Mattias Tyllander

Submission — Mattias Tyllander

A Sunny Morning

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »My Desire« — Text & Photo: Mattias Tyllander

Desire is a deep mystery we want to explore.

Desire is always with us. For me, desire is something we are creating in our minds, something you want to see with your own eyes.

Being out for a walk on a field an early summer morning is wonderful: I catch the sunrise and take self-portraits. Being out with my camera is something I love. Being alone and just feel nothing for a moment, just me and my camera.

Desire is a special feeling we all feel, desire makes me happy and sometimes sad. My desire is to travel around the world. New places give me new inspiration – and inspiration is very important for me: it brings me ideas for taking new pictures.

I like photography because when I find places I like, I get the inspiration to take a lot of pictures. It‘s so incredible to connect emotions through photography.

I also like to think and form my own ideas, it allows me to be a role model for others who like photography. I love the strong colors in my photography, I‘m glad I live in a country with many different seasons. It allows me for more space for ideas. What I like most about this picture is the colors and the misty feeling of the sunny morning. I like being out and discovering places, taking lots of pictures. I think I connect that feeling in this photo: My own desire to see new places with my own eyes.

That means desire to me.


Will Lister

Submission — Will Lister

Passion and Desire

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »My Desire« — Text & Photo: Will Lister

desire
noun
a strong feeling of wanting to have something or wishing for something to happen:
[with infinitive ] a desire to work in the dirt with your bare hands.

I personally think that desire is something that changes with age. It begins with desires to achieve the greatest things you can think of. For many children, they aspire to be their heroes. As you get older, your aspirations change with what you deem as possible, you go from wanting to be something like an astronaut, to something you see as much more ordinary. I think that this is a sad thing that happens to most people. I began wanting to be something great and amazing, and as I grew older, my thoughts changed and the social environment around me, mainly my school, persuaded me to aspire to be something that was deemed more ‘ordinary’ and to follow a path that many people have followed before. It was only recently that my view switch back to one that was similar when I was 8 years of age.

Something that has always been a passion in my life is music. I started playing guitar at the age of 9 and between that age and around 12 years old, all I wanted to do was to be in a rock band and tour the world.

When I began secondary school, I was quickly told by those involved in education that that simply wasn’t a realistic option and that I should focus on something else. I chose science as that more ‘realistic’ focus. But more recently, I thought that if I wasn’t doing the thing I was most passionate about in my life, what point was there in waking up everyday and doing it?

Nowadays, my desire isn’t necessarily to be a touring rock band, but the only reason this has changed is due to taste and that is a decision that I have made and no one else has influenced. The only thing that I want to wake up and do everyday is music, and so I decided that that is what I’m going to do.

I understand that in this article, I have spoken mostly about my experiences, and I guess that my view that I have is a personal view due to the fact I am only 17, but I also am happy that I’ve had this change in opinion, as I now look forward to my career which is something I hadn’t necessarily felt previously.

I strongly believe that ‘passion’ and ‘desire’ are two words that go hand in hand, that they are strongly linked and that your desires should follow your passions.


Mathias Linder

Submission — Mathias Linder

Leipzig im Winter

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Foto: Mathias Linder

leipzig im winter
blattloses dunkel einer kahlen stadt
wohin man blickt,
hohle menschen
zerrieben vom alltag und der zeit.
wer denkt heute noch an den tod?
und dazwischen
ein einzelner blick
der sagt
ich will mehr
wilde Träumerei.
das ist das sehnen:
das unaussprechliche
imaginäre
das labende
warten.


Jonas Meyer

Submission — Jonas Meyer

Die Möwe

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Foto: Jonas Meyer

In welchem Glück sie schwebt, das ahnt sie nicht. Nur wenige Male muss sie mit ihren Flügeln schlagen, um aus königlicher Höhe beobachten zu können, wie der Pazifik seine glitzernden Wellen auf die Küste rollt.

Hätte man einen Wunsch frei, man würde wohl ohne Zögern mit ihr tauschen: So könnte man fliegen, wohin man wollte. Und fliehen – jederzeit.

Man könnte sich tragen lassen vom kalifornischen Wind und seine Lungen fluten mit salziger Luft.

Mit der Sonne im Rücken und dem Meer vor Augen könnte man sich im Flug sein Glück erbeuten – und es teilen. Mit jemandem.

