Wincent Weiss

Submission — Wincent Weiss

Salzige Luft

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Wincent Weiss, Foto: Sascha Wenicke

Ich bin nie alleine. Denn überall wo ich bin, ist sie bei mir: Meine Gitarre! Seit 16 Monaten ist sie chronisch an meiner Seite. Zusammengefunden haben wir im Internet, in einem Online-Shop.
Als ich ihr kleines Foto sah, wusste ich: Die muss ich haben – sofort! Denn sie sah nicht nur unglaublich schön aus, sondern war auch ein echtes Schnäppchen: Nur 500 Euro hat sie gekostet. Das Geld dafür habe ich mir trotzdem hart zusammengespart und dafür Dinge wie meine Playstation verkauft.

Ja, so war das damals. Und heute erinnert sie mich an alles, was ich in der letzten Zeit erlebt habe: Reisen in die Karibik, Ausflüge nach Berlin, Köln, Hamburg. Und Ans Meer.
Wenn ich auf ihr spiele, habe ich Bilder in meinem Kopf. Meistens sehr schöne. Von Freunden, die ich gerade nicht sehen kann. Ich sehe sogar Lieder. Lieder, die ich liebe, oder solche, die ich längst nicht mehr hören kann.

Sie erinnert mich auch an Zuhause, denn da wohne ich jetzt nicht mehr. Um Musik zu machen, habe ich gerade meine Heimat Eutin in Schleswig-Holstein verlassen.
Mit einem Koffer in der Hand. Und meiner Gitarre auf dem Rücken.

München ist jetzt meine neue Stadt. Eigentlich ist das ist ein sehr schöner Ort – aber leider einer ohne Meer. Das hatte ich früher direkt vor der Tür. Und jetzt trennen mich und das viele salzige Wasser der Ostsee mehrere hundert Kilometer.

Das gleiche gilt für meine Familie. Sie ist jetzt ebenfalls ganz weit weg von mir.

Aber meine Gitarre ist ja noch da. Und wenn ich auf ihren sechs Saiten spiele, sehe ich das Meer und meine Familie vor mir. Ich schmecke die salzige Luft. Und sehe die Gesichter der Menschen, die ich mag.

Auf den Gitarren-Hals habe ich mir übrigens den Namen meiner kleinen Schwester geschrieben. Aber die Gitarre selbst hat keinen Namen!

Warum? Ich habe schon oft überlegt, wie ich sie nennen könnte. Otto, Claudia, Johnny?
Nein – kein Name dieser Welt kann sagen, was sie für mich ist…


Julian Heun

Submission — Julian Heun

Eine indische Rupie in einer Dose

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Julian Heun, Foto: Roberto Brundo

Ich weiß nicht mehr, wie es genau geschah, aber ich stand in Bangalore neben einem Straßenstand für gebratene Eingeweide und hatte kein Geld mehr. Eine unglückliche Mischung aus gestrichenen Flügen und fehlgeschlagenen Überweisungen trug Schuld.

Also ging ich tagelang immer wieder zum Geldautomaten durch die Slums und hasste die Stadt mit ihrem Smog und der fettigen Luft, die einen Schmierfilm auf die Haut legte. In Indien kann man Essen für Kleinstbeträge kaufen, aber irgendwann war die letzte Münze weg und sogar die verbrannten Schafsinnereien unerschwinglich.

Das Blickfeld quoll über vor blauer Plastikplanen der sich aneinanderdrängenden Behausungen aus Altmetallstücken, Pappfronten, Palettenkisten und immer wieder jenen blauen Plastikplanenfetzen. Hügel aus Müll wie Vorgärten. Aber alles Interesse für die Fremde war überdeckt von meiner Kraftlosigkeit und Aggressivität. Nichts essen können, nichts tun können, nur warten und schwitzen. Dann die unwirklichen Shoppingcenter voll geleckter Bars und Läden für IT-Yuppies, an deren Fassaden der Blick ausrutschte und gegen reiche Inder prallte, die in den unterkühlten Glasgängen ihre seltsame Neigung für Schlaghosen befriedigten.

Bankautomat für Bankautomat, doch es gab kein Geld. Meist war ich zu schwach, die Bettler anzuschauen. Bis irgendwann auf halbem Weg zu den Bankautomaten in einem Slum ein kleiner Junge vor mir stand in einer Wand aus Geruch. Er war von seinen Eltern zum Betteln verkleidet worden als der Affengott Hanuman. Mit der einen Hand formte er eine Essgeste und mit der anderen hielt er seinen lila Affenschwanz. Aber diesmal konnte ich nicht weggucken und was blieb mir, außer zu sagen, dass ich nichts habe, gar nichts.

