Eoin Coveney

Submission — Eoin Coveney

Trumpthing

22. Januar 2018 — MYP N° 22 »Resistance« — Text & Illustration: Eoin Coveney

Based on John Carpenter’s „The Thing“: A grotesque mutation of hatred and negative energy, burst forth from the ultimate fiction delivery system: „Reality“ Television.

Built on the rubble of real-estate wars, paid for by gullible millionaires and unpaid contractors.

Watched at all times by News and Social Media, obsessed with every disturbing paroxysm of lies and hate.

Having watched the rise of this person to the GOP nominee and ultimately POTUS, I felt compelled to say something with the tools I have at my disposal: Pencils, pens and brushes. Interesting times are now also dangerous times. In the year that News and Entertainment seemed to lurch towards each other, this is a World Leader whose only interest in the job is to be on television to compensate for an Emmy he thought he deserved for bullying people. A compliant and largely mute GOP, fidget with their poll reports and try to look the other way. Resistance is the only option.


Michel Diercks

Editorial — Michel Diercks

Acqua Alta

22. Januar 2018 — MYP N° 22 »Widerstand« — Text & Fotos: Michel Diercks

Wenn in Venedig Winter ist, verschwinden die Tauben vom Markusplatz. Zumindest für ein paar Stunden gehört die Stadt den Möwen. Das Hochwasser kommt, und schlaue Touristen trotzen den Fluten mit Einweggummistiefeln. Noch schlauere Venezianer machen damit ein Geschäft, widerwillig. Denn sie haben es nicht leicht. Wegen der Touristen gibt es kaum noch Venezianer, die Mieten sind zu hoch. Wer sich Wohnraum leisten kann, richtet Ferienwohnungen ein und unterbietet die Hotels.

Im Sommer letzten Jahres gab es Aufstände, weil große Kreuzfahrtschiffe immer wieder bedrohliche Wassermassen in den Altstadthafen schieben, der Stadt buchstäblich die Sonne nehmen und ihre lächelnde Ladung an Land lassen – welche zum Leidwesen der Venezianer den Großteil ihres Geldes bereits an Bord ausgegeben hat.

Im Winter ist es ruhiger. Die Möwen kreischen, die Tauben gurgeln. Ein paar schlaue Touristen genießen die leeren Gassen und das trotz allem türkisfarbene Meer.


Ancient Methods

Interview — Ancient Methods

Im Bann der Achtsamkeit

Seit Mitte der 90er steht Michael Wollenhaupt mit seinem Sound für die rohe und durchtriebene Seite des Techno. Wir wollten mit dem Berliner ein wenig in der Vergangenheit schwelgen, doch am Ende wurde es ein Gespräch über die Gegenwart – inklusive der Erkenntnis, dass Schranz nicht nur ein fürchterlicher Name ist und die Band „Dead Can Dance“ gottgleich über allem steht.

30. Dezember 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Franz Grünewald

Als im Mai 2005 das Gebäude des ehemaligen Wertheim-Kaufhauses in Berlin-Mitte abgerissen wurde, war das für viele Menschen nicht nur ein Schock, sondern auch das Ende einer Ära. Denn das, was von außen so grau und unscheinbar aussah, beherbergte in seinem tiefsten Innern – genauer gesagt im ehemaligen Tresorraum des Hauses – den damals wohl berühmtesten Techno-Club der Welt: den Tresor.

Als er im März 1991 eröffnet wurde, war der Tresor der allererste Techno-Club Berlins und setzte mit seinem harten, maschinellen Sound Maßstäbe in der Welt des Techno. 14 Jahre lang galt der Club an der Leipziger Straße 126 als eine musikalische Institution und war die erste Anlaufstelle für Techno-Liebhaber aus aller Welt. Bis die Abrissbirne kam.

Nun ist es nicht jedermanns Geschmack, allzu lange in der Vergangenheit zu schwelgen und dem nachzutrauern, was mal war. Manche Menschen haben einfach viel mehr Spaß daran, die Gegenwart zu greifen und sich auf das zu freuen, was noch kommt. Zu diesen Menschen gehört Michael Wollenhaupt. Seit Mitte der 90er Jahre bereichert er als Techno-Künstler die Welt mit seinem rauen, schlagenden Sound und gilt als feste Größe in der Berliner Techno-Szene. Daneben arbeitet er als Rechtsanwalt.

Bis zum April 2005 gehörte Micha auch zum musikalischen Stammpersonal des Tresor und prägte so – gemeinsam mit den anderen Residents – den Sound einer ganzen Generation. Als der Club im Jahr 2007 an anderer Adresse wieder öffnete, entschloss sich Micha, seine Residency nicht fortzuführen, und gründete zusammen mit Conrad Protzmann das Label und Musikprojekt Ancient Methods. Heute ist Michael Wollenhaupt alleine unter diesem Namen unterwegs und steht mit seiner Musik nach wie vor für die resoluteste und durchdringendste Facette, die Techno zu bieten hat. In einem Park in Berlin-Pankow haben wir ihn zum Gespräch getroffen.

Jonas:
Ich würde mit Dir gerne einen Blick zurück ins Jahr 2007 werfen. In diesem Jahr hat nicht nur der Tresor wiedereröffnet, du hast auch dein Referendariat abgeschlossen, dich als Rechtsanwalt selbständig gemacht und nebenbei Ancient Methods aus der Taufe gehoben. Welches dieser Ereignisse berührt dich heute, zehn Jahre später, noch am stärksten?

Micha:
Die Ereignisse, die du aufzählst, sind für mich mehr oder weniger gleichbedeutend. Alle sind natürlich wichtig für mein Leben. Aber dass mir ein einzelnes besonders stark in Erinnerung geblieben wäre oder mich in besonderer Weise berühren würde, kann ich nicht behaupten. Dennoch war 2007 natürlich ein Jahr, in dem wirklich viel passiert ist. Aber mindestens genauso viel hat sich seitdem auch verändert, alleine musikalisch: etwa dieser Buzz oder dieser Hype, den man heute bei so Vielem wahrnehmen kann, was neu entsteht. Das gab es 2007 einfach nicht.
Was speziell die Entstehung von Ancient Methods angeht, war das auch vielmehr ein Prozess als ein singuläres Ereignis. Im Jahr 2007 haben wir ganz langsam damit angefangen und im Laufe der Zeit einfach geschaut, wohin es sich entwickelt. Bis das Label dann überhaupt mal auf eine gewisse Wahrnehmung gestoßen ist, hat es eine ganze Weile gedauert.

Jonas:
Im Jahr 1991, als der Tresor in der Leipziger Straße in Mitte eröffnet hat, war Techno-Musik noch Teil einer kleinen Subkultur und im Gegensatz zu heute alles andere als Massenware – im Tresor fanden die Partys im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund statt. Auch wenn du 1991 noch nicht ganz im ausgehfähigen Alter warst, hast du dich dennoch bereits mit Techno beschäftigt. Wie und wo bist du dieser Musik zum ersten Mal begegnet?

Micha:
Im Radio – damals hat man ja noch Radio gehört. Anfang der 90er gab es zwei Sendungen, die man fleißig auf Tape mitgeschnitten hat. Als ich dann zwei, drei Jahre später im – wie du sagst – ausgehfähigen, aber immer noch minderjährigen Alter war, bin ich mit Freunden öfter mal nach Potsdam ins „Waschhaus“ gefahren. Die Partys dort waren so ein bisschen jugendclubmäßig: Wirklich jeder wurde reingelassen und das Bier hat nur ne Mark gekostet. Zum ersten Mal im Tresor gefeiert habe ich dann irgendwann Mitte der 90er.

Jonas:
Aktuelle Bücher wie Berlin Wonderland oder Der Klang der Familie beschreiben sehr detailliert, wie sich die ersten Jahre nach dem Mauerfall in Ost- und West-Berlin angefühlt haben müssen. Vor allem was die Entstehung der Techno-Szene angeht, scheint es eine regelrechte Aufbruchsstimmung und Euphorie gegeben zu haben. Welche Erinnerungen hast du selbst an diese Zeit? Wie hat sich Berlin damals für dich angefühlt?

Auch wenn man als Teenager in der Regel noch nicht so reflektiert ist, hatte ich in dieser Zeit das Gefühl, bei etwas komplett Neuem dabei zu sein. Das war alles sehr, sehr punkig. Und wirklich besonders.

Micha:
Damals kam alles zusammen: der gesellschaftliche Wandel und gleichzeitig Techno als musikalische Revolution. Das war Techno übrigens tatsächlich: eine Revolution.
Auch wenn man als Teenager in der Regel noch nicht so reflektiert ist, hatte ich in dieser Zeit das Gefühl, bei etwas komplett Neuem dabei zu sein. Zwar bin ich in der Berliner Vorstadt aufgewachsen, wo alles nochmal anders ist als im Zentrum, aber gerade wenn man von der Vorstadt nach Berlin reingefahren ist, hat sich alles sehr frei und wild angefühlt. Damals ist man einfach in irgendwelche Keller reingeklettert, in denen dann Techno-Partys veranstaltet wurden. Das war alles sehr, sehr punkig. Und wirklich besonders.
Allerdings weiß ich nicht, ob dieses Gefühl des Besonderen allein durch die damalige Situation in Berlin entstanden ist oder doch eher durch die generelle Faszination der Jugend: In diesem Alter geht man zum ersten Mal weg, man hört zum ersten Mal seine Musik, man ist einfach nur jung – das ist schon besonders genug. Und sehr intensiv. Im Nachhinein fällt es mir wirklich schwer, das auseinanderzuhalten. Möglicherweise würde ich eine ähnliche Faszination auch heute verspüren, wenn ich zum ersten Mal ausgehen würde. Aber klar, die Freiräume, die man damals kurz nach der Wende hatte, waren natürlich ganz andere.

Jonas:
Gab es für dich einen Schlüsselmoment, in dem du gewusst hast: Techno ist etwas, das du nicht nur hören und dazu tanzen willst – du willst diese Musik auch machen?

Anfang der 90er war es viel schwieriger, sich bestimmte Dinge zu erschließen: An das Know-how eines DJs und insbesondere eines Produzenten kam man nicht so ohne Weiteres heran. Heute macht man zwei Klicks und weiß, wie’s geht.

Micha:
Naja, ich habe schon immer selbst Musik gemacht, auch vor Techno. Ich habe eine klassische Musikausbildung, Musik war für mich auch immer mehr als nur Konsum. Daher gab es nicht diese eine Entscheidung, dass ich unbedingt Produzent werden wollte. Das war einfach ein natürlicher Flow. Ich habe Platten gekauft und mich dafür interessiert, was die DJs da an ihren Geräten machten – und wie sie es machten.
Ich glaube, irgendwann habe ich in den Clubs mehr herumgestanden als getanzt, weil ich die Arbeit der DJs genau beobachten wollte. Und dann habe ich mir nach und nach eigene Geräte angeschafft, weil ich dachte, damit könnte ich jetzt auch diese Art von Musik machen. Aber ich habe ganz schnell gemerkt: Damit alleine geht’s halt doch nicht.
Man muss sich auch vorstellen, dass das alles lange vor dem Internet-Zeitalter war. Anfang der 90er war es viel schwieriger, sich bestimmte Dinge zu erschließen. Heute macht man zwei Klicks und weiß, wie’s geht. Aber zu jener Zeit kam man an das Know-how eines DJs und insbesondere eines Produzenten nicht so ohne Weiteres heran. Wenn man wie ich niemanden kannte, der das irgendwie auch machte und von dem man das lernen konnte, musste man sich alles im Try-and-error-Prinzip selbst beibringen.
Genauso schwierig war es übrigens auch, eine ganz bestimmte Platte zu finden, wenn man den entsprechenden Track nur als Radiomitschnitt auf Tape hatte und weder wusste, wie dieser Song heißt, noch wer der Interpret ist. Es gab ja kein Shazam oder so etwas ¬– man musste den Sachen manchmal jahrelang nachjagen. Wenn man dann durch Zufall in einem Plattenladen genau die Platte gefunden hatte, nach der man seit Jahren gesucht hatte, war das wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Dieses Glücksgefühl kann man gar nicht beschreiben – es existiert in dieser Form auch heute nicht mehr: Mit Shazam braucht man zwei Klicks, danach verrottet der Song auf der Festplatte.

Jonas:
Irgendwann hast du es geschafft, von der Tanzfläche zu dem Platz hinter dem DJ-Pult zu wechseln. Weißt du noch, wann du zum ersten Mal im Tresor aufgelegt hast?

Micha:
Ja, das weiß ich sogar ziemlich genau. Das war 1998, also vor knapp 20 Jahren.

Jonas:
Interessanterweise war das auch das Jahr, in dem du angefangen hast, Jura zu studieren.

Micha:
Ja, der erste Auftritt im Tresor war knapp vor Semesterbeginn.