Dann würde man erkennen, dass das Besondere nicht im Fliegen liegt, sondern einzig und allein im Teilen – und dass es keine Flügel braucht, um königlich im Glück zu schweben.

Doch davon ahnt sie nichts, die Möwe.

Davon ahnt sie nichts.


Doris Schamp

Submission — Doris Schamp

Stadt der Engel

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Kunstwerk: Doris Schamp „Fly like a Monarch in Big Sur“, 100 X 100 cm, Giclée print

Sie hat mich bis in die Stadt der Engel getragen, um neue Wege zu beschreiten und von Null anzufangen. Ich kam an mit einem Koffer in Los Angeles. Eine Sehnsucht hatte mich so weit von der Heimat fortgetrieben, wie der Wind ein Boot am Meer davontreiben kann. Keiner kannte meine Kunst hier, die wenigsten zu Hause verstanden meine Entscheidung, am Anfang war ich verloren, wie jeder hier. „Willkommen in der Stadt der Träume und Sehnsüchte.“

Ich wurde bald gefunden, entdeckt, von einer Galerie. Spürten die Leute hier etwa meine Sehnsucht, sodass Sie mir eine Chance geben wollten in der Stadt der many „Lost Angeles“?

Die Sehnsucht danach, mich künstlerisch auszudrücken hat mein Leben bisher geleitet und sie war ein guter Beschützer. Jeder Mensch hat diese Sehnsucht nach einer Freiheit…nach der Freiheit, endlich seine Träume zu verwirklichen. Manche verbringen ihr Leben damit, von diesen Träumen zu erzählen. Bei vielen bleibt es ein Traum, da die Sucht nach dem Sehnen nicht groß genug ist.

Ich bin süchtig nach dem Sehnen, nach dem Sehnen nach Kunst und nach dem Hinterlassens eines Werkes. Es ist meine Triebfeder für mein Schaffen, aus Linien und Farbflächen die lebendig auf dem Papier tanzen, bis sie Ihren Platz gefunden haben.


David Uzochukwu

Submission — David Uzochukwu

Nichts als grau

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Foto: David Uzochukwu

„I adore these moments when everything is just right. Your thoughts stop running and it becomes clear that these are the moments we are living for. Perfectly peaceful and a bit eternal. These moments we will collect and remember. Smiling every time we reminisce.“ – Laura Zalenga

Ich lebe seit acht Jahren in Luxemburg. Hier ist es grau und verregnet, fast das ganze Jahr über. Luxemburg erinnert an Geisterstädte aus Westernfilmen: es ist tot und besteht aus kaum mehr als Fassaden.

Es ist ermüdend, jeden Tag nichts als Grau zu sehen. Es macht die Menschen apathisch. Man lässt alles an sich vorbeiströmen – es ist sowieso alles gleich.

Deshalb gibt es wenig, wonach ich mich mehr sehne, als richtig zu leben: dem Alltag zu entfliehen und mit leuchtenden Augen und leidenschaftlichen Menschen Erinnerungen zu schaffen. Tief einatmen und alles loslassen zu können.

Ich sehne mich nach diesem Funken in Menschen, nach Spontaneität und Abenteuer. Nach Momenten, an die wir uns erinnern können, wenn wir alt sind; nach Momenten, die einen wieder in ihren Bann ziehen, wenn man auf sie zurückblickt. Nach Momenten, die das Leben lebenswert machen.


Yannick Riemer

Submission — Yannick Riemer

Neue Wege finden

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Foto: Yannick Riemer

Die große Bühne bleibt auf jeden Fall heute für mich verschlossen. Der Vorhang ist gefallen, ohne sich geöffnet zu haben.

Schon der Sicherheitsmann hat mich an der Eingangstür abgewiesen, obwohl das doch mein großer Tag werden sollte. Das dachte ich zumindest. Selbstbewusst und stark habe ich mich gefühlt, als ich heute Morgen den ersten Schluck von meinem schlechten Kaffee getrunken habe.

Sogar die Tatsache, dass ich wieder neben meinem Bettnachbarn wach geworden bin, weil ich mir im Moment nicht mehr leisten kann, haben daran nichts geändert!

„Fick, fick, fick das System!“ schallte es aus den Lautsprechern und wirkte plötzlich nur noch wie eine Erinnerung. Ich will nicht
mehr zerstören, nur noch bauen, dachte ich mir. Auch meine Bilder, die an den Wänden in unserem Zimmer hängen, deprimierten mich nicht mehr. Ich habe sie zum ersten Mal als das gesehen, was sie sind:

Abbildungen meiner eigenen Entwicklung, nicht besonders schlecht oder gut, nur Momente. Ob ich davon irgendwann mal leben kann? Das war mir egal. Ich wollte einfach nur vorwärts.

