Jonas Meyer

Submission — Jonas Meyer

Zeitenwende

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text: Jonas Mayer, Foto: Steven Lüdtke

Das erste Eis.
Das erste Mal im T-Shirt raus.
Der erste Kaffee in der Sonne.

Das erste Bier im Park.
Der erste Kuss im Freien.
Die ersten Schmetterlinge.

Die erste Party auf dem Dach.
Der erste Sternenhimmel.
Die ersten Endorphine.

Der erste Tritt in die Pedale.
Der erste Sprint.
Das erste Herzklopfen.

Das erste Grinsen im Gesicht.

Jedes Jahr auf’s Neue.


Martin Valentin Fuchs

Submission — Martin Valentin Fuchs

Das Ritual der künstlerischen Freiheit

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Martin Valentin Fuchs

Kunst. Ein umstrittener Begriff.

Ich persönlich würde mich nicht unbedingt als Künstler bezeichnen. Und die Frage nach der Definition des Terminus Kunst wird aufgrund der Subjektivität und Variabilität seiner Interpretation wohl nie eine einheitliche Antwort finden.

Dennoch gibt einem Kunst Freiheit. Die Freiheit, Dinge zu tun. Dinge, die nicht der Norm entsprechen und Dinge, die für Außenstehende eigenwillig, befremdlich oder absurd wirken mögen.

Aber man ist Künstler. Man darf.

Diese Sonderstellung, dieses Privileg, das einem von der Gesellschaft als „Kunstschaffendem“ eingeräumt wird gilt es zu entdecken, zu erfahren und zu leben.

Das gesellschaftliche Reglement begleitet und prägt einen von Kindheit an. Man fügt sich, gliedert sich ein und schwimmt mit dem Strom.

Doch das Leben ist mehr. Es bietet Dir die Möglichkeit der Individualität und des Ich-seins. Es birgt Freiheiten. Freiheiten, die es zu nutzen gilt.
Eine Badewanne mit Säcken voller Blumen zu füllen, um danach einen Jüngling im Grün zu ertränken erscheint beinahe noch harmlos. Eine tote Fliege so lange auf seinen Lippen zu balancieren, bis man sie unwillentlich einatmet und kurz vor dem Erstickungstot ist, wirkt schon bedenklicher. Im äußersten Falle könnte man dem Notdienst allerdings noch erwidern: „Alles für die Kunst.“

Und so tut man diese Dinge. Und man tut sie unter dem Deckmantel des Begriffs Kunst. Und durch diese regelmäßigen Exzesse, die zu meinem Alltag gehören, wie für andere das tägliche Gebet, eignet man sich obendrauf Qualitäten an, die sonst kaum jemand besitzt. Aus Speichel eine Blase zu formen stellt allenfalls kein Problem mehr für mich da, auch wenn es mir mein durchnässtes Bettlaken nur schwer verzeihen konnte.

Und so arbeite ich vor mich hin, eigne mir abstruse Fähigkeiten an und produziere „Kunst“. Im besten Fall in der Hoffnung, dass die gesellschaftlichen Normen zunehmend diffuser werden, damit das „künstlerische Ritual“ nicht länger als Vorwand für Individualität und Experimentierfreudigkeit herhalten muss.


Kornelius Silvan Paede

Submission — Kornelius Silvan Paede

Nachtrituale oder Oden an Pasithea

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text: Kornelius Silvan Paede, Foto: Ulrich Stark

I. TANZTEMPEL

Wie singen die Nachtsirenen so schön -:
am Abend, im Taumel der Frühe, im Nebel des Jetzt.
Wie schön singen sie, und wie schön strömen traurige
Zaghaftigkeiten durch meine Illusion von Versenkung
beim Anblick der totengleichen Adoleszenz.

So schwelgen heute die Parzen im Dämmerlicht -:
schließen die Augen und wogen im Rhythmus der Monotonie.
Sie wenden sich ab von den großen Vorsehungen
und gehen flugs schwanger mit Rauch, Schnaps und Kondensat.
Und ich kann nicht fassen, wie schön der Sirenen Gesang,
wie alle Parzen sich einlullen, selbstvergessen, fast wie im Traum,
und sie tanzen, bis über den Morgen
hinweg wieder hinein in die Nacht und hinauf in gefrorenen Tau.

