Jurassica Parka
Interview — Jurassica Parka
Paillette geht immer
Jurassica Parka ist vieles: Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin. Vor allem aber ist die Berliner Drag Queen eines: eine echte Diva, die weit über ihren Kiez hinaus strahlt und sich für die Rechte von LGBTI-Menschen einsetzt. Ein Interview mit Sektchen.
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Interview: Jonas Meyer & Benedict Föll, Fotos: Maximilian König
Für ein Sektchen ist es nie zu früh, auch nicht morgens um halb elf. Vor wenigen Minuten erst haben wir die neuen Räumlichkeiten des SchwuZ in der Neuköllner Rollbergstraße betreten, schon werden wir von Gisela, einer der vielen guten Seelen des Hauses, mit einer eisgekühlten Flasche „Geldermann Carte Blanche“ versorgt.
Zugegeben, das erfrischende Präsent ist nicht direkt an uns gerichtet. Es gilt in erster Linie der Berliner Dragqueen Jurassica Parka, die die Flasche wie ein Neugeborenes auf den Armen hält und streichelt. „Sekt ist mein Lebenselixier!“, stöhnt sie mit lasziver Stimme. Warum auch nicht?
Jurassica Parka heißt mit bürgerlichem Namen Mario Olszinski und verfügt über eine stolze Ansammlung von Berufsbezeichnungen: Travestiekünstlerin, Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin – alles simultan, wohlgemerkt. Zusammenfassen könnte man das Ganze auch schlicht als multimediale One-Woman-Show. Und das Berliner Schwulenzentrum – kurz SchwuZ – ist der Ort, an dem diese Show vor über zehn Jahren begann.
Als Jurassicas Karriere startete, hatte das SchwuZ bereits seine härtesten Schlachten gekämpft – nicht selten unter Wut und Tränen, dafür aber immer aufrecht. Die Anfänge des Zentrums gehen zurück auf die Berliner Schwulenbewegung der 1970er Jahre.
Seitdem versteht es sich als „Ort des Aufbegehrens und der Emanzipation homosexueller Lebensweisen“ und leistete im Laufe der Zeit an etlichen Stellen Starthilfe. So sind beispielsweise die Idee zum Stadtmagazin „Siegessäule“ sowie zum ersten CSD der Hauptstadt im Jahr 1979 in den Räumlichkeiten des SchwuZ entstanden.
Die knapp 40-jährige Geschichte des Schwulenzentrums beinhaltet auch drei große Umzüge: 1987 ging’s von der Kulmer Straße in Schönberg in die Kreuzberger Hasenheide. Acht Jahre später zog man weiter in einen kuscheligen Kellerclub am Mehringdamm und im Jahr 2013 schließlich in das großzügige Gebäude der ehemaligen Kindl-Brauerei.
Hier ist nun endlich Platz für die zahllosen Veranstaltungen des SchwuZ. Denn wer kräftig aufbegehrt, der will auch mindestens genauso kräftig feiern. „Prösterchen!“ also, wie Jurassica Parka sagen würde.
»Mein Vater musste irgendwann einsehen, dass ich nicht der geborene KFZ-Mechaniker bin.«
Jonas:
Du bist in den 80ern in Neukölln aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Jurassica (lacht):
Ich bin in der Upper-Eastside von Neukölln groß geworden: in Britz. Britz ist nicht wirklich Neukölln, sondern ein kleiner Mikrokosmos für sich – alles super beschaulich. Was Neukölln angeht, erinnere ich mich, dass die Karl-Marx-Straße zu Mauerzeiten noch eine klassische Einkaufsstraße war. Die vielen Handyshops und Dönerbuden gab es in den 80ern noch nicht. Damals hatte Neukölln auch noch nicht dieses Ghetto-Image, das man dem Stadtteil heute gerne zuspricht.
In Britz hatte ich eine wunderschöne und wohl behütete Kindheit. Mein Vater hatte eine Autowerkstatt, in der er an alten Oldtimern geschraubt hat. Nach ein paar Jahren sind wir leider nach Rudow gezogen – in ein kleines Einfamilienhaus, das direkt an der Mauer lag. Sonntags sind mein Vater und ich manchmal mit dem Rad zur Mauer gefahren. Dann sind wir auf einen dieser Aussichtstürme geklettert, von denen aus man auf den Todesstreifen schauen konnte. Das war für mich als Kind total normal, ich habe das nicht wirklich hinterfragt.
Wenn wir zu unseren Verwandten nach Ost-Berlin gefahren sind, war das für mich sehr befremdlich. Alles sah so anderes aus, so grau. Am Alex gab es damals ein Kaufhaus, in dem heute Kaufhof sitzt. Ich weiß noch, dass ich mich immer gewundert habe, wieso es da nicht wirklich etwas zu kaufen gab.
Jonas:
Wolltest du beruflich nicht in die Fußstapfen deines Vaters treten?
Jurassica:
Mein Vater musste irgendwann einsehen, dass ich nicht der geborene KFZ-Mechaniker bin. Schon mit 15 war mir klar, dass ich in die Werbung will. Daher habe ich nach dem Abi hier in Berlin Grafikdesign studiert und anschließend in einer Werbeagentur gearbeitet.
»Ich habe für mich in der Travestie einen Kanal gefunden, über den ich Energie ablassen konnte – es war sofort um mich geschehen.«
Ben:
Irgendwann hast du damit angefangen, abends aus Mario eine Frau werden zu lassen. Wie kam es dazu?
Jurassica:
Der Drang, Frauenkleider zu tragen, war schon immer in mir. Als Kind habe ich es geliebt, mir Mamas Klamotten anzuziehen. Meine Oma war Schneiderin und hat den Spaß mitgemacht – und mich damals immer wieder als Frau verkleidet. Wenn sie heute noch leben würde, wäre sie sicherlich eine Schwulen-Mutti.
Die Szene habe ich relativ spät entdeckt. Mit 19 war ich zum ersten Mal schwul aus und habe im Berliner Nachtleben die vielen Transen gesehen, die mich unglaublich fasziniert haben. Irgendwann fing ich selbst an, damit zu experimentieren. Und im Oktober 2004 bin ich zum ersten Mal als Transe ausgegangen: auf den Berliner HustlaBall. Ich habe mich damals von einer Freundin schminken lassen und sah furchtbar aus. Von heute aus betrachtet muss ich als Transe eine absolute Katastrophe gewesen sein: völlig aufgedreht und in viel zu hohen Schuhen, in denen ich überhaupt nicht laufen konnte. Aber ich fand das super! Damals habe ich sofort Blut geleckt und für mich in der Travestie einen Kanal gefunden, über den ich Energie ablassen konnte – es war sofort um mich geschehen.
In den folgenden Wochen und Monaten bin ich aus Spaß an der Freude immer öfter als Transe in Clubs gegangen. Und irgendwann fing es damit an, dass ich im SchwuZ am Schnapstresen Kurze verteilt habe und dann nach und nach bezahlte Auftritte dazukamen.
»Zuhause wirft man ja gerne mal die Nebelmaschine an.«
Ben:
Dieses Hobby hast du irgendwann zum Beruf gemacht. Das Festgehalt der Werbeagentur aufzugeben und sich mit der Travestie selbstständig zu machen, war bestimmt kein leichter Schritt.
Jurassica:
Irgendwann musste ich mich für eines von beiden entscheiden. Du kannst nicht fünf Tage in der Woche in einer Werbeagentur arbeiten und dir freitags und samstags die Nächte um die Ohren schlagen. Davon wirst du bekloppt.
Im Jahr 2008 kam es zu dem glücklichen Zufall, dass mir in der Agentur gekündigt wurde. Ich dachte mir, wenn ich jetzt nicht diesen Beruf zu meinem Hauptberuf mache, mache ich es wahrscheinlich nie. Trotzdem war das natürlich ein schwerer Schritt. Und Mutti war davon auch nicht sonderlich begeistert. Aber mir war das egal, ich wollte das einfach machen und habe eine reine Bauchentscheidung getroffen. Kohlemäßig war es in der ersten Zeit zwar
desaströs, aber da muss ja jeder Künstler am Anfang durch.
Jonas:
Schon im Jahr 2008 wurde ein Taff-Beitrag über dich produziert. War es deine Absicht, medial so früh in Erscheinung zu treten?
