibt viele Beispiele. Aber wofür stehen die Dresdener? Ich versuche, das noch herauszufinden, und bespreche dieses Thema auch immer wieder mit meiner Familie, insbesondere mit dem Teil, der noch in Dresden lebt. Ich frage sie: Wie nehmt ihr die Stadt wahr? Wie könnte man Dresden erzählen?
Ich selbst erlebe die Dresdener oft als Menschen, die sehr stolz auf ihre Stadt sind – einfach, weil sie so schön ist. Außerdem glaube ich, dass das Bild der Dresdener nach außen eher ein etwas konservatives und manchmal sogar hinterwäldlerisches ist. Das gibt es zwar an der einen oder anderen Stelle auch, aber eben nicht ausschließlich. In meinen Augen sind die Dresdener sehr partylustig, alternativ und weltoffen.

Jonas:
Zu den eher konservativen Dresdenern gehört in eurem Tatort sicher Otto Winkler, ein pensionierter Kriminalbeamter, der von Uwe Preuss gespielt wird. Otto ist Leonie Winklers Vater und erachtet seine Tochter für die Arbeit bei der Polizei als zu weich und dementsprechend ungeeignet. In „Das Nest“ gibt es eine Szene, in der Leonie zusammen ihrem Vater und ihrem Vorgesetzten Peter Schnabel – ein Freund der Familie – zuhause am Esstisch sitzt. Als sich abzeichnet, dass sich die beiden Männer über die Arbeit unterhalten wollen, schickt Otto seine Tochter in die Küche – mit dem Hinweis, sie solle doch der Mutter beim Abwasch helfen. Was ist das für ein Konflikt, den Leonie Winkler mit ihrem Vater austrägt?

Cornelia:
Leonie versucht permanent, es ihrem Vater recht zu machen und seine Anerkennung zu erhalten. Sie liebt ihn sehr und wünscht sich, dass er sie so annehmen kann, wie sie ist. Vor allem wünscht sie sich aber, dass sie es schafft, den noch ungeklärten und unbesprochenen Tod des Bruders zu kompensieren.
Ihrem Vater Otto geht es dabei wahrscheinlich ähnlich: Er liebt seine Tochter zwar auch sehr, aber sie ist eben nicht der Sohn. Vielleicht spricht aus seiner Überzeugung, dass Leonie nicht stark genug für den Polizeidienst sei, auch eine gewisse Angst: weil er nicht möchte, dass sie sich in Gefahr begibt und er sie am Ende auch noch verliert.

»Ich verstehe nicht, was ein Mann in unserem Beruf Besseres und Erfolgreicheres leisten sollte als eine Frau.«

Jonas:
Auf der einen Seite wirkt diese Szene für das Jahr 2019 fast grotesk, weil sie mit scheinbar überholten Rollenbildern spielt: Frauen in die Küche, die Männer unterhalten sich! Auf der anderen Seite gibt es in unserer Gesellschaft nach wie vor Situationen, in denen Frauen immer noch in bestimmte Rollenbilder gedrängt, unterdrückt oder benachteiligt werden, etwa bei der Entlohnung für gleiche Arbeit.

Cornelia:
Alex Eslam hat diese Szene bewusst so gestaltet, um dieses Ungleichgewicht auf zwei Ebenen zu erzählen – auf der persönlichen wie auf der gesellschaftlichen. Ich selbst bin niemand, der unbedingt in jeder Position eine Frau sehen muss, aber wenn es zum Beispiel ums Geld geht, dann ist mir eine ungleiche Bezahlung wirklich rätselhaft. Ich habe schon erlebt, dass Kollegen, die deutlich weniger Dreherfahrung hatten als ich, dennoch mehr verdienten – weil sie männlich sind. Ich verstehe nicht, was ein Mann in unserem Beruf Besseres und Erfolgreicheres leisten sollte als eine Frau.

