Olga Lakritz
Submission — Olga Lakritz
Wenn nichts passiert
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text & Foto: Olga Lakritz
Und du sitzt immer noch da
und schweigst
Und du sitzt immer noch da und
Und du sitzt immer noch da
Und du sitzt immer noch
Und du sitzt immer
Und du sitzt
Und du
Und
Nichts mehr.
Wir haben uns in den Tiefen unseres Gespräches verloren, weil wir vergessen haben, an die Oberfläche zu tauchen, um Mal nach Luft zu schnappen. Stattdessen sind wir immer tiefer gesunken, bis wir dann auf dem Boden saßen. Wir haben uns in der Dunkelheit verirrt, sind tausend Gänge entlang gerannt, aber haben dabei nichts kapiert.
Wir haben nur unsere Wut in Wörter gepackt und uns gegenseitig an den Kopf geworfen.
Bloß geplatzt sind nicht unsere Köpfe, sondern die Seifenblase um uns herum.
Ich weiß und du weißt, dass es nicht funktionieren wird, denn wir haben von allem ein bisschen zu viel — und doch zu wenig.
Wir haben zu viel Wut aufeinander, aber zu wenig Mut, um es auszusprechen. Wir haben zu viel Angst vor der Zukunft, aber zu wenig Zuversicht in uns selbst.
Gleichzeitig haben wir den Mut, wir selbst zu sein, aber spüren zu wenig Wut, um uns zu äußern. Wir haben zu viel Zuversicht in die Welt und deswegen zu wenig Angst, die uns zur Veränderung treiben würde. Es bleibt immer alles gleich.
Was bringt mir der neue Tag, wenn er sich wie jeder vergangene anfühlt?
So sassen wir irgendwann nur noch da und warteten. Wir warteten darauf, dass einer von uns endlich einen Schlussstrich zog und den anderen verliess. Wenn ich an die Zeit zurück denke, kommt es mir so vor, als wären wir Wochen, Monate nur da gesessen und hätten uns beim Atmen zugehört, dabei haben wir uns ständig gestritten, haben rumgeschrien.
Aber wenn ich zurück denke höre ich nur noch unsere Stille.
Und du sitzt immer noch da und schweigst
Und du sitzt immer noch da und
Und du sitzt immer noch da
Und du sitzt immer noch
Und du sitzt immer
Und du sitzt
Und du
Und
Jetzt wo du weg bist, da höre ich nur noch meine Stille.
Olga Lakritz ist 18 Jahre alt, Slam-Poetin und lebt in Zürich.
Cetywa Powell
Submission — Cetywa Powell
Moments Of Creation
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »My Silence« — Text & Photo: Cetywa Powell
It was before a concert and I was waiting… just waiting… there was time to spare. I was staring at this monumental structure across the street: the Walt Disney Concert Hall. So I crossed over to see it, explore it.
The building is majestic, creative, an invention of a master mind. There were few people; it was a weekday after all. And I could move at my own pace, through the curving walls.
I’ve only been able to appreciate Frank Gehry’s architectural designs through the lens of my camera:
seeing the curves he intended, the futuristic, spaceship feel.
Lost in the architectural silence, I think I got what his mind saw in those moments of creation. It felt like a window, really, into his genius.
Cetywa Powell is a filmmaker living in Los Angeles, California.
Chris Ratz
Submission — Chris Ratz
Ten Days Of Silence
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »My Silence« — Text: Chris Ratz, Photo: Samantha Ravenda
“Does it feel like you are taking me to some strange summer camp?” I asked, looking at the directions in my shaky hands. “Yes, kind of”, admitted my father. My parents had offered to drive me to the meditation retreat I was embarking upon. I think they were mildly nervous about it, and wanted to see where I would be spending the next ten days.
Though I had been talking about doing this for the past fourteen years, no one was as nervous as me. Ten days of waking up at four a.m. Ten days of intense meditation practice. Ten days of silence. “How are you going to go ten days without talking?” That is what I heard from everyone when I told what I was doing. It was a fair enough question, if mildly insulting. I’d never even meditated before.
To everyone around me it seemed I lived a pretty loud life. “I’m single. I actually spend most of my time in silence”. That said, get a couple of drinks in me and I would not stop vying for the center of attention, so I understood it. I often had more than a couple of drinks in me.