Und jetzt, wo ich hier vor dem großen verschlossenen Tor stehe, weiß ich plötzlich nicht mehr wo lang. Also hämmere ich an der Tür, trete, schreie und versuche, sie zu zerstören, aber sie ist zu stark für mich. Meine Hand pocht und ist angeschwollen. Sie lässt sich kaum noch bewegen, mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich zittere am ganzen Körper.

Ich kannte immer nur eine Richtung und die war vorwärts. Umkehren, Rückschritt, neue Wege finden, das alles war mir fremd. Bis jetzt. Und auf einmal bin ich mir gar nicht mehr sicher, was das überhaupt ist.

Ich brauche neue Türen, die ich einrennen kann. Wohin das dann führt, ist mir egal. Ich will mich einfach nur noch bewegen.


David Schermann

Submission — David Schermann

L'appel du vide

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text & Foto: David Schermann

Kennst du das Gefühl?

Du stehst an einem Abgrund, egal ob Klippe, egal ob Stiegenhaus. Vor dir geht es tief hinab. Plötzlich spürst du ein Gefühl. Was, wenn ich jetzt springe? Was würde passieren?

Es sind keine selbstvernichtenden Gedanken, es ist die einfache Neugier. Die Sehnsucht nach dem rauschenden Gefühl während des Sprunges. Im Französischen gibt es einen Ausdruck dafür: L‘appel du vide, der Ruf der Leere.


MYP12 – Prolog "Meine Stille"

Editorial — MYP Magazine N° 12

Prolog »Meine Stille«

27. Oktober 2013 — David Peroz fotografiert von Osman Balkan

— David Peroz im Interview


David Peroz

Interview — David Peroz

Stiller Held

Vor einigen Wochen haben wir David Peroz kennengelernt – durch puren Zufall. Jetzt streift er mit uns durch den Norden Berlins, um uns an seine ganz persönlichen Orte der Stille zu führen. Ein Gespräch über Waghalsigkeit, Demut und den großen Nachteil von materiellem Besitz.

27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Osman Balkan

Es gibt Menschen, die behaupten, es gebe keine Zufälle im Leben. Alles sei vorherbestimmt und alles habe seinen Grund. Geschehen würde es, weil es so geschehen solle. Und das sei gut.

Es braucht ein wenig Mut, um sich einzulassen auf ein Spiel, das Zufall als reine Illusion versteht und dem Leben so etwas wie Bedeutung schenkt – wie etwa damals, an jenem Abend des 21. Juni 2013, als man im Nordosten Kreuzbergs die „Fête de la musique“ beging.

In einem kleinen Atelier am Schlesischen Tor tummelten sich wie überall die Menschen, um Station zu machen auf ihrer langen Reise durch die Nacht. Sie tanzten, rauchten, redeten und tranken. Und verließen die einen irgendwann den kleinen Raum, füllten neue Gesichter prompt die freien Plätze.

In der Mitte jenes Raumes stand zwischen all den Leuten fast regungslos ein junger Mann – tief in sich ruhend und völlig unbeeindruckt vom lauten bunten Chaos. Die Zeit raste, immer mehr Menschen kamen und gingen.
Der junge Mann stand weiter regungslos, atmete tief ein und schloss langsam seine dunklen Augen. Er lächelte – und für den Bruchteil einer Sekunde war etwas greifbar, das an ein wenig an Glückseligkeit erinnerte und gehalten war von purer Zuversicht.

Einige Wochen später.

Wir sind in den Norden Berlins gefahren, genauer gesagt in den beschaulichen Ort Waidmannslust. Wir sind mit David Peroz verabredet – jenem jungen Mann, der in dem kleinen Raum die Zeit angehalten hatte mit seinem Lächeln. Einfach so.

Es ist früher Nachmittag. Kaum haben wir uns begrüßt, schlägt David vor, uns bei einer kleinen Autofahrt die Gegend in und um das schöne Waidmannslust zu zeigen. Der junge Mann hat die meiste Zeit seiner Kindheit und Jugend hier verbracht und kennt sich demnach bestens aus. Nach einer etwa zwanzigminütigen Rundreise erreichen wir einen kleinen Parkplatz am Rande eines großen, dichten Waldes.