Da lächelte er, fasste in ein Beutelchen und reichte mir daraus eine Rupie. Die Rupie hat wie jede einen Wert von 1,7 Cent und ich bewahre sie in der abgebildeten Dose auf. Sie ist mir heilig. Deshalb möchte ich sie auch nicht fotografieren. Wenn man es versuchte, entstünde eine digitale Rückkopplung, die Linse splitterte. Sicherlich käme ein lila beschwanzter Trockennasenaffe herbeigeeilt, der – bevor das Glaskonfetti zu Boden gefallen wäre – dem Photograph die Kamera entrisse und sie kreischend am Sockel einer großen Hanuman-Skulptur opferte.


Robin Kater

Submission — Robin Kater

Für immer wach

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Robin Kater

Als Kind brachte ich von all’ meinen Reisen irgendein Andenken mit nach Hause, sei es ein Kuscheltier, eine Postkarte oder “irgendetwas zum Hinstellen”.
Diese Gegenstände sind daraufhin leider häufig in allen möglichen Ecken meines Zimmers verschollen oder verstaubten in Regalen.

Wenn ich sie ansah, wusste ich zwar noch ungefähr, wo dieser Gegenstand herkam, aber oft gab es dazu keine bestimmte Geschichte, die mir wieder einfallen würde.

Seitdem ich eine Kamera besitze und diese aktiv nutze, stelle ich fest, dass mein Andenken an alles, was mir besonders erscheint, durch meine Bilder gewährleistet wird. Dies sind nicht unbedingt Momente, die mit der Kamera festgehalten wurden, sondern vor allem Orte und Stimmungen an denselben, die sich irgendwo in meinem Gedächtnis eingenistet haben.

Diese Andenken sind nun nicht mehr materiell, sondern eigentlich weder greifbar und leicht mit Anderen teilbar.

So erinnere ich mich beispielsweise oft an einen einzelnen Tag, den ich mit meiner Familie während eines Schottlandurlaubs erlebt habe.

Sonne, Meer, Wald, Berge, Klippen, Wind, Waldwege, eine Bucht… All das sind die einzelnen Andenken, die mir diesen Tag immer noch nahezu lebhaft vor Augen führen.

An diesem Tag habe ich auch fotografiert. Ich hoffe, dass die Bilder, die ich dort gemacht habe, mein Andenken an die Stimmung an diesem Tag für immer wach halten.


Henrike Ott

Submission — Henrike Ott

Große Liebe

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Henrike Ott, Foto: Mark Halbstark

Es begann damit, dazugehören zu wollen.

Einige Jahre später war es der Wunsch, einen Gedanken mit mir zu tragen.
Einen Gedanken, der Hoffnung gibt.

Später wurde daraus eine große Liebe. Seitdem ist es ein allumfassender Plan.
Manchmal ein spontaner Moment – ein Witz.

Was es bleibt:
Ein Souvenir, das mich an jeden dieser Momente erinnert.


Nataša Vučković

Submission — Nataša Vučković

Pierres Geheimnis

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Nataša Vučković

Der Eiffelturm. Auf meinem Tisch, dem dunkelbraunen Holztisch aus Mahagoni im Wohnzimmer. Da steht er. Natürlich nicht der echte. Der wäre auch etwas zu groß gewesen. Aber eine maßstabsgetreue Miniaturausgabe davon. Wenn ich ihn ansehe, dann die Augen schließe und einen kurzen Moment abwarte, dann passiert etwas Wunderbares:

Auf einmal bin ich wieder mitten in Paris. Ich laufe an den vielen kleinen Ständen der Künstler und Buchverkäufer am Ufer der Seine vorbei. Laufe ich wirklich? Nein. Ich schlendere. Langsam. Ohne jede Eile. Hin und wieder bleibe ich stehen. Zum Beispiel bei Pierre. Pierre ist ein kleiner, hagerer Mann, der früher einmal sehr gut ausgesehen haben muss. Heute, mit seinen 83 Jahren steht er noch immer hier hinter seinem kleinen Stand. Er verschwindet fast hinter den hohen Stapeln von alten, gebundenen Büchern, die er dort feil bietet. Ein kurzes Lächeln, verschmitzt und freundlich, so wie Pierre gerne lächelt, wenn er ein bekanntes Gesicht entdeckt, huscht über seinen großen, breiten Mund, als ich an seinen Stand trete.