Jurassica (lacht):
Zu Taff bin ich gekommen, weil ich mich dort selbst beworben hatte. Ich habe Taff geliebt! Anschließend habe ich mich noch gleich von VOX einrichten lassen, was aber ziemlich schlimm war – das würde ich nie wieder machen. Kohle gab es für beide Formate keine, ich habe nur Sachpreise gewonnen: eine Diskokugel, Scheinwerfer und eine Nebelmaschine. Toll! Zuhause wirft man ja gerne mal die Nebelmaschine an. Aber dieses Privatfernsehen war damals ein absoluter Bekanntheits-Booster – und ist es immer noch.
»Ich dachte immer, dass Pro7 all seine Praktikanten und Volontäre zu so einer Veranstaltung karrt, damit die Halle voll wird.«
Jonas:
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Kandidaten wäre für jemanden wie dich der Dschungel bestimmt ein absoluter Karriere-Kick – sonst bedeutet das Format ja eher die Endstation des medialen Lebens.
Jurassica:
Auf jeden Fall!
Ben:
Ohnehin scheinst du eine ganz spezielle Beziehung zum Privatfernsehen zu haben. Auf der einen Seite erfährst du dadurch Aufmerksamkeit und profitierst davon, auf der anderen Seite lässt du etwa bei der Moderation von „Nutten gucken“ – deinem Public Viewing-Format von „Germany’s Next Topmodel“ – kein gutes Haar an den Privaten.
Jurassica:
Das „Nutten gucken“ war kein Kalkül. Ich bin durch Zufall dazugekommen, als ich vor ungefähr acht Jahren noch im „Schmutzigen Hobby“ im Prenzlauer Berg gearbeitet habe. Da habe ich donnerstags immer aufgelegt und ein bisschen moderiert. Die Topmodels habe ich damals privat super gerne gesehen. Da war es natürlich scheiße, dass die immer donnerstagsabends kamen. Aus dieser Situation heraus haben wir dann das Public Viewing veranstaltet. Ich fing an, das Ganze zu moderieren und zu kommentieren. Mittlerweile sehe ich die Topmodels ganz anders als früher. Privat würde ich mir das nicht mehr anschauen, weil es mich absolut nicht interessieren würde.
Das Absurde beim „Nutten gucken“ ist ja, dass ich als Transe auf der Bühne sitze, total nuttig aussehe und ein widerwärtiges Frauenbild präsentiere – und dabei Frauen verachtendes Unterschichtenfernsehen auf bösartige Weise kommentiere. Dabei bin ich eigentlich dasselbe, was sich auch im Fernsehen abspielt. Mittlerweile ist das für mich eine absolute Abrechnung mit dem Privatfernsehen, wo arme kleine Mädchen vorgeführt werden, die wahrscheinlich noch nicht einmal Geld dafür bekommen. Ich find’s widerwärtig.
Jonas:
Es soll mittlerweile sogar Studien geben, die belegen, dass Jugendliche durch Sendungen dieser Art einem falschen Schönheitswahn verfallen und ernsthaft erkranken können.
Jurassica:
Es gibt viele Jungs und Mädchen, die dieser Sendung total verfallen sind. Als ich beim GNTM-Finale in Mannheim war, war ich sehr überrascht: Ich dachte immer, dass Pro7 all seine Praktikanten und Volontäre zu so einer Veranstaltung karrt, damit die Halle voll wird. Die Zuschauer waren aber alle absolute Hardcore-Fans – Mädchen im Alter von sechs bis 15 Jahren sind extra mit Mama und Papa nach Mannheim gefahren, um die Models wie Stars zu feiern. Dieser Kritik stimme ich daher zu.
Aber den Vorwurf, die Sendung würde krankmachen, finde ich etwas weit hergeholt. Würde die Sendung – zugespitzt gesagt – die Magersucht fördern, dann gäbe es doch nicht andauernd Berichte, dass Deutschlands Kinder immer fetter werden. Das ist eine Diskrepanz, die mir nicht logisch erscheint. Die Mädchen wollen alle richtige Models sein und schön aussehen. Aber was sie in ihrem richtigen Leben machen, ist nochmal etwas ganz anderes.
»Es gibt so viele heterosexuelle Männer, die insgeheim auf Transen stehen.«
Jonas:
Dein YouTube-Videobericht über das GNTM-Finale startet mit einer Szene, in der du morgens an einer Straßenecke in Mannheim stehst und von Autofahrern angehupt wirst. Begegnet dir eine solche Verhaltensweise auch in Berlin? Oder ist das eher ein Merkmal der Provinz?
Jurassica:
Das Gehupe hat man immer wieder, obwohl es in Mannheim schon extremer war als in Berlin. Hier sind die Leute so etwas eher gewohnt. Generell bist du als Transe aber immer eine Attraktion, wenn du raus auf die Straße gehst. Die Leute glotzen grundsätzlich immer, egal wo du bist. Aber das gefällt mir auch.
Ben:
Glotzen auch die Männer?
Jurassica:
Es gibt so viele heterosexuelle Männer, die insgeheim auf Transen stehen. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich zusammen mit zwei Transen an der Kurfürstenstraße für meinen YouTube-Kanal gedreht habe. Da haben etliche Autos angehalten – die Fahrer wollten wissen, wie viel wir nehmen. Das ist halt so, damit musst du leben können.
Natürlich gibt es auch oft Anfeindungen zu hören – damit stößt man bei mir aber auf Teflon.
Jonas:
Gibt es Situationen, in denen du tatsächlich Angst hast?
Jurassica:
Ich vermeide es weitgehend, mich selbst in derartige Situationen zu versetzen. Anders als viele Kolleginnen würde ich beispielsweise abends nie im Fummel U-Bahn fahren. Ich nehme immer nur das Taxi. Wenn ich im Kostüm bin, versuche ich grundsätzlich, möglichst wenige Reibungspunkte mit dem echten Leben als normaler Mann zu erzeugen.
Ben:
Im Alltag bist du Mario – ohne Paillette und Makeup. Wie siehst du die Beziehung zwischen der Kunstfigur Jurassica Parka und dem echten Mario? Beeinflusst ihr euch gegenseitig?
Jurassica:
Ich glaube, Jurassica ist ein großer Mehrwert für Mario. Bevor ich eine Transe geworden bin, habe ich auf andere Leute ziemlich anstrengend gewirkt – einfach, weil ich schon immer sehr extrovertiert war. Jurassica bietet mir einen Kanal, in den ich das alles reinpfeffern kann.
Privat bin ich dadurch sehr viel ruhiger und unaufgeregter geworden. So gesehen war Jurassica für meinen persönlichen Charakter fantastisch.
»Böse Transen kommen immer gut an bei den Leuten – das hat mir aber auch viel Ärger eingebracht.«
Ben:
Wie hat sich Jurassica über die Jahre verändert?
Jurassica:
Sehr stark. Vor allem optisch. Mir ist erst neulich wieder bewusst geworden, dass das Gesicht das Wichtigste bei einer Transe ist. Natürlich auch das Outfit und die Haare – aber beim menschlichen Miteinander geht es vor allem um das Gesicht. Daher sitze ich am Makeup um die zwei Stunden. Outfit und Haare habe ich in 15 Minuten fertig. Als Transe arbeitest du permanent am Makeup, das ist immer unvollendet. Daher schaue ich mir nach wie vor YouTube-Tutorials an oder beobachte meine Kolleginnen. Wenn ich mir Fotos von vor einem Jahr anschaue, erschrecke ich jedes Mal davor, wie ich damals aussah. Das wird auch immer so bleiben. Bei Kolleginnen, die das seit 40 Jahren machen, ist das nicht anders.
Jurassica hat sich über die Jahre aber nicht nur optisch sehr verändert. Mit der Erfahrung wird man einfach besser im Job: Heute bin ich beispielsweise viel eloquenter als früher. Vor drei Jahren hätte man mich nicht ohne Weiteres unvorbereitet auf eine Bühne stellen können. Mittlerweile habe ich mir aber eine Art Handwerksköfferchen gebastelt, das ich aufmachen und meinen Text abspulen kann. Das verbessert sich stetig. Und auch die Gagenverhandlungen werden besser. Ich habe es immer gehasst, über Gagen zu verhandeln. Mir war das jedes Mal unangenehm. Mittlerweile bin ich da eiskalt.