Dieses unberührte Stück Natur wirkt wie ein Schutzwall gegen das chronische Zuviel der Hauptstadt. Vor etlichen Jahren, so erzählt David, haben seine Eltern daher festgestellt, dass Waidmannslust genau der Ort ist, an dem sie leben und alt werden wollen. Also haben sie Charlottenburg den Rücken gekehrt und sind mit ihren zwei Söhnen in den Berliner Norden gezogen.

Davids Vater stammt aus Afghanistan und zog im Jahr 1978 von Kabul nach Westberlin, um dort Informatik zu studieren. Seine neue Bleibe sollte damals ein Studentenheim am Teufelsberg sein. Davids Mutter dagegen ist gebürtige Schwarzwälderin, die sich Ende der Siebziger bei der ZVS um einen Studienplatz in Zahnmedizin beworben hatte.

Die ZVS wies ihr einen Studienplatz in Berlin zu – doch was heute der Traum eines jeden Erstsemesters ist, war in der Zeit des Kalten Krieges so ziemlich das Letzte, was sich Eltern für ihre Kinder wünschten. Zu groß war die Bedrohung, zu mulmig das Gefühl im Bauch.

Dennoch trat sie wenig später dort ihr Studium an – und ihr Weg führte sie geradeaus in dasselbe Studentenwohnheim am Teufelsberg, in dem ein Jahr zuvor schon Davids Vater eingezogen war. Der war dort mittlerweile Ansprechpartner für die Erstsemester, weshalb sich beide bald begegneten. Ab dem ersten Moment, so erzählt David, habe sein Vater gewusst, dass dies die Frau ist, die er heiraten will – was er ein Jahr später auch tatsächlich tat.

Jonas:
Denkst du manchmal darüber nach, wie sich die Dinge wohl entwickelt hätten, wenn sich deine Eltern damals nicht am Teufelsberg begegnet wären?

David:
Früher habe ich mir darüber tatsächlich öfter mal Gedanken gemacht. Aber diese Gedankenspiele enden ja relativ schnell, weil man in jenem speziellen Fall gar nicht geboren worden wäre.
Es gibt zwar Menschen, die die Theorie vertreten, dass die Seele immer und unabhängig von einem Körper existiert und es unerheblich ist, wie und wann man geboren wird, aber ich persönlich glaube, dass mein Leben auch dann nicht genau so gewesen wäre, wie es bis jetzt gewesen ist. So ist das Einzige, was ich wirklich in mir trage, ein unbeschreibliches Gefühl von Glück – weil ich mein Leben wirklich mag.

Wenn ich Gefahren einschätzen soll, merke ich oft erst im Nachhinein, wie waghalsig ich eigentlich unterwegs war.

Jonas:
Als dein Vater damals zum ersten Mal vor deiner Mutter stand, wusste er instinktiv, dass sie die Richtige ist. Lässt du dich selbst auch weitgehend von deinem Instinkt leiten?

David:
Das kommt sehr auf die Situation an. Wenn es etwa darum geht, einen anderen Menschen einzuschätzen, kann ich mich ziemlich gut und recht schnell auf mein Bauchgefühl verlassen. Wenn ich allerdings Gefahren einschätzen soll, merke ich oft erst im Nachhinein, wie waghalsig ich eigentlich unterwegs war. Und ich stelle erstaunt fest, wie viel Glück ich letzten Endes immer wieder hatte, wenn ich beispielsweise von irgendeinem Felsen gesprungen bin oder auf dem Rennrad gesessen habe – und unzähligen Autotüren ausweichen musste.
In beruflichen Dingen neige ich eher dazu, mich auf meine Stärken zu verlassen als über meine Schwächen nachzudenken. Ich finde, es bringt dich einfach schneller zum Ziel, wenn du dort mit einer gewissen Selbstsicherheit auftrittst.

Wir betreten den Wald und folgen David entlang eines schmalen Pfades, vorbei an Bäumen und Gestrüpp. Es hat ein wenig geregnet, Nebel liegt über dem Boden. An Blättern und Nadeln bilden sich langsam Tropfen, die irgendwann zu Boden fallen.

David führt uns vorbei an einer kleinen Lichtung zu einer Waldquelle, die etwas abseits liegt. Die alten Nadelbäume stehen hier so dicht, dass man glaubt, es sei bereits die Dämmerung angebrochen. Nur ab und zu gelingt es einem Sonnenstrahl, die dunkelgrüne Mauer zu durchbrechen und das kühle Quellwasser zum Glitzern zu bringen.

Während wir uns an diesem verwunschen wirkenden Ort ein wenig umsehen, hebt David seinen Kopf, blickt zu den Baumwipfeln und atmet tief ein. Es wirkt, als wolle er mit seinen dunklen Augen das wenige Sonnenlicht auffangen, das sich seinen Weg durch die dichte Nadelwand bahnen konnte.

Für einige Minuten genießen wir die wundervolle Stille, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. David führt uns immer tiefer in den Wald hinein. Plötzlich spüren wir unter unseren Füßen Sand, erst ein wenig, dann immer mehr. Der sandige Weg wird breiter, wächst zu einem kleinen Hügel an und baut sich schließlich vor uns zu einer großen Düne auf – mitten im Wald, mitten in Berlin!

Tief beeindruckt steigen wir hinauf und lassen uns auf dem sonnenwarmen Sand nieder. Noch so ein Ort, an dem nichts anderes als die Stille zählt. An dem man Freiheit atmet. Und Glückseligkeit fühlt.

Wir lassen unsere Rücken in den weichen Sand fallen und schließen unsere Augen. Wärme, Licht, Unendlichkeit. In einem einzigen Moment.

Jonas:
Ist dies dein Ort der Stille?

David:
Insgesamt ist der Wald in Waidmannslust mein Ort der Reinkarnation, mein persönliches Refugium vor der Hektik der Stadt. Ich bin total glücklich, an so einem friedlichen Stückchen Erde aufgewachsen zu sein und leben zu dürfen.
Hier im Wald kann ich vollkommen in meine Umgebung eintauchen und mich lösen von meinem sozialen Umfeld. Oft suche ich mir hier einen Platz, von dem aus ich die Umgebung am besten auf mich wirken lassen kann. Ich fixiere dann irgendeinen Punkt in der Ferne und lasse mich innerlich komplett fallen – die pure Entspannung!
Ich liebe es aber auch, mich hier in der Gegend abends auf mein Rennrad zu setzen oder einfach durch den Wald zu joggen, um die physische Energie rauszulassen, die sich am Tag an der Uni angestaut hat und für die es sonst kein Ventil gab.
Zu Beginn meines Studiums bin ich für ein Jahr nach Moabit gezogen, wo ich auch schon während meiner Schulzeit recht häufig unterwegs war. Viele meiner Freunde wohnen dort, daher fühle ich mich in Moabit ebenso heimisch wie in Waidmannslust – und dementsprechend gibt es auch dort den einen oder anderen Ort, der für mich eine besondere Bedeutung hat und an dem ich Stille finde, wenn ich sie suche.

Jonas:
Ist Stille für dich eine Form von Freiheit – und Freiheit in der Konsequenz ein ebenso wichtiges Thema in deinem Leben?

David:
In gewisser Weise bedeutet das Finden von Stille für mich schon eine gewisse Freiheit. Ich glaube aber, dass ich viel zu behütet aufgewachsen bin und viel zu frei erzogen wurde, weshalb ich mich nicht erdreisten würde, Freiheit als das zentrale Thema meines Lebens zu verstehen. Trotzdem kann ich sie natürlich in ihrer tiefen Bedeutung greifen und weiß um ihren enormen Wert. Sie ist mein ständiger Begleiter und für mich die absolute Grundvoraussetzung für ein glückliches und erfülltes Leben.
Dabei wäre es allerdings ziemlich heuchlerisch zu fordern, dass jeder Mensch nach der Maxime leben sollte, möglichst frei zu sein. Es ist leider auf der Welt viel zu vielen Menschen nicht vergönnt, ein Leben in Freiheit zu führen. Ich glaube, dass mich dieses Wissen darum auch dazu bringt, mein eigenes Leben möglichst gut zu strukturieren und die Freiheit, die mir geschenkt wurde, effektiv und verantwortungsvoll zu nutzen.
Um es konkret zu sagen: Ohne diese Einstellung hätte ich wahrscheinlich kaum so früh angefangen, Jura zu studieren. Für die einen bedeutet Freiheit, überall hingehen zu können und zu dürfen. Für mich heißt Freiheit vielmehr, in jungen Jahren alle beruflichen Chancen nutzen zu dürfen, um später mit meiner Familie und meinen Kindern ein glückliches und erfülltes Leben führen zu können.

Jonas:
Also ist Familie der zentrale Begriff deines Lebens.

David:
Ja, Familie ist der erste und wichtigste Bezugspunkt in meinem Leben. Sie ist die Konstante, auf die ich mich glücklicherweise immer verlassen kann und die mich auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Es bringt dir absolut gar nichts, wenn du nur Leute um dich herum hast, die dir ständig sagen, wie toll du vielleicht bist oder wie gut du etwas gemacht hast.

Jonas:
Neigst du dazu, gelegentlich den Boden der Tatsachen aus den Augen zu verlieren?

David:
Mein Vater hat mich immer einen Träumer genannt, weil ich früher wahnsinnig große Vorstellungen davon hatte, was ich alles einmal werden will und wie ich mein Leben gestalten will. Dabei habe ich aber nie wirklich darüber nachgedacht, wie der Weg zu diesem Ziel tatsächlich aussehen soll.
Daher versucht mein Vater auch, mich nie zu sehr zu loben, sondern mich eher mit konstruktiver Kritik zu unterstützen und mir seine wichtigsten Weisheiten des Lebens mit auf den Weg zu geben. Auch wenn man das als Kind vielleicht noch nicht so versteht: Je älter man aber wird, desto mehr erkennt man den Sinn dahinter. Es bringt dir absolut gar nichts, wenn du nur Leute um dich herum hast, die dir ständig sagen, wie toll du vielleicht bist oder wie gut du etwas gemacht hast.

Wieder einige Wochen später, es ist mittlerweile September.

Wir treffen David Peroz ein weiteres Mal, diesmal in Moabit, was ihm neben Waidmannslust und dem Schwarzwald ebenfalls ein Zuhause ist. In einem kleinen türkischen Imbiss kaufen wir frische Gözleme und wandern zur Spree, wo wir uns gegenüber des Bellevue Ufers auf einer Mauer niederlassen. Vor uns gleiten Ausflugsboote über das Wasser, im Hintergrund ist gelegentlich das Rattern der S-Bahn zu hören.

Es wird von Minute zu Minute dunkler, die Dämmerung schleicht sich langsam ein. Während wir den Ausblick auf das hell erleuchtete Schloss Bellevue genießen, erzählt David, dass dies ein weiterer jener Orte ist, an den es ihn zieht, wenn er seine Stille sucht oder Zeit mit seinen Freunden verbringen will.

Hungrig machen wir uns über die noch warmen Gözleme her und David erklärt, dass es in Afghanistan eine ganz ähnliche Spezialität gibt, die Bolani heißt: gefüllte Teigtaschen mit Kartoffeln oder Lauch.

Ich finde, man kann Dinge nur zu 100 Prozent wirklich beurteilen, wenn man selbst vor Ort war und sich sein eigenes Bild von den Umständen machen konnte.

Jonas:
Hast du daher das Gefühl, vieles aufholen zu müssen?

David:
Oh ja, das muss ich tatsächlich. Afghanistan kenne ich ja lediglich aus den Erzählungen meiner vielen Verwandten, die über die ganze Welt verstreut sind und zu größeren Familienfesten immer wieder zusammenkommen. Da erhält man natürlich einen gewissen Einblick in die Kultur, aber das ist einfach nicht dasselbe.
Ich glaube, dass ich darüber hinaus auch etwas aufzuholen habe, was die generelle Sicht auf die Dinge und das Land angeht. Man ist bei seiner Wahrnehmung von außen ja leider der selektiven Berichterstattung der Presse ausgesetzt. In Deutschland beziehungsweise Europa werden einem in den Medien nur kleine Ausschnitte serviert, die irgendeine Redaktion für wichtig erachtet hat und die meistens mit den kriegerischen Auseinandersetzung innerhalb Afghanistans zu tun haben. Dabei wird leider komplett ausgeblendet, dass es dort auch eine funktionierende Zivilgesellschaft gibt.
Ich finde, man kann Dinge nur zu 100 Prozent wirklich beurteilen, wenn man selbst vor Ort war und sich sein eigenes Bild von den Umständen machen konnte. Und genau das ist es auch, was ich mir von meinem allerersten Afghanistanbesuch erhoffe.

Jonas:
Das heißt, du stehst den Medien eher kritisch gegenüber?