„Bonjour, Mademoiselle“, sagt er und schaut mich dabei mit seinen braunen, nicht zu eng zusammen liegenden Augen freundlich an. Pierre steht hier am Seine-Ufer seit mittlerweile 52 Jahren, wie ich bei meinem letzten Besuch einige Tage zuvor erfahren durfte. Es können auch schon 53 Jahre sein. Das ist ihm nicht so wichtig. Überhaupt hat Pierre ein sehr liebevolles Verhältnis zur Zeit. Alles, was er macht, ob er morgens seinen hellgrünen Holztisch aufbaut, auf dem die vielen mittlerweile ganz gelb gewordenen Bücher liegen, oder ob er einen neuen Kunden begrüßt, der wie zufällig an seinem Stand stehen bleibt; all das tut er mit Bedacht und ohne auch nur einen Anflug von Hektik.

Einmal habe ich ihn gefragt, was denn sein Geheimnis sei. Ich bewunderte seine unerschütterliche Ruhe und wohltuende Gelassenheit und hatte mir fest vorgenommen, dahinter zu kommen. Pierre zeigte sein schönstes Lächeln und sagte nur: „Geheimnis, Mademoiselle? Ich kämpfe nicht gegen die Sekunden, Minuten und Stunden, wie so viele andere Menschen. Die Zeit ist mein Freund. Ich komme gut mit ihr aus. Warum also sollte ich versuchen, sie zu besiegen?“

Dann öffne ich wieder die Augen und schaue noch eine ganze Weile den Eiffelturm auf meinem Holztisch an. Pierre hat Recht, denke ich dann und muss nun selber lächeln.


Jonas Meyer

Submission — Jonas Meyer

About Sharing

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Jonas Meyer, Foto: Roberto Brundo

Dass dieser Moment kommen würde, das wussten wir beide nur zu gut. Dabei lag er noch vor einer Stunde so unendlich weit im Irgendwann, dass er einfach nicht präsent sein wollte in unseren Köpfen, nicht existent sein durfte in unseren Herzen. Und so sahen wir auch gar nicht ein, nur einen einzigen Gedanken an das zu verschwenden, was uns jetzt so plötzlich und brutal den Boden unter den Füßen wegriss.

Dabei standen wir gar nicht. Sondern saßen. Nebeneinander. Schweigend, früh morgens am Brunnen. Irgendwie schien sich gerade der ganze Schmutz der Stadt in diesem trüben Wasser aufzulösen – jener großen Stadt, die noch schlief, obwohl es bereits hell war.

Wir waren wach, immer noch. In zwei Stunden würdest du aufbrechen zum anderen Ende der Welt, würdest zurückkehren in dein Leben und mich zurücklassen in meinem.

Und so sahen wir hilflos dabei zu, wie die Zeit unsere letzten gemeinsamen Minuten fraß. Eine nach der anderen, rasend schnell und doch so quälend langsam, dass der Schmerz uns zu zerreißen drohte.

Reden ging nicht, Tränen blockierten den Hals. Trotzdem nahmst du dieses Buch, das ein ständiger Begleiter war auf deiner langen Reise und braune Flecken hatte vom schmutzigen Brunnen.

Ich solle es behalten, sagtest du, denn ich könne damit deine Sprache lernen.
Wie sie klingen würde, würdest du mir demonstrieren, und last mir die laut ersten Zeilen vor:

Miércoles, 17 de marzo. HISTORIA DE DIOS. Descubrir que no se es inmortal, que hay más dioses, cuya vida tampoco es eterna. El drama de saberse absoluto, pero sólo para sus criaturas.

„Nein“, fuhr ich dich an, „hör auf! Merkst du denn nicht, dass du es dadurch nur noch schlimmer machst?“

Wir standen auf und liefen einige Schritte mit Beinen aus Blei. Der Moment des Abschieds, der eben noch irgendwo im Irgendwann lag, stand uns nun Auge in Auge gegenüber – und nahm dich mit.

Nur das Buch lies er da. Und deine letzten Worte.

