Tami Dorina Doikas

Submission — Tami Dorina Doikas

Gelebte Worte

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Foto: Tami Dorina Doikas

Die Luft hier drin ist stickig. Ich traue mich kaum zu atmen. Vor mir ein großes Chaos. Ein großer Haufen Blätter. „Nicht gut genug.“, stand auf manchen Blättern. Worte wie diese flattern auf den Blättern, die sie tragen, zu Boden, direkt neben meine Füße. Ich will mir die Haare raufen, das Herz herausreißen, schreien, stampfen, bis ich keine Kraft mehr habe.

Irgendetwas bewegt sich und wirbelt Blätter auf. Die Blätter, die ich zuvor auf den Grund habe fallen lassen. Alles fängt an sich zu drehen. Und mit einem Mal wird mir klar, dass ich gefangen bin. In meinem eigenen Kopf. Ich kriege kein Wort heraus. Es ist, als hätte mir jemand meine Stimme gestohlen. Sie ist weg.

Ich fange an, alle Blätter aufzusammeln. Gedanken, Träume, Ideen und Geschichten. Ich ordne sie, staple sie. Beginne ein Blatt nach dem anderen zu lesen und zu leben. Die Luft wird besser. Mit jedem Blatt, das ich erhasche, spüre ich eine Last von mir fallen.

Es wird heller, ein frischer Herbstwind durchflutet den Raum. Ich atme tief ein, schließe die Augen und höre meine Stimme wieder:

„Gedanken sind Worte, die gelebt werden müssen.“ Meine Hände greifen zur Kamera.


Moritz Aust

Submission — Moritz Aust

Stimme gefunden

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Foto: Moritz Aust

Eine eigene Stimme zu finden war nie wirklich einfach für mich. Als Kind wurde ich permanent als schüchtern, zurückhaltend und still eingeschätzt. Ich habe es selten gewagt, meine Stimme zu benutzen und meine Meinung offen und ehrlich gegenüber anderen auszusprechen oder zu meinen Träumen zu stehen.

Lange Zeit bin ich dem gefolgt, was mir die breite Masse, Freunde und Familie vorgelebt haben, ohne dies zu hinterfragen.

Doch vor ein paar Jahren entdeckte ich die Fotografie für mich, was dazu führte, dass ich endlich meine eigene, individuelle Stimme gefunden habe.

In meinem Leben gab es nun ein Medium, mit dem ich mich perfekt ausdrücken konnte – und ich fing an, meine Stimme für die Dinge zu erheben, die ich für richtig hielt.


Acacia Johnson

Submission — Acacia Johnson

Into The Light

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »My Voice« — Text & Photo: Acacia Johnson

Wind batters the side of the house, thrashing upon the frosted windows in great sheets of wet, blowing snow. Tungsten light spills warm across the floor; I feel it in the wood grain under my toes. I sweep its surface clean, smooth, reflecting the ever-present blueness of the world outside. Tor Edvin stands at the door, lacing his boots, buttoning his coat.

“I’ll go dig out the car.”

A gasp of howling wind shudders through the door at the moment he opens it, snowflakes billowing into the room. I sink my hands into the last of the steaming dishwater, miraculous in its froth and heat. Soon everything is clean, and we are scraping ice from windshields and passenger windows, hands numbing in the storm, and our little world of golden warmth is speeding behind us as we depart town. First, glittering clusters of harbor lights illuminate the roadside; next, the bridge to the mainland glows dimly through the blustery haze. All too soon there is nothing, nothing but us and an eternal blur of white, Tor Edvin at the wheel and glare ice under our tires. Into the oblivion we soar, barreling through an infinite whiteness that descends steadily into indigo.

Hours pass. Heat pours from the little slots in front of the passenger seat and I press my fingers to the warm plastic, fidgeting. I have to tell him, I think. The radio fades in and out of coherence as our car plunges into valleys and crests mountain passes, dipping around corners of remote peaks. Music. Static. Stories. Silence. I watch Tor Edvin watch the road. I watch the road. I watch the mountains and the sky, and the ocean, when we glide alongside its ominous waters. The words won’t come. I close my eyes and watch my dreams. The snow grows thicker. We see no one. I feel small and fragile in the car, a little creature clinging to a precious piece of warmth, bundled so tightly in down and wool and sealskin.
Hours pass and finally there are lights on the horizon, at the seaside. A lone ferry looms through the winter storm, its dark shape a vague silhouette in the wind. We pull our car into its vacuous hold, dropping our coins into the weathered palm of the ticket-taker. Harsh artificial light stings our eyes, reflecting off the melting snow that pools under the car where it sits parked, exhausted and encrusted with ice.

Silence in the wake of the engine. Slowly we unbuckle our seatbelts and open the doors. Our breath comes in clouds that shine silver under fluorescent lights. Our footsteps echo across the empty platform and we slip inside just as the ferry begins the gentle rolling of departure.

Rows upon rows of empty seats greet us, a ghost ship, and I think we have traveled here before, you and I, in some idyllic world of golden sun and endless light. I press my face to the cold windows and watch the glimmering lights grow fainter and fainter until nothing but perpetual blue surrounds the boat and we are leaving this world behind.

Hours pass and there are no streetlights where the ferry finally touches land – just blackness and blowing snow that weaves and snakes across the road in swirling patterns, flakes blasting past the windshield like racing stars. A last chance. The words well up inside, spinning, pressing – but they remain, buried. I try to ignore the increasing slickness of the swerves underneath our tires; trees grow thicker, the darkness deeper. Our isolation, greater.

When we suddenly see it, we know. Home. A little sign in the darkness, a smaller road, a thicker forest, those granite walls caught in the headlights. My heart pounds, yet the fear wins. We have traversed worlds. I leave my words calling and crying out in the abyss behind us, buzzing electric under my skin. We step forward into silence, into the light.


Jonas Meyer

Submission — Jonas Meyer

Kinderspiel

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Foto: Jonas Meyer

Irgendetwas sagt mir, ich soll gehen.
Einfach gehen.

Als wäre es ein Kinderspiel,
den Zustand der permanenten Erschöpfung
zu durchbrechen.

Als wäre es ein Kinderspiel,
dem zersetzenden Gefühl der Unfreiheit
Adieu zu sagen.

Als wäre es ein Kinderspiel,
jene Zweifel abzuschütteln, die sich schon
viel zu tief in den Verstand gegraben haben.

Und nach und nach das Herz auffressen.

Irgendetwas sagt mir, ich soll gehen.
Einfach gehen.

An jenen Ort,
der mir ein Dauerlächeln schenkt.

An jenen Ort,
der mich nicht frieren lässt.

An jenen Ort,
der eigentlich ein Fremder ist.

Und trotzdem ein Vertrauter.

Irgendetwas sagt mir, ich soll gehen.
Einfach gehen.

Doch eine Stimme flüstert mir:
Du bist schon dort.


Cedric Schanze

Submission — Cedric Schanze

Outdoor Voice

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Foto: Cedric Schanze

„Fotograf und Filmemacher. Für so Abenteuerzeug und Werbung. Meist draußen – Outdoor.“ So oder so ähnlich antworte ich, wenn mich äußere Stimmen danach fragen, wohin mich meine innere Stimme geführt hat, was meine Geschichte ist.

Druck für gute Zeugnisse oder Schulnoten habe ich mir früher nie gemacht – und meine Eltern mir auch nicht. Mein Vater hat mich während meiner Schulzeit nur gefragt:
Was willst du eigentlich? Was ist dir wirklich wichtig?

Selbst entscheiden zu können was für mich richtig ist, war gar nicht so einfach. Es ist eben nicht so simpel seiner eigenen Stimme zu folgen. Und schon gar nicht einer Stimme die während der Schulzeit von Gewichtheben und Proteinpulver geprägt war. Nicht unbedingt sehr wegweisend.

Nach dem Abitur habe ich ein Designstudium begonnen. Anfangs war mein Plan, der größte Werber aller Zeiten zu werden. Layouts, Webseiten und Kampagnen wurden ohne Ende kreiert. Durchaus erfolgreicher als meine „Bodybuilder-Karriere“. Irgendwann habe ich jedoch auch diesem Kapitel den Rücken gekehrt.
Heute bin ich 25 Jahre alt und kann sagen, ich habe gelernt, meiner inneren Stimme richtig zuzuhören. Irgendwie habe ich es in den Jahren der Selbstständigkeit geschafft mit dem, was mir wirklich wichtig ist, ein Leben aufzubauen. Ein Leben über das ich mit vollem Stolz sagen kann: „Das hab´ ich alles selbst gemacht!“ Das bin ich!“

Jede Begegnung und jedes Erlebnis prägt mich und meine Arbeit auf sehr intensive Weise. Ob wunderschönes Freediving Abenteuer an der Küste Elbas oder tagelanges Warten in einer Gefängniszelle Ägyptens. Eines habe ich gelernt: Das ägyptische Militär reagiert äußerst sensibel auf Hightech Fotoquipment. Cedric Schanze – Abenteuer Fotograf, Filmemachen und neuerdings eben auch Spion.

Ich arbeite an den schönsten Orten der Erde mit unglaublich inspirierenden Menschen zusammen und genieße jede Sekunde. Ich liebe was ich tue und hoffe, dass man das auch in meiner Arbeit bemerkt, vielleicht ja sogar wertschätzt.

Meine innere Stimme hat ihren Weg zur Außenwelt gefunden. Und viel wichtiger noch: Sie hat den Weg zu mir gefunden.


Mira Bachg

Submission — Mira Bachg

Für den Moment

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text: Mira Bachg, Foto: Anastasia Pomelova

Stimme, die (auch: meine): Ein Werkzeug, dem Menschen zur Verständigung an die Hand gegeben.

Ermöglicht: Gefühls- und Gedankenübertragungen, Teilhabe am Leben der Mitmenschen, Definition der eigenen Person.

Vor dem unüberlegten Einsetzen der Stimme ist abzuraten, da dies ihnen und ihrer Umwelt erheblichen Schaden zufügt. Eine Stimme kann tödlich sein. Eine Stimme kann Leben retten.

Meine Stimme kann Leben retten.

Ich kann Großes tun und Nichts ausrichten, die Welt aufrütteln oder es bleiben lassen, schreien oder flüstern, wählen oder mich bevormunden lassen.

Ich habe die Wahl. Das ist ein seltenes Gut, dem ich mir so gut wie nie bewusst bin. Aber wähle ich richtig? Kann man mir das überhaupt zutrauen? Oder wissen Andere besser, was gut für mich ist? Ist es nicht einfacher, leichter und bequemer, die Anderen herumschreien zu lassen? Zu nicken, um nicht brüllen zu müssen? Natürlich ist es das.

Zumindest für den Moment.

Für den Moment darf ich den Mund und mich raushalten, ruhig bleiben und die Anderen machen lassen. Ich kann es mir aussuchen. Fragt sich dann nur, wie lange noch.


János Spindler

Submission — János Spindler

In den Wellen

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text: János Spindler, Foto: Franz Grünewald

Meine Stimme ist ein stumpfes Messer.

Ich kann mich nicht mehr hören, mit dem Kopf gegen diesen Lärm gestellt, wie gegen eine Betonmauer. Habe ich eine Stimme, wenn sie niemand hört? Weil ich zu leise bin oder dein Raucherhusten zu laut?

Gehören mir diese Worte, oder sind sie nur geliehen, wenn ich anstatt Lauten, nur die Bitterstoffe auf meiner Zunge schmecke? Ich lecke mir im Mundraum, die Sprachrückstände aus den Lücken der stumpfgesprochenen Zähne und schlucke sie hinunter, weil ich das seit Jahren tue.

Meine Stimme ist nur ein Geräusch, ohne Ursprung und Ziel, die sich in der Nacht verirrt und wie ein Magnet gepolt von Wänden
abprallt, sobald der Schall aus meinem Kehlkopf sie berührt.

Wenn die Belüftungsanlage im Heizkeller und der Regen, im selben Takt miteinander surren und prasseln, dann klingen sie wie große Wassermassen, die gewaltsam an den Sandstrand schlagen.

Wie eine Welle, die niemand mehr hört, klingt meine Stimme immer gleich. Bei Ebbe schwimme ich davon, vor dem Geschrei der Stadt und dem Krach der Menschen und mit jedem Wort, stoße ich mich eine Armlänge weiter weg, von der Masse und mit jeder Atempause verlerne ich es mehr.

Meine Stimme ist ein Fragment
der Hysterie,
die mich umgibt,
die mich zersetzt,
die mich verstummen lässt.

Deine Lippen beginnen zu zittern.

Ich bekomme davon Nasenbluten.

Ich möchte nicht mehr sprechen,
sondern weiter schwimmen,
in den Wellen.


André Kirchner

Submission — André Kirchner

Garilla

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Foto: André Kirchner

Demonstrieren mit bunten Fahnen und rosaroter Brille: Aufputzen und aufmarschieren.
Homosexueller Protest verliert an Glaubwürdigkeit, wenn es eher um Schaulaufen als politische Botschaften geht. Der CSD verkommt zur Partymeile – ein Abfeiern von Klischees.

Die Fotografien auf dem Diafilm zeigen die „enough is enough“ Demonstration 2013 in Berlin – eingelegt für zwei Wochen in (homophober) Barilla Fusilli mit Bolognese und anschließend entwickelt.

Das Nudelgericht frisst sich durch die protestierende Masse. Zurück bleibt eine süße Bonbon-Ästhetik, die verschleiert, was für gleich­geschlechtliche Liebe bereits alles erkämpft wurde.


Andreas Nitschke

Submission — Andreas Nitschke

Stiller Protest

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Text & Illustration: Andreas Nitschke

Gluthitze unter
ku-klux-klanigen Lipsticks
Schweigen allemal


MYP15 – Prolog "Meine Heimat"

Editorial — MYP Magazine N° 15

Prolog »Meine Heimat«

31. August 2014 — Ulrike Folkerts fotografiert von Steven Lüdtke

— Ulrike Folkerts im Interview