»Es immer noch so, dass man in einem Kriminalfall, in dem es um Waffen und Schlägereien geht, eher einen Mann vermuten würde als eine Frau.«

Jonas:
Als wir vor einigen Jahren Ulrike Folkerts zum Interview getroffen haben, hat sie uns von den Anfängen weiblicher Tatort-Ermittler Ende der 70er, Anfang der 80er im deutschen Fernsehen erzählt. Sie sagte, dass es diese Schauspielerinnen damals richtig schwer gehabt hätten, weil die Zuschauer einfach keine Kommissarin in einem vermeintlichen Männerberuf akzeptieren wollten. Die Besetzung von Ulrike Folkerts als Lena Odenthal im Tatort Ludwigshafen war 1989 der dritte Versuch des SWR, die Ermittlerrolle von einer Frau spielen zu lassen – diesmal allerdings erfolgreich: Kriminalhauptkommissarin Odenthal ermittelt bis heute. Welche Bedeutung haben Frauen wie Ulrike Folkerts, aber auch Sabine Postel, Maria Furtwängler, Meret Becker oder Adele Neuhauser für den Tatort in seiner Entwicklung? Wie blickst du selbst auf diese Kolleginnen?

Cornelia:
Auf jeden Fall sehr interessiert! Ich schaue mir deren Episoden sehr gerne an, gerade weil es mich ja mittlerweile selbst betrifft. Ich mag vor allem die Gegensätze, für die diese Schauspielerinnen in den verschiedenen Tatorten stehen. Ulrike Folkerts und Meret Becker beispielsweise spielen die etwas tafferen Charaktere, wogegen Maria Furtwängler etwa in ihrer Rolle sehr weiblich bleibt.
Natürlich ist es immer noch so, dass man in einem Kriminalfall, in dem es um Waffen und Schlägereien geht, aufgrund der eigenen Sehgewohnheiten eher einen Mann vermuten würde als eine Frau – da schließe ich mich persönlich gar nicht aus. Manchmal ertappe ich mich selbst immer noch dabei, dass ich mich frage, wie diese zierliche Frau jetzt so einen großen Mörder fassen konnte – kann doch gar nicht sein! Bei Alwara Höfels, meiner Vorgängerin im Tatort Dresden, hätte ich allerdings aufgrund ihrer selbstbewussten Ausstrahlung nie in Frage gestellt, dass die irgendwen schnappen kann. So wie Alwara ihre Rolle angepackt hat, hatte ich immer das Gefühl, dass sie sich überall durchsetzen kann.

»Für mich bestehen mein Beruf und meine Stärke mehr darin, die Rolle glaubhaft auszufüllen, und nicht vorrangig, sie mir selbst auszudenken.«

Jonas:
Die Figur der Oberkommissarin Leonie Winkler ist ganz neu im Tatort Dresden. Hast du einen Wunsch, wie sich diese Figur im Laufe der Zeit entwickeln soll?

Cornelia:
Noch nicht konkret, denn ich lerne Leonie ja auch erst kennen. Daher geht es für mich gerade noch um eher allgemeine Fragen, beispielweise was sie nach Feierabend macht, wo sie gerne hingeht oder welche Hobbys sie hat. Diese Fragen spielen natürlich keine vorrangige Rolle für den Plot, aber sie geben mir ein besseres Gefühl für den Charakter, den ich spiele. Für mich bestehen mein Beruf und meine Stärke mehr darin, die Rolle glaubhaft auszufüllen, und nicht vorrangig, sie mir selbst auszudenken. Daher nehme ich sehr gerne die Impulse auf, die die Drehbuchautoren setzen, sie sind ohnehin deutlich kreativer als ich. Und auf diese Ideen, die jetzt nach und nach kommen werden, freue ich mich sehr.

»Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich von der Bühne komme und darüber staune, dass ich ganz groß, laut und extrovertiert sein kann.«

Jonas:
Es gibt in deiner ersten Tatort-Episode eine Situation, in der Leonie Winkler ihre Ermittlerkollegin Karin Gorniak fragt, ob sie Polizistin aus Leidenschaft geworden sei. Gorniak antwortet: „Manche Dinge sucht man sich nicht aus, das wird man einfach.“ War das bei dir mit der Schauspielerei ähnlich? Bist du das einfach geworden?