Mostly I was terrified of sitting for an entire hour at a time without moving. I’ve never had a desk job, and I chose films to watch based on which one was shorter. So, finding silence in my body was no small challenge. Finding silence in my mind was, even at the end of the course, nearly impossible.
The silence from not speaking to anyone turned out to be the easiest part of the whole thing, and to my surprise, a huge relief. It didn’t take me long to realize how much of my time was noisily spent trying to formulate and influence people’s opinion of me. Once the course started I was suddenly not allowed to concern myself with others’ thoughts.
Ten days later, when we broke our silence, I looked down at my hands. They were shaking like the day I arrived. It was incredibly strange to start speaking again, to look people in the eye. It didn’t take long for me to start rattling my mouth off again, but I came away with a very strong appreciation for silence. It has become a very important part of my life. Something I never knew how much I needed.
Chris Ratz is one of the main characters of the movie “The Mortal Instruments: City of Bones” and the TV series “Bitten”
Chris Ratz is a 31-year-old actor living in Toronto, Canada.
Julia Schubert
Submission — Julia Schubert
Einsame Insel
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text & Foto: Julia Schubert
Die kleine Insel Torcello in der Lagune von Venedig war mir schon seit längerem bekannt und in Erinnerung als Ort, an dem ganz im Gegensatz zu Venedig und allen anderen umliegenden Inseln einfach gar nichts los ist. Die wenigen Touristen, die Torcello, diesen eigentlichen Ursprung Venedigs, besuchen, tun dies meist ganz gezielt, als Kenner der Kunstgeschichte oder der Gastronomie, angelockt von den zwei ältesten Kirchen in der Lagune und von zwei, drei Restaurants.
Aber auch das ändert nichts an der Tatsache: Wenn das letzte Vaporetto gefahren ist, dann ist es hier still. Noch zwölf Menschen sollen hier leben. Wer sind sie?
Diese Frage hat mich interessiert, aber auch: Wie leben sie in dieser Einsamkeit? Es war dieser überdeutliche Kontrast zu Venedig, dem eigentlichen Ziel einer Fotoexkursion, der mich reizte, diesen Fragen nachzugehen und meine Erfahrungen zu dokumentieren.
Während meiner Woche in Venedig fuhr ich also jeden Tag nach Torcello und „suchte“ die Einwohner – letztendlich habe ich keinen von ihnen zu Gesicht bekommen.
Nur von anderen Menschen, die dort arbeiten, wurde mir vieles berichtet, es blieb unklar, ob dort noch sieben, elf oder zwölf Personen wohnen…
Bei meinen täglichen Ausflügen verschob sich bald das Interesse. Es ging mir schließlich nicht mehr nur um die Einwohner, sondern um die Insel als Ganzes. Die Menschen, die dort arbeiten, die Häuser, verlassenen Grundstücke und bewachsenen Flächen, die Objekte, die sich dort befinden, wenigstens Spuren der Inselbewohner – meine Begrenzung war nur das umgebende Wasser.
Ich erkundete die Insel, suchte auch Wege abseits des Hauptwegs entlang des Inselkanals und war dabei immer wieder ganz alleine in menschenleerer Umgebung. Ich schlich mich durch Gestrüpp oder über große, merkwürdigerweise gemähte Rasenflächen – Spuren von Arbeit – und tatsächlich traf ich dort auf zwei Gärtner.
Gefunden habe ich noch ein paar weitere Menschen, die hier arbeiten: einen Toilettenaufseher und drei Restaurantbesitzer. Und dann entdeckte ich in der angespannten Stille scheinbar vergessene Gartengeräte, und immer war da das Gefühl, da sei noch etwas anderes. Irritierend, verunsichernd ist es, immer wieder auf Dinge zu stoßen, die auf Menschen verweisen, und sie nicht zu sehen: Ich finde ein Tor mit der Beschriftung ‘proprieta privata‘, aber alleine stehend, ohne angrenzende Umzäunung. Eine rote Gießkanne liegt einsam in einem Garten.
