Interview — Alex.Do

Monumentum

Würde er in festen musikalischen Sparten denken, würde er sich selbst limitieren – bei einem Spaziergang auf einem alten Berliner Bunker erzählt uns der junge DJ Alex.Do, was ihn inspiriert und warum er glaubt, dass Techno heute einen festen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat.

31. August 2014 — MYP N° 15 »Meine Heimat« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Franz Grünewald

Wer den Humboldthain im Berliner Wedding nur vom Vorbeifahren kennt, der wird es kaum glauben: Inmitten dieser friedvollen Parkidylle verbirgt sich ein mittelgroßes Ungetüm. Zwischen Bäumen, Büschen und Sträuchern stemmt es von einem kleinen Hügel aus trotzig seine breiten Schultern in den Himmel. Die gewaltigen Arme aus Stahlbeton hat es dabei fest vor seiner Brust verschränkt – und schweigt. Seit fast 70 Jahren.

Doch so schweigsam wie es heute ist, so wütend war es damals: Im Zweiten Weltkrieg feuerte es als Flakbunker so wild umher, als gäbe es kein Morgen. Tagein und tagaus peitschte das ohrenbetäubende Stakkato seiner Geschütze durch die Luft. Gnadenlos. Und unerbittlich.

Als der Krieg vorbei war, schläferte man es ein. Und so wurde aus jener Trutzburg der Gewalt eine Oase der Ruhe und des Friedens, die jeden Besucher mit einem atemberaubenden Blick über die Stadt willkommen heißt. Um genau diese Aussicht zu begutachten, haben wir uns heute mit dem jungen Berliner DJ Alex.Do verabredet. Am südlichen Eingang des Humboldthains parken wir das Auto und spazieren zu der kleinen Anhöhe in der Mitte des Parks. Zugegeben, ein wenig skurril und überraschend wirkt es schon, als wir plötzlich vor einem Rosengarten stehen.

Wir durchqueren die verwunschen wirkende Anlage und steigen langsam zu dem ehemaligen Flakbunker hinauf. Am Fuße des Gebäudes haben sich einige Kletterer versammelt. Einer nach dem anderen versuchen sie, die steilen Wände zu erklimmen, und schlagen ihre Sicherungsringe in den Beton.

Nach einigen Minuten sind wir oben angekommen. Die Aussicht ist in der Tat beeindruckend, auch wenn sich die Schutzgitter der ehemaligen Geschützstände wie Lanzen in unsere Blickachse bohren. Alex lehnt sich an einen der Gitterstäbe und lässt seinen Blick über die Dächer Berlins wandern.

Fast andächtig still ist es hier oben, nur der aufkommende Wind raschelt etwas in den Blättern der Bäume.

Jonas:
In welcher Ecke Berlins bist du groß geworden?

Alex:
Die ersten sechs Jahre meines Lebens habe ich in Hellersdorf verbracht, aber kurz vor meiner Einschulung ist meine Familie nach Pankow gezogen, wo wir insgesamt sechs weitere Jahre gewohnt haben.
Unsere nächste Station war Neuenhagen, ein kleiner Ort etwas weiter außerhalb von Berlin. Dort bin ich bis zu meinem 21. Lebensjahr geblieben, aber dann ging’s nach Friedrichshain – in die WG meines Kumpels Lorenz.

Ist es nicht lustig, dass man heute genau das schätzt, was man als Kind eher langweilig fand?

Jonas:
Du bist also sowohl ein Stadt- als auch ein Landkind. In welcher der beiden Welten fühlst Du dich eher zuhause?

Alex:
Auf jeden Fall hier, im Zentrum Berlins – obwohl es mir extrem wichtig ist, auch mal raus zu kommen und in der Natur den ganzen Trubel und die Hektik der Stadt hinter mir zu lassen. Ist es nicht lustig, dass man heute genau das schätzt, was man als Kind eher langweilig fand?