Jonas:
Hat sich mit der Zeit auch Jurassicas Charakter verändert?
Jurassica:
Jurassica ist bissiger und böser geworden. Wenn ich mir heute Videos von vor drei Jahren anschaue, wirkt Jurassica im Vergleich zu heute sehr handzahm. Das liegt zum einen am Format „Nutten gucken“, aber auch an meiner Kolumne in der Siegessäule, in der ich für das Bösesein bezahlt werde. Böse Transen kommen immer gut an bei den Leuten – das hat mir aber auch viel Ärger eingebracht. Das gehört nun einmal dazu.
Jonas:
Dein YouTube-Kanal ist für deine Arbeit ein zentrales Instrument: Du warst auf der Plattform bereits aktiv, als der Hype um YouTuber in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Wieso haben Videos einen so großen Stellenwert für Jurassica Parka?
Jurassica:
Das liegt an meiner Ausbildung. Bereits im Studium habe ich mich sehr für Videoschnitt interessiert, dementsprechend habe ich im Rahmen meiner Abschlussarbeit auch einen Film produziert. Das Cutten war schon immer mein Steckenpferd, daher war für mich von Anfang an klar, dass Video ein zentraler Teil meiner Arbeit sein muss. Der YouTube-Kanal ist dabei aber nicht aus irgendwelchen strategischen Überlegungen entstanden, sondern aus reinem Spaß. Damit habe ich auch nach und nach die Aufmerksamkeit von Menschen gewinnen können, die nicht unbedingt in der Schwulen-Szene unterwegs sind. Von diesen Leuten Anerkennung zu erfahren, freut einen natürlich umso mehr. Die sehen das, was ich tue, einfach aus einem ganz anderen Blickwinkel.
Jonas:
Hinter der Produktion der Videos steckt eine Menge Arbeit. Schneidest du alles selbst?
Jurassica:
Ja, das tue ich. Das ist zwar viel Arbeit, aber es macht mir auch eine Menge Freude. Und wenn ich das tue, gibt es für mich nichts anderes. Mein Mann sagt dann immer: „Ach, du bist heute wieder am Schnippeln? Gut, ich bin dann mal abgemeldet.“
»Im Grunde genommen sind wir alle wahnsinnig geltungsbedürftige Transvestiten, die alle eine Bühne brauchen.«
Jonas:
Zu deiner Arbeit erhältst du nicht immer positives Feedback. Auf deinem Kanal gibt es einige Videos, in denen du dich aktiv mit diesem Feedback auseinandersetzt und beleidigende Kommentare vorliest und kommentierst. Wie gehst du persönlich mit dieser mehr als unsachlichen Kritik um?
Jurassica:
Gar nicht. Ich lese es einfach vor. Persönlich geht mir wirklich am Arsch vorbei – obwohl da oft wirklich krasse Kommentare dabei sind wie etwa „Die Transe muss brennen!“. Ich frage mich, warum Leute so etwas schreiben. Aber damit musst du eben rechnen, wenn du dich als Transe auf YouTube zur Schau stellst. Und es dir einfach am Arsch vorbei gehen zu lassen, ist der einzige Weg, um damit umzugehen. Wenn ich das lese, sitze ich nicht zuhause und heule. Ganz im Gegenteil: Ich finde das wirklich unterhaltsam. Mir ist klar, dass die Leute, die das schreiben, dumme und armselige Menschen sind, die es einfach nicht besser wissen. Das sieht man alleine an den unzähligen Schreibfehlern.
Ohnehin gibt es im Internet ja keine Grammatik. Aber die Kommentare unter meinen Videos schießen nochmal den Vogel ab. Ich muss zugeben, dass ich mich richtig darauf freue, dass derartige Kommentare bei mir gepostet werden. Mittlerweile habe ich schon wieder eine riesige Liste voll, sodass es dazu bald ein neues Video geben wird – das mir wiederum etliche Klicks beschert.
Ben:
Stößt du auch innerhalb der Berliner Szene auf Ablehnung oder Kritik an dir und deiner Arbeit?
Jurassica:
Die Konkurrenz in Berlin ist natürlich enorm. Hier gibt es die größte Drag-Szene in Deutschland. Ich würde aber sagen, dass ich mit allen Kolleginnen auskomme. Es gibt natürlich welche, mit denen man sich besser versteht als mit anderen – bei denen gibt es dann eine ganz distanzierte Höflichkeit. Man kann ja auch nicht jeden mögen. Aber irgendwie müssen wir ja alle miteinander existieren und ich habe keinen Bock auf Zickerei. Im Grunde genommen sind wir alle wahnsinnig geltungsbedürftige Transvestiten, die alle eine Bühne brauchen. Natürlich gibt es Konfliktpotenzial, wenn die eine schöner oder lustiger ist als die andere. Das ist aber in allen Berufen so. Im Großen und Ganzen hält in Berlin die Szene zusammen.
»Als ich noch single war, habe ich bei Dates nie über meinen Beruf gesprochen.«
Jonas:
Die Reaktionen auf deine Arbeit könnten kaum gegensätzlicher sein: Auf der einen Seite erhältst du im Internet Kommentare von Leuten, die all das hassen, was du bist, auf der anderen Seite wirst du als Dragqueen in der Szene extrem gefeiert und bewundert. Wie gehst du mit diesem Spannungsverhältnis um?
Jurassica:
Das ist mir in dieser Form noch nie wirklich aufgefallen, aber du hast recht. Ich denke über so etwas nicht wirklich nach. Ich mache einfach mein Ding und lasse meinen Bauch entscheiden. Daher belastet mich das überhaupt nicht.
Ben:
Als Transvestit hat man es oft auch innerhalb der queeren Szene nicht leicht, Diskriminierung von Trans- oder beispielsweise Bi-Menschen existiert auch dort. Hast du selbst damit Erfahrungen gemacht?
Jurassica:
Ich persönlich habe gemerkt, dass es als Transe wahnsinnig schwer ist, einen Partner zu finden. Transen sind zwar unter Schwulen extrem beliebt und gefeiert. Aber als Freund? Bloß nicht – das ist zu schwul! Das geht nicht! Als ich noch single war, habe ich bei Dates nie über meinen Beruf gesprochen. Ich habe immer gesagt, dass ich Grafiker bin. War ich allerdings von Anfang an offen und ehrlich, war der Abend meistens gelaufen. Das liegt vielleicht auch daran, dass man als Partner einer Transe ein riesiges Ego braucht: Ich als Transe stehe immer im Mittelpunkt, mein Mann ist dabei nur die First Lady.
Jonas:
Es gibt Kolleginnen wie etwa Olivia Jones, die sich auch politisch äußern – ihr Auftritt auf einem NPD-Parteitag mit einem Kamerateam von „extra 3“ ist legendär. Glaubst du, dass du selbst durch deinen Beruf eine gewisse Verantwortung dafür trägst, gesellschaftliche und politische Missstände anzusprechen?
Jurassica:
Generell bin ich der Meinung, dass man als Transe ein gutes Sprachrohr sein kann. Ehrlich gesagt fällt es mir mir persönlich aber eher schwer. Als ich im letzten Jahr „Miss CSD“ wurde, war ich plötzlich ungewollt in einer politischen Rolle. Ich finde es generell wichtig, dass man bestimmte Dinge öffentlich anspricht – auch wenn ich mich selbst darin unwohl fühle. Für mich persönlich gibt es auch nur ganz wenige Kolleginnen oder Promis, denen ich politische Statements wirklich abnehme. Vielen gelingt es einfach nicht, politische Aussagen mit tat- sachlichem Inhalt zu verbreiten. In dem Moment wirkt es dann nur aufgesetzt und lächerlich. Manchen Personen nimmt man es einfach nicht ab. Man weiß ganz genau, dass sie es nur machen, weil es beispielsweise gerade total en vogue ist, Putin zu hassen. Politik ist für mich ein so vielschichtiger Bereich mit derartig vielen Pros und Contras, dass ich es mir nicht anmaßen möchte, Statements dieser Art zu liefern. Eine politische Transe zu sein ist extrem schwierig!
»Ich selbst bin auch das ein oder andere Mal auf eindeutige Angebote von Taxifahrern eingegangen – als ich betrunken war und mir das Taxigeld sparen wollte.«
Jonas:
Gibt es denn überhaupt ein rein politische Transe?