Jonas:
Rechtswissenschaft gehört zu den Studiengängen, für die man besonders viel Zeit und Energie braucht. War es für dich jemals ein Problem, Musik und Studium unter einen Hut zu bringen?

Micha:
Nein, so richtig problematisch wurde das für mich nie. Ich habe mir einfach Prioritäten gesetzt und das Studium irgendwie durchgezogen. Mein großes Glück war es, dass ich als Student bei Hard Wax jobben konnte. Dadurch hatte ich eine permanente Verbindung zu Musik. In diesen Jahren habe ich mir selbst immer mehr Platten zugelegt und hier und da ein bisschen aufgelegt…

Jonas:
… und wurdest im Tresor einer der Residents, bis der Club im April 2005 geschlossen wurde – eine Zäsur für die Berliner Techno-Szene. Zum Abschied gab es ein zweiwöchiges Event namens „Leaving Home“, du selbst warst damals einer der Letzten, die im alten Tresor spielen durften. Was geht dir durch den Kopf, wenn du dich an die letzten Tage und Stunden dort erinnerst? Was war das für eine Stimmung?

Micha:
Der alte Tresor war sehr intensiv und diese letzten Nächte waren nochmal intensiver. Der Laden war gefühlt wesentlich kleiner als der neue Tresor und dementsprechend immer sehr voll. Es gab dort eine unglaubliche Energie, die über die letzten zwei Wochen nochmal gesteigert wurde.
Ich selbst habe in diesen zwei Wochen aber nicht alles mitgemacht. Ich neige übrigens auch nicht so zum Pathetischen, dass ich jetzt unbedingt sagen würde: Das war das Ende einer Ära. Dennoch gab es in Berlin – und anderen Gegenden – in der Zeit nach dem alten Tresor ein großes Loch, nicht nur in Bezug auf die Clublandschaft, sondern auch musikalisch: Was bis zum Schluss im April 2005 im Tresor lief, gab es danach in Berlin so gut wie nicht mehr.

Jonas:
Dort, wo früher der Tresor war, findet man heute die Garageneinfahrt zu einem Bürokomplex. Wie geht es dir, wenn du an der Leipziger Straße 126 vorbeifährst?

Micha:
Es gibt so viele Plätze in Berlin, die überhaupt nicht wiederzuerkennen sind. Zeitlich kann man sogar noch weiter zurückgehen, beispielsweise in die 1990er Jahre. Da gab es etwa am Kollwitzplatz irgendwelche Keller von irgendwelchen zerschossenen Gebäuden, in denen man Techno-Partys feierte. Alles weg.

Jonas:
Und heute wird sich am Kollwitzplatz beschwert, wenn nach 22 Uhr noch laute Musik zu hören ist.

Ich bin nicht allzu sentimental – ich glaube auch, dass jede neue Zeit nicht nur ihre Nachteile, sondern auch ihre Vorteile hat.

Micha:
Ach, laute Musik läuft dort schon lange nicht mehr. Aber ich bin da auch nicht allzu sentimental. Ich erinnere mich zwar gerne an die Dinge, die ich an den jeweiligen Orten gemacht habe. Aber ich glaube auch, dass jede neue Zeit nicht nur ihre Nachteile, sondern auch ihre Vorteile hat. Es ist natürlich immer schade, wenn so eine kulturelle Institution wie der Tresor einem Bürogebäude weichen muss. Aber irgendwie geht’s auch immer weiter und an anderen Stellen entstehen neue Sachen.

Jonas:
Als 2005 der Tresor geschlossen wurde, hattest du gerade dein erstes Staatsexamen in der Tasche und bist ins Referendariat gestartet. Danach – zwei Jahre später – hast du zusammen mit Conrad Protzmann Ancient Methods gegründet, und zwar kurze Zeit nachdem der neue Tresor im Kraftwerk Mitte eröffnet hatte. Wie kam es dazu?

Micha:
Der neue Tresor ist mit fast allen DJs gestartet, die auch im alten Club als Residents vertreten waren. Für uns alle war das eine unglaublich schwierige Zeit, denn Techno war absolut tot. Oder besser gesagt: Die Form von Techno, die man gut fand, gab es so nicht mehr in Berlin, in den Clubs wurde nun ein anderer Sound gespielt. Man hörte hauptsächlich House und Minimal, auch in den vielen alternativen Läden, die zu dieser Zeit gegründet wurden. Die Musik, die ich selbst so mochte, konnte ich nirgendwo mehr finden. So ist Ancient Methods aus einer Krise heraus entstanden.

Jonas:
Was genau hast du vermisst?

Micha:
Das, wofür der alte Tresor stand: diesen roughen Birmingham-Sound, den wir dort gespielt haben. Aber 2007 war all das Physikalische, Raue, Punkige plötzlich einem biederen Lounge-Techno gewichen, der meiner Meinung nach nichts mehr mit Techno zu tun hat. Die Musik, die man nun überall in den Clubs hören konnte, war eher so im House-Bereich angesiedelt – das ist zwar nett, aber für mich persönlich eine ganz andere Welt. Dieses Minimal-Housige wurde zu einer große Strömung, in der immer mehr Künstler mitgeschwommen sind. Dementsprechend haben sich auch die Bookings der Berliner Clubs angepasst. Für mich war das letztendlich ein wesentlicher Grund, warum ich im neuen Tresor die Residency nicht fortgeführt habe.
Zwar haben Freunde von mir damals noch versucht, eigene Partys auf die Beine zu stellen, um diesen alten Tresor-Sound am Leben zu halten. Aber das Ganze war mittlerweile so nischenartig geworden, dass man kaum noch Leute finden konnte, die das hören wollten.

Jonas:
Hast du die Gründung des Berghain im Jahr 2004 als eine Bereicherung empfunden? Oder ist man dort musikalisch ebenfalls in Richtungen gelaufen, mit denen du nichts anfangen kannst?

Micha:
Egal wo ich zu der damaligen Zeit hingegangen bin: Diese Form von Techno, die ich gesucht habe, gab es einfach nicht mehr. Viele DJs, die für diese Musik standen, haben ihren Sound plötzlich verändert. Ob sie sich nicht mehr getraut haben oder das Interesse an diesem Sound verloren haben – ich weiß es nicht. Ich selbst jedenfalls habe mich dann fast nur noch auf EBM- und Industrial-Partys herumgetrieben. Das kam dem noch am nächsten, was ich unter Techno verstehe – und was heute, zehn Jahre später, wieder populär geworden ist und in vielen Läden wieder gespielt wird.

Jonas:
Glaubst du, dass das, was in den Clubs aufgelegt wird, auch in irgendeiner Art und Weise von der jeweils aktuellen gesellschaftlichen Stimmung beeinflusst wird?

Der etwas härtere Techno verlor von Jahr zu Jahr an Strahl- und Innovationskraft und wurde zunehmend in andere Richtungen entwickelt. Am Ende kam dabei so etwas wie Schranz heraus – ein fürchterlicher Name für fürchterliche Musik.

Micha:
Dazu gibt es ja viele Theorien – zum Beispiel die, dass man in dunkleren Zeiten auch dunklere Musik spielt. Ich finde, man kann viel über solche eventuellen Zusammenhänge theoretisieren. Woran macht man überhaupt fest, ob die Zeiten gerade besser oder schlechter sind? An der ökonomischen Situation? An der gesellschaftlichen? An der politischen? Wenn man schaut, was gerade so in der Welt los ist, kann man nicht unbedingt sagen, dass wir in besseren Zeiten leben. Aber ist die Musik in den Clubs daher gerade dunkler oder härter? Ich weiß es nicht. Diese Theorien sind für mich immer etwas vage und abstrakt, man kann da schnell vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Ich persönlich sehe solche Entwicklungen eher rein musikalisch: In mehr oder weniger regelmäßigen Zyklen entstehen immer wieder bestimmte Strömungen, die stärker und stärker werden, bis sie irgendwann ihren Sättigungspunkt erreichen. Danach geht mit einem anderen Trend alles wieder von vorne los.
Was die Situation Ende der 1990er, Anfang der 2000er angeht, als dieser roughe Sound immer mehr aus den Berliner Clubs verschwand, sind die Gründe viel trivialer und in der Musik selbst zu suchen. Damals verlor der etwas härtere Techno von Jahr zu Jahr an Strahl- und Innovationskraft und wurde zunehmend in andere Richtungen entwickelt. Am Ende kam dabei zum Beispiel so etwas wie Schranz heraus – ein fürchterlicher Name für fürchterliche Musik.
Dieses brachiale, aber blutleere Loop-Gebrettere hat all die Leute, die sich nicht dauerbetrogt haben, relativ schnell abgetörnt. Also haben sie nach etwas anderem gesucht und sind wieder in die komplett andere Richtung gedriftet – wie das eben so ist mit Trends und Strömungen, die vom einen Pol zum anderen schwanken. Letztendlich hat dieser Overkill damals die härtere Form von Techno total ausgelöscht.

Jonas:
Hattest du nicht die Sorge, dass du gerade in dieser Situation mit deiner Musik und der Rückbesinnung auf den roughen Birmingham-Sound niemanden erreichen kannst?

Micha:
Mir war am Anfang des Projekts natürlich klar, dass diese Musik zu dieser Zeit keiner hören wollte. An dieser Stelle hat das für mich aber überhaupt keine Rolle gespielt. Mein Gedanke war eher: Wenn es gerade niemanden gibt, der ernsthaft solche Musik macht, machen wir’s halt selbst. Eine große Hilfe dabei war uns übrigens Torsten aus dem Hard Wax, der sich das Ganze angehört und uns von Anfang an unterstützt hat. Ohne seinen Support wäre es uns zu der damaligen Zeit nicht möglich gewesen, das Label Ancient Methods überhaupt zu vertreiben. Es hat auch ganze zwei Jahre gedauert, bis die wirklich kleine Auflage unserer ersten Platte verkauft war.

Jonas:
Wann hast du gespürt, dass sich das Ganze dennoch irgendwie entwickelt und die Leute so langsam auf den Trichter kommen?

Micha:
Wenn ich sage, dass niemand diese Musik hören wollte, ist das nicht ganz richtig. Es gab eine klitzekleine Community, die von Anfang an sehr wohlwollend wahrgenommen hat, was wir da getan haben. Das war natürlich ein kleiner Hoffnungsschimmer, der mich in meinem Gefühl bestätigt hat, dass es da draußen auch Menschen geben muss, die sich nach dieser Musik sehnen und sie vermissen. Und die hoffen, dass aus dieser Richtung wieder irgendetwas kommt. So konnte sich das Projekt über die Jahre allmählich entwickeln.
Ungefähr ab dem Jahr 2009, 2010 war zu bemerken, dass sich in diesem musikalischen Bereich auch andere Projekte und Labels gründeten, deren Sound in eine ähnliche Richtung ging. Diese Szene hat dann immer mehr Fahrt aufgenommen und Musik hervorgebracht, die man selbst wieder kaufen und hören wollte. Und heute sind wir meiner Wahrnehmung nach in einer Situation, in der diese Form von Techno-Musik zwar noch keinen Hype ausgelöst hat, aber zumindest wieder auf eine breitere Akzeptanz und auch auf Assimilation stößt.

Jonas:
Die Kollegen der Wiener Festwochen beschreiben dich als einen Künstler, der „seit gut zehn Jahren als einer der absoluten Erneuerer der lokalen Technoschule gesehen werden“ kann. In diesem Zusammenhang wirkt der Name Ancient Methods, den man etwa mit „altertümliche Praktiken“ übersetzen könnte, wie ein absoluter Gegensatz – der durch deine mit Kupferstichen gestalteten Platten-Artworks noch verstärkt wird. Wo verortest du dich selbst? Bist du Erneuerer oder Konservator?

Jeder, der denkt, seine Musik sei irgendwie objektiv neu, hat vermutlich noch nicht genug andere Musik gehört in seinem Leben.

Micha:
Das ist eine reine Geschmacksfrage – der eine sieht das so und der andere ganz anders. Ich selbst denke darüber aber gar nicht nach. Ich mache einfach das, was ich gut finde. Ob das dann wirklich neu ist – so eine Selbstwahrnehmung wäre mir zu narzisstisch. Musik macht man ja nicht, um etwas absolut Neues zu erschaffen. Das ist kein wirklich naheliegender Ansatz.
Ohnehin hat jeder, der denkt, seine Musik sei irgendwie objektiv neu, vermutlich noch nicht genug andere Musik gehört in seinem Leben. Egal worauf man zurückgreift: Spätestens wenn man im Internet recherchiert, erfährt man, dass alles schon mal da war und es alles bereits in ähnlicher oder sehr ähnlicher Weise gegeben hat. Zwar entstehen immer wieder mal neue musikalische Kombinationen, die einen gewissen neuheitlichen Charakter haben, letztendlich wirkt das alles aber nur subjektiv neu. In der Musik ist seit Jahren, seit Jahrzehnten nichts tatsächlich Neues mehr erschaffen worden. Daher wäre es auch verrückt oder müsste in Ernüchterung enden, sich mit dem Anspruch eines Erneuerers an seine Geräte zu setzen.