Jonas:
Dabei sind es nur wenige Kilometer, die diese ländliche Idylle vom schnellen Puls der Hauptstadt trennen. Und genau dieser Puls ist es auch, der auf unzählige Menschen auf der ganzen Welt wie ein Magnet wirkt.

Alex:
Dass Berlin tatsächlich eine so starke Anziehungskraft hat, wurde mir erst vor etwa vier, fünf Jahren richtig bewusst, als ich hier das Nachtleben kennengelernt habe.

Jonas:
Viele, die zum ersten Mal nach Berlin kommen, sprechen von einem ganz bestimmten „Berlin-Sound“, den sie vor allem in den Sommermonaten zu hören glauben. Würdest Du auch sagen, dass die Stadt einen besonderen Klang hat?

Alex:
Ich nehme schon wahr, dass im Sommer an jeder Ecke und aus sämtlichen Spätis irgendwelche elektronischen Beats hämmern. Das würde ich aber nicht wirklich als „Berlin-Sound“ bezeichnen.
Gerade bei Berlin ist es äußerst schwer, die Stadt mit einem bestimmten Musikstil zu verbinden, dafür ist das musikalische Angebot hier einfach zu riesig und vielschichtig – auch innerhalb der elektronischen Musik. Alleine was den Techno angeht, ist die Musiklandschaft hier so groß, dass es mir schwer fällt, einen spezifischen „Berlin-Sound“ zu definieren.

Jonas:
War die elektronische Musik das erste Genre, mit dem du im Laufe deines Lebens in Berührung gekommen bist? Immerhin bist du so jung, dass dies theoretisch möglich wäre.

Alex:
Nein, ganz und gar nicht. Das Erste, was ich so bewusst gehört habe, kam eher aus der Rockecke. Daran waren wahrscheinlich meine Eltern nicht ganz unbeteiligt: Beide sind sehr musikaffin, zuhause war ich immer von viel Musik umgeben. Da war alles dabei – aber kein Techno. Damit bin ich erst sehr viel später in Kontakt gekommen.

Jonas:
Gab es ganz allgemein einen Zeitpunkt, an dem du begonnen hast, dich aktiv mit Musik auseinanderzusetzen, statt sie nur passiv zu konsumieren?

Alex (lacht):
Ja, den gab es, und zwar im Alter von etwa 14 Jahren, als ich auf einmal zu einem leidenschaftlichen „Die Ärzte“-Fan wurde. Mich hat diese Musik total fasziniert, ich habe sie geradezu aufgesogen. Damals habe ich mir sehr viel über die Band angelesen, alle Alben gesammelt und versucht herauszufinden, welche Persönlichkeiten und Charaktere hinter den einzelnen Bandmitgliedern standen.

Jonas:
Das heißt, dein großes Interesse für elektronische Musik wurde erst durch den Umzug nach Friedrichshain geweckt?

Alex:
Nein, auf den Geschmack gekommen bin ich schon wesentlich früher. Das muss so mit 16 Jahren gewesen sein, als ich angefangen habe, das Berliner Nachtleben zu erkunden. Ich fand das alles total aufregend und interessant: Relativ bald wollte ich auch hier genau verstehen, was da musikalisch eigentlich passiert und was dafür verantwortlich ist, dass ich von diesem Sound so geflasht bin. Mit dem Musikmachen war das insgesamt aber eher ein schleichender Prozess: Ich habe mir damals immer mehr Platten gekauft, obwohl ich noch gar keinen Plattenspieler hatte – den gab es inklusive Mischpult erst zu meinem 18. Geburtstag. Ab diesem Zeitpunkt habe ich zuhause einfach sehr viel geübt und versucht, die Platten synchron zu bekommen. Mein Umzug nach Friedrichshain hat diesen Prozess aber natürlich auch in gewisser Weise begünstigt. Ich wollte damals endlich zuhause ausziehen und hatte das Glück, dass in der WG meines Kumpels Lorenz, der unter dem Künstlernamen „Recondite“ auftritt, ein Zimmer frei wurde. Ich fand Friedrichshain total attraktiv, weil hier alles so nah dran ist: Viele meiner Freunde wohnten quasi um die Ecke und die Wege zu den Clubs und Plattenläden waren relativ kurz. Daher war dieser Umzug für meine Entwicklung ein wichtiger Schritt.