Jurassica:
Generell gibt es innerhalb der Travestie große Unterschiede. Hier ein kleiner Crashkurs in Travestie: Es gibt die Dragqueen, sprich die Transe. Dazu zähle ich mich – ich bin schön, witzig und mache Entertainment. Und es gibt die Tunte, was eher ein Berliner Phänomen ist. Die Tunte ist immer politisch. Sie hat hier in der Stadt eine große Tradition. Das SchwuZ zum Beispiel wurde von Tunten gegründet. Die Figur der Tunte ist in den 70er Jahren aus der Homobewegung heraus als konterkariertes Spiegelbild entstanden: Aus dem Schimpfwort haben Männer in Frauenkleidern einfach eine Selbstbezeichnung gemacht.
Die Tunte ist zwar nicht so glamourig wie die Dragqueen – sie trägt eher einen ollen Fummel, ist nicht besonders gut geschminkt und die Haare sitzen nicht so richtig – aber sie hat eine politische Meinung, setzt ein Statement und geht bei jeder Möglichkeit auf die Straße, um die Regenbogenflagge hochzuhalten. Diese Form gibt es so nur in Berlin. Die Tunten sind auch die einzigen, denen ich politische Statements abnehme: Denen ist die Bewunderung und Medienaufmerksamkeit scheißegal, sie fahren mit dem Fahrrad im Fummel in die Disko. Ich selbst sehe mich allerdings überhaupt nicht so und habe mich auch nie so gesehen.
Jonas:
Dafür spielt für dich als Dragqueen Humor eine große Rolle in deinem Leben. An welcher Stelle verstehst du keinen Spaß mehr?
Jurassica:
Beim Haare anfassen! Kennt ihr die drei goldenen Regeln der Travestie? First rule: Never touch the hair. Second rule: Never touch the hair. Third rule: Never touch that fucking hair. Und das ist wirklich so! Ein anderes No-Go: wenn Leute meine Brüste anfassen wollen. Es ist doch so offensichtlich, dass das Plastikbrüste sind. Generell hört daher der Spaß für mich auf, wenn Leute übergriffig werden.
Ben:
In einer deiner Kolumnen schreibst du über Erlebnisse mit den Berliner Taxifahrern. Hört da der Spaß ebenfalls auf?
Jurassica:
Taxifahrer sind ein Thema für sich. Die Mehrzahl der Berliner Taxifahrer ist arabisch- oder türkischstämmig. Und die lieben einfach Transen. Ich werde dafür zwar oft aus der politisch korrekten Ecke heraus kritisiert, aber ich sage es trotzdem. In der Türkei existiert ja Homosexualität offiziell nicht. Wenn man dort offen schwul ist, ist man eine Transe – und zwar eine Nutte. Viele prostituieren sich im Fummel. Und deshalb denken wohl viele Türken in Berlin, dass wir alle Nutten wären. So muss das sein, anders kann ich es mir nicht erklären.
Am Anfang meiner Karriere bin ich selbst auch das ein oder andere Mal auf eindeutige Angebote von Taxifahrern eingegangen – als ich betrunken war und mir das Taxigeld sparen wollte. Mittlerweile nervt es mich aber nur noch. Wenn ich gerade ins Taxi gestiegen bin und von der Rückbank aus schon die gaffenden Augen im Rückspiegel sehe, fühle ich mich genervt und belästigt. Meistens geht es dann mit ganz vorsichtigen Fragen los. Wenn ich ihnen daraufhin eine Abfuhr erteile, sind die meisten Fahrer plötzlich total devot und haben Angst vor mir. Die haben einfach einen riesigen Respekt vor großen Frauen!
Jonas:
Homosexualität ist in den letzten Monaten und Jahren ein immer größeres gesellschaftliches Thema geworden. Glaubst du, dass wir insgesamt auf einem guten Weg in Richtung vollkommene Gleichstellung sind?
Jurassica:
In Deutschland geht es den Schwulen doch eigentlich heute schon ganz gut. In meiner Familie geht man mit mir und meinem Beruf ganz normal um. Das mag aber vielleicht auch ein Phänomen meiner Familie sein. Natürlich gibt es aber immer wieder Dinge, die mich einfach wütend machen. Vor kurzem hat der Regierungssprecher wieder kommuniziert, dass es mit dieser Regierung in dieser Legislaturperiode keine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare geben wird. Da bin ich stinksauer! An dieser Stelle sieht man, dass doch noch einiges gemacht werden muss.
Aber das wird, alles braucht seine Zeit – leider. Ich finde, in den letzten 15 Jahren ist so viel passiert, was in den Jahrhunderten davor nicht passiert ist. Das ist doch ein gutes Zeichen. Die Entwicklung geht immer schneller und schneller. Meiner Meinung nach wird es letztendlich ein Selbstläufer sein. Ich merke das an der jungen Generation: Wenn ich in schwulen Clubs auflege, sind da so viele heterosexuelle junge Männer und Frauen, die mit Homosexualität so viel entspannter umgehen als früher. Denen ist das heute gar nicht mehr so wichtig. Das ganze Thema wird sich daher immer weiter verselbstständigen.
»Talk ist genau mein Ding. Mein großer Traum ist es, irgendwann meine eigene Show im Fernsehen zu haben.«
Jonas:
Wie geht es mit dir persönlich weiter? Hast du einen Plan für die Zukunft?
Jurassica:
Einen Plan gibt es nicht, aber es gibt Träume. Ich will auf jeden Fall innerhalb der nächsten maximal zehn Jahre aus der Disko raus. Es gibt Kolleginnen, die mit 50 immer noch in der Disko stehen und auflegen. Ich merke aber schon jetzt mit 35, dass es mich anstrengt, mir die Nächte am DJ-Pult um die Ohren zu hauen. Manchmal bekomme ich auch Musikwünsche, von denen ich noch nie im Leben etwas gehört habe. Langsam gibt es einen Altersunterschied zwischen mir und meinem Publikum, dass ich mich auf manchen Partys wie die Kindergärtnerin fühle. Irgendwann wirke ich dann auch nicht mehr authentisch am DJ-Pult. Das Nacht- und Partyleben geht eben auf Dauer nicht.
Seit einer Weile habe ich im BKA-Theater meine Late-Night-Show „Jurassica Parka – Paillette geht immer“, die mir unglaublich viel Freude bereitet. Ich bin zwar überhaupt keine Show-Transe, aber ich kann lustig sein und reden. Talk ist genau mein Ding. Mein großer Traum ist es, irgendwann meine eigene Show im Fernsehen zu haben. Fernsehen ist mein Medium. Gäbe es noch „Wetten, dass…?“, würde ich das übernehmen wollen.
Ich musste in der Vergangenheit leider immer wieder feststellen, dass es sich die Sender nicht trauen, eine Transe ins Fernsehen zu holen. Travestie gibt es im deutschen Fernsehen einfach nicht. Außer vielleicht bei „Punkt12“, wenn sie mal einen perversen Schwulen brauchen, der Perücken austestet.
In diesen Momenten ärgere ich mich manchmal, dass ich mir diese Optik ausgesucht habe. Als Mann würde ich es zwar niemals machen wollen, aber ich hätte es auf jeden Fall leichter.
Aber auch das wird sich verändern! In den USA ist Travestie durch Sendungen wie „RuPaul’s Drag Race“ zum Mainstream geworden. Das wird in Deutschland noch ein paar Jahre dauern, aber dann wird auch hier der Fernsehmarkt offen sein für die Transen. Ich bin allzeit bereit!
Mehr von und über Jurassica Parka:
www.jurassicaparka.com
instagram.com/jurassicaparka
facebook.com/jurassicaparka
Interview & Text: Jonas Meyer
Fraser A. Gorman
Interview — Fraser A. Gorman
Permanent Fun
„My goal in life is to permanently have fun“ – Fraser A. Gorman pays MYP a visit from good old Down Under, and he does not fail to charm us with some relaxing Aussie flair.
5. Juli 2015 — MYP N° 18 »My Quest« — Interview: Jonas Meyer, Photography: Moritz Jekat
Jonas:
You know, you don‘t meet that many people from Australia here. It‘s always something special for us Europeans. We have a very romanticized notion of your country – happy people, sunny beaches. Would you say that your experiences growing up confirm or deny that image?