Jonas:
Im Hintergrund läuft gerade Elvis Presley – diese Musik wurde mal als eine Revolution empfunden, weil sie etwas absolut Neues war.

Micha:
Ja, wie Techno im Jahr 1991. Aber Techno war auch die letzte große musikalische Revolution – oder besser gesagt elektronische Musik allgemein, ich will das gar nicht auf Techno herunterbrechen. Ich denke, danach war alles, was an Musik geschaffen wurde, nur noch eine Melange, ein Crossover. Das bedeutet nicht, dass es nicht ständig neue, absolut großartige Musik geben würde. Dieses Attribut der Neuheit, das gerade im Bereich von elektronischer Musik inflationär gebraucht wird, ist ja auch keinesfalls ein Garant für musikalische Qualität – vielmehr finde ich, dass dies im Bereich der Musik schlicht irrelevant ist.

Jonas:
Ist die Art und Weise, wie heute die Menschen im Club auf Techno reagieren, eine andere als Anfang der 90er, als diese Musik noch etwas absolut Neues war?

Die Mechanismen, wie Techno-Musik auf Menschen wirkt, sind immer noch dieselben wie vor 25 Jahren: Erst gibt’s den Break, dann setzt wieder die gerade Bassdrum mit der offenen Hi-Hat ein und alle drehen plötzlich durch.

Micha:
Ganz allgemein hat sich für meine Begriffe kaum verändert, wie die Leute zu Techno feiern. Die Mechanismen, wie diese Musik auf Menschen wirkt, sind auch immer noch dieselben wie vor 25 Jahren: Erst gibt’s den Break, dann setzt wieder die gerade Bassdrum mit der offenen Hi-Hat ein und alle drehen plötzlich durch.
Auch wenn sich das gerade so negativ anhört, will ich das gar nicht schlecht machen: Diese supersimple Formel scheint immer noch genauso zu funktionieren wie Anfang der 90er: Bass raus, Bass rein – das ist eines der Kernelemente. Techno funktioniert schlicht und einfach über die Physis.
Zu meiner eigenen Musik kann ich sagen: Als ich mit Ancient Methods gestartet bin, habe ich immer vor einem sehr speziellen, kleinen Publikum gespielt. Die Leute wussten genau, was sie erwartet – Irritationen gab’s da relativ selten. Glücklicherweise ist es auch heute noch so, dass ich so gut wie nie auf Partys spiele, wo die Leute mit dem Sound absolut gar nichts anzufangen wissen. Meistens schauen sich die Promoter der Party vorher auch ganz genau an, was der betreffende Künstler macht und ob das passt. Gerade habe ich beispielsweise auf einem Festival in Saint-Étienne bei Lyon gespielt, das war ziemlich crossover-mäßig. Es gab viele Post Punk-Bands, EBM-Artists und Techno-Leute – also genau der Querschnitt, den ich auch persönlich sehr mag. Wer eine solche Veranstaltung besucht, trifft eine sehr bewusste Entscheidung und weiß ziemlich genau, was er bekommt. Dass dort jemand eher zufällig landet, passiert wirklich selten.

Jonas:
Wie entsteht bei dir ein Track? Wie fängst du an?

Micha:
Meistens wächst in meinem Kopf eine sehr konkrete Idee heran, die ich dann – mit meinen begrenzten musikalischen und technischen Fähigkeiten – versuche umzusetzen. Das ist auch der Grund, warum ich nicht der Allerschnellste im Produzieren bin. Bis ein Track bei mir fertig ist, dauert es wirklich lange. Aber wenn ich einmal eine konkrete Idee vor Augen habe, will ich absolut nichts anderes machen und daher experimentiere ich auch nicht sehr viel herum.
In der Techno-Welt gibt es sicher auch viele Künstler, die einen anderen Ansatz wählen und sich mehr von den Maschinen inspirieren lassen. Sie lassen ihre Geräte so lange laufen, bis sie etwas haben, das ihnen gefällt. Bei mir ist das eher nicht so. Ich will mich nicht von den Maschinen treiben lassen, sondern von meinen Ideen. Aber um diese Ideen umzusetzen, habe ich mit diesen Maschinen einen musikalischen Werkzeugkasten, auf den ich immer wieder zurückgreifen kann.

Jonas:
Hast du für dich einen Kompass, wo du mit deiner Musik hinwillst? Oder gibt es diese eine, große Idee gar nicht?

Micha:
Außerhalb des rein Musikalischen habe ich überhaupt kein Konzept, in dem ich festgelegt habe, wann ich was erreicht haben will. Dafür habe ich aber immer sehr viele musikalische Bilder im Kopf, die alle schon recht greifbar sind. Diese Bilder verlassen mich nicht, auch nicht, wenn ich eine Nacht darüber schlafe. Nur leider ist es manchmal für mich sehr schwierig, meine Bilder in Musik zu transformieren. Klar, einzelne Ideen oder Melodien hat man natürlich schnell mal niedergeschrieben. Aber in meinem Kopf gibt es mehr oder weniger komplette, relativ konkrete Song-Ideen, die ich seit gut zwei Jahren mit mir herumtrage und die meinen Kopf noch nie verlassen haben.
Es gibt da sogar Ideen, die musikalisch ganz anders sind als das, was ich zur Zeit mache – ich würde damit das Feld des klassischen Techno komplett verlassen. Ich habe den großen Wunsch, auch diese Ideen mal umzusetzen, allerdings weiß ich einfach nicht wann – die größte Restriktion, mit der ich zu kämpfen habe, ist die fehlende Zeit.

Jonas:
Aber du hast ja noch ein ganzes Leben vor dir.

Micha: (lächelt)
Hm, naja. Der Countdown tickt zwar schon, aber ja – ein bisschen Zeit ist noch.

Jonas:
Du hast eben den Moment im Club angesprochen, in dem alle Leute durchdrehen und in Ekstase verfallen. Derartige Reaktionen des Publikums gab es in der Geschichte der Musik immer wieder, insbesondere wenn es plötzlich etwas zu hören und zu sehen gab, das die Welt vorher nicht kannte – beispielsweise bei Elvis Presley, über den wir bereits gesprochen haben, oder den Beatles. Gibt es für dich selbst außerhalb des Techno bestimmte Genres oder Bands, die bei dir ähnlich starke Emotionen auslösen?

Ekstase beschreibt einen Zustand, in dem man über eine vollkommen ungeteilte Achtsamkeit verfügt. In unserer heutigen Zeit, in der man am laufenden Band Links um die Ohren gehauen bekommt, ist es sehr schwierig, Musik mit ungeteilter Achtsamkeit zu hören.

Micha:
Das kommt darauf an, was man genau unter Ekstase versteht. Ekstase ist für mich in erster Linie etwas Körperliches. Bei mir ist das allerdings weniger stark ausgeprägt – zumindest was die Musik angeht. Oder um es einfacher zu sagen: Ich bin nicht so der Tänzer. (Micha lächelt)
Daneben hat Ekstase für mich aber auch einen sehr starken aktiv-meditativen Aspekt und beschreibt einen Zustand, in dem man über eine vollkommen ungeteilte Achtsamkeit verfügt. In unserer heutigen Zeit, in der man am laufenden Band Links um die Ohren gehauen bekommt, ist es sehr schwierig, Musik mit ungeteilter Achtsamkeit zu hören. Es gibt auch relativ wenig Musik, die die Sogkraft hat, einen aus seinem täglichen Information Overload herauszuziehen. Aber es gibt diese Musik! Auch für mich persönlich – und auch außerhalb des Techno. Es gibt Stücke, die ich schon hundertmal oder tausendmal gehört habe und bei denen ich immer noch Gänsehaut bekomme, wenn ich sie höre.
Die dafür absolut prädestinierteste Band ist meiner Meinung nach Dead Can Dance. Diese Band ist für mich eine Institution, die gottgleich über allem anderen steht, was man als Musik bezeichnen kann. Dead Can Dance spielt mit vielen traditionellen Elementen und kombiniert sie auf völlig neue Art und Weise. Daraus entsteht eine unglaubliche Musikalität, die an der einen Stelle auf sehr simplen Formeln basieren kann und an der anderen Stelle äußerst anspruchsvolle Kompositionen und raffinierte Arrangements beinhaltet. Auch wenn es abgedroschen klingt: Immer wenn ich diese Band höre, erlebe ich aufs Neue, wie ich alles um mich herum vergesse und in den Bann der Achtsamkeit hineingezogen werde.

Jonas:
Auf deiner Website findet sich nur ein einziger Satz: „Music will tear down walls.“ Das ist ein wunderschöner, aber auch hoch gesteckter Anspruch an sich selbst. Wie lange begleitet dich dieser Satz schon?

Micha:
In Deutschland gab es leider ein sehr ausgeprägtes Genre- und Szenendenken, das die musikalischen Stile stark voneinander separiert haben. Vor allem in der Techno-Welt fand man immer schon Leute, die nichts voneinander wussten oder wissen wollten, weil sie sich teilweise auch nicht mochten. Das fand ich immer ein bisschen schade. So ist Ancient Methods damals auch mit der Idee entstanden, Brücken zu schlagen, Grenzen von Subkulturen zu überwinden und bestimmte musikalische Welten miteinander zu verbinden, die stark voneinander separiert waren – und in manchen Köpfen immer noch separiert sind. So wie ich das wahrnehme, ist diese Entwicklung gerade in vollem Gange, nicht nur bei meiner Musik.

Jonas:
Jetzt könnte man scherzhaft sagen, dass auch David Hasselhoff fest davon ausgeht, dass er mit seiner Musik die Mauer niedergesungen hat. Aber Spaß beiseite: Glaubst du, dass Musik – und insbesondere Techno – irgendeinen Anteil daran hat, dass es den 9. November 1989 geben konnte?

Ich kann ich sehr gut nachempfinden, wie es sich anfühlt, wenn man sich nach Musik sehnt, die einfach nicht verfügbar ist. Aus dieser Sehnsucht heraus kann ein enormer Antrieb entstehen, der auch in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.

Micha:
Ich bin zu nüchtern eingestellt, um dieser Annahme zu folgen, zumal die Techno-Bewegung in Deutschland und speziell in Berlin erst nach dem Mauerfall ins Rollen kam. Damals war es einfach eine glückliche Fügung, dass dieses Stück Anarchie, das in Ost-Berlin und der Noch-DDR für ein, zwei Jahre existierte, einen optimalen Nährboden bereitet hat, auf dem sich die Techno-Musik entwickeln konnte.
Generell glaube ich aber schon, dass Musik immer ein gewisser Antrieb für Veränderung sein kann. Mit Blick auf die Wendezeit kann ich mir auch gut vorstellen, dass es bestimmte Leute gab, für die es die größte Motivation war, mit ihrer Musik etwas anderes anzustoßen. Wenn ich mich in deren damalige Lage versetze, kann ich sehr gut nachempfinden, wie es sich anfühlt, wenn man sich nach Musik sehnt, die einfach nicht verfügbar ist – egal ob man sie selbst machen oder nur konsumieren will. Aus dieser Sehnsucht heraus kann ein enormer Antrieb entstehen, der auch in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Musik ist einfach eine unglaublich starke Kraft.
Heutzutage ist Musik viel einfacher verfügbar. Aber gerade in Situationen des Mangels oder der Verwehrung erwächst eine besondere Motivation, etwas zu verändern. Das ist durchaus auch materialistisch gemeint, da Musikkonsum am Ende auch Konsum, also etwas Materialistisches ist. Nur dass diese Konsumart neben allen anderen vielleicht die schönste ist – und die, die am meisten motivieren kann.

Jonas:
Man hat das Gefühl, dass im zurückliegenden Jahr 2017 vielmehr darüber nachgedacht wurde, neue Mauern und Zäune zu errichten, als darüber, wie man bestehende Grenzen und Barrieren entfernen kann – siehe beispielweise die USA oder Ungarn. Die einen versuchen sich abschotten, die anderen versuchen andere auszusperren. Wie behältst du in diesen Zeiten deinen Optimismus?

Micha:
Mein Optimismus bezieht sich hauptsächlich auf den musikalischen Mikrokosmos, in dem ich mich bewege, und lässt sich leider nicht so einfach auf den Rest der Welt übertragen. Wenn man sich beispielweise die humanitäre Situation in vielen Gegenden der Welt anschaut, gibt es eher keinen Grund zum Optimismus. Und gerade die Leute, die vor Elend und Krieg fliehen und die Mauern Europas überwinden wollen, haben sicherlich andere Sorgen, als sich um Musik zu kümmern. Da geht es um viel existenziellere Fragen. An dieser Stelle ist Musik sicherlich nicht der treibende Faktor oder hat keine so starke Wirkung, wie es zur Zeit der Wende in Berlin der Fall war.