Jonas:
Für die meisten Leute, die zum ersten Mal in das Berliner Nachtleben eintauchen, sind eher andere Dinge wichtig. Da geht es weniger um die Mechanismen, die hinter der Musik stehen, sondern vielmehr um’s Feiern, Trinken, Tanzen. Hattest du das Gefühl, dass du da irgendwie anders tickst?

Alex:
Kann sein. Aber dieses Bedürfnis, einen Blick hinter die Dinge zu werfen, hatte ich schon immer. Es gab beispielsweise eine Zeit, in der ich sehr viel HipHop gehört habe. Ich wollte auch hier genau herausfinden, wo die Ursprünge dieser Musikrichtung liegen und warum das Ganze heute so klingt, wie es klingt. Bei der elektronischen Musik und besonders beim Techno war es absolut dasselbe: Ich wollte erfahren, was die DJs hinter den Plattentellern so tun. Und ich wollte wissen, woher diese Musik kommt und wie sie sich zu dem entwickelt hat, was sie heute ist.

Jonas:
Gab es zu dieser Zeit bei dir schon erste Überlegungen, ebenfalls mit der Musik deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Alex (lacht):
Ich habe mir zu der Zeit noch überhaupt keine Gedanken gemacht – vor allem nicht darüber, was ich mal beruflich machen will. Damals habe ich noch recht viel gesprüht und fand das ziemlich geil. Daher habe ich nach meinem Realschulabschluss auch eine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer angefangen. Ich dachte einfach, mit dieser Tätigkeit könnte ich am besten meine Dosen finanzieren – das fand ich damals super.
Aber nach und nach wurde meine Einstellung von diesem Techno-Ding überlagert: Irgendwann wurde mir bewusst, dass Fahrzeuglackierer vielleicht doch kein so idealer Berufsweg für mich ist. Also habe ich mich nach meiner Ausbildung auf die Suche nach Alternativen begeben und über den Zweiten Bildungsweg mein Abi nachgemacht.

Jonas:
Und nach und nach wurde die elektronische Musik ein so wichtiger Teil von dir, dass du nichts anderes mehr machen wolltest?

Alex:
Ja, das kann man so sagen.

Wir unterbrechen unser Gespräch und steuern eine etwas tiefer gelegene Plattform an, die wir über eine breite Treppe erreichen. Aus der näheren Distanz wird deutlich, wie sehr der Zahn der Zeit an den Wänden des alten Gebäudes genagt hat. Nicht nur Sonne, Wind und Regen haben im Laufe der Zeit tiefe Spuren am Beton hinterlassen, auch die grafischen Fingerabdrücke von Sprühern und Taggern sind bis in die kleinsten Winkel des Steins verteilt.

Alex schlendert an den Wänden entlang, begutachtet einige der Werke und bleibt schließlich am Rand der Plattform stehen. Hier oben fühlt es sich an, als würde einem die Stadt zu Füßen liegen – und man könnte Sie mit beiden Händen greifen.

Meiner Meinung nach würde ich mich selbst limitieren, wenn ich in festen musikalischen Sparten denken würde.

Jonas:
Sich deiner Musik zu nähern, ist ein sehr spannender Prozess. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie so facettenreich ist: Der Mix „State of Silence“ beispielsweise, den man auf deinem Soundcloud-Profil findet, klingt außergewöhnlich intim, melancholisch und fast zerbrechlich. Dann wiederum gibt es Stücke von dir, die so hart und monumental klingen, als seien sie für die Ewigkeit bestimmt. Und wer dich vor kurzem bei deinem Auftritt im Kreuzberger „Farbfernseher“ erlebt hat, konnte darüber hinaus eine sehr housige Seite an dir kennenlernen. Spielst du bewusst mit diesen vielen Welten und Gefühlsebenen?