Ich entdecke einen Swimmingpool auf einem Hügel eines Privatgrundstücks, aber niemand ist da. Vielleicht liegt es nur an der Jahreszeit: Es ist November, kalt und die Besitzer sind nicht da.
Venedig ist eng und man ist selten allein in den Gassen, überall Menschen in Cafés, in Restaurants und Geschäften. Wenn ich abends von Torcello dort ankam, fand ich die Geräusche entspannend und angenehm: endlich wieder Leben.
Julia Schubert ist 24 Jahre alt, Kommunikationsdesignerin und lebt in Mainz.
Kaleb Marshall
Submission — Kaleb Marshall
Subtle Narrative
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »My Silence« — Text & Photo: Kaleb Marshall
I find myself being more attracted
to photographic work that has a feeling of silence.
Images that may easily be passed over
if you are not aware of them.
A photograph that has a subtle narrative
and quality to it.
Kaleb Marshall is a photographer living in Phoenix, Arizona.
Josephine Stenger-Ruh
Submission — Josephine Stenger Ruh
Hintergrundrauschen
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text & Illustration: Josephine Stenger-Ruh
Die Weite des Meeres erstreckt sich vor meinen Augen. Glitzernd tanzen Wellen auf und ab. Türkis. Blau. Tiefgründig. Ich atme ein. Hole Luft, bevor ich eintauche und das Wasser über mir zusammen schlägt. Meine Augen brennen und ich schmecke salzige Tränen der Einsamkeit, als der Lärm der Großstadt von Stille verschluckt wird.
Nacht.
Plötzlich frei von Stress, abgeschottet vom Alltag, ganz mit mir allein. Ich sollte mich leicht fühlen. Doch tief unten am Meeresboden begegnet mir unausweichliche Dunkelheit. Nimmt mir die Sicht, macht mich machtlos und einsam. Und dann nehme ich es wahr: Ein stetiges Hintergrundrauschen.
Meine Realität verschwimmt zum Traum.
Geheimnisvoll plätschern deine Worte an mein Ohr. Deine Berührungen hinterlassen ein zartes Beben auf meiner Haut. Mit dir lasse ich mich fallen und ertrinke in Wunschvorstellungen. Von Wärme umspült, spüre ich, wie mein Herz klopft. Für einen kurzen Augenblick ist unsere gemeinsame Zeit wieder greifbar. Glühend. Erfüllend. Lichtdurchflutet. Du bist wie ein Fluss, der sich tief in die Erde gegraben und einen unendlich langen Pfad hinterlassen hat. Mit dir ist alles still in mir.
Ich lasse mich von den Erinnerungen an dich treiben. Weit weg vom Hier und Jetzt.
Ein helles Leuchten an der Wasseroberfläche reisst mich ruckartig aus meiner Trance. Der Traum wird wieder zum monotonen Rauschen. Ich strande weit weg von uns, wo mich Unruhe empfängt.
Tag.
Josephine Stenger-Ruh ist 21 Jahre alt, studiert Kommunikationsdesign und lebt in Köln.
Juliane Müller
Submission — Juliane Müller
Sortierte Welt
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text & Foto: Juliane Müller
Sie hat viele Gesichter. Sie kommt und geht. Und leider hat sie es meistens eilig. Plötzlich ist sie da.
Und manchmal muss ich kurz inne- halten, um zu begreifen, dass sie es wirklich ist.
Die Zeit mit ihr ist kostbar, auch wenn sie in ihrer Gegenwart stehen zu bleiben scheint.
Wenn sie da ist, gibt es nichts anderes mehr – keine Uhr tickt, kein Vogel kreischt, kein Wasser rauscht und jedes Wort wäre zuviel.
Sie verschlingt alles.
Dann wird der Atem tief, der Puls ruhig, der Kopf klar. Die Welt scheint sortiert. Und bevor der Moment vergeht, werde ich sie bereits vermissen: Die Stille.
Juliane Müller ist 33 Jahre alt, Kommunikationsdesignerin und lebt in Berlin.
Simon Schütz
Submission — Simon Schütz
Entzug
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text: Simon Schütz, Foto: Roberto Brundo
Stimmen und Geräusche aus allen Kanälen-
Wir dröhnen uns zu, bevor uns die Gedanken quälen.