Jonas:
In Deutschland wurde in den letzten Jahren Musikern aus den unterschiedlichsten Genres immer wieder vorgeworfen, keine Position zu beziehen. Findest du, dass Musik den Anspruch haben muss, politisch zu sein? Ich muss in dem Zusammenhang an deinen Track „A German Love“ denken, der für mich durchaus eine politische Komponente hat.

Je mehr ich sehe, was in der Welt passiert, und je mehr ich feststellen muss, dass Humanismus und Zwischenmenschlichkeit sukzessive von politischer Dogmatik ersetzt werden, desto mehr bin ich von Politik angewidert.

Micha:
Mit dem Politischen wäre ich sehr vorsichtig. „A German Love“ ist ja das Cut-up eines ursprünglich zusammenhängenden Textes, der durch die Schnitt-Technik rekontextualisiert wurde. Natürlich findet man dadurch bestimmte geschichtsbezogene Referenzen. Aber wie man das interpretieren möchte, liegt immer in der individuellen Wahrnehmung der Person, die den Track hört – als Musiker hat man es auch nur bedingt in der Hand, das zu steuern. Ich selbst hatte jedenfalls nicht die Intention, mit diesem Stück irgendwie politisch zu sein oder eine politische Message zu verbreiten.
Ob man seiner Musik diese zusätzliche Komponente geben will, muss jeder Künstler für sich selbst entscheiden. Ich selbst habe diese Absicht jedenfalls definitiv nicht und muss es für meine Musik ablehnen, irgendeine Art von politischer Aussage treffen zu wollen. Ich verstehe mich als einen politisch sehr interessierten Menschen – allerdings mit einer antipolitischen Haltung, soweit das praktisch möglich ist: Je mehr ich sehe, was in der Welt passiert, und je mehr ich feststellen muss, dass Humanismus und Zwischenmenschlichkeit sukzessive von politischer Dogmatik, gleich welcher Färbung, ersetzt werden, desto mehr bin ich von Politik angewidert.

Jonas:
Ist es nicht grundsätzlich schwieriger, sich mit seiner Musik inhaltlich zu positionieren, wenn man sich – wie bei Techno – in einem Genre bewegt, das größtenteils auf Sprache verzichtet?

Micha:
Sich zu positionieren ist ein Ausdruck der Persönlichkeit – dafür gibt es auch plakative Ansätze, wie man immer häufiger beobachten kann. Wenn man politisch ist und das in seiner Musik äußern will, findet man ganz sicher Wege, diese persönliche Komponente zu transportieren, auch im Techno.
Wir haben bereits darüber gesprochen, dass Musik eine unglaubliche Kraft entfalten kann. Und diese Kraft kann wiederum eine unglaubliche Wirkung auf andere erzeugen. Mit der Kreation geht also eine gewisse Verantwortung einher. Wie man mit dieser Verantwortung umgeht, muss jeder Künstler für sich selbst entscheiden. Am Ende des Tages hat man es aber vermutlich nur bedingt in der Hand, wie Musik wahrgenommen wird. Das liegt ganz alleine an den Menschen, die sie hören.


Sion Hill

Interview — Sion Hill

Honest Music, Honest Drinking

During a wild night with Irish singer Nathan D. Hollingsworth Johnston, we found out about the roots of his sexy sound and to which song he used to make out in high school. Get your Whiskey Sour ready and get ready to know Sion Hill!

27. November 2017 — MYP N° 21 »Ecstasy« — Interview & Text: Katharina Weiß, Photography: Steven Lüdtke

Can you recall the good ol’ days of Rock ’n’ Roll? No? How about the good ol’ days of journalism? No? Join the club; Irish singer Nathan D. Hollingsworth Johnston, currently touring under the name Sion Hill, and I can’t either. Both born in 1994, we’re just too young. But we didn’t let a tiny detail like that stand in our way of spending a day living it up as they did back in those golden eras of popular culture. That included heaps of live guitar music, non-pretentious lyric improvisation, and a fair amount of whiskey—in short: Honest music and honest drinking!

Since you’re already reading this online, take a second to open Spotify or whatever streaming service you fancy and play Sion Hill’s recently released album Elephant. This interview will be a much better read with the proper soundtrack. Drinking a Whiskey Sour at the same time might not be such a bad idea either…

Elephant is a brilliant, spontaneous-sounding piece of solo-male pop with some 60’s elements and carefully used jazz skills—all wrapped in a handsome-but-never-too-slick dandy look. Johnston’s melodies have a very modern twist to them and there is not a single song in which his voice gets buried under autotune effects. It’s a very straightforward style which showcases the wide range of stories he is able to tell with his guitar (and sometimes on the piano, too!). The sexy, drum-driven intro song Nothing’s Wrong with Loving You might as well be called Nothing’s Wrong with Listening to Sion Hill; the ballad All I Need is You will make you want to call your ex; and when he brings up the song Storm, you’ll be dying to drink a very dirty Martini while doing very dirty things with James Bond. And that’s just the debut album. If you search the internet, you will find an even wider array of tracks, most of them filmed live in a bar or on some street. In a song called Go On And Get It For Me recorded in a barbershop in Dublin, his tongue is so swift, it almost sounds like rapping.

But the best thing about all of this: Nathan D. Hollingsworth Johnston is able to share these feelings without hours of technical constructions. When we meet him at The Ballery in Schöneberg, it takes barely five minutes for him to start jamming on his guitar with the venue’s host, Otto, accompanying him with some Cuban rhythms on the piano. The Ballery, at Nollendorfplatz, is a space for all the beautiful things in life. Directed by British producer & curator Simon Williams and Cuban art director Otto Oscar Hernandez, it’s program features talks, concerts, and exhibitions from a community of influential Berlin-based artists. Sometimes it is a speak-easy, sometimes there is someone playing Schubert and Chopin – and today it’s the place for a private concert by this hot new Irish act.

After a glass of wine and some more improvisation, Johnston and I finish up at The Ballery and move on to the intimate atmosphere of Reza, a smokers café with vintage interior and illustrious guests. What happened there felt less like conducting an interview and more like getting fashionably drunk with someone who has the wit and gall to fill a whole evening with hilarious anecdotes ranging from tales of Catholic all-boys high schools to touring with Pete Doherty. Get your Whiskey Sour ready and get ready to know Sion Hill!

Katharina:
What is the thing with you and elephants, why did you name your first album after them?

Nathan:
When I lived in Berlin, I often played on the streets under that bridge at Hackescher Markt. There was this homeless Polish guy who came up to listen to me every day. And obviously, he never had anything to give me, so he would give me cans of Carlsberg Elephant. You know that one? 12.5 percent, most disgusting beer you could ever drink. But such a nice gesture. I often wondered: What happened to this guy that he got left in this situation, and why does nobody care about him?
Elephant is about hope, about stepping just a little bit away from the mainstream and all this social media culture. We should become more concerned about what happens in our own life and with the people you meet every day. It sounds so preachy, but it is so true. Here in Berlin, there are many people from different cultures, races, generations, all living in this mixed up place. It’s very easy to get lost in a big city, to be left behind, and so many people lose faith when they don’t achieve what they thought they’d achieve. So they give up and get trapped. There are so many stories no one ever tells. Like the story of this homeless Polish guy who brought me cans of Carlsberg Elephant. He was trying his best, I respected that. But maybe it’s a ridiculous reason to name a record!

Katharina:
I think it’s a perfect reason. When did you write most of the songs for the album?

Nathan:
A while ago. The album was ready in 2015, but there was some trouble with my label and changes in management, and so it took me till August 2017 to release it.

Katharina:
The video for the song Beaches was filmed in New York—the same city where Dorothy Parker celebrated some exhilarating parties with her Vicious Circle in the 1920’s. It was a group of people from all classes and creative aspects who came together to get drunk during Prohibition. Which icons would you invite to your own vicious circle for the perfect party mixture?

There is no good party without some interesting girls. Amy Winehouse has to be there. Maybe I would invite Audrey Hepburn for some class. And Ellen DeGeneres. And wouldn’t it be fun to have Rihanna there as well?

Nathan:
Ok, let’s do the men first…

Katharina:
That’s what they all say. Because there are much more famous men…

Nathan:
No no, you do the men first, cause you gotta leave more room for the ladies! There is no good party without some interesting girls. Let’s start: You have to invite this depressed guy who is hilariously sarcastic and ironic. He is not too loud, but his presence is very strong. And he likes to drink. Ernest Hemingway could do the job. Big man there, drinking a whiskey, talking politics and shit. He was insane, he woke up sipping gin & tonics. I once drank in the bar where he used to hang out. More lads! Jimmy Hendrix and Eric Clapton for the style, and we could have a jam. All I can think about is a party where I would invite the Hollywood Vampires (editor’s note: a US-American rock project formed in 2015 by Alice Cooper, Johnny Depp and Joe Perry). Would be a dirty party. Now the ladies: Amy Winehouse has to be there. I listened to her a lot when I was younger, big influence. Maybe I would invite Audrey Hepburn for some class. And Ellen DeGeneres, I would make sure she brings up some Dory quotes. Now there is a picture on that wall in front of me…

Katharina:
Look at that. Halle Berry!

Nathan:
Yes, look at that! She can come. And wouldn’t it be fun to have Rihanna there as well? What a sick crew. That’s a fair collection now. But there are so many famous faces staring at you in this bar. Look over there, Al Pacino. His eyes, man, it’s like he looks right into your soul. So much talent everywhere. How could you ever choose? Even these days, there are so many young artists. In my opinion, music is one of the few things democracy worked very well for. Think about how cheap it is today to buy a guitar. And anybody can do music today and upload it to the internet. Or you can learn to play an instrument on the internet. I learned some music skills on YouTube as well.

Katharina:
But it’s not just all good for young artists today… What are the disadvantages of these changes in the music industry?

Nathan:
It’s much harder to filter out. In the earlier days, only the very talented people got through and of course, those who were manufactured by the record labels. Today everyone can get some attention, but people lose the overview. And of course, you don’t make any money with records anymore, so musicians rely on touring more than ever before… meaning; traveling more often, which can be difficult in holding down a regular job to pay the rent.

Katharina:
But you don’t have to hide when it comes to playing live. It was so much fun to see you jam with the guys at The Ballery.

Nathan:
To be honest, I never really wanted to be a solo artist, I love to work with bands. Being alone means you have a lot of control, but being in a band is always a more collaborative effort. For me as a musician, it’s so great to have other musicians interpret what you do. It’s hard to describe, but working with a band is a much more organic way to do it, than just working with session musicians and producers. You have people to share the journey with and you get to create the music you want to make, no one tells you how to do it.

Katharina:
If I would share a flat with you, what would be the worst thing about it?

Nathan:
I’ve had lots of flatmates. I get the toilet paper when it’s running out, I think I’m pretty ok. Depends on the bed though, right now I have a really loud bed. And there is a door to my flatmate’s room, we can hear every sound the other one makes. Sometimes he and his girlfriend wake up in the morning and they are chatting bullshit for two hours and then they are fucking for an hour. Like who the fuck gets up at 8 o’clock to have sex?

Katharina:
Damn that morning glory. Next drink?

Nathan:
Another Whiskey Sour, for sure.

Katharina:
Let’s talk about your songs in which you get vocal about more serious topics, going beyond sex, drugs, and rock n’ roll. Take Me Back is about money and war, for example.

Nathan:
It makes you feel bad to use those two terms in one breath, but that’s how the world is. It’s more about getting away from the city, away from the grind to make money, from huge TVs and mirrors.

Katharina:
For you, what are the biggest injustices in the world?

Nathan:
I am pretty bothered by the right-wing movements that are happening at the moment. In Ireland, everything is pretty much center-left or center-right. Coming to Germany, it was so interesting to see how wide the gap between both sides is here in comparison to Ireland. But then you have things like the G20. The way that protests happened just pissed me off. You have people cheering and filming burning cars with their iPhones in their brand new Nike Air Max. What’s the point in setting a Volkswagen on fire? Then the company is just getting to sell a new one then. The protesters want change but don’t provide an alternative to all the open questions our society has to ask. That’s not changing anything.

Katharina:
How grown up do you feel?

Nathan:
Not at all. I don’t know what I’m up to. I’m getting it wrong every day.

Katharina:
I sometimes have this feeling of, “oh god, just let me go back to mummy.” Do you get that too?

Nathan:
Not so much, but I’m lacking stability. And a place where everything is calm and you just sit on the couch and not have any worries for two weeks. I suppose that’s what holidays are for.

You can tell so much when you look for a long time into someone’s eyes, you can kinda tell if someone is a bad person. You can see if they hide things.

Katharina:
When you want to think about something beautiful, what do you think about?

Nathan:
Eyes. I tend to be really bad with eye contact because I get distracted very easily. But you can tell so much when you look for a long time into someone’s eyes, you can kinda tell if someone is a bad person. You can see if they hide things. If you can see someone’s true side, when you stare in long enough, I think that’s true beauty… also: Nature.