Alex:
Ich würde grundsätzlich von mir behaupten, dass ich musikalisch ziemlich offen bin und mich nicht in fixen Grenzen bewegen möchte. Ich weiß auch gar nicht, ob ich mir dieses Genredenken jemals richtig angeeignet habe – und wenn doch, habe ich es mir wahrscheinlich relativ schnell wieder abgewöhnt. Meiner Meinung nach würde ich mich selbst limitieren, wenn ich in festen musikalischen Sparten denken würde. Und ehrlich gesagt fände ich es auch ein bisschen doof, wenn ich mir selbst nicht erlauben würde, irgendwelche House-Sachen zu spielen, obwohl ich mich eigentlich auf Techno fokussieren möchte.
Natürlich richte ich mich bei meinen Sets aber immer auch ein wenig nach dem Abend und gehe auf die Gegebenheiten des jeweiligen Clubs ein. Ich weiß ja ganz genau, dass ich im Farbfernseher nicht die Berghain-Classics auf 134bpm bringen kann – das macht in einem so kleinen Club einfach keinen Sinn. Aber auch dort habe im Laufe des Abends langsam einige Technobeats in mein Set eingestreut und damit gespielt.

Jonas:
Es würde wahrscheinlich auch deine Kreativität beeinträchtigen, wenn du dich in irgendeiner Form beschränken müsstest.

Alex:
Das stimmt. Wobei man zugeben muss, dass diese musikalische Offenheit manchmal auch von Nachteil sein kann – zumindest für Promoter, Booker oder Journalisten, die einen dadurch einfach schwerer einordnen können. Es macht ja auch Sinn, wenn ein Künstler für einen ganz bestimmten Sound steht.
Trotzdem habe ich das Gefühl, dass mein Weg für mich selbst der absolut richtige ist. Ich versuche einfach, meinen eigenen Stil zu etablieren, um auf diesem Wege zu zeigen, wofür ich als Künstler stehe.

Jonas:
Kannst du dich erinnern, wann du zum ersten Mal vor Publikum gespielt hast?

Alex:
Ich glaube, das war im Jahr 2008 – sozusagen der erste halboffizielle Gig, bei dem mein Name auf den Flyern stand. Ich war total aufgeregt und habe mich vor dem Auftritt ziemlich betrunken. Die Party ist zwar insgesamt eher schlecht gelaufen, aber für mich war es irgendwie geil.

Jonas:
Wenn man eine gewisse Zeit hinter den Plattentellern steht, merkt irgendwann, dass man mit seinen Aktionen die Menschen vor sich beeinflussen bzw. steuern kann – nicht nur in ihren Bewegungen, sondern auch in ihrer Gefühlswelt. Ist dir diese Macht bzw. diese Verantwortung bewusst?

Alex:
Auf jeden Fall – allerdings funktioniert dieses Steuern nicht immer unmittelbar, sondern muss vorbereitet werden: Es gibt oft Momente, in denen ich gerne einen „Hit“ spielen würde oder einen anderen Track, von dem ich glaube, dass er total intensiv und krass ist. Aber nicht immer habe ich auch das Gefühl, dass ich diese Nummer jetzt schon bringen kann. Dann weiß ich, dass ich im Laufe des Gigs darauf hinarbeiten und eine gewisse Spannung aufbauen muss, die ich irgendwann durch einen wirklich monumentalen Track entladen kann. In diesem Moment erhalte ich auch direktes Feedback vom Publikum: Alle Hände gehen nach oben – oder die Leute werden einfach ohnmächtig und fallen um.

Alex lacht.