„Life’s about sharing, Jonas!“


Julian Schievelkamp

Submission — Julian Schievelkamp

Lange Nacht der Musen

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Julian Schievelkamp

Eden Calling: Inmitten einer Frühlingslichtung wache ich unter einem raschelnden Meer dicht bewachsener Baumkronen auf, als ein leichter Hauch die farbenprächtige Wildflora um mich herum erzittern lässt. Während ich versuche, den Duft von feuchtem Eichenholz zu erhaschen, bringt mich ein fernes Raunen aus der Fassung. Ich habe das seltsame Gefühl, die vernarbten Astlöcher einiger Bäume flüstern meinen Namen. Klingt fast wie Herbstlaub im Auslauf des Windes, hat dabei jedoch seinen ganz eigenen Charakter.

Einen tiefen Atemzug lang halte ich still, bis ich pollenartige Körnchen bemerke, die von oben hinunter fallen und in den Boden sickern. Die Erde leuchtet auf und weitet sich, lässt Wurzeln um meinen Körper ranken, um mich zu halten.

Bevor ein solch utopischer Waldzauber die Fantasien des einen oder anderen beflügelt, muss ich anmerken: Das Ganze ist gar nicht so märchenhaft wie es klingt, denn das Kitzeln überdimensionaler Mikrosporen in der Nase ist wirklich unerträglich.

Wenn ich heute daran zurückdenke, genieße ich den Moment häufig mit einer Zigarette und einem Notizblock, auf dem ich einfach die Gedanken einfange, die mir in Form von goldglühendem Blütenstaub in der Luft erschienen.

Ich fiel nur einen kurzen Moment in die Hänge des Waldes, aber wenn ich guten Kitsch nicht so lieben würde, wäre ich dort wahrscheinlich nie gelandet.

Es war jedoch ausgeschlossen, mich bloß auf eine verschwommene Traumvorstellung zu beschränken, die irgendwann in den Winkeln meiner Gedankenkonstruktionen dahinvegetiert. Ich war zu Hause.


Nirav Solanki

Submission — Nirav Solanki

The Colors Of Earth

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »My Souvenir« — Text & Photo: Nirav Solanki

I recently visited Flagstaff, Arizona to shoot a wedding for a client of mine and since Flagstaff is well over 8 hours from where I reside, I decided to go exploring while I was there.

Arizona is truly a magnificent state that has so much natural beauty that one can appreciate, especially for a photographer.

This particular photo was taken at the Sunset Crater Volcano National Monument Park. I was moved by the texture and the colors of earth.

In the background, the mountains add depth to the entire image. I stood for a few minutes embracing this magnificent sight that is not seen everyday. This sight was only one of many I had witnessed on my journey.


Tanja Freudenthaler

Submission — Tanja Freudenthaler

Der wahre Genuss

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Tanja Freudenthaler, Foto: Sandrine Mause und Tanja Freudenthaler

Se souvenir de…

Jäger und Sammler,
durchstreifen Metropolen,
jagend nach Erinnerungen,
dem einzigartigen Stück.

Sprinten durch Massen,
Menschen, die bummeln,
aus verschiedenen Welten,
sind schon vorbei.

Fokussiert auf die Highlights,
von einem zu nächsten,
blitzend und zoomend,
blenden sie aus.

Tausend Bilder im Chip,
keines im Kopf
hinter der Linse,
verfliegt der Moment.

Verpassen das Wichtige,
der wahre Genuss.
Die Erinnerung bleibt,
zumindest im Bild.


Isabella Pikart

Submission — Isabella Pikart

Kleine Kreaturen

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Isabella Pikart, Foto: Roberto Brundo

Mariana Magtaz, Kuratorin und Galeristin der „Escola de Arte e Metal“ in São Paulo, bat mich zur Eröffnung meiner Ausstellung, etwas auf Deutsch auf eine grosse Wand mit Kreide zu schreiben. So entstand über meine Arbeit mein Andenken an diesen Moment:

Eine Reise in den Süden – „L‘Histoire de Mimi Cri“
São Paulo, 23.8.2012

Ein paar Steine auf der Straße, Sand der aus Meiner Tasche rieselt, das Blau der Kacheln eines Schwimmbads.

Erinnerungen an einen Sommertag, ein flüchtiger Moment, der ein Gefühl lässt, das bleibt. Es klopft ein paar Jahre später an und ist wieder da. So wird aus einem Kieselstein, einer Welle, einem Sandkorn eine Zeichnung, ein Bild, eine Skulptur.

Meine Skulpturen wurden kleiner und tragbarer. Sie wurden zu Schmuck, den wir an uns tragen können.

Kleine Kreaturen, Lebewesen, ihre Namen sind „Ouro Branco“, „Pool Blue“ und „Bicho“.