Katharina:
That one’s cheesy.

Nathan:
No, just think about it. Putting flowers in a room totally changes the room, imagine there here would be some flowers here.

Katharina:
What’s your favorite flower?

Nathan:
Haha, I have no idea about the names of flowers, but most of them look good. Orchids. Roses. Lilies are great, they smell good. A sunflower in the window of my grandmother’s kitchen. And her dog sitting under it, next to his bowl of water, gazing deeply at the press (editor’s note: Irish for cupboard) where he knows she hides his food. That’s beauty, a sense of comforting, a sense of feeling like home. You’re completely another self when you can feel at home somewhere and especially with somebody, looking into their eyes…

Katharina:
It must be important for someone who travels so much to find comfort with many people for short periods of time. Speaking of home, what made you come to Germany, to Berlin in the first place?

Nathan:
I came here by chance in 2015 because my label is based in Germany. But during that time I traveled and played a lot basically everywhere from Hamburg to Havana. But I remember one of the first crazy nights in Berlin, I was out with a friend and we got to a place called Damensalon. They have that drink called Basel Smash.

Katharina:
Sounds deadly.

Nathan:
It is! We could go there if you want.

Katharina:
Definitely…

Nathan:
Stop! No, no! Not good! I’m not happy. I have to sort my shit out. I’m going crazy every day. Every fucking day I want to stick to my plan, but instead, I go to my business appointments and go out with people to the pub afterwards. And then I stay in the pub for five hours. And then I can’t drive again and I’m stuck in someplace.

Katharina:
The hard life of a Rock ‘n’ Roller. Aaaaand here comes our next Whiskey Sour. Which songs are currently on top of your playlist?

Nathan:
Peter Frampton, a song called Do You Feel Like You Do.

It’s hard to be young in this world. If you always try to step up to something that you’re not, it can lead to huge lack of self-belief.

Katharina:
I read in many YouTube comments that you played at a lot of high schools.

Nathan:
Yes, in the U.K. That was weird and great at the same time. I gave talks about confidence and being a musician. It’s hard to be young in this world. I see it with my younger sister. She is coming home and looking at her Instagram watching all these beautiful women and she’s saying, “I will never look like that.” If you always try to step up to something that you’re not, it can lead to huge lack of self-belief and sadly in a lot of cases with young kids and teenagers it can lead to depression.

Katharina:
I’ve met some of these Influencer women, and I think it’s cool that they started their own business and are so independent as self-made-woman. But you don’t go to bars with them. You go to a smoothie bar where they will have a water with lime. To look like that, your lifestyle has to be so defined by fitness and food. And when I read the comments from 15-year-old girls, “I want to live like you” and so on. Then I just think: No. You should dance all night long and make out with other 15-year-old boys who have some baby fat left. And you should create memories, go crazy, and fucking live a big life.

Nathan:
Absolutely. That’s what I tried to talk to these kids about. How can you fulfill your dreams? How can you develop the confidence to ignore bullies and those who put you down and do what you really want to do? I played many songs for them, so they really opened up. I was very open about my story, and so I got them to talk back, that was great.

When we all come back and meet each other again, you come to think so much about each other’s lives and about the people you left behind.

Katharina:
Is there a person that particularly inspired many of your songs?

Nathan:
Yes, my mates from home, my school friends. It’s a pretty great group of lads, they are hilarious. By now everyone is just finishing university and moving abroad, changing cities and countries. When we all come back and meet each other again, you come to think so much about each other’s lives and about the people you left behind. You know this feeling of asking yourself: What are all the lads I hung around with when I was 15 doing right now?

Katharina:
What were you like when you were 15?

Nathan:
Playing guitar! Also, I remember: I was always normal sized, but with 13, everybody got tall and to me, that didn’t happen until much later. In Ireland, rugby is a pretty big sport. Rugby and Gaelic football. To do that you have to be of a somewhat decent size, so it was fucking hard for me, I always got absolutely destroyed.

Katharina:
So instead you played the guitar to get the girls… Did you go to a Catholic all-boys school near Dublin?

Nathan:
Mhmm…

Katharina:
Nothing to be ashamed of. I went to a Catholic all-girls school myself, in the southern Bavaria we have many of them.

Nathan:
Wow, how was that?

Katharina:
Pretty enjoyable. I can’t compare with mixed school obviously. But the boys from the state schools loved our parties—100 percent girls just waiting.

Nathan:
We had these so-called socials. The girls would all come to our school or we would come to their school. We were around 17, 18 years old. At these socials, we would drink beer and wine. And we would have a dance. Like boogie and some twerking. It was basically just an excuse to kiss on the dance floor. In Ireland, we call that shifting. Girls and lads, shifting on the dance floor, doing a slow number.

Katharina:
Do you remember a particular song you made out with girls too?

Nathan:
Yes, this one (starts singing): “Keep bleeding/Keep, keep bleeding love/You cut me open”.

Katharina:
That’s Leona Lewis, Bleeding Love!

Nathan:
Yeah that one, it was always that one. So cheesy.

Katharina:
That was the moment when the girls were ready. My one was Teenage Dream from Katy Perry…

Nathan:
Wow, that’s a fast song. Some aggressive kissing going on there. Eating the faces of each other, that’s what it was as well. Did you know that nightclubs in Ireland play the Irish anthem at the end? I hate it. When the anthem comes on, everybody has to leave. There is this place in Dublin called Coppers which is the last resort because it has a license to be open till 3 or 4 am. There are so many nurses and Irish policemen trying to get it on in the end of the night, it’s fucking weird.

So many people telling you so many great things. But then, you go back to your hotel room, and you’re on your own. And this awful feeling comes over you. Like a blanket of fear.

Katharina:
There is a strange fantasy going on in my mind right now… Speaking of romantic shenanigans, do you prefer to love or to be loved?

Nathan:
I prefer to love other people. Too much adoration and love, and I get fucked up. I can’t deal with it and I get annoyed. That’s hard as a performer, especially after a gig when everybody is coming up to take photos and give me compliments. So many people telling you so many great things. But then, you go back to your hotel room, and you’re on your own. And this awful feeling comes over you. Like a blanket of fear. You start questioning yourself. Am I good enough, do I deserve that adoration? Or am I a fraud?

Katharina:
After every success, I achieved I always thought: when is everybody finding out that I am not actually brilliant at anything. I feel that for creative people it’s especially hard to get the balance.

Nathan:
Of course many can’t handle it well. On the one hand, I love to be loved, everybody does. But I love to give love more than anything. That’s part of why I perform. I remember the second concert I was ever at: I saw Glen Hansard, it was The Frames playing. I had shivers down my spine and the hairs stood up on my arm for two hours after the concert. And all I could think about was: I have to give this feeling back to people. But also in a sexual sense, I love to give love to other people.

Katharina:
What’s the worst thing about being in a relationship with you?

Nathan:
I’m super moody. And I always get in fights with other lads on nights out.

Katharina:
Would you consider yourself old-fashioned?

Nathan:
We should have ordered an Old Fashioned instead of a Whiskey Sour, shouldn’t we? (Editor’s note: We later did.) I think I am old-fashioned. But what does that mean? Are you old-fashioned? You dress like it!

Katharina:
I know I am. And yes, I do wear a lot of vintage clothes even though I dress differently for every occasion. But it would have looked so awkward if I would have stood there next to you on the piano in a Berghain outfit. Which kinds of aesthetics do you like in fashion?

Nathan:
Maybe I am slightly old-fashioned… In my opinion, at the end of the day, a man looks best in a three-piece suit and a woman looks best in a dress.

The rest of the night was drowned in hilarious tales of pub fights, spontaneous singing sessions, and Jägermeister. If you want to learn more about the daily and nightly adventures of Nathan D. Hollingsworth Johnston (alias Sion Hill), you should follow him on Instagram and check out his YouTube channel.


The Drums

Interview — The Drums

Kissing Keon

Eight years ago today, The Drums played their very first concert in Los Angeles. On the same day, they met photo artist and designer Hedi Slimane who portrayed the band for his legendary “Rock Diary”. We had the opportunity to talk with Jonny Pierce about the intimate moments that Hedi Slimane caught with his camera—and found out why Jonny felt like he wouldn’t be enough back then.

16. November 2017 — MYP N° 21 »Ecstasy« — Interview: Jonas Meyer, Photography: Maximilian König

About eight years ago, Hedi Slimane declared his love in an extraordinary and rare way. The renowned fashion designer and photographer not only created a special “I love The Drums” graphic for a band that had only just formed a few months ago. He also published the first of three black-and-white editorials on his blog Rock Diary. The images depict the four band members just a few hours after their very first performance in California—somewhere in a hotel room in Los Angeles on the evening of 16th November 2009.

Obviously, there are quite a few band editorials out there. Heaps in fact. What turns Hedi Slimane’s images of Jonny Pierce, Jacob Graham, Coono Hanwick and Adam Kessler (The Drums original members back then) into a true declaration of love is the melancholic silence, the intimacy and the power they exude. To this day.

We meet up with Jonny Pierce, the creative epitome of The Drums, at the Lido club in Berlin. Berlin—another one of Hedi Slimane’s loves, but that is a topic of its own. Jonny is wearing a blue overall with a logo on the back that reminds one of “IKEA”. In fact, the logo belongs to KIEV, an underground Ukrainian fashion label that is operated anonymously. With its slogan “Love Your Homo” the brand has been supporting LGBTI rights and Jonny tells us he wore this very same overall at The Drum’s concert in Moscow the night before.

Jonny has experienced a lot since the band formed in 2008 and basically has enjoyed all the successes the indie music world has to offer. However, he has also had to endure Adam, Connor, and eventually his co-founder Jacob, leaving the band.

You could say he’s alone now. But he isn’t. Then aside from filling the vacant positions with new and talented musicians, who he is touring the world with at the moment, promoting his new record “Abysmal Thoughts”, Jonny has a new partner at his side—Keon. Keon, and the relationship that Jonny and he have been sharing for almost a year, have given Jonny new hope, strength and courage, especially after having come out of a failed marriage. Keon is also pictured on the cover of The Drums’ new record. And one has to ask; could this also be a love declaration of some sorts?

Jonas:
I have to confess—the very first time I got in contact with The Drums many years ago it didn’t happen by listening to your music. I came across the photo-editorials about your band taken by world-famous designer and photo artist Hedi Slimane for his blog called “Rock Diary”. How and where did you guys meet back then? What was the idea behind that very extensive and close collaboration?

Back then, the band was very intersexual... we were always kissing each other, whether we were gay or straight. It didn’t matter, we were all in love with the gang that we had.

Jonny:
I was in Los Angeles, The Drums were playing their first show ever in L.A., it was in 2009 I think. The World was just discovering The Drums and we were driving towards this placed called “Spaceland”, an alternative rock/indie rock nightclub in the Silver Lake neighborhood, for soundcheck. They got a call from my friend Jacob who was a writer in L.A. and who happened to be friends with Hedi. He said: “Hey, my friend Hedi wants to come and shoot you guys during your soundcheck today.” I didn’t know who Hedi was—I didn’t follow the world of fashion, I followed music. Hedi came to the soundcheck and started snapping photos. He just really fell in love, and we kind of fell in love with him, too.
We shut our soundcheck, and on his way to the door, he said: “You know, I’ve got full plans, but I canceled everything. I have to come see you play.” So he came back to the actual show and went backstage. Afterwards, we all just hung out for a long time and he followed us back to our hotel—we were staying at this shitty little hotel. Hedi started taking photos of us laying on the beds together. Back then, the band was very intersexual… (laughs) like we were always kissing each other, whether we were gay or straight. It didn’t matter, we were all in love with the gang that we had. So we were just all laying on top of each other being very tender. Hedi loved that moment and held it with his camera.

We had done a bunch of photo shoots, so we thought this is just another one and Hedi is just another photo artist. But then he made this graphic that said “I love The Drums”, an American flag graphic that was custom-made for his blog. At first, we just started kidding like “These fashion people, they are calling and everyone is going crazy.” But then, our record and band became bigger and bigger and in all the fashion capitals, they suddenly wanted to pick us up for photos. So really it was a good source of encouragement and became very, very different. Every time we are in L.A., we hang out in his house or go on holiday together. He has become a very loyal friend and somebody that is just always so encouraging. Normally this business is a sick cold world where people come in and out and try to take what they can from you. Once they feel like they can’t get more, they disappear. But Hedi is a stable friend.

Everyone says that he hates labels—but everyone also wants to be labeled. People want you to understand who they are, I understand that. But I also like the very blurry, dream-like moments. Unfortunately, it’s mostly gone today.

Jonas:
After seven years and seen from a today’s perspective, what do these photos mean to you? What do they say?