Jonas:
So ziemlich alle Musikgenres mussten im Laufe der Geschichte erst einen gewissen Emanzipationsprozess durchlaufen, bis sie irgendwann in der Breite der Gesellschaft akzeptiert wurden – man denke nur an die frühen Jahre des Jazz, Rock’n Roll oder HipHop. Durchläuft deiner Meinung nach die elektronische Musik – und insbesondere Techno – eine ähnlichen Prozess? Oder ist diese Musik mittlerweile bei Jedem angekommen?

Alex:
Ich glaube, sowohl die elektronische Musik im Allgemeinen als auch der Techno im Besonderen haben ihren festen Platz in der Mitte der Gesellschaft gefunden. Man muss sich nur Paul Kalkbrenner anschauen: Auf der ganzen Welt gibt es Leute, die ihn gut finden – auch wenn es darunter vielleicht einige gibt, die in erster Linie mit dieser Musik gar nichts zu tun haben. Ich sehe manchmal bei meinen Gigs ebenfalls Leute, die ich eigentlich nicht mit elektronischer Musik verbinden würde, die aber trotzdem dazu ausgehen, weil es allgemein gerade läuft. Das finde ich gut.
Aber vielleicht ist es auch einfach so ein Generationending: Früher hörte man auf den privaten Partys Rolling Stones, heute ist es eben Wankelmut.

Jonas:
Leider ist es umso schwieriger, etwas weiterzuentwickeln, wenn es sich bereits etabliert hat.

Alex:
Naja, ich glaube auch nicht, dass ich in der Lage wäre, etwas absolut Neues, den Welthorizont Erweiterndes zu erschaffen – in der Musik wurde einfach schon viel zu viel probiert. Aber dafür kann ich innerhalb dessen, was bereits existiert, meine eigenen Akzente setzen und die Sounds auf meine Art cool machen.

Ich glaube, sowohl die elektronische Musik im Allgemeinen als auch der Techno im Besonderen haben ihren festen Platz in der Mitte der Gesellschaft gefunden.

Jonas:
Das scheint dir auf jeden Fall zu gelingen: Mit nur 24 Jahren hast du dir bereits einen Namen in der Szene gemacht, das Groove Magazin beispielsweise zählt dich zu „Berlins neuer Techno-Generation“. Ab wann hat deine Karriere so an Fahrt gewonnen?

Alex:
Ein wirklich großer Marker in meinem Leben war mein erster Auftritt im Berghain, wo ich im Sommer 2011 für die „BPitch Control Night“ gebucht wurde.
Damals hat man für das Berghain des Öfteren zusätzliche DJs angefordert, weil die Partys dort immer länger wurden. Und so passierte es plötzlich: Ich wurde kurzfristig für das Closing gebucht und durfte neun Stunden lang spielen – das war ziemlich cool.
Seitdem hat sich bei mir beruflich sehr viel verändert: Ich werde wesentlich öfter auch für Gigs im Ausland gebucht und erhalte insgesamt mehr Aufmerksamkeit in dieser Szene.

Jonas:
Das Berghain ist eben ein außergewöhnlicher Ort, der bei jedem, der dort eine gewisse Zeit verbringt, ganz bestimmte Eindrücke hinterlässt.

Alex:
Oh ja, auch bei mir! Das Berghain war ein wichtiger Teil meiner musikalischen Sozialisation, ich habe dort viele schöne Stunden erlebt – und im Laufe der Zeit auch viele Menschen kennengelernt, die mir bis heute sehr, sehr wichtig sind und die ich zu meinen engen Freunden zähle. Ich habe zu diesem Ort einfach eine sehr persönliche Verbindung. Alleine deshalb war es für mich großartig, dort spielen zu dürfen – mal ganz abgesehen davon, dass das Berghain ein international anerkannter Techno Club ist.

Jonas:
Das war ja quasi ein doppelter Ritterschlag für dich.

Alex:
Ja, genauso hat es sich auch angefühlt. Es war für mich auch das erste Mal, dass ich vor 400, 500 Leuten gespielt habe. Alleine bei diesem ersten Auftritt habe ich Erfahrungen gemacht, die unbezahlbar sind.

Jonas:
Die da wären?

Alex:
Zum Beispiel ein Gefühl für die Stimmungen eines so großen Publikums zu erhalten und darauf zu reagieren. Oder wie man mit diesem gewaltigen Soundsystem umgeht. Oder überhaupt die Möglichkeit zu haben, so lange am Stück zu spielen und dabei die Leute zu halten.

Jonas:
Kennst du auf der Welt einen anderen Ort, an dem die Techno-Kultur so exzessiv zelebriert wird wie in Berlin, wie im Berghain?

Alex:
Vielleicht Detroit. Aber viel Vergleichbares fällt mir nicht ein.

Jonas:
Vor kurzem hast du deine erste EP mit dem Titel „Stalker“ herausgebracht, deren reduziertes, melancholisch-düsteres Artwork direkt ins Auge fällt. Warum hast du dich speziell für diese Visualität entschieden?

Alex:
Bei meinem Label Dystopian gibt es das Prinzip, eine neue Platte nach einem dystopischen Buch oder Film zu benennen. Ich habe mich bei dieser ersten EP sehr stark von dem russischen Science-Fiction-Drama „Stalker“ aus dem Jahr 1979 inspirieren lassen: Ich wollte mit dem Artwork die Visualität aufgreifen, die der Regisseur Andrei Tarkowski in seinem Film erschaffen hat. Leider habe ich dazu anfangs irgendwie nicht das richtige Coverfoto gefunden. Als ich meiner Freundin davon erzählt habe, zeigte sie mir zwei Fotos, die sie selbst vor einiger Zeit in Berlin geschossen hatte. Eines davon mochte ich total – und so hatte ich mein Cover.

Jonas:
Welche Filme gibt es denn noch, die du gerne in Zukunft musikalisch und visuell interpretieren würdest?

Alex:
Ich bin zwar ein riesiger Filmfan, aber speziell dazu habe ich mir ehrlich gesagt noch nicht so viele Gedanken gemacht. Mal überlegen – vielleicht würde ich mich mit dem Science-Fiction-Anime „Ghost in the Shell“ musikalisch auseinandersetzen, dieser Film hat mich ziemlich beeinflusst. Oder „Enter the Void“ – ein französischer Film, den ich ebenfalls sehr mag.

Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass auf dieser Welt irgendetwas existieren soll, das mir mehr gibt, als Musik zu machen.

Jonas:
Momentan nimmt dich dein Beruf als Musiker voll und ganz in Beschlag. Kannst du dir vorstellen, mittel- oder langfristig auch etwas ganz anderes zu tun?

Alex:
Nein, ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass auf dieser Welt irgendetwas existieren soll, das mir mehr gibt, als Musik zu machen. Und jetzt gerade fühlt es sich so an, als würde ich das alles noch eine ganze Weile ausüben.
Für mich ist diese Tätigkeit einfach die ultimative Befriedigung: Sie ermöglicht mir, genau das zu transportieren, was ich bin und was ich empfinde. Mehr brauche ich nicht.

Es wird windiger, dunkle Wolken ziehen auf. Die Umgebung ist voller Spannung, eine unbeschreibliche Energie liegt in der Luft.

Als die ersten Regentropfen auf unsere Gesichter prallen, lassen wir unsere Blicke noch einmal über die Dächer Berlins wandern und beschließen, zurück zum Auto zu laufen. Wir durchqueren ein zweites Mal den verwunschen wirkenden Rosengarten und spazieren noch einige Meter durch den gemütlichen Humboldthain, bis wir unseren Parkplatz erreicht haben.

Von dem kalten Stahlbeton des Flakbunkers ist nichts mehr zu sehen, das dichte Grün der Bäume hat sich wie ein Vorhang zugezogen. Wie facettenreich so ein kleines Fleckchen Erde sein kann!

Man wird doch immer wieder überrascht.

Auch in Berlin.