Ein Flimmern, ein Flackern für unseren Rausch-
Aus Angst vor der Stille sind wir Dauerdrauf.
Warum tun wir uns so schwer, allein mit uns zu sein?
Handy in der Hand – so schlafen wir abends ein.
Können wir die stillen Momente nicht mehr ertragen?
Weichen wir ihnen aus, um uns nicht zu hinterfragen?
Kein Ton, kein Theater – regungslos allein.
Sinne entspannt, kein Haben – sondern Sein.
Dein Bewusstsein zieht latent an dir vorbei-
Fühlst du dich bedrückt oder fühlst du dich frei?
Beginnst du damit, dich selbst zu reflektieren?
Dein Ich auch in Stille vollends zu respektieren?
Willst du bei mir sein und willst du bei mir bleiben-
Dann ist Ruhe der Anker, die Zukunft von uns beiden.
Simon Schütz ist 24 Jahre alt, Student und lebt in Mainz und Bordeaux.
Daniel Lara Cardona
Submission — Daniel Lara Cardona
Part Of My Life
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »My Silence« — Text: Daniel Lara Cardona, Photo: Manuel Valencia
Silence doesn’t really exist. Even when there seems to be emptiness, there’s something which fills it. Feelings, body sensations, flavors, images and odors are always present; and they must be understood as elements of variable meanings, which are assigned by every single person. This means that everything in this world has a meaning which is actually assigned by us, and silence becomes a very important space for this process to happen.
If everything has a significant value, that means also that everything has a meaning. The definitions for an object may change from person to person and imply rational and emotional values.
The last kind of traits tend to differ more from person to person than the logical ones, as emotional experiences are unique, and also the response from the person towards the situation varies highly. Silence is hence, a place in which emotional meaning is given to each of these experiences.
Quietness is also a space for reflection. One can take advantage of this state to seek for inspiration and answers for several questions of one’s life.
Through analysis during this silent period, one can surely find the ideas and the solutions to several problems, as well as inspire yourself through the use of memory and imagination. Thus, silence must not be considered as an empty period in which everything is static and remains frozen, rather than a moment in which through meditation and introspection one is able to build a new world.
As a creative, I believe that silence is a necessary part of my life, as it lets me create new images. After discussing and exchanging ideas with other people, silence is that space in which I can finally connect all the external and internal influences into coherent, strong ideas, which somehow will change the way in which I perceive and give meaning to the world.
Daniel Lara Cardona is a 21-Year-old graphic designer living in Bogotá, Colombia.
Julia Hell
Submission — Julia Hell
Stille Kommunikation
27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text: Julia Hell, Foto: Jannis Hell
Meine Stille ist Inspiration. Meine Stille ist erfüllt von visueller Kommunikation. Oft ist Stille Luxus, eine Oase fern des Alltags und des Akustischen, in der ich mich mit Kommunikationsformen und Ausdrucksweisen anderer Menschen beschäftige und mich von ihnen begeistern und verzaubern lassen kann.
Diese stille Kommunikation kann bildlich sein, gezeichnet, gemalt oder fotografiert. Sie kann wörtlich sein oder skulptural. Man kann sie sehen und anfassen oder zumindest ihr Gefäß berühren.
Meine Stille ist voller Emotionen. Oft ist sie eindrucksvoll, mal traurig, mal fröhlich, spannend oder kompliziert. Wenn sie da ist, habe ich das Gefühl, mich aufzulösen und in ihr unterzugehen, um dann ihre kleinen und großen Schätze zu finden.
Diese Schätze sind Ideen. Sie wachsen aus den Dingen, die ich in der Stille finde. Mache kann ich mitnehmen, andere muss ich zurücklassen und wieder andere entpuppen sich als Trugbilder.
Meine Stille zu finden ist manchmal nicht einfach. Es bedarf besonderer Konstellationen in Raum und Zeit, um Sie zu fassen. Sie verlangt stets nach Abstand zum Gewohnten, nach Neugier, nach Offenheit und Erkenntnisdrang, um sich entfalten zu können. Wenn ich ihr all das bieten kann, dann schenkt sie mir ihre Essenzen und aus meiner Stille wird Kommunikation.
Julia Hell ist 27 Jahre alt, Grafikdesignerin und lebt in Berlin.