Marieke Fischer
Submission — Marieke Fischer
Furie
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Marieke Fischer, Foto: Hannah Pot d‘Or
Furie. Sie spuckt das Wort immer wieder heraus. Rotzt es auf die befleckte Bettdecke, in der sie den sonnigen Tag verbrachte. Furie. Wie alles im Leben verkommt es nach mehrmaliger Repetition zur Normalität. Zur tristen, langweiligen, immer gleichen Scheiße. Natürlich könnte sie es gebildet-frankophil verpacken. Ihren Geist als Erbe eines Camus verkleiden, ihre Attitüde melancholisch-trotzig als Soko ausgeben. Aber warum das Leben als Wiederholung laufen lassen? Zur Kopie einer Kopie einer Kopie werden?
Furie. Sobald das Stechen im Bauch anfängt, der Hals eng wird und analfixierte Fäkalworte das Sprachzentrum beherrschen. Wenn die Wut zu ihrem Ich wird.
Wenn sie wütend auf sich selbst ist. Dann wird dieses Gefühl auch nach der eintausendfünfhundertsten Wiederholung nicht zur Normalität. Nur sie fühlt sich normal. Das Resultat ihrer eigenen Banalität?
Ihre Wut ist Angst im falschen Gewand. Angst vor dem Verlust. Angst vor dem Versagen. Angst davor den eigenen Weg nur in den kaugummiverklebten Fußspuren ihrer Vorgänger zu finden. Die Angst davor eben doch nur die Kopie einer Kopie einer Kopie zu sein. Ein Teil der immer gleichen Scheiße zu sein.
Furie sagen manche zu ihr. Sie stellt sich als Angsthase vor.
Marieke Fischer ist 22 Jahre alt, freie Journalistin und lebt in Berlin.
Jodi Melody
Submission — Jodi Melody
Fascinating Life
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text & Photo: Jodi Melody
What’s wrong with windows? A view. Why are people no longer interested
in the real world? A strange sense of tension builds in a room of
people that can’t access the internet from a device they keep in their
pockets. What surrounds you is beautiful. Look up. Look at each other.
We were all born into a world that’s beauty is constantly trying to
impress us. It makes me furious that people prefer to look at pixels
on a screen over the fascinating life that surrounds them.
Jodi Melody is a 19-year-old student living in Auckland, New Zealand.
Inflection
Submission — Inflection
Wutstationen
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Maximilian Bach & Philipp Seuthe, Foto: Florian Dörr
P
14.12.11
Hochschule für Musik und Tanz Köln.
Mein Professor für Musikpsychologie behauptet, dass Wut zu den Grundgefühlen gehört.
Eifersucht zähle auch dazu. Ich melde mich und widerspreche, da Eifersucht für mich eine Synthese aus Wut und Angst darstellt. Mein Professor erwidert, dass er sich diesen Einwand merken werde.
Er erwähnt ferner, dass die Art und Weise, wie Menschen Wut zeigen, von (sub-)kulturspezifischen „display rules“ abhänge. Das leuchtet ein. In der Hip Hop-Szene damals war Wut immer okay. Die kultivierten Musikstudenten haben es nicht so mit Wut.
16.07.12
Köln, Buchheim.
Mein Tonsatzprofessor regt sich voll auf. Max und ich haben Trash produziert. Wir dachten unschuldig „Höhö, geil, wir machen brutalen Trash.“ Mein Prof findet das scheiße. Er sagt, man könne anhand objektiver Kriterien feststellen, dass unsere Musik keine Qualität habe. Der Beginn einer tollen Zusammenarbeit.
05.08.12
Amsterdam, Studio 80.
Ich bin wütend, weil meine damalige Freundin vor meinen Augen mit einer anderen Frau rumgeknutscht hat, um mir eins auszuwischen. Ich habe Angst, dass der Beziehungskrieg wieder anfängt. Ich schlage meinen Hinterkopf gegen die Steinwand des Clubs. Der Türsteher schaut zu.
21.02.13
Köln, Südstadt.