Und ich tanze vielleicht mit den Parzen, alleine, und weiß nicht
warum oder wie. So sie wissen was wird, müssen sie alles vergessen,
die Welt und den Tag. Und ich bin die ganze verbliebene Zeit
einfach nur dagesessen und hab mich bemüht
auch etwas zu verlieren; und hatte dann in vollem Bemühen
dich schließlich aus meinem Kopf gesoffen, als die Sirenen
endlich verstummten und die Vögel zu singen begannen.
Wie jedes Mal erneut.

 

II. SOUTERRAIN

Zwanzig vor Drei. Und entweder wispert der Tinnitus
hypochondrisches Delirium herbei, oder es schläft trotzdem keiner.
Und mir fehlen die Worte für das diesige Licht
und die Farbe der Straßenlaternen.
Ich hab eine Projektionsfläche lieb.

Es spiegeln sich nachts alle Lampenschirme
im Fenster. Sie sehen dort aus wie der Mond, selbst mit Vorhof,
nur größer, nur strahlender. Der Mond ist abschaltbar, wie nichts
nach dem Einfall, hineinzuhorchen.

Beim stillen Zerteilen der Ganzheitlichkeit
ist zu wenig vage, lädt man sich auf.
Da windet der Winter und wird aus dem Fenster mich reißen.
Ich hab euch ja kaum halb so fremd wie der Nachtverkehr Liebe.

Kurz nach irgendwas habe ich
noch schnell gute Nacht sagen wollen, und
dass die Laterne jetzt aus ist, genau wie der Mond,
und dass ich schon wieder an wen gedacht habe. D.911


Felix Adler

Submission — Felix Adler

Abends

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Felix Adler

Die Wunderelf ist im Halbfinale rausgeflogen – Schon wieder Spanien! Am Krawalleck, ein Pulk von Leuten. Links die deprimierten Fans. Rechts die übermütigen Antideutschen.

Wir schütten 100 Flaggen auf die Kreuzung. Ich gebe Benzin hinzu und von Philipp kommt der Funke.

Unter Jubel und Buh-Rufen verbrennen die Zeugnisse eines latent-gefährlichen Nationalismuses.


Melf Mayer

Submission — Melf Mayer

Jedes Jahr

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Melf Mayer

Jedes Jahr, jede Woche stand sie jeden Montag auf. Um sieben Uhr. Da klingelte ihr Wecker. Um viertel nach sieben nahm sie ihr Frühstück zu sich. Um halb acht ging sie zum Bus, der um viertel vor acht abfuhr.

Abends um zwanzig nach neun hielt derselbe Bus wieder an derselben Haltestelle. Dann stieg sie aus und kam um fünf nach halb zehn zuhause an. Damit begann ihre Woche.

Sie sah keinen Sinn dahinter. Es gab wahrscheinlich auch keinen. Wie ihre Eltern eben früher jeden Sonntag eine Fahrradtour unternommen hatten.

Und doch. Eines Tages wurden die Buszeiten umgestellt. Am nächsten Montag verpasste sie den Bus. Sie stand an der Bushaltestelle und wartete verzweifelt.

Der nächste Bus fuhr erst eine dreiviertel Stunde später. Sie fühlte sich leer. Und unsicher. Sie war überrumpelt worden von der Busgesellschaft. Jetzt hatte sie das Gefühl zu fallen.


Dilek Oyran

Submission — Dilek Oyran

Für immer

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Dilek Oyran

Türkei. Das Land der Heimat und der Fremde zugleich. Das Land des Fernwehs und des Vermissens.

Istanbul. Die Stadt, die zwei Kontinente harmonisch miteinander verbindet.

So individuell die Menschen dort sind, so unterschiedlich sind auch meine Rituale, die sich wiederholen, wenn ich meinen Sommerurlaub in der Türkei verbringe. Das morgendliche Moccatrinken, wenn man in den frühen Morgenstunden die bereits warme Sonne auf der Haut verspürt.

Die Bazaare in den nächstgelegenen Dörfern nicht verpassen, um die interessantesten Andenkstücke als ein Stück Heimat mit nach Deutschland nehmen zu können. Den bunten und aufregenden Tag bei Mitternacht unter dem Sternenhimmel mit dem sanften Klang des wehenden Windes und der noch angenehmen Wärme ausklingeln zu lassen.

Dieses Mal natürlich mit türkischem Tee und dazugewonnene Momente, die unvergesslich bleiben werden. Für immer.


Maximilian Mundt

Submission — Maximilian Mundt

Ich in Wiederholung

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Maximilian Mundt

Ein Ritual ist eine Regelmäßigkeit, eine Angewohnheit, der wir uns hingeben. Dem ersten Eindruck zu verfallen, voreingenommen zu sein und Neuem misstrauisch gegenüber zu stehen.

Mein Ritual besteht aus einer sich wiederholenden Tätigkeit, die mir Ordnung und Halt gibt. Halt, den ich brauche, um klar zu sein. Das Theater ist ein Ort, an dem ich gelernt habe, wer ich bin. Ein Ritual, mich selbst zu spielen, zu fühlen und zu meinen Gedanken zu stehen.

Ohne mein Ritual kann ich nicht kreativ werden. Ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann, um Neues zu schaffen und mein Begehren nach Neuem aufrecht zu erhalten. Ich klatsche zweimal an den Türrahmen, wache morgens auf und schlafe abends ein.

Ich bin ein Ritual, das sich bewegt, verändert und entwickelt.


Christopher Engelmann

Submission — Christopher Engelmann

Die neunte Pforte

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Christopher Engelmann

Schrill schreiend steht sie vor mir. Ihre Gesichtszüge verzerren sich zu einer Fratze, während sie einen stetig stärker glühenden Rotton annimmt. Ihr Blut scheint zu kochen.

Alles wird dumpf um mich herum. Ich höre nur noch halb zu. Ich habe gelernt, nur noch halb zuzuhören. Einst dachte ich, ein ehrlicher und gleichberechtigter Dialog sei die Lösung für alles. Da lag ich wohl falsch. “Silentium est aureum.“ So heißt es unter dem ersten Holzschnitt in Roman Polanskis “Die neun Pforten“. Neun Holzschnitte bilden die Hinweise auf neun Pforten. Es ist ein Neun-Schritt-Ritual, um den Teufel herbeizurufen und in sein Reich einzuziehen. Durchschreitest du die neunte Pforte, bist du bei ihm. Doch sollte ich nicht besser sagen: bei ihr? Denn ich weiß, wo sich die neunte Pforte befindet. Es ist die Tür zu meiner WG.

Sind wir ehrlich mit uns selbst, so fallen uns Fehler in unserem eigenen Verhalten auf. Menschen machen Fehler und für einige werden sie sogar geliebt. Mit den Fehlern aus meinem Leben könnte man sicherlich ganze Bücher füllen, doch habe ich mich so falsch verhalten, dass meine Mitbewohnerin zum Teufel wurde? Habe ich unbewusst die ersten acht Pforten im Zusammenleben durchschritten und eines Tages, als ich die Wohnungstür aufschloss, trat ich durch die neunte Pforte in das Reich der Schatten?

Was richtig und was falsch ist kann sehr subjektiv sein. Und es scheint, dass ich für sie diese Fehler begangen habe. Auch wenn das, außer ihr, sonst niemand so sieht. Ich sei das Problem, sagt sie immer so gerne. Ich frage mich jedes Mal, warum dann auch mein Mitbewohner auszieht.

Post-its pflasterten unsere WG. Und hätte ich mir ihre Orte genauer angeschaut, sie hätten sicherlich ein umgekehrtes Pentagramm ergeben. Dies ist falsch und das ist falsch, Hauptsache in klebender Form ausgedrückt. Irrationalität begleitete jeden Streit, denn Ursprung dessen war eigentlich nur, dass die Fürstin der Finsternis keine Frage oder gar Widerrede duldete. Sie lebt nun einmal seit Anbeginn in dieser Hölle und ist deren Herrscherin. Und wenn die Peitsche knallt, dann knallt sie!

Und sowieso, dies ist der Tag des jüngsten Gerichts! Waschmaschinenverbot! Kühlschrankverbot! Und von allem, was mir gehört, lässt du die Finger! Dafür hab‘ ich mal einen Abschlag gezahlt und dafür auch! Und dass ich dich nie gefragt habe, ob du dafür auch was zahlen kannst, da das hier schon seit langem vor deiner Zeit zum WG-Eigentum gehört, ist egal!

Was ist es, das am Ende bleibt, wenn ich hier weg bin? Negativerfahrung wäre ein passendes Wort. Und … vielleicht der Nachhall einer Warnung? “Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“


Hannah Frontzek

Submission — Hannah Frontzek

Porridge und Tee

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Hannah Frontzek

Der beste Start in den Tag ist für mich mein morgendliches Ritual: Die Kombination aus Porridge und Tee. Dieses Ritual habe ich mir während meiner Zeit in Irland angewöhnt: Wecker ausschalten, langsam aufstehen. Vorhang auf, Fenster zu. In der Küche schnappe ich mir einen Topf und den Wasserkocher. Während das Wasser zu kochen beginnt, vermische ich in dem Topf Wasser mit Haferflocken und lasse es ebenfalls kurz aufkochen.

Ich lausche dem Geräusch des kochenden Haferbreis, des Füllens der Tasse und lasse den sanften Duft des Tees in meine Nase steigen. So riecht für mich der Morgen. So riecht mein Ritual. Ein paar gemütliche Minuten später … Porridge aufgegessen: gestärkt für den Tag. Grünen Tee getrunken: die Müdigkeit mit fairen Mitteln bekämpft.

Zu dieser Zeit des Tages bin ich völlig ungestört, um mein Ritual zu vollziehen. Dabei kann ich ich selbst sein und ich habe die Möglichkeit, es nach meinen Vorstellungen zu gestalten. In einem bestimmten Ablauf übe ich mein Ritual jeden Morgen aus und genau deshalb, weil es mich glücklich macht und einen schlechten Start in den Tag erst gar nicht erlaubt. Meine Rituale lassen mir meine Freiheit und sind eine der wenigen Dinge, die ich selbst entscheiden und auch umsetzen darf.

Ein Ritual ist eine Struktur, die für selbstverständlich gehalten wird und doch ist es das Ausleben der Persönlichkeit auf eine individuelle Art und Weise. Das Schönste daran ist, dass Rituale Menschen zusammenführen können. Ein Ritual muss nicht einsam sein, es kann gemeinsam sein.


Robin Paul Braum alias Ballerino

Submission — Robin Paul Braum alias Ballerino

Schwert des Samurai

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text: Robin Paul Braum, Foto: Barbora Mrazkova

Dieser wundervolle Hauch Exotik inmitten der westeuropäischen Mittelschicht. Wenn ich morgens aufwache, ist eine fleischige Avocado mit ihren sinnlichen Kurven genau das, was mein schlaffer Körper und der lustlose Geist, den er beherbergt, brauchen. Wenn ihr seidiges Inneres meine Zunge verführt und umschließt, sind meine Sinne binnen Sekunden geschärft wie das Schwert eines Samurais.

Als wäre sie direkt aus dem Schoß der heiligen Jungfrau Maria entsprungen, lässt sie mir all das Leben durch die Adern fließen, das mir zuvor fehlte. Ich lehne mich zurück, entspanne mich und bin aufgeregt zugleich. Falle jedes Mal aufs Neue in unerwartete Weiten und bin doch genau am richtigen Ort.

Wenn ich dann letztendlich ankomme, sprühe ich nur so vor Energie und bin bereit für alles, was der Tag so bringt. Jeder hat so seine Tricks.