Fraser:
I suppose a bit of both. Australia is very beautiful, and chilled-out, and sunny, and cool like that. At the same time it‘s normal. When I come here I‘m always struck by the beauty and age of everything around me, like the buildings and the mountains. In general it is true that Australians love the outdoors – the hot weather for going to the beach and getting a sun-tan.
Jonas:
Do you get bored of it?
Fraser:
Yes, you definitely can. I much prefer to be here in Berlin this summer. There‘s so much more to do. You have this great nightlife here, and stuff like that. It‘s a super vibrant kind of place with more people.
The good and bad thing about Australia is that there aren‘t that many people living there. You could probably find a tourist bar and have a pretty good time, and you could probably find a deserted beach to swim at but that‘s about the extent of it. Here in Germany you have so many people with so many cities that are worth going around. It depends on what you like.
Jonas:
I’d like to ask you about your development into a musician. It seems like the whole process was very pragmatic. For example, your stuttering was the only reason why you started singing at the age of twelve.
Fraser:
I still do stutter!
Jonas: Really?
Fraser:
Yeah, I try not to.
Jonas:
I didn’t notice.
I dunno whether my pragmatism is a good or bad thing.
Fraser:
Nah, just spend a little more time with me and you’ll realize that it isn’t.
Jonas:
Still, you seem very pragmatic about your music. You picked up the guitar shortly after you started making music because it was easier than singing. Then you added a letter to your performing name because you didn’t want people to mix it up with your facebook name. Is pragmatism part of your personality?
Fraser:
I guess it is. I’ve never really given it much thought. I dunno whether my pragmatism is a good or bad thing.
Jonas:
It certainly makes things easier, I should think.
Fraser:
Yeah, that it does. I’m trying to get it to a place where it’s as relaxed as possible. I’m all about chilling out.
When we come here, we carry our lifestyle over. Australia is just too hot to care about the small things.
Jonas:
Do you apply that demand to your music?
Fraser:
Yeah, we do. We aren’t a super loud band. For lack of a better word we are pretty chilled-out. I reckon it’s a very common Australian trait. When we come here, we carry our lifestyle over. Australia is just too hot to care about the small things.
Jonas:
How did your love of the musicion Justin Townes Earle come about? Does that have a pragmatic back- ground as well?
Fraser:
It actually does. When I was growing up I played in this garage punk band. I was the driving force behind that band. We went on tour but it was just hard. Anyway, I saw Justin Townes Earle play solo at a festival, and he was incredible. He’s an amazing performer. When I saw him it blew me away. He was just going nuts on-stage, and it really inspired me to make music on my own. I don’t really listen to his music that much anymore but it definitely made me want to continue.
Jonas:
Was that because he reached so many people, or because of the music itself?
Fraser:
It was everything. He makes a lot of noise for one guy. It was a great gig. I was on acid at the time which probably helped to fuel how good I thought it was.
Jonas:
How old were you?
Fraser:
Nineteen. I saw him, and pretty much went home to start writing songs.
Jonas:
So that was the turning point?
Fraser:
Yeah, I’d played in bands before but that reinvigo- rated me.
Jonas:
Did that turning point make you realize what kind of music you would like to make?
Fraser:
Justin Townes Earle is kind of this modern outlaw country musician. I found a love for that kind of music through him. His middle name comes from Townes Van Zandt who died in the late ‘90s.
I learned a lot about that style of music through his music. It’s one of those things where you find someone you really like – say Bob Dylan for example – and then through Dylan you discover Neil Young or the Stones. It’s this world of music you keep going through.
Jonas:
I remember when I was thirteen, and my dad had these Neil Young and Emmylou Harris records that I would listen to in the evening. The next morning I would go to school, and talk about liking my dad’s music. It was so uncool.
Fraser:
Oh yeah, definitely. I know that very well.
Jonas:
I read that Melbourne has a very competitive music scene.
Fraser:
Yeah, Melbourne is known for having all these great bands, even though it’s such a small place, and it’s in the middle of nowhere. It’s not very easy to get to, and because of that it’s a very tight-knit community. Bands want to be good because you’ve only got your peers. That natural competitiveness is the reason that Melbourne has such a good music scene. The competition drives the music. People want to be good.
Jonas:
At the same time you have some very special relation- ships within the community, don’t you? Your friendship with Courtney Barnett comes to mind.
Fraser:
Oh yeah. I’ve been friends with for years. She was one of the first people I met when I moved to Melbourne. We were both doing singer-songwriter things when we were starting out. We bonded over that connection. It’s like when you go to school, and you become friends with someone because you both have similar interests. We were both making music, and we both had bands. She’s fucking good at it too.
Jonas:
Who’s the guy who makes your videos?
Fraser:
His name is Sonny Leunig – an incredible guy.
Jonas:
How did you get to know him?
Fraser:
Oh, I met him years ago in Melbourne as well. Like I said, Melbourne is a pretty small place. Once your band gets a bit of note, you very quickly meet everyone there. It’s really cool because you suddenly have all these mates.
Whenever things aren’t fun anymore, you gotta hold up, and ask where things went wrong.
Jonas:
A few weeks ago, your first record “Slow Gum” came out – where do you want to go next?
Fraser:
I want to go everywhere. I really want to travel around Europe more. I’ve been to the UK twice, and to the US. I’m going back to the States this year. I want to come back to Berlin, as well, and just cruise around.
Jonas:
And where do you want to go generally in your life?
Fraser:
Anywhere that’s fun. My goal in life is to permanently have fun. Whenever things aren’t fun anymore, you gotta hold up, and ask where things went wrong.
That ties back into the picture we have of Australia. That’s right. It’s important to have fun. What else is there to do?
Fraser A. Gorman is a 23-year-old musician living in Melbourne, Australia.
Allie
Interview — Allie
Filmmusik
Jeder Song eine kleine Geschichte: Florian Boss alias Allie versteht sich als schauspielernder Mu-siker, der sich für jedes Stück ein neues Märchen ausdenkt. Aber haben seine Lieder wirklich nichts mit ihm zu tun?
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke
Das Leben ist seltsam geworden. Immer höher will der Mensch hinaus, immer schneller will er laufen, immer weiter will er springen. Und lauter schreien will er auch – aus Angst, nicht gehört oder gesehen zu werden in der Masse. Die Welt verkommt zu einem Fischmarkt.
Dabei ist Geschwindigkeit nicht unbedingt ein Zeichen von Fortschritt. Und Lautstärke bei weitem kein Ausdruck von Stärke oder Qualität. Sind es nicht vor allem die leisen Töne, die uns in besonderer Weise berühren? Wer sich je eine Muschel ans Ohr gehalten hat, um das Meer zu hören, der weiß, welche Kraft sich aus der Stille heraus entwickeln kann.
Berlin-Friedrichshain an einem späten Nachmittag Ende Juni. In den Räumen des „Antje Öklesund“, das sich selbst als „audiovisuelles Labor“ bezeichnet, treffen wir den Berliner Musiker Florian Boss, der hier vor wenigen Tagen sein viertes Album vorgestellt hat.
Seit 2010 sorgt der 26-Jährige unter dem Namen Allie für Akustikerlebnisse der besonderen Art. Zart und fast zerbrechlich wirkt seine Musik – doch gerade daraus entwickelt sie ihre Kraft. Die Stille als Verbündeter und enger Freund. Das muss man erstmal schaffen in einer Welt, die immer lauter wird.
Jonas:
Du lebst seit mittlerweile acht Jahren in Berlin, kommst aber ursprünglich aus der Nähe von Hannover. Welche Bilder hast du im Kopf, wenn du dich an deine Zeit dort zurückerinnerst?
Allie:
Ich muss vor allem an die extreme Langeweile denken, die ich dort hatte. Ich glaube, diese Langeweile ist auch dafür verantwortlich, dass ich angefangen habe, Musik zu machen. Es gab für mich in der Ecke auch einfach nichts anderes zu tun.
Außerdem erinnere ich mich an die vielen schlechten Konzerte, die es dort gab. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie sind in der Provinz Hardcore und Metal sehr weit verbreitet. Nichts gegen diese Musikrichtungen – das kann schon cool sein. Aber dort war es das eben nicht.
Jonas:
Vielleicht helfen in der Provinz Hardcore und Metal beim Rebellieren und Anderssein.