Cornelia:
Ja, das ist einfach so gekommen. Ich hatte nie vor, das beruflich zu machen, ganz im Gegenteil: Ich habe über viele Jahre immer wieder gesagt, dass ich die Schauspielerei eher als Hobby sehe und irgendwann bestimmt mal was anderes machen werde. Aber dann bin ich mehr und mehr reingerutscht.

Jonas:
Wie denn?

Cornelia:
Als ich 17 war – da hatte ich bereits einige Jahre gedreht –, fing ich an, privaten Sprechunterricht zu nehmen, da ich mir immer schon vorstellen konnte, einen Beruf auszuüben, bei dem ich irgendwo in der Öffentlichkeit sprechen muss. In diesem Sprechunterricht hat meine damalige Lehrerin mit mir unter anderem auch bestimmte Rollen erarbeitet, was eigentlich eher eine Technik ist, mit der man Schauspieler aufs Vorsprechen vorbereitet. Irgendwann dachte ich mir: Hmm, jetzt bin ich schon soweit vorbereitet, dann sollte ich das mit dem Vorsprechen auch wenigstens mal probieren. Also habe ich in Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ vorgesprochen – und wurde direkt angenommen. Im Anschluss hatte ich einen ähnlichen Gedankengang. Ich dachte mir: Wenn ich jetzt angenommen wurde, sollte ich das auch studieren. Und wenn ich fertig bin, dann bin ich erst 23, also kann ich dann immer noch was anderes machen.
Die Zeit an der Hochschule war für mich allerdings eher schwierig, weil ich das feine, introvertierte Schauspiel des Films gewohnt war und nicht das große, laute und extrovertierte auf der Bühne. Das musste ich wirklich erst lernen. Als ich in meinem dritten Studienjahr war – da hatte ich meinen Beruf immerhin schon elf Jahre lang gemacht –, hat es dann endlich klick gemacht. Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich von der Bühne komme und darüber staune, dass ich ganz groß, laut und extrovertiert sein kann und es mir genauso viel Spaß macht wie das Drehen. In dem Moment habe ich beschlossen, Schauspielerin zu werden – und zwar hauptberuflich.

»Beim Film hat man – anders als beim Theater – kaum die Möglichkeit, die Figuren wirklich von Anfang bis Ende zu erzählen.«

Jonas:
Ist eine dieser beiden Säulen – Film und Theater – aus deinem Leben überhaupt wegzudenken?

Cornelia:
Ich glaube, ich brauche die Bühne genauso wie das Drehen. Ich habe letztes Jahr fast gar kein Theater gespielt – und das hat mich wirklich frustriert. Auf der anderen Seite möchte ich aber auf gar keinen Fall ausschließlich Theater spielen. In der Riverboat-Sendung, über die wir eben gesprochen haben, saß auch Margarita Broich, die seit 2015 im Tatort des Hessischen Rundfunks ermittelt und gleichzeitig Theaterschauspielerin ist. Ihrer Meinung nach ist Theater spielen so, wie den ganzen Tag im Bergwerk zu arbeiten. Dieser Vergleich trifft es ziemlich gut, denn der Job ist körperlich und psychisch so anstrengend, dass ich ihn dauerhaft nicht aushalten könnte. Daher mag ich den Ausgleich sehr, den mir das Drehen ermöglicht. Davon abgesehen liebe ich einfach dieses kleine, feine Spiel, das man im Fernsehen darstellen kann, weil die Kamera alles sieht.
Auf der anderen Seite hat man beim Film – anders als beim Theater – kaum die Möglichkeit, die Figuren wirklich von Anfang bis Ende zu erzählen. Man kann nur schwer einen Bogen spannen, man kann selten wirklich seine ganze Energie in eine Figur hineinwerfen, weil es letztendlich immer nur Bruchstücke sind, die man an einem Tag spielen und produzieren kann. Das hinterlässt in mir manchmal eine gewisse Unzufriedenheit. Und dagegen hilft dann wieder wunderbar das Theater.