Ich lese eine extrem emotionale E-Mail von Max, die davon handelt, dass er meine Wutanfälle langsam nicht mehr aushält. Ich hatte mich darüber aufgeregt, dass er in einem Track von mir komponierte Sounds gelöscht hatte. In „Psychologie für Dummies“ steht, dass Wut auf der Annahme beruht, eine andere Person hegte eine schädliche Absicht gegen einen. Dass ich aufgrund einer solchen Annahme gehandelt habe, kann ich heute kaum noch glauben.
08.03.14
Köln, Braunsfeld.
Max und ich proben in seiner Wohnung. Wir schreien rum und dancen zu unserem eigenen Sound. Die Nachbarn freuen sich bestimmt. Ich liebe die Syntax der elektronischen Musik. Die Semantik kann wütend ausfallen, oder auch nicht.
Heute
Ich möchte überhaupt nicht mehr wütend sein. Die Dämonen, die in mir die Wut verursachen sind total alt. Die sind sowas von 90er. Wie Papier.
Der Inflection-Track „Postmelancholia“ handelt auch irgendwie von der Überwindung der eigenen Wut.
M
15.06.13
Auf dem Nachhauseweg.
Ich habe so lange keine Wut gekannt. Und wenn doch, dann war sie immer gezähmt, immer vernünftig, immer verhältnismäßig, die kommende Versöhnung schon in sich tragend. Über ein Jahr, dass mein Vater starb, über ein Jahr „es hätte aber auch schlimmer…, wir wussten ja immer schon…, immerhin und ich kann froh sein, dass…“.
Heute ist all das von mir abgefallen.
Ich sehe auf einmal ganz klar, es gibt nichts zu relativieren, überhaupt nichts ist gut, an dem was geschehen ist.
Eine Welle aus Wut überrollt den inneren Anstand, die Beherrschung, die morschen Barrikaden, den Weg zur absoluten Verzweiflung versperrend, bis ich nichts mehr bin als ein einziges NEIN, bis zur Erschöpfung anschreiend gegen das Unverhandelbare, gegen ein Leben, dem ich mich beugen soll. Ich will mich nicht beugen.
Als sich die Wogen zurückziehen, bleibe ich gereinigt zurück. Es bleibt aber auch die Tür zu einem Gefühl, so stark und rein, wie die Liebe, der es entsprungen ist, und ebenso wie diese wohl für immer.
Der Hass ist seit heute ein Teil von mir. Und ja, das beglückt mich.
Maximilian Bach und Philipp Seuthe sind Musiker und leben in Köln.
Franziska Stetter
Submission — Franziska Stetter
Off Kilter
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Franziska Stetter, Photo: Wael Morcos
I like to complain. I complain about work, about food, about disorganization, about too much organization. I’m often against various things and I always find more things to complain about, whether it’s a dripping tap, or the hole in my jacket’s pocket where everything falls through. And since I’m often the only one who complains, I have to complain about the fact that no one else complains.
I have moved 15 times in the last 6 years. After all those experiences of cultural displacement, I realized that my emotional wellbeing stems from my longing for the familiar. However, over the years, things that used to be foreign have become ordinary, and vice versa, things that used to be familiar became strange.
In adopting new cultures, I compromise fragments of my beliefs, not only personally but also professionally. In my first internship in the United States, my boss used to tell me that my design looks “too German”.
Back in Germany, people described my internship-work to be “very American”. While adapting, my identity polarized, my critical stance detached from national origins, and my perspective expanded.
Complaining is not always negative. In my case it is simultaneously a desire for the known but also a desire of change and moving forward. If I keep moving it is because I haven’t settled.
Franziska Stetter is a 29-year-old graphic designer living in Brooklyn, New York.
Johannes Heidner
Submission — Johannes Heidner
Treibende Kraft
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Johannes Heidner, Foto: Moritz Kluth
Auf dem Weg zurück sammelst du die schönsten, die du finden kannst. Nach einiger Zeit kommst du bei deiner Liege an, deine beiden Hände voller schöner Muscheln. Deine Freunde sind schon nach Hause gegangen, also packst du deine Sachen und gehst über die Dünen zu dem Ferienhaus. Deine Freunde haben bereits mit dem Grillen angefangen. Du kommst zu ihnen und zeigst ihnen deine Muscheln. Einer der Freunde kommt zu dir und sagt: „Dafür hast du so lange gebraucht? Schau dir mal meine an – und ich habe auch noch Steine gesammelt.“
Wenn ich mich überwinde, in das Schneiden einzutauchen, bin ich wie in einer anderen Welt. Dort gibt es nur mich und das Material, das ich kunstvoll zusammenfügen muss. Ich gehe nicht mehr auf die Toilette, esse nicht und trinke nicht. Ich sitze stundenlang vor meinem Computer und tippe und klicke. Ich versuche, immer etwas Neues zu entdecken – etwas am Programm, das ich noch nie davor fand.
Manchmal habe ich auch schon so starke Vorstellungen, wie etwas am Ende aussehen muss, sodass ich desöfteren stundenlang damit verbringe, dies möglich zu machen.
Es dauert lange und in dieser Phase bin ich noch angespannter als normalerweise beim Schneiden: Einerseits bin ich immer kurz davor, daran zu verzweifeln, doch andererseits kommt die Wut, die mich vorantreibt und die mir sagt: „Zeig ihnen, dass du es schaffst!“
Diese zwei Gefühle sind so intensiv, dass ich mich verkrampfe, keine Störung akzeptieren kann und jeden verfluche, der durch meine Zimmertür kommt.
All‘ das steuert dann auf das Ende hin: Entweder das Ende ist schlecht und ich muss aufgeben, weil meine Fantasie einfach nicht groß genug ist, und ich baue die alten bekannten Dinge ein, die jeder andere auch nutzt.
Oder das Ende ist gut und ich schaffe, was ich wollte. Dann bin ich euphorisch und die ganze Spannung fällt von mir. „ch habe geschafft was ich wollte. Ungefähr so, wie…
Dafür gibt es für mich kein Beispiel, weil es dieses eine bestimmte Gefühl ist, das nur auftaucht, nachdem ich ein Video erfolgreich beendet habe.
Meine Wut kann zerstören, doch gleichzeitig ist sie eine treibende Kraft. Es kommt immer nur darauf an, wie ich sie umsetze – und dass ich versuche, sie produktiv zu nutzen.
Du bist mit Freunden an ein Meer gefahren und tauchst endlich in das salzige Wasser ein, es ist kalt und schnürt dir die Lunge zu. Du denkst: Warum mache ich das hier? Ich könnte doch einfach am Strand in der Sonne liegen und ein Buch lesen! Doch dann schwimmst du etwas herum, gewöhnst dich an die Temperatur und tauchst unter. Die Sonne schimmert durch das Wasser und ein kleiner, bunter Fisch taucht auf. Er schwimmt in einiger Entfernung herum, doch dann dreht er sich um und schwimmt weg.
Du wirst neugierig. Du schwimmst ihm hinterher, doch er ist schneller und verschwindet in der Dunkelheit. Da siehst du eine Wasserpflanze, du bist schon außer Atem, doch du willst da hin, denn der Fisch schwimmt um die in der Strömung wiegenden Blätter.
Du kommst näher, nun bist du nur noch wenige Meter von der kleinen Pflanze entfernt, doch durch deine Bewegungen wird das Pflänzchen entwurzelt und treibt vor dir. Der Fisch wuselt noch immer um ihre grünen Arme. Du wirst langsam wütend. Jedes Mal wenn du dich dem Pflänzchen näherst, schwimmt sie etwas weiter.
Du möchtest schon fast aufgeben, da taucht ein zweiter Fisch auf. Er schwimmt neben dir, du siehst seine Flossen durch das Wasser gleiten, der ganze Körper in einer einzigen schlängelnden Bewegung. Er schwimmt durch deine Beine und nähert sich der Pflanze. Jetzt kannst du doch nicht aufgeben!
Du verfolgst die Pflanze samt der Fische weiter, du tauchst immer wieder auf, um Luft zu holen. Du bist ganz starr auf diese Fische gerichtet, musterst sie, wie sie umeinander tanzen.
Plötzlich spürst du Sand unter deinen Füßen. Während du durch das Wasser watest, den weichen Sand unter deinen Füßen weg schiebend, trittst du in etwas Matschiges.
Unter dir sind Algen, sie legen sich um deine Füße und ziehen dich zurück. Du schüttelst sie ab, doch dabei entsteht so ein Druck, dass die Fische mit ein paar starken Flossenschlägen verschwinden.
Du bist sauer: Du verfolgtest sie nun so lange und dann sind sie verschwunden – wie eine Illusion? Du schaust auf und bemerkst, dass du sehr weit gekommen bist. Du machst dich auf den Weg zurück. Du trittst auf etwas spitzes und Siehst unter dir Muscheln. Du bückst dich, greifst sie und säuberst sie im Meer.
Johannes Heidner ist 17 Jahre alt, Schüler und lebt in Berlin.
Jenny Fitz
Submission — Jenny Fitz
Spurensicherung
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text & Foto: Jenny Fitz
Es gab da diesen Künstler aus den 60er Jahren. Der hat mal seinen Abendbrottisch konserviert. Den ich dann 40 Jahre später in irgendeinem schicken Museum an die Decke genagelt betrachten durfte. Man fragt sich, was die da gegessen, worüber die sich unterhalten haben, und alles nur, weil man auf zerfressene, getrocknete Artefakte schaut.
Kunst? Vermutlich einfach ein x-beliebiger Abend mit Freunden, einer von vielen.
Sechs Tage später.
Ich habe eine Menge herausgefunden in den letzten sechs Tagen. So lange räume ich nämlich schon meine Küche nicht mehr auf. Essensreste zum Beispiel. Die fangen gar nicht sofort zu schimmeln an. Die trocknen erstmal. Ein Salatblatt. Das verwandelt sich in so eine Art Papierskulptur. Oder Nudelsoße. Eine richtig tolle Nudelsoße. Jetzt starre ich auf eine harte bräunliche widerliche Substanz und muss mich an die Zutaten erinnern. Überreste einer x-beliebigen Woche, eine von vielen.
Wenn ich morgens aufstehe und erstmal einen Geschirrberg wegspülen muss, macht mich das wütend. Dachte ich jedenfalls. Aber ich bin nicht wütend. Allenfalls ein wenig genervt, weil ich jetzt wirklich keine Tasse mehr finden kann, die noch sauber ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Den Dreck, den ich verabscheue, gerade gehört er dazu. Wut und Gewohnheit. Schließen die sich aus? Es ist nicht das Geschirr, das mich wütend macht. Es ist die Überraschung, die ich erlebe, wenn ich einen sauberen Tisch erwarte – und dann das Geschirr herumsteht.
Ich habe versucht, mich auszutricksen. Die Wut zu planen. Aber Wut will nicht gesucht werden. Sie will einen anfallen, von hinten, blitzschnell. Heimtückisch.
Jedenfalls kommt die Wut nicht von vorne, sie winkt nicht und sie hat sich auch vorher nicht angemeldet.
Und jetzt?
Sechs Tage lang habe ich hier keinen Finger gerührt. Jetzt mache ich mich über jeden Fleck her und bearbeite ihn mit Essig, lauter Musik und einer Intensität, die befreiend ist. Dabei mag ich das eigentlich gar nicht, Hausarbeit. Da, irgendetwas ist hinter den Kühlschrank gefallen. Da ist es ja auch besonders dreckig, seit vier Jahren habe ich hier nicht sauber gemacht.
Jetzt aber soll alles blitzen. Mit einem langen Besen stochere ich nach Küchenabfällen und einer Packung von irgendetwas, was ich zwischendurch bestimmt schon mal gesucht habe. Ein plötzlicher Schmerz an der Stirn – ich habe mich an einem Scheißnagel gestochen, wo kommt der denn her. Achja, da hängt der Besen dran, den ich gerade zum Stochern benutze. Wütend taste ich nach meiner Stirn. Ich blute. Ha, ich bin wütend. Da hat sie mich erwischt, mich angesprungen und direkt einen Sündenbock gefunden.
Mich.
Tief durchatmen. Fertig putzen. Und dann erstmal eine schöne Tasse Kaffee. Ich betrachte die saubere Küche und denke an die Wut. Die schon wieder verflogen ist. Und der man so schwer auf die Spur kommt, wenn man nach ihr sucht.
Jenny Fitz ist freischaffende Fotografin und lebt in Berlin.
Ramona Frauenrath
Submission — Ramona Frauenrath
Gegen mich
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text & Illustration: Ramona Frauenrath
Ich gehe wohin meine Gedanken mich tragen,
lebe was meine Gefühle mir sagen und doch
lodert eine Wut in mir.
Was ist diese Wut?
Es ist ein Groll den ich unschwer bändigen kann.
Es ist das nicht können, aber wollen.
Das Machen, aber nicht richtig machen.
Das Scheitern, dass sich nicht entscheiden können, das erfolgreich sein wollen,
dies aber nie sein können.
Meine Wut ist, dass ich so vieles will aber alles nur halb gut kann.
Dass ich heute nicht weiß was morgen das Richtige wäre-
Meine Wut ist, dass ständig wissen müssen was man will, was man mag, was man kann,
aber ich weiß nichts.
Nur,
dass ich die Gesellschaft nicht ertrage,
die Jugend heut zu Tage,
die Bewertung in einer Skala von eins bis sechs.
Die sechsundzwanzig Urlaubstage im Jahr.
Das Vergessen von Intuition, Emotion und Einfühlungsvermögen!
Meine Wut bist du, der mir gegenüber steht und mich lehrt,
dass alles Wissen der Welt Freiheit bedeutet!
Meine Wut ist das virtuelle Leben in Taschenformat.
Meine Wut ist die Perfektion nach der alles strebt,
die ich nicht mag und die dennoch an mir nagt.
Es ist das nicht Wissen wohin mit sich, vor lauter Angebot und Nachfrage.
Das, alles ist möglich und alles haben können und dennoch nichts davon machen wollen.
Meine Wut ist der Takt der Zeit, der unser Leben bestimmt.
Es ist die propagierte Freiheit die sich nicht leben lässt.
Meine Wut ist der Besitz, das Eigentum, das Kapital,
das wirtschaftliche Wachstum mit Rechenfehler.
Meine Wut sind Grenzen, das Ausgrenzen, der Entzug von Eigenständigkeit.
Meine Wut richtet sich gegen diese eine Welt, die ich nicht mag, die ich verabscheue, ablehne,
und dennoch ein Teil von ihr bin.
So richtet sich meine Wut gegen mich.
Ich, die keine Grenzen mag und dennoch welche zieht.
Ramona Frauenrath ist 27 Jahre alt, Schauspielerin, Kunst- und Theaterpädagogin und lebt in Braunschweig.
Louise Borinski
Submission — Louise Borinski
Stumme Wut
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text & Foto: Louise Borinski
Stumme Wut hat kein bestimmtes Gesicht.
Sie lässt uns keinen klaren Gedanken fassen.
Wir wenden uns ab. Verdrängen.
Doch vor uns befindet sich nur eine Mauer. Grau.
Sie versperrt uns den Weg. Den Weg vorwärts.
Louise Borinski ist 20 Jahre alt, studiert Fotografie und lebt in Berlin.
Johann Päßler
Submission — Johann Päßler
Wegbegleiter
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Johann Päßler, Foto: Roberto Brundo
Ein normales Leben? Ja, das hört sich ganz gut an. In meinen Gedanken mahlen sich diese Bilder auch sehr gut von allein. Doch ist das der Weg, den der Mensch einschlagen sollte? Sein Leben so zu strukturieren, wie es jeder andere macht und uns vorlebt?
Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und hier sieht der Lebensplan jedes Einzelnen im Grunde gleich aus. Man geht zur Schule, macht seinen Abschluss, geht studieren oder macht eine Ausbildung – und dann arbeitet man so lange, wie es eben möglich ist, um seine Familie zu versorgen und vielleicht sogar noch ein kleines Haus zu bauen.
Aber was ist mit den Menschen, denen das nie und nimmer ausreicht? Mit denen, die sich selbst verwirklichen müssen, damit sie nicht an sich selbst kaputt gehen?
Ich selbst zähle mich zu ihnen und ich kann mir bis heute noch nicht vorstellen, einen normalen Beruf auszuführen, der mir meine Zeit für meine Interessen stiehlt. Ich möchte Musik machen, produzieren, all‘ meine gesammelten Eindrücke in meinem bisherigen Leben in Hörbares formatieren, um anderen eine Geschichte zu erzählen und sie an ihre eigenen, längst vergangenen zu erinnern.