Allie:
Ja, vielleicht. Aber so wirklich dahinter gekommen bin ich noch nicht.
Jonas:
Wie genau hast du in deiner Heimat mit dem Musikmachen angefangen?
Allie:
Ich habe neben der Schule als Gitarrist in einer Art Rockband gespielt. Als ich nach dem Abi meinen Zivi machen musste, habe ich mich entschieden, dafür nach Berlin zu gehen. Mir erschien Berlin als eine gute Möglichkeit, endlich mal etwas anderes zu sehen, ohne dabei zu weit weg von meiner Band zu sein. Leider ist die Band zerbrochen, kurz nachdem ich in Berlin angekommen bin.
Nach dem Zivi bin ich einfach hier geblieben und habe angefangen, Soziale Arbeit zu studieren.
Jonas:
Soziale Arbeit ist aber nicht unbedingt ein Studienfach, das einem bei der musikalischen Karriere hilft.
Allie:
Ehrlich gesagt habe ich das nur studiert, um irgendeinen Abschluss zu haben – im Mittelpunkt stand die ganze Zeit nur die Musik. Nach dem Zerbrechen der Band habe ich angefangen, zum ersten Mal alleine Musik zu machen – und alleine zu singen. Das habe ich vorher nie getan. Und so ist in Berlin im Laufe der Monate allmählich auch mein erstes Album entstanden.
Jonas:
Wie hast du es geschafft, dass man auf deine Musik aufmerksam geworden ist?
Allie:
Eigentlich hat sich das Interesse der Leute für meine Musik erst während meiner Zeit in New York entwickelt: Im Jahr 2010 habe ich im Rahmen meines Studiums ein sechsmonatiges Praktikum in Brooklyn absolviert – in einer Tageseinrichtung für Erwachsene mit psychatrischer Diagnose.
In New York bin ich als Musiker zum ersten Mal öffentlich aufgetreten – und habe nach und nach gemerkt, dass das irgendwie ganz gut funktioniert und die Leute mit meiner Musik etwas anfangen können.
Ich hatte zwar vorher schon in Berlin einige Songs vor Freunden gespielt, aber das ist nicht vergleichbar. New York hat mir gezeigt, dass ich mit meiner Musik meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Von da an habe ich mich intensiv darum bemüht, Konzerte zu spielen.
Die Langeweile ist dafür verantwortlich, dass ich angefangen habe, Musik zu machen.
Jonas:
Wie funktioniert das denn ganz praktisch? Es kommen täglich hunderte, vielleicht sogar tausende Musiker nach New York, die alle gerne irgendwo vor Publikum auftreten möchten.
Allie:
Meine Musik bestand damals hauptsächlich aus Akustikgitarre plus Gesang. Bei solchen Sachen läuft in New York recht viel über Open Mic Sessions in Clubs und Bars. Eigentlich ist das ja nicht so mein Ding, aber es war eine Möglichkeit, gesehen und gehört zu werden.
Jonas:
Was genau stört dich an diesen Open Mic Sessions?
Allie:
Dass man nicht gefragt wird, ob man auftreten möchte, sondern sich von sich aus anbieten muss.
Jonas:
Das scheint einfach eine recht amerikanische Herangehensweise zu sein.
Allie:
Ja, wahrscheinlich.
Jonas:
Auch wenn du diesen Weg nicht so sehr magst, warst du trotzdem erfolgreich – im Gegensatz zu vielen anderen guten Musikern, die in New York ihr Glück versuchen. Was hat deiner Meinung nach den Unterschied ausgemacht?
Allie:
Wenn man wie ich bei Null gestartet ist und über keinerlei Kontakte verfügt, funktioniert das nur über megaviel Arbeit. Aus 200 Bookingmails, die man versendet, kann man am Anfang vielleicht fünf Auftritte generieren. Irgendwann hat man dann eine Tour zusammen, es kommt halt nur auf die Zeit und die Mailarbeit an, die man bereit ist zu investieren. Oder aufgrund von anderen Verpflichtungen überhaupt investieren kann.
Jonas:
Ist dieser Pragmatismus immer schon ein Teil von dir gewesen? Oder hat man diese Einstellung automatisch, wenn man eine Zeit lang in New York gelebt und überlebt hat?
Allie:
Ach, ich weiß nicht, ich sehe Musik ja auch irgendwo als einen Job.
Natürlich liebe ich total, was ich tue – Musik ist einfach mein Leben. Aber wie ich schon gesagt habe, steckt dahinter einfach verdammt viel Arbeit. Man muss sich einfach ransetzen und das Ganze konsequent durchziehen. Wer das nicht mag, dem bleibt nichts anderes übrig, als auf sehr viel Glück zu hoffen.
Ich glaube, die Art und Weise, wie man Musik macht, hängt im Wesentlichen von den Umständen ab, in denen man sich befindet.
Jonas:
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Alltag in Berlin und dem Alltag in New York?
Allie:
Definitiv. In New York geht noch wesentlich mehr als in Berlin – und zwar in jeder Hinsicht. Man kann quasi jeden Tag zu einem Konzert einer Band gehen, die man gut findet. Berlin wirkt dagegen eher wie eine Kleinstadt – ist dafür aber auch weniger stressig. Ich finde, das Leben in New York kann einem insgesamt schneller an die Substanz gehen – oder aufregender sein. Je nach dem.
Jonas:
Wann hast du ein Gefühl dafür entwickelt, welche Art von Musik du in deinem Leben machen willst?
Allie:
Meiner Meinung nach überlegt man sich so etwas nicht bewusst – ich kenne jedenfalls niemanden, der sich zuerst für eine konkrete Musikrichtung entscheidet und dann einen ausgetüftelten Plan entwickelt, mit dem er diese Musik umsetzen will.
Ich glaube, die Art und Weise, wie man Musik macht, hängt im Wesentlichen von den Umständen ab, in denen man sich befindet. Und von den Instrumenten, die einem zur Verfügung stehen.
Wenn man beispielsweise mit einem Schlagzeug Musik machen will, funktioniert das nur, wenn einem auch ein geeigneter Probenraum zur Verfügung steht. Ansonsten beschweren sich relativ bald die Nachbarn. Mit dem Singen ist es ähnlich: Ist man zu laut, fühlen sich andere genervt. Singt man eher leise, stört es niemanden. Außerdem glaube ich, dass es generell keinen richtigen Startschuss für die eigene Musik gibt. Die entwickelt sich einfach mit der Zeit. Ich persönlich habe mich am Anfang total auf meine Akustikgitarre und den Gesang konzentriert, dann kamen immer mehr Sounds und Beats dazu. Mittlerweile mache ich gar nichts mehr mit der Gitarre, sondern arbeite eher mit Synthesizern.
Insgesamt ist das, was man tut, einfach durch viele random Umstände bestimmt. Und außerdem ist man sowieso ständig davon beinflusst, welche Musik man hört und welche Filme man sieht.
Jonas:
Sind TV und Kino eine große Inspirationsquelle für dich?
Allie:
Einen Fernseher habe ich gar nicht. Aber Filme inspirieren mich sehr. Ich schaue mir sehr, sehr viele Filme an, wahrscheinlich sogar fast täglich einen. Das ist irgendwie wichtig für mich. Ich glaube, dass sich in meiner Musik vieles wiederfindet, was seinen Ursprung mal in einem Film hatte. Ich fühle mich aber auch generell von allem inspiriert, was mir im Alltag so begegnet.
Jonas:
Ist der Name Allie auch auf einen Film zurückzuführen?
Allie:
Tatsächlich gibt es in einem Film names „Permanent Vacation“ von Jim Jarmusch eine Hauptfigur namens Allie – für mich der coolste Typ auf dem Planeten. Lustigerweise hatte ich mir den Namen aber schon zugelegt, bevor ich den Film gesehen habe. Als ich anfing, alleine Musik zu machen, habe ich nach einem simplen Namen gesucht, den ich gerne ausspreche. Das war ehrlich gesagt auch das einzige Kriterium. Eine besondere Bedeutung musste der Name für mich nicht unbedingt haben – ich dachte, die kommt ja eh mit der Zeit. Dass der Name etwas später dann im Film auftauchte, war ein wunderschöner Zufall, über den ich mich immer noch sehr freue.
Jonas:
Zwischen Film und deiner Musik gibt es eine interessante Parallele: Film erschafft in der Regel eine visuelle Kunstwelt, in die man als Zuschauer hineingezogen wird – jedenfalls wenn der Streifen gut gemacht ist. Genauso erzeugt deine Musik eine ganz eigentümliche, stille Welt, in das dein Publikum versinken kann.
Allie:
Wenn man Musik macht, schafft man sich selbst sein ganz eigenes Universum. Ich versuche einfach, das nach außen zu transportieren. Ich finde aber, dass es zwischen Film und Musik einen entscheidenden Unterschied gibt: Wenn man ins Kino geht bzw. sich einen Film anschaut, ist man darauf eingestellt, dass man in diese Welt eintaucht. Bei Musik ist es wesentlich schwieriger, jemanden so zu involvieren, dass er das Gefühl hat, in einer anderen Welt zu sein.
Jonas:
Es gibt noch eine weitere Parallele: Man sagt, dass es die Aufgabe von Schauspielern – insbesondere von Theaterschauspielern – ist, dem Publikum den Spiegel vorzuhalten. Deine Musik wirkt im ersten Moment sehr verletztlich. Im zweiten Moment merkt man als Hörer aber, wie verletzlich man selbst ist, weil die Musik einen so intimen Raum schafft.
Allie:
Ich finde, dass die Verletzlichkeit der Musik oft mit der des Musikers verwechselt wird. Bei meiner Musik geht es in erster Linie nicht um mich. Dementsprechend muss man sich bei mir auch keine Gedanken darüber machen, was ich vielleicht vor kurzem durchgemacht haben könnte. Bei einem Theaterschauspieler fragt man sich ja auch nicht, was bei dem gerade abgeht, der die Rolle spielt.
Jonas:
Dennoch basiert eine Vielzahl von Songs letztendlich auf eigenen Erlebnissen der Musiker.
Allie:
Ich mag es einfach nicht, wenn Musik immer so tagebuchmäßig verstanden wird. Bei mir ist jeder Song eine Geschichte, die ich mir ausgedacht habe. Und diese Geschichte versuche ich zu erzählen. Wie bei einem Theaterstück soll mein Publikum einfach der Story folgen. Mit meiner eigenen Person hat das nichts zu tun. Dabei verstehen viele Leute nicht, dass es sich bei einem Konzert von mir immer um eine Show handelt. Oft sind sie dann irritiert – auch weil ich meistens direkt mit der Musik starte und nicht hallo sage. Das tut mir immer total leid.
Aber um auch hier wieder den Vergleich mit der Bühne aufzumachen: Im Theater würde man sich auch wundern, wenn im Vorfeld die Schauspieler zur Begrüßung einige persönliche Worte ans Publikum richten würden. Ich jedenfalls würde das für sehr befremdlich halten.
Jonas:
Vielleicht sind manche Leute auch deshalb irritiert, weil sie nicht genau wissen, wie sie mit dieser Art von Musik umgehen sollen, die du machst. Man ist – auch durch das Fernsehen – mittlerweile geradezu darauf konditioniert, dass Musik heutzutage nicht mehr gespielt, sondern nur noch „performt“ wird.
Allie:
Jedes Konzert von mir ist eine Performance – allerdings eine, die die Musik in den Vordergrund stellt und nicht den Künstler oder irgendwelche Tänzer. Wenn die Leute dadurch überrascht oder sogar verunsichert sind, ist das genau das, was ich erreichen will. Für mich ist das absolut wünschenswert. Und alles, was über das Egal-Gefühl hinaus geht, ist cool – ganz gleich, in welche Richtung.
Jonas:
Einer der ersten Allie-Songs, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, ist dein Cover des Klassikers „The power of love“ von Frankie goes to Hollywood. Diese Interpretation schafft ebenfalls eine ganz eigen- tümliche Intimität. Wie kam es dazu, dass du gerade diesen Song gecovert hast?
Allie:
Ich covere recht viele Songs – es macht mir einfach wahnsinnig viel Spaß. Ich finde, so etwas ist immer mal wieder ein gute Übung, um zu sehen, wie meine Musik funktioniert. „The power of love“ spiele ich oft als ersten Song bei meinen Konzerten, denn das Lied ist ein richtig guter Opener: Mit dem A-Capella-Gesang schaffe ich es, dass die Leute erst einmal runterkommen. Und außerdem kann ich ihnen mit so einem bekannten Lied eine gute Einführung in das Konzept meiner Musik geben. Ich finde das irgendwie ganz lustig. Und ganz davon abgesehen ist es einfach ein richtig cooler Song.
Jonas:
Der Song entwickelt einen ganz eigenen, aber nicht weniger starken Charakter, wenn er so leise und zaghaft interpretiert wird.
Allie:
Ich empfinde es als einen spannenden Gegensatz, wenn man einen so epochalen Song ganz leise und zart vor sich hin singt.
Jonas:
Hörst du selbst auch lieber leise Musik?
Allie:
Nein, überhaupt nicht. Die Musik, die ich höre, ist eher laut – HipHop oder Punk Rock zum Beispiel. Das hat releativ wenig mit der Musik zu tun, die ich selbst mache.
Ich mag es einfach nicht, wenn Musik immer so tagebuchmässig verstanden wird.
Jonas:
Vor einiger Zeit hast du auf Facebook ein Bild gepostet mit der Überschrift „Recording vocals in my butze“. Ist deine Wohnung der Ort, an dem alle deine Songs entstehen?
Allie:
Während mein letztes Album „Uncanny Valley“ noch komplett im Clouds Hill Studio in Hamburg aufgenommen wurde, hat das bei dem neuen Album nicht mehr geklappt. Ich habe es zum Teil im Heimstudio eines Freundes und bei mir zuhause produziert – dabei ist auch das Foto entstanden.
Jonas:
Dein neues Album ist am 19. Juni erschienen und trägt den Namen „Allie“. Gibt es einen bestimmten Grund, warum du Album Nummer vier schlicht nach dir selbst benannt hast?
Allie:
Bei diesem Album hatte ich – anders als beim vorherigen – alle Fäden selbst in der Hand. Ich habe es selbst aufgenommen, selbst produziert und selbst gemischt. Darüber hinaus habe ich das Artwork entwickelt und mein eigenes Netzwerk von Künstlern für Gastauftritte genutzt. Die Idee dahinter war, alle künstlerischen und technischen Ressourcen, die ich in meinem bisherigen Leben angesammelt habe, so gut wie möglich auszuschöpfen. Dazu passend zieht sich inhaltlich als roter Faden eine gewisse Anmaßung und charmante Selbstüberschätzung durch das Album. Daher dachte ich: Wenn es eine Platte gibt, die meinen Namen tragen muss, dann ist es diese.
Jonas:
Das Intro des Albums wird gesprochen vom Berliner Rapper Black Cracker. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Allie:
Ich dachte, es wäre einfach cool, eine Art A Capella Rapsong auf dem Album zu haben. Der Text dazu wurde aber sehr aggressiv und programmatisch, sodass ich es irgendwie blöd fand, ihn selbst zu sprechen. Meine Lyrics sind normalerweise ausgedachte Geschichten und haben eine gewisse Distanz zu meinem richtigen Leben.
Bei diesem Text ist das aber anders, er ist sehr persönlich. Um diese Distanz wiederherzustellen, hielt ich es für eine gute Idee, jemand anderen den Text lesen zu lassen. Ich kenne Black Cracker von Lesungen, wo er seine Gedichte vorgetragen hat, deshalb habe ich ihn gefragt und er hat großzügigerweise zugestimmt. Sonst hätte ich den Text wahrscheinlich wegwerfen müssen.
Das, was sich bei einer Tour verändert, sind lediglich die Location und das Publikum. Aber das sind eigentlich auch die interessanten Komponenten.
Jonas:
Seit du als Musiker unter dem Namen Allie unterwegs bist, hast du über 200 Shows in allen Ecken der Welt gespielt – und mit dem neuen Album werden wahrscheinlich bald weitere dazukommen.
Kannst du an dir nach diesen vielen Auftritten bestimmte Muster und Angewohnheiten erkennen, die sich im Laufe der Jahre entwickelt haben und die dich seitdem begleiten?
Allie:
Hmm, bei einer Tour zum Beispiel hat man immer wieder dieselben Abläufe – und das ist auch gut so. Nicht zu wissen, was mich erwartet, wäre einfach zu stressig für mich. Das, was sich bei einer Tour verändert, sind lediglich die Location und das Publikum. Aber das sind auch die eigentlich interessanten Komponenten.
Jonas:
Wie bei einem Film, der von Kino zu Kino tourt: Es ändern sich immer nur der Ort und die Zuschauer.
Allie (lacht):
Genau. Und manchmal auch die Bildqualität.
Florian Boss alias Allie ist 27 Jahre alt, Musiker und lebt in Berlin.
Daniel Lichtenegger
Submission — Daniel Lichtenegger
Ergometer
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Daniel Lichtenegger
Es gibt wohl keinen Moment, in dem ein Mensch nicht
auf der Suche ist, sei es nach einem Objekt, einem Lebensstil, nach Liebe oder einem Zustand.
Meistens ist es aber nicht das Gesuchte, das die Suche
beendet, sondern ein Zufall währenddessen.
Sei es eine Idee auf der Suche nach Geld, ein Mensch auf
der Suche nach Liebe, ein Hobby auf der Suche nach Karriere oder ein Ergometer auf der Suche nach Fitness.
Daniel Lichtenegger ist 20 Jahre alt, stammt aus Graz und studiert in Gießen Medizin.
Amelie Satzger
Submission — Amelie Satzger
Versuche Glück
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Amelie Satzger
Ich suche schon mein Leben lang. Nach Schlüsseln, Brillen, Handys und Glück.
Immer dieses Glück. Es wollte einfach nicht kommen. Fand ich Liebe, zerbrach eine Freundschaft, schloss ich Freundschaften, lief es in der Familie schlecht. Und das in einem ewigen Kreislauf, sodass ich immer suchte. Nach Vollkommenheit in einer Form, wie sie nur in unseren Köpfen existiert.
Das Ende einer Suche kommt nur zufällig in der Perfektion eines einzigen flüchtigen Momentes vor, den man, wenn man Glück hat, in irgendeiner Form festhalten kann, sei es mit einem Lied, einer Zeichnung oder einem Foto, um sich an seine Existenz später noch erinnern zu können. Viele Menschen sind traurig, weil sie nicht finden, was sie suchen.
Ich wäre traurig, nichts mehr zum Suchen zu haben. Die Suche nach mehr gibt mir eine Richtung im Leben. Ohne Suche wäre Stillstand.
Amelie Satzger ist 20 Jahre alt, Fotografin und lebt in München.
Kerim Becker
Submission — Kerim Becker
Warten auf den Flow
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Kerim Becker
Ok. Erstmal die Musik ausmachen.
Man braucht Ruhe zum Schreiben.
…
Aber wenn die Ruhe unerträglich wird und
dieses Rauschen im Kopf einsetzt?
Was braucht man dann zum Schreiben?
Pilze? Kokain? LSD? Gummibärchen?
Immerhin regnet es jetzt endlich und diese
schwüle Luft verzieht sich.
Also Fenster auf und Kopf abkühlen.
einatmen, reinhorchen, einfühlen
Die Fakten: Heute ist der 13. und am 15.
ist die letzte Abgabemöglichkeit.
Zwei Tage. Scheiße! Unter Druck schreiben
ist scheiße! Das klappt nie.
Warum eigentlich nicht? Muss einen immer
die blöde Muse küssen, damit was kommt?
Kann sich nicht mal einfach so was
ergießen? Ich mein’, beim Masturbieren
klappt’s doch auch…
Über was reg’ ich mich eigentlich so auf?
Im Prinzip nervt mich doch nur, dass
ich es schlicht nicht hinbekomme, diesen
blöden Text auf Anfrage zu schreiben.
„Deine Probleme will ich haben!“, das könnten
jetzt locker 1,4 Milliarden Menschen zu mir
sagen – also wenn die alle hier wären und
deutsch sprechen würden.
(Hmmm… 1,4 Milliarden auf 42 m³; das wär’
dann schon ziemlich harte Materie…)
Aber so einfach ist das nunmal nicht mit dem
Schreiben! Das muss von innen kommen.
Alles andere ist nur Kompromiss.
Keine Kompromisse! Zumindest nicht hier!
Nicht auf dieser Ebene!
Das ganze Leben, unsere Systeme, Gesell-
schaften, Regeln, wach sein und schlafen
müssen – alles ein einziger Kompromiss!
Hart bleiben!
dranbleiben, aufschreiben
Tick, tick, tick, tick, tick, tick – und wieder
stirbt ein Kind unter fünf Jahren an Hunger
und ich spür’ nichts…
Weich werden.
klein werden, zulassen, aufnehmen,
Luft werden, leicht werden
Kompromiss.
…irgendwas läuft doch schief hier.
Kerim Becker ist 22 Jahre alt, Musiker in der Band Zaunkönig und lebt in Berlin.
Timo Rud
Submission — Timo Rud
Flug A348
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Timo Rud
Der Raum ist da um ihn zu suchen
Der Raum ist da um Teer zu atmen
Der Raum ist pure Sucht
Der Raum – oh filtrierte Luft
Der Raum ist da um gelb zu werden
Der Raum ist da um Krebs zu kriegen
Der Raum ist purer Rauch
Der Raum – oh ich such’ ihn auf
Ich irr’ umher
mich steuert Sucht
Frag hier, frag da
hol’ schnappend Luft
Ich irre noch
schier endlos lang
da vorne da
das Licht im Gang
Timo Rud ist 33 Jahre alt, Fotograf und lebt in Garmisch-Partenkirchen.
Anne Puhlmann
Submission — Anne Puhlmann
Im Nirgendwo
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Anne Puhlmann
Manchmal, mitten im Nirgendwo, finde ich mich.
Und dann wieder nicht.
Mein Körper. Gespalten.
Ein Teil jagt den anderen.
Und so drehe ich mich im Kreis.
Niemals da wo ich sein soll.
Nichts ist greifbar.
Tagein. Tagaus.
Die richtigen Worte.
Vernebelt in meinem Kopf.
Menschen ändern sich.
Gefühle ändern sich.
Nichts bleibt wie es ist.
Und so drehe ich mich im Kreis.
Weiß nie was ich will.
Aber ich will mehr.
Ein Weg. Allein.
Lauf ich links, lauf ich rechts
oder bleib ich stehen?
Gefangen im Labyrinth.
Und so drehe ich mich im Kreis.
Manchmal, mitten im Nirgendwo, finde ich mich.
Und dann wieder nicht.
Anne Puhlmann ist 29 Jahre alt, studiert Fotodesign und lebt in München.
Florian Wenzel
Submission — Florian Wenzel
Flaschenpost
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Florian Wenzel
Ich weiß nicht, nach was ich suche.
Mein Ziel ist ungewiss. Wie die Reise
einer im Meer treibenden Flaschenpost.
Man weiß nicht, wo, wann, oder ob
man überhaupt ankommt.
Florian Wenzel ist 20 Jahre alt, Fotograf und lebt in Neu-Ulm.
Astrid Theis
Submission — Astrid Theis
Am Ende der Suche
5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Text & Foto: Astrid Theis
„Wer sucht, der findet nicht, aber wer
nicht sucht, wird gefunden.“ – Franz Kafka
Die Suche. Jeder sucht mal. Sei es nach einer Hose, nach einem Job oder nach der Liebe. Wenn wir suchen, verbinden wir damit gleichzeitig Hoffnung und Erwartung, weil wir fündig werden wollen. Eine Suche kann oft mit einer Erkenntnis zusammenhängen. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass suchen oftmals gar nicht weiterhilft, sondern, dass man lediglich die Dinge auf sich zukommen lassen sollte und dann schaut, was passiert.
Oft hat man sich schon in der Situation befunden, in der man nach etwas Bestimmtem sucht, sei es ein Gegenstand oder etwas nicht Greifbares, und findet dann gerade dieses nicht. Vielleicht, weil zu viel Bemühung und Angestrengtheit dahinter steckt, sodass man es nur weiter von sich wegtreibt.
So oder so geht eine Suche Hand in Hand mit Empfindungen. Was am Ende unserer Suche für eine Empfindung bleibt, erfahren wir erst, wenn wir diese beendet haben.
Astrid Theis ist 22 Jahre alt, Kommunikationsdesignerin, Fotokünstlerin und lebt in Köln.