David:
Ich finde, dass es uns die heutige Informationstechnologie generell viel zu leicht macht, Wissen auszulagern und nicht mehr zu hinterfragen. Das geht an manchen Stellen sogar so weit, dass es vielen daran mangelt zu wissen, wie man im Leben zurechtkommen würde, wenn man nicht in die Komfortzone eines wirtschaftlich gesunden und friedlichen Systems hineingeboren wäre.
Unsere Großeltern im Schwarzwald wussten zum Beispiel noch, wie man Obst und Gemüse anbaut – das sicherte ihnen das Überleben. Dieses Wissen ist heute nicht mehr relevant. Man gibt sich damit zufrieden, dass im Supermarkt alles verfügbar ist. Um das Wie und Wo macht man sich dabei nicht mehr wirklich viele Gedanken.

Jonas:
Hat dich die imposante Natur des Schwarzwalds sehr geprägt?

David:
Ja, total! Wenn ich mich in Berlin in den Zug setze und im Schwarzwald wieder aussteige, atme ich tief ein und bin wie euphorisiert von der frischen Luft. Ich liebe auch das Geräusch des plätschernden Wassers, das aus einem Brunnen in der Nähe des Hauses meiner Großeltern sprudelt. So etwas ist wundervoll und hat eine sehr beruhigende und tiefenentspannende Wirkung auf mich. Afghanistan soll übrigens ähnlich atemberaubende Landschaften haben, alleine deshalb bin ich sehr gespannt darauf, was mich dort erwartet.
Ich muss aber zugeben, dass ich nach spätestens einer Woche Schwarzwald irgendwie anfange, Berlin zu vermissen. Dann setze ich mich wieder in den Zug, fahre zurück und hole am Hauptbahnhof genauso tief Luft wie bei meiner Ankunft im Schwarzwald.
Wenn ich nach einer Woche im Süden Deutschlands wieder die Berliner Luft schnuppere, denke ich jedes Mal: Es ist so schön, hier zuhause zu sein.

Jonas:
Was ist für dich denn das Besondere an Berlin?

David:
Ich glaube, es ist diese Zwanglosigkeit und Vielfältigkeit der Stadt. Alleine die Tatsache, dass wir kein wirkliches Stadtzentrum, sondern viele verschiedene Stadtteilzentren haben, finde ich wahnsinnig toll. Es gibt in Berlin so viele Möglichkeiten, sich immer genau das auszusuchen, worauf man gerade Lust hat.

David lächelt. Er scheint gerade der zufriedenste Mensch auf Erden zu sein. Während wir auf der Ufermauer sitzen und unsere Blicke auf der Spree verlieren, spiegeln sich die Lichter der Ausflugsboote in seinen tiefen dunklen Augen.

David:
Ich finde Schiffe ja richtig toll, irgendwie war so etwas immer schon mein Traum! Stell’ dir vor, du hättest ein eigenes Boot und könntest an jedem Hafen der Welt anlegen — das wäre die absolute Freiheit!

Je weniger materielle Dinge man besitzt, desto weniger kann man auch vermissen.

Jonas:
Auf so einem Boot könntest Du aber nicht wirklich viel mitnehmen.

David:
Ach, das wäre gar nicht das Schlechteste. Je weniger materielle Dinge man besitzt, desto weniger kann man auch vermissen. Und das einzig Wichtige hätte man ja eh immer dabei: sein eigenes Zuhause.

Die Nacht hat sich mittlerweile über Berlin gelegt, die Spree wirkt wie ein schwarzer Spiegel. Wir entscheiden, noch einige Meter am Ufer entlangzuwandern. Schweigend schlendern wir über die kleine Lutherbrücke und spazieren auf der anderen Wasserseite zurück in Richtung S-Bahnstation.

Nach ein paar Minuten bleibt David plötzlich stehen und lächelt. Seine dunklen Augen funkeln so stark, als hätten die bunten Lichter der Spreeboote sie zu ihrem neuen Zuhause erklärt.

Der junge Mann schließt seine Lider, atmet tief ein und hält erneut die Zeit an – wie damals, am Abend des 21. Juni 2013 im Nordosten Kreuzbergs.

Es gibt Menschen, die behaupten, es gebe keine Zufälle im Leben. Alles sei vorherbestimmt und alles habe seinen Grund. Geschehen würde es, weil es so geschehen solle.

Und das sei gut.