Wenn mich jemand fragt, wo ich beruflich hin möchte, antworte ich nicht immer gleich. Es kommt ganz darauf an, wer mich fragt. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele den Wunsch belächeln, mit Musik Geld zu verdienen. Deshalb gebe ich jedem die Antwort, die für ihn am besten ist.
Das ist meine größte Wut: sich so oft einfach anpassen zu müssen, um ein wenig bequemer zu leben oder zumindest so zu leben, dass es gut erträglich ist, so lange man an seinen Umständen nichts ändern kann.
Diese Wut ist mein ständiger Wegbegleiter, obwohl ich sie mittlerweile so gut unterdrücken kann, dass sie kaum spürbar ist. Dennoch wirkt sie als Initiator für noch mehr Wut, vor allem die auf mich selbst: mich ständig zu fragen, ob ich nicht eventuell noch mehr machen könnte, um meinem Ziel näher zu kommen. Diese Wut hat mich schon des Öfteren in Verzweiflung getrieben. Und dafür hasse ich sie.
Wenn ich eines über Wut gelernt habe, dann ist es, dass Wut noch nie jemandem irgendetwas gebracht hat. Aber wieso gibt es sie dann? Ich glaube, die Wut ist eine Art Prüfung an uns selbst, eine Übung, in der es unsere Aufgabe ist, uns und unsere Gedanken zu kontrollieren.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, auf diese Weise ein großes Maß an Beherrschung gewonnen zu haben – zusammen mit emotionaler Beständigkeit. Vielleicht nicht allzu schlecht in unserer Zeit.
Johann Päßler ist 21 Jahre alt und lebt in Stollberg und Berlin.
Pedro Panaché
Submission — Pedro Panaché
Aufklärung
3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Pedro Panaché, Aus: Elementrack, Album: MARKIGE WORTE (2014)
Diese Tage sind gezeichnet von Stürmen
und es hagelt aus den Elfenbeintürmen
keine Fragen und keine Zweifel am Himmel
aber manchmal sind auch Wolken nur Schimmel
denn Legenden von Magie über Lüfte und Gestirne
trug der Wind erst auf Papier und dann in die Gehirne
jetzt streiten wir an Grenzen mit Waffen über sie
doch fragt man ihre Priester, sagen die, sie würden nie
wollen, dass sich einer an den Stürmen verletzt
ist es nicht toll, dass man sich darauf verlässt
wenn sich aus Luftunterschieden Gewitter formieren
sie nicht Hass kultivieren und Kinder indoktrinieren
dass sie nicht schlussendlich zum Hurricane führen
an dem alles unkenntlich verwüstet wird
doch dies ist nicht die Wahrheit, erst wenn goldenes Licht
durch die Donnerwolken bricht, herrscht endlich Klarheit.
__
Jemand musste mich verleumdet haben. Denn ich habe nichts Böses getan.
Tiefdruck. Die Ungerechtigkeit strömt in meinen Körper und kondensiert. Auf dem Boden der Tatsachen wird es dunkel: Wut zieht auf.
Meine Aura glüht einwärts, emittiert negative Energie.
Der Verstand blockiert den Affekt, wenn die Spannung es zulässt.
Fragen nach Schuld und Konsequenz strahlen von oben.
Unten kein Lichtblick. Ich hänge in der Gewitterzelle.
„Gefangener“ nenne ich mich selbstgefällig.
Mein Richtstab ist zum Bersten gespannt.
Ich lese die Anklageschrift. Rufe die Beschuldigten auf.
Oft kommen sie ohne Gesicht. Tragen die Uniformen eines Systems,
deren Teil Sie sind. Aber ich schaue genau hin und erkenne Menschen.
Doch die Erkenntnis entlastet mich nicht.
Negative Energie kann ich nicht wegdenken. Sie erhält sich.
Also wandle ich sie. Ich strebe nach Hochdruck. Output.
Ich nehme meinen Stift wie einen Hammer und richte
meinen Fokus auf das leere Blatt Papier. Enthülle die Geister.
Trenne Ursache und Wirkung. Der Wind dreht allmählich.
Jemand greift mich an. Doch ich kämpfe mit mir selbst.
So können die anderen nicht gewinnen.
Mögen sie spüren, wie ich stärker werde.
Pedro Panaché ist 23 Jahre alt, Musiker und lebt in Stuttgart.