Jonny:
When I see them, I appreciate the really delicate and kind of more sensitive moments of being in a band—especially the photos where we were like holding hands or being intimate, it’s very sensual. It was just a moment when we decided to let it happen. Hedi didn’t have this plan and we didn’t talk about it, it just happened. That’s something that couldn’t happen now—and that couldn’t happen even a week after. I appreciate that and am very grateful that there was that small little window of openness, sensitivity, and living within the nuances of life. Now everything seems so black and white sometimes like “Oh I’m straight”, “I’m gay” or this or that. Everyone says that he hates labels—but everyone also wants to be labeled. People want you to understand who they are, I understand that. But I also like the very blurry, dream-like moments. Unfortunately, it’s mostly gone today.

Jonas:
Do you miss these moments of familiarity and intimacy that the photos express?

Jonny:
Of course! Since these moments are so rare in life. I would say 99.9 percent of the people will never have an experience like that. And 99.9 percent of the bands will never have an experience like that—even if they are all gay (laughs). That was a moment when we all dropped our egos and just loved each other. It’s the rarest the world has. There was a level of innocence, intimacy, and naivety—all kind of pushed together, that was The Drums in that moment. Hedi captured the most profound, unique and special moments I think I’ve had in the history of The Drums.

I don’t look at family in a blood-relation term sort of way. It’s wonderful when that happens, but I don’t think a lot of people get that lucky.

Jonas:
The photos look like a family coming together—the word “family” has a very special meaning to you, am I right?

Jonny:
Hell, yeah! Good and bad (laughs). It depends on what kind of family you’re talking about: About my biological family—I don’t have the most wonderful thoughts about it. Or about my chosen family—people who I have decided to let into my life. I don’t look at family in a blood-relation term sort of way. It’s wonderful when that happens, but I don’t think a lot of people get that lucky. Family is really complex, we are born with this sort of stigma about parents that they have all the answers and they are wise because they’re older. If there’s anything I have learned, getting older doesn’t mean having all the answers. We’re still little kids, we’re still afraid of dying, we all get jealous. And when you stop being afraid of something, you start being afraid of something else. We’re all just trying to get through life.

Jonas:
Being afraid, maybe the most human emotion.

Jonny:
Yes. And desire, wanting love. People just want love and want to feel accepted. I didn’t get that with my family, mainly because I’m gay. So I really look at my heart—and I think our heart is like a house. It has so many rooms, there’s like a kitchen, a living room, a basement, a master bedroom, a smoke room, an attic and a little garage on the side. People go into those rooms and you only have so much space. Most of my life, I was reserving the master suite for my parents like “Oh they’re gonna one day accept me!” or “No, you can’t come into my life because I’m holding space for them!”
It happened very recently that I decided to unlock that door and open it up—and amazing people rushed in. Now the house is full of love. I don’t want for more, I’m ok. It’s a beautiful lesson for me to just forget about this. But anyhow, it’s hard because the relation to your parents is the most primary relationship in life.
At the end of the day, we all are raw animals that are heartwired and attached to a biological mother and a biological father. But simultaneously we are an elevated species. We can reasonably think and we can rise above the primal instincts—that’s what makes us human. And we can choose. It feels good in a primal sense to be hugging my mother even though she doesn’t love me. It feels good that I can elevate my mind and honor that I’m human which enables me to make a choice for something that is actually correct.

Jonas:
I’m sure your boyfriend Keon has conquered most of the rooms in your heart…

Jonny (laughs):
Haha, he owns the whole house.

Jonas:
Is Keon the highest level of family you’ve ever reached in your life?

Jonny:
He is certainly someone that I would call family. I’ve been dating him for a year, he is the most important person on the planet. He’s a soulmate for me. It’s a very beautiful relationship for many reasons. An important reason is that he was Mormon when I first met him. He was still wearing his undergarments, he had never had sex, and he never had a coffee, tea, soda, or something like that. He and I met at a little sucky bar in New York. When we started talking, he revealed to me that he was Mormon. It peaked my interest: Outside of him just being sexually attractive, I felt like “Here’s somebody that is amazing, so I can actually help because I’ve been through this—detaching proper religion when you’re so deep in it.”
Keon has been a great support to me, too. It’s rare to find someone who has gone through something so similar. I mean, you meet a lot of people that say: “Oh, my parents are religious, too.” In most cases, that type of religiousness means going to church every Christmas. I don’t think these people understand the kind of experience Keon and I made. Our parents are religious in a very extreme way—with the tiny difference that his parents were extreme and loving, mine were extreme and not loving. Nonetheless, there is so much overlapping that I can share with him when I’m super sad. When I talk to him, he gets it.
By the way, Keon actually did his two-year-mission as a young Mormon in Germany. He was living in Berlin and in Hamburg, so he speaks fluent German.

Jonas:
The cover of your latest record “Abysmal Thoughts” shows a photo of Keon sniffing a shoe, so he must have influenced you in a certain way. Would this record sound different without him being in your life?

Jonny:
No, because I met him when my record was pretty much done.

Jonas:
But the artwork would have been very different.

Jonny (laughs):
Hahaha, yes!

Jonas:
You created a major part of “Abysmal Thoughts” in Los Angeles. Is this place responsible for the wicked title of your record?

Something important that I’ve learned from L.A. is that I need clouds and rain in my life. I grew up in Upstate New York, so I need seasons.

Jonny:
Los Angeles is kind of a dark place for me. I went through a divorce there, I got really deep into drugs. I’m not generally anti-drug, but I am anti-drug when it comes to the point where I let it take over my life and let it shrink to numbing a lot of pain.
I had a really dark year and a half in L.A. and simultaneously, the sun never stopped shining. You lose your sense of time because every day looks the same. So something important that I’ve learned from L.A. is that I need clouds and rain in my life. I grew up in Upstate New York, so I need seasons—like in Berlin.

Jonas:
Berlin, the city of sin.

Jonny (laughs):
Yeah, we’re getting in trouble already.

Jonas:
In the last decade, you created a lot of songs that by now, have reached millions of people and have let them dance. Some of them have become regular classics and let your fans ecstatically flip out. What are the moments in your life that make you ecstatic personally?

Dating Keon has been a little bit helpful because he has a really innocent, naive and sweet side. And I kind of tap into it sometimes—sometimes I look at life through his eyes and so I feel a little child-like in that way.

Jonny:
Kissing my boyfriend, I guess. I don’t really experience abysmal moments anymore. I’m more learning like what makes me happy. At the same time, I’m learning that my highs aren’t so super high and my lows aren’t so super low as they were a couple of years before—I’m numbing as I get older if I’m really honest. And I hate that. I wish to try my inner child out. But the voice of my inner child is like waning. I wanna get that back, but I’m not really sure how.
Dating Keon has been a little bit helpful because he has a really innocent, naive and sweet side. And I kind of tap into it sometimes—sometimes I look at life through his eyes and so I feel a little child-like in that way. I really don’t get much ecstasy or bliss anymore. But I think I prefer that over having a really high-high and a super low-low, and then, in the middle of these feelings, it’s scrambled, like spinning circles. At least I have at this point more of a center, I feel like I can understand who I am a little bit more.

Jonas:
Let’s go back to the photography of Hedi Slimane: Comparing the visual black-and-white narrative that Hedi created in the early days of The Drums, with the colorful and energetic photos on your official Instagram account today, it seems that, over the years, you kind of merged from a melancholic and withdrawn world to a happy and hilarious one. Do you feel like you’ve arrived in your life?

I felt like I wouldn’t be enough. And maybe I was right, maybe I was wrong, I don’t know. But it’s definitely not a healthy mindset.

Jonny:
It’s a slow and constant process that is still going on. But today, I know myself better than I have before, I think. I feel calm—I never felt calm in my life. Today I went to a radio interview all by myself without a shred of panic. I just walked in. Normally I would need like a manager, a friend, a group of people to make me feel supported. That’s how I formed the band in beginning: I was making all the music myself, but I didn’t feel that the world would care if it was just me—like “Hey, I’m The Drums!” or “I’m Jonny Pierce!” I felt like I wouldn’t be enough. And maybe I was right, maybe I was wrong, I don’t know. But it’s definitely not a healthy mindset.
Anyway, it worked and people loved it. But for me, the band was a support system that I needed. And now that it’s just me, I’m telling the whole world that I made all the music, something I have never done before. I’m just stepping into who I am, which feels beautiful. It’s not just the music, the recording and what I’m saying. It’s overflowed with the artwork, it’s overflowed onto stage. I used to feel like I had to do backflips and summersaults just to keep everyone in the room like “Oh, I have to entertain, I have to be juggling and I have to be crazy!”
And now I just say to myself: “Take a deep breath, go on stage, dance if you want, stand still if you want, do what you want.” The only thing I’m actually afraid of is: Will people embrace that? I’m only wondering if this really enriches the shows if the fans can read the genuine aspect of all of this. You know, just being yourself, that’s hard to do.


Alex Cameron

Interview — Alex Cameron

Not From This World

Don’t let yourself be fooled by the name: Alex Cameron’s music act is not just a one-man show… this time around, you’ll be getting two for one. We talked with singer Alex Cameron and saxophonist Roy Molloy about their collective creative goals, wild nights in Las Vegas, and intense orgasms.

11. November 2017 — MYP N° 21 »Ecstasy« — Interview: Jonas Meyer, Text: Katharina Weiß, Photos: Maximilian König

The two Aussies might be crazy—but there is a method to their madness. Alex Cameron and Roy Molloy want to tell stories about personal tragedies, lost loves and failures through their music. In an abstract and other-worldly manner, they perform shows around the world, in front of audience members, who may constantly be asking themselves, if the show is some form of high-concept art or just a result of massive drug abuse. We met Alex and Roy during their European tour and amongst other things found out what inspiration lies behind their ecstatic performances.

Jonas:
Roy, a couple of hours ago, you posted a long and serious statement on Facebook. You said that you guys are sick of everything going on in the world right now, especially in the U.S. You called the current situation a very dangerous one and talked a lot about the right-wing ideology that seems to foster it. Do you guys feel like you have a special responsibility to express yourselves as musicians in these trying times?

Roy:
I think you have to be aware of your reach and you have to be knowledgeable in general. It´s a matter of consistently expressing how you feel. I think that I focus on having a message but I don’t know if that’s the job of a musician.

Jonas:
You seem to be very outraged?

Alex:
Yeah, anyone with half a brain is pretty outraged by what’s happening. It’s a fucking travesty, it’s just blightingly wrong.

Jonas:
You guys spent months traveling the States now. Did you come back in desperation or with hope?

Alex:
There is just work to be done. There is no time to contemplating the future, you have to stay active in the present.

Playing in front of a few hundred or a few thousand people is pretty similar to taking ecstasy.

Jonas:
Which moments of your journey caused real ecstasy for you?

Roy:
The early tours in the States and in particular the early tours in Europe as well. We realized people were actually paying attention to us! That was a revelation for me—playing in front of a few hundred or a few thousand people is pretty similar to taking ecstasy. Especially compared to our modest beginnings when we were playing in restaurants, where no one was there to actually see us. The few guests were seeing us by accident while having their meal.

Jonas:
Your new record sounds like the soundtrack of a road movie. Listening to it feels like being on the road with you and Roy, sitting on the backseat of this ’88 Cadillac Coupe DeVille that you call “Duchess” and that can be seen in the video of your song “She’s mine”. Do you still own this car? And what kind of stories do you want to tell with your new record?

Alex:
It’s a collection of stories, for sure. Based on characters and myths I wanted to tap into. It’s the way I see the world—especially from certain perspectives, like personal tragedies and things like that.

Roy:
The Cadillac story is actually a tragic one as well: It’s been impounded by the state of California. At the time, we did not have the money to release it… So it has been crushed into a cube, it’s now scrap.

Jonas:
You travelled together for thousands of miles around the U.S., mostly in this car. It probably takes a good friendship to be spending so much time with just one other person am I right?

We’re both pretty committed to the idea of reflecting our current respective situation and having a body of work that echoes this and functions as our broadcast.

Alex:
You are right, I’ve done other tours and the relationship has not been as creative as I’ve hoped for. This one with Roy has—we are both using what we’re doing at the moment as inspiration for more writing and for other types of work. There are a few things that keep us going. The first thing is that we both need to work for food and accommodation. The second thing is that we’re both pretty committed to the idea of reflecting our current respective situation and having a body of work that echoes this and functions as our broadcast. It’s a living and breathing journal.

Jonas:
How long have you known each other for?

Roy:
It’s been a long time, 23 years.

Jonas:
What has changed since then?

Alex:
We left all the friendship drama behind us, from when we were kids and teenagers and now we are business partners.

Roy:
Once you’ve cleared a couple of hurdles as friends, it gets very smooth.

We saw a very different side of Las Vegas. Mostly, we did not go out and get shitfaced.

Jonas:
You also made it through wild nights in Vegas together and you filmed a video there, how did the city inspire you?

Alex:
We were just there doing work; we got asked to stay there and write songs! I think we saw a very different side of Las Vegas. Mostly, we did not go out and get shitfaced. Everything I basically have to say about Vegas is in a post, which I put on Facebook when I released „Candy May“:

I flew to Vegas with a deep seeded fear of a dormant syphilis.
I left with negative blood test results, an inflamed body rash, and a brand new music video.
If you’ve ever bought a car for $300 off a guy with cuts all on his face, or if you’ve ever traded tales of recent infidelities with the one person you promised you’d never betray, then this one’s for you.
If you’ve ever raised your voice in anger together with your sweet one at a bus stop like a bag of groceries about to split, then this one’s for you.
If you feel like you’ve been let down by love, or like you’re owed respect, then get your life in order and start behaving like an adult.
This is a song about falling apart.

Jonas:
In your Instagram stories, I often saw you hanging out with Brandon Flowers from The Killers. And now one can hear his voice on your new record. How did you meet each other and how was working with him on the new album?

Alex:
We’d just played a show for about eight people at a record store and we were driving our rental car through Florida. During that same time, we received an email from Brandon Flowers. He was interested in meeting us. So we went and paid him a visit to Las Vegas, stopped by his studio and I guess the magic was in the room because we were able to write a couple of songs very quickly.

Jonas:
Besides Mr. Flowers, there is another very interesting collaboration on the record with Angel Olson. You were touring with Angel in U.S. What can you say about working with all of these well-known artists? Especially after you played your first shows in restaurants with just a few people watching?

Roy:
At the end of the day, we’re trying to stay focused, and we’re so lucky to be working with more and more people we deeply respect. We’ve been fortunate that they’ve contacted us. For someone to reach down and offer a hand up to their level is both very flattering and – I hope – a sign that you’re doing something worthy and important.

I remember a particularly intense orgasm with a total stranger that left me giggling uncontrollably.

Jonas:
The main topic of this issue is „ecstasy“—in which moments in your life, do you remember feeling truly blessed by the enchantment of ecstasy?

Roy:
What a lovely topic. When I think about ecstasy I think about a few different things. The first time I felt mutual love, that feeling of shock that someone could love you like you love them, your heart being squeezed just when you look at them. I remember a particularly intense orgasm with a total stranger that left me giggling uncontrollably. Heroic moments in sport. I think about some super powerful ecstasy I took with friends in a town called Mollymook in 2014 and I just sat there looking at the shiny hair on my arm. Man. Cool topic for a magazine issue you guys.

Jonas:
Talking about the high times in life, it´s also part of the human experience to face the low ones. As an artist, how deeply are you in touch with your dark moments?

Roy:
Very in touch. I think the records speak for themselves in that way.

Jonas:
Some of your fans love the atmosphere of insanity around your stage and video performances—what inspired these unique acts of expression?

Roy:
I think that atmosphere comes from a few places. Initially, I mean, for the first two years or so, we were operating completely under the radar. Even by Australian standards, we were unknowns. The saying „dance like no one’s watching“ comes to mind. So there was a reckless feeling of anonymity that came from that. Then there’s also a very conscious desire to perform the music as we think it should be and a bit of something that’s inherent to who we are. We really put a lot of our personality into it, and I don’t think that’s very common in a lot of musical performances these days.

There's a lot of different types of love and if you take the abstract out of it, it'd probably just be a chemical reaction in your brain.

Jonas:
In songs like „She’s Mine“ you sing about love in a very abstract manner—is there anything concrete to say about that topic?

Roy:
There’s a lot of different types of love and if you take the abstract out of it it’d probably just be a chemical reaction in your brain. Same as being depressed or elated or proud. The abstract is what gives it personal meaning and allows us to try and explain what we’re feeling or tell a story about it. So let’s keep the talk fluid on that topic for now.

Jonas:
You probably have many amazing projects ahead of you… can you tell us where the journey is heading to next?

Alex:
Right now the priority is to work. To tour the album thoroughly, perform it as best we can, and continue bringing people into our world. We’re the kind of guys who a day off is a curse for. So, for now, we’re just going to keep working hard and playing shows. We’re feeling good.


Mark Benjamin

Editorial — Mark Benjamin

Not My President

A year ago today, thousands of people across the U.S. and around the world were protesting the election of Donald J. Trump. In New York, protesters converged at Trump Tower in Midtown Manhattan, chanting slogans such as “Not our president”. New York-based photo artist and creative director Mark Benjamin caught some of these moments with his camera.

9. November 2017 — MYP N° 21 »Ecstasy« — Photography: Mark Benjamin

Mark Benjamin is a photo artist and creative director living in New York City.

mark-benjamin.com
rain-mag.com
facebook.com/markbenjaminphoto
@rainmagazine_
@artallout


Justin Peters

Submission — Justin Peters

Parallelwelt

8. November 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Bilder und Text: Justin Peters

Pablo Picasso hat einmal gesagt: „Alles, was du dir vorstellen kannst, ist real.“ Für mich ist das wie ein Leitsatz.

Seit einigen Jahren versuche ich, meine Vorstellungen in Photoshop zu verwirklichen – mithilfe verschiedener Objekte, die ich auf eine Art und Weise kombiniere, die man so in der Realität nicht finden kann.

Wenn ich ein Bild kreiere, scheint die Welt um mich herum zu verschwimmen. Gleichzeitig wird die Situation, die ich gerade vor Augen habe, für mich immer realer – sie wird zu einer Parallelwelt. In diese Welt kann ich auch den Betrachter eintauchen lassen. Es ist eine Welt, in der alles möglich scheint.


Maximilian König

Editorial — Maximilian König

Fremont Street

In Downtown Las Vegas sind die Straßen leerer als im neuen, aufpolierten Teil der Stadt – dabei hat hier mal alles angefangen. Auch wenn die wilden Jahre längst vorbei sind: Durch Downtown weht immer noch ein Hauch jener Ekstase und Verruchtheit, die einst den Mythos von Las Vegas begründeten. Fotograf Maximilian König hat sich auf Spurensuche begeben – entlang von Hochzeitskapellen und Pfandleihhäusern.

6. November 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Fotos: Maximilian König


Alina

Interview — Alina

Kehrseite der Einsamkeit

Sechs Jahre lang hat Alina an ihrem Debut-Album „Die Einzige“ geschrieben, jetzt ist es endlich da. In ihren Liedern erzählt sie schonungslos offen von Selbstzweifeln, Enttäuschungen und der Angst vor Einsamkeit. Dabei ist ihr mit Abstand wichtigster Song beim Wäschewaschen entstanden.

24. Oktober 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke

„CM 7151“ ist ein wahrer Schatz. Das elegante Mikrofon, das zu DDR-Zeiten im RFT Funkwerk Leipzig entwickelt und gefertigt wurde, gilt heute als echte Rarität – vor allem, wenn es mit „M7“ kombiniert ist, einer ebenso eleganten Mikrofonkapsel aus dem Hause Georg Neumann. In tadellosem Zustand bringen es die beiden Klassiker auf einen Wert, der vergleichbar ist mit dem Kaufpreis eines Kleinwagens.

Zu den Wenigen, die einen solchen Schatz besitzen, gehören die Betreiber der Berliner Noize Fabrik. Ihr fast neuwertiges „CM 7151“ steht zusammen mit „M7“ in ihrem sogenannten „Live Room“, einem kleinen Aufnahmestudio, das man stundenweise mieten kann. Das Besondere am „Live Room“ ist die vollverglaste Wand, die es Musikern erlaubt, ihre Recordings auch für Publikum zu öffnen und damit eine ganz besondere, fast intime Nähe herzustellen. Studio-Session und Live-Auftritt – zur selben Zeit und aus einer Box. So nahbar lässt sich Musik in Szene setzen.

Die Musik, um die es heute geht, ist die von Alina. Die junge Künstlerin, die aus Konstanz am Bodensee stammt und mittlerweile in Berlin lebt, hat bereits vor sechs Jahren damit begonnen, an ihrem Debüt-Album zu schreiben. Die Platte, die am 20. Oktober das Licht der Welt erblickt hat, trägt den Titel „Die Einzige“: In sehr emotionalen und persönlichen Songs legt die Musikerin das Innerste ihrer Seele offen. Dabei singt sie von Selbstzweifeln, Enttäuschungen und Angst vor Einsamkeit.

Diese Themen haben sich im Laufe der Jahrzehnte auch in das Gedächtnis von „CM 7151“ und „M7“ gebrannt. Wie viele Stimmen es wohl waren, die ihre Versionen von Glück und von Trauer, von Liebe und von Einsamkeit, von Hoffnung und von Schmerz in die elegante Mikrofoneinheit gesungen haben?

Ansehen kann man es ihnen nicht. Die beiden Geräte wirken noch immer so frisch, als hätten sie das Wissen um die Widrigkeiten des Lebens nie als schwere Last begriffen – eher als eine nützliche Erfahrung, die ihnen den Rücken stärkt und sie für die Zukunft rüstet. Ob das bei Alina ähnlich ist? Wir bitten sie im „Live Room“ zum Gespräch.

Jonas:
Vor vier Jahren hast du in unserem Magazin einen selbst verfassten Artikel zum Thema „Meine Stille“ veröffentlicht. Der Text trägt die Überschrift „Innerlich laut“, es finden sich darin Sätze wie „Meine Stille ist wie ein wild gewordenes Kind“, „Meine Stille macht mir Angst“, „Meine Stille ist eine Illusion“ oder „Wenn ich still bin, bin ich tot.“ Stehst du mit der Stille immer noch auf Kriegsfuß? Oder hast du mit ihr mittlerweile deinen Frieden gemacht?

Alina:
Für mich ist Stille immer noch etwas, das in meinem Leben nicht so einfach um die Ecke kommt. Aber im Vergleich zu damals suche ich die Stille heute viel bewusster, viel aktiver: Je lauter es um mich herum wird, desto mehr suche ich die innerliche Stille.

Jonas:
Würdest du sagen, dass du nach außen hin lauter geworden bist?

Alina:
Wenn man die Frage auf meine öffentliche Sichtbarkeit als Künstlerin bezieht, würde ich sagen ja. Ich glaube aber, dass ich als Mensch – in meiner extrovertierten Art – eher ruhiger geworden bin. Ich merke einfach, dass meine Energie begrenzt ist. Mit den Jahren entwickelt man ja auch ein immer besseres Feingefühl für sich selbst.

Jonas:
Du hast in deinem Artikel damals sehr stark mit Sprache gespielt und viel von deinem Innersten preisgegeben. Diese schonungslose Offenheit findet man auch in den Texten deiner Songs. Nicht viele Menschen sind in der Lage, sich gegenüber anderen so zu öffnen, vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Fühlst du dich dadurch nicht sehr angreifbar und geradezu nackt?

Vielleicht bin ich auch so offen, um meine eigenen inneren Konflikte und meine Traurigkeit zu lösen und in Musik umzuwandeln – um mich gewissermaßen davon zu heilen.

Alina:
Auch für mich gibt es solche Momente, in denen ich das Gefühl habe: Das kann ich eigentlich nicht. Aber unterm Strich ist das für mich die einzige Art und Weise, Musik zu machen – Musik, die für mich selbst interessant ist und einen Anspruch hat. Mit dieser Art von Musik kann ich erzählen, dass das innerlich Wahrhaftige auch äußerlich wahrhaftig ist. Für mich ist das die beste Möglichkeit, mit anderen Menschen eine Verbindung herzustellen und zu erreichen, dass sie sich verstanden fühlen. Das ist das Ziel jedes einzelnen Songs von mir.
Vielleicht bin ich auch so offen, um meine eigenen inneren Konflikte und meine Traurigkeit zu lösen und in Musik umzuwandeln – um mich gewissermaßen davon zu heilen. Ich würde mit diesem eigennützigen Vorhaben aber nicht auf die Bühne gehen, wenn ich nicht auch der festen Überzeugung wäre, dass meine Musik den Menschen eine Möglichkeit gibt, sich in bestimmte Situationen und Gefühlszustände hineinzuversetzen.

Jonas:
Wie hast du gelernt, so offen durchs Leben zu gehen? Ist das etwas, was man von zu Hause mitbekommt, oder hast du dir diese Eigenschaft im Laufe der Jahre antrainiert?

Alina:
Ich glaube, das habe ich von meiner Oma. Als Kind ist sie nach dem Krieg aus Danzig vertrieben worden und in ein kleines Dorf im Schwarzwald geflohen. Noch heute weist sie ausdrücklich darauf hin, dass sie dort eigentlich nicht hingehört, sondern in eine Großstadt. Meine Oma hat schon immer das Herz auf der Zunge getragen und sagt einfach gerade heraus, was sie denkt. Diese Direktheit habe ich definitiv von ihr.
Was meine Musik angeht, hat es durchaus einige Jahre gedauert, bis ich mir dort diese Offenheit und Direktheit zugetraut habe. Diesen krassen Zugang zu meiner Seele hätte ich vom ersten Tag an nicht so einfach legen können.

Jonas:
Dafür kann es heute passieren, dass du mit deiner Musik andere Menschen dazu ermutigst, auch eine gewisse Offenheit zu entwickeln und mehr von ihren Gefühlen preiszugeben. Erinnerst du dich selbst an Musik, die für dich im Laufe deines Lebens eine solche Mutmacher-Funktion hatte?

Am stärksten berührt ist man ja, wenn man etwas hört, das man selbst in gleicher Weise erlebt hat – und sich dadurch total verstanden fühlt.

Alina:
Ja, immer! Es gibt zwar nicht den einen Künstler oder das eine Lied, das beispielhaft dafür stehen würde, aber Musik hat mir immer etwas erzählt und hat mich immer vorausblicken und erahnen lassen, welche Dinge vielleicht auch in meinem Leben passieren können.
Am stärksten berührt ist man ja, wenn man etwas hört, das man selbst in gleicher Weise erlebt hat – und sich dadurch total verstanden fühlt. Dann bricht plötzlich der Damm! Dieser Moment ist es, den ich auch selbst immer versuche einzufangen: Bei meiner Musik will ich mich und den Zuhörer so erwischen, dass zwischen uns eine Verbindung entsteht. Und wenn mir dann jemand nach einem Konzert sagt: „Du, ich war in Tränen aufgelöst!“, ist es das größte Kompliment, das man mir machen kann.

Jonas:
Vor ein paar Tagen habe ich mal in der Timeline deiner offiziellen Facebook-Seite gestöbert und bin auf ein Foto gestoßen, das dich mit einem T-Shirt von Guns n’ Roses zeigt. Sofort hatte ich wieder die 90er Jahre vor Augen und in den Ohren. Ist Guns n’ Roses eine Band, die dich in deiner Kindheit und Jugend musikalisch sozialisiert hat?

Alina:
In den 90ern hat mich wirklich sehr viel Musik gecatcht. Damals war ich wahnsinnig aufnahmefähig und habe mich quer durch alle Genres gehört: von Nirvana über Aaliyah und Eminem bis zu Blümchen – kein Scherz! Ich habe alles aufgesogen, was es um mich herum gab. Bis heute hat sich das eigentlich auch nicht verändert, musikalisch bin ich gegenüber allem nach wie vor sehr offen.
Besonders haben es mir in meinem Leben aber die großen Diven angetan: Whitney Houston, Celine Dion – für mich war es immer schon außergewöhnlich, was diese Frauen mit ihrer Stimme anstellen können und wie toll sie ihre Musik inszenieren. Ich mag einfach das große Drama! Eine meiner größten Inspirationen ist dabei Mariah Carey, die ich bereits Anfang der 90er für mich entdeckt habe und bis heute liebe. Sie und ihre Musik haben mich extrem geprägt.

Jonas:
Wenn man in der deutschsprachigen Musik nach solchen Diven sucht, wird man am ehesten in den 1950er und 60er Jahren fündig. In der jüngeren deutschen Musikgeschichte scheint diese Art von Künstlerin völlig ausgestorben zu sein.

Frauen wie Hildegard Knef, Marlene Dietrich oder Zarah Leander waren nicht nur schön: Das Faszinierende an ihnen ist, auch heute noch, dass sie so selbstbestimmt waren.

Alina:
Ja, das stimmt. Ich erinnere mich zum Beispiel an Alexandra, eine deutsche Sängerin aus den Sechzigern, deren Musik ich als Kind sehr viel gehört habe. Ich weiß aber nicht, ob man sie wirklich als Diva bezeichnen kann. Aus dieser Zeit fallen mir viel eher Persönlichkeiten wie Hildegard Knef, Marlene Dietrich oder Zarah Leander ein. Diese Künstlerinnen habe ich erst Ende der 90er für mich entdeckt und mich dann intensiv mit ihnen beschäftigt. Diese Frauen waren nicht nur schön: Das Faszinierende an ihnen ist, auch heute noch, dass sie so selbstbestimmt waren – und das zu einer Zeit, in der das alles andere als selbstverständlich war. Sie waren ihrer Zeit weit voraus und hatten dadurch sehr bewegte Leben, dramatische Leben. Dadurch hatten sie wirklich etwas zu erzählen, nicht nur in ihrer Musik.

Jonas:
Was glaubst du, warum sind diese Diven in der deutschsprachigen Musik nach und nach verschwunden?

Alina:
Ich weiß es nicht. Aber diese Frage beschäftigt mich sehr, auch weil ich in den letzten Jahren immer wieder nach solchen Rollenbildern gesucht habe. Eine Ute Lemper beispielsweise, die ich durchaus als Diva bezeichnen würde, hat sich aus Deutschland zurückgezogen, weil ihre Art hier einfach nicht ankam – sie wurde in ihrer Divenhaftigkeit nicht akzeptiert. Vielleicht ist es daher einfach mal wieder Zeit für eine deutsche Diva. (Alina lächelt)

Jonas:
Vielleicht hatte man in Deutschland auch einfach jahrzehntelang Angst vor selbstbewussten Frauen.

Alina:
Ich hoffe nicht. Aber das wäre auf jeden Fall eine Erklärung.

Jonas:
Eine Diva wird man nicht von heute auf morgen, das braucht einen langen Anlauf. Wann in deinem Leben wusstest du, dass du Musik machen willst?

Eine ältere Dame streckte mir einen Kinderriegel ins Gesicht und sagte: »Das hast du ganz toll gemacht.«

Alina:
Rückblickend habe ich das schon immer irgendwo tief in mir drin gewusst und eine besondere Faszination für Musik verspürt. Ich erinnere mich an zwei Schlüsselmomente in meiner Kindheit, die aus heutiger Sicht ein Hinweis darauf waren, welche Richtung mein Leben einmal einschlagen wird.
Der erste Moment bezieht sich auf eine Situation, als ich etwa vier Jahre alt war. Meine Eltern hatten sich gerade mit einem kleinen Bürofachhandel selbstständig gemacht und ein Ladenlokal übernommen. Während sie damit beschäftigt waren, den Laden zu renovieren, saß ich alleine im Treppenhaus direkt nebenan. Ich war so gelangweilt, dass ich angefangen habe, irgendwelche Laute von mir zu geben. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich meine Stimme in einem Raum wahrgenommen und den Hall gespürt! Das hat mich total in Trance versetzt und begeistert. Ich weiß noch, wie ich da auf der Treppe saß, immer wieder neue Melodien erfand und nach und nach merkte, welche Kraft meine Stimme hat. Irgendwann – ich hatte mich so richtig verloren in meiner Welt – tippte mir jemand auf die Schulter. Eine ältere Dame, die ebenfalls in dem Haus wohnte, streckte mir einen Kinderriegel ins Gesicht und sagte: „Das hast du ganz toll gemacht.“

(Alina lacht)

Schlüsselmoment Nummer zwei ereignete sich kurze Zeit später, als ich mit meiner Familie eine Vorstellung von „Das Phantom der Oper“ in Basel besuchen durfte. Anne-Marie Kaufmann spielte damals eine der Hauptrollen – schon wieder eine starke Frau. Ich war total geplättet: diese Musik, diese Opulenz, dieses Drama! Noch vor Ort kaufte mir mein Vater die Musical-CD, die in den nächsten Wochen ständig bei uns lief. Sobald die CD eingelegt war, habe ich performt, auch im Ladenlokal. Das war für die Kunden, die in unseren kleinen Bürobedarf-Laden reinkamen, immer ein Highlight. Es gibt da diese eine berühmte Arie, in der die Stimme immer höher und höher wird – diese Arie konnte ich mitsingen! Und zwar bis zum höchsten Ton.

Jonas:
Du bist dann aber nicht als Kinderstar durchgestartet, sondern hast ganz klassisch studiert: Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Uni Konstanz – mit Nebenfach Verwaltungswissenschaften.

Alina:
Oh Gott, ich habe keine Ahnung, wie ich die Prüfung in diesem Nebenfach geschafft habe. Den Studiengang habe ich mir hauptsächlich wegen der Medienwissenschaften ausgesucht, Literatur und Kunst haben mich am Anfang eher weniger interessiert. Dann wollte es das Schicksal aber so, dass mein Literatur-Professor irgendwie auf mich aufmerksam wurde und mich fragte, ob ich als Tutorin arbeiten möchte – im Fach „Einführung der Literaturwissenschaften I“. Ich habe einfach ja gesagt und im nächsten Moment gedacht: Um Gottes Willen, was hast du dir da eingebrockt? Vor anderen Menschen zu reden und Vorträge zu halten, das war für mich eine absolute Horrorvorstellung. Aus heutiger Perspektive war das aber eine sehr gute Schule: Nachdem ich mir den Stoff draufgeschafft hatte, war es supercool, mit und vor den Studenten zu reden. Das hat mir bis heute Einiges gebracht.

Jonas:
Mitte Juni hast du auf Facebook einen Post veröffentlicht, in dem es heißt: „Das Schicksal hat mich vor fünf Jahren nach Berlin gebracht, meine Stadt aus Gold.“ Was genau hast du damit gemeint? Was in deinem Leben war damals so schicksalhaft?

Ich habe mich irgendwie wie ein Kind gefühlt, das keine Berührungsängste hat – als Kind war ich furchtlos, auch auf der Bühne.

Alina:
Es gab in meinem Leben nicht diesen einen Schicksalsschlag, sondern eher ein großes Erwachen. Die Geschichte fängt damit an, dass ich vor etlichen Jahren in Konstanz nach einer Location für meine Geburtstagsparty gesucht habe und per Zufall an eine Künstlergruppe geraten bin. Diese Gruppe bestand aus Schauspielern, Musikern, Designern und Kreativen aus aller Welt, die unter anderem ein eigenes Theaterstück auf die Beine gestellt hatten und in der besagten Location regelmäßig spontane Konzerte und Jam-Sessions abhielten – so auch an dem Abend, an dem ich dort mal vorbeigeschaut habe, um die Räumlichkeiten für meine Party zu begutachten. Plötzlich fand ich mich inmitten eines kleinen Jazz-Konzerts wieder. Aus dem Publikum heraus habe ich spontan mitgesungen – und als die Band das mitbekommen hat, hieß es kurzerhand: „Sing du doch mal und komm nach vorne!“
Bis zu diesem Moment hätte ich mir nie vorstellen können, einfach so auf die Bühne zu gehen und zu improvisieren, ohne mir vorher den Text anzueignen oder den Song einzuüben – ich war eine Person, die immer akkurat vorbereitet sein musste. Dementsprechend war das ein großes Aha-Erlebnis für mich, ich hatte das Gefühl, als wäre in mir eine riesige Tür aufgegangen. Die positive Reaktion der Leute, die Euphorie, das Glücksgefühl – es war so wunderschön, sich einfach in diesen Moment fallen zu lassen.
An dem Abend habe ich mich irgendwie wie ein Kind gefühlt, das keine Berührungsängste hat – als Kind war ich furchtlos, auch auf der Bühne. Als ich dieses besondere, überwältigende Kindheitsgefühl gespürt habe, habe ich mit jeder Zelle meines Körpers gewusst: Musik ist genau das, was ich machen will in meinem Leben. Denn eigentlich war Musik schon immer meine größte Kraft und meine größte Leidenschaft. In meinem Studium fühlte ich mich eh irgendwie verloren, alles dort hatte mich nur noch so ein bisschen interessiert. Und so war klar: Es ist die Musik. Also machen wir Musik!
In den folgenden Wochen und Monaten habe ich zusammen mit einigen Straßenmusikern überall in Konstanz Musik gemacht, das war eine tolle Zeit. Ich habe dann relativ schnell herausgefunden, dass die Popakademie in Mannheim ein Ort wäre, der mich interessieren könnte und wo ich mich gerne bewerben möchte. Also habe ich angefangen, auf diese eine Bewerbung hinzuarbeiten: Ein ganzes Jahr lang habe ich nichts anderes getan, als Songs zu schreiben, diese in Eigenregie aufzunehmen, eine Band zu organisieren oder Videos zu drehen. Am Ende hat sich die Mühe gelohnt, ich wurde angenommen – Gott sei Dank, denn einen alternativen Plan hatte ich nicht in der Tasche. Ich würde sagen, das war die Geburtsstunde meines Weges.
Drei Jahre später hatte ich schon wieder das Gefühl, dass ich weiterziehen muss – und irgendetwas tief in meinem Inneren sagte mir, dass ich nach Berlin gehen sollte. Dieses Gefühl hat sich absolut richtig angefühlt, also habe ich in Mannheim alle Zelte abgerissen und bin schließlich vor fünf Jahren nach Berlin gezogen.

Jonas:
Du hast für deine Musik einen sehr individuellen und prägnanten Stil entwickelt. Hattest du vom ersten Tag an eine konkrete Idee davon, in welche Richtung du mit deiner Musik willst? Oder hat sich dieser Stil erst im Laufe der Jahre ergeben?

Es ist wichtig herauszufinden, was man nicht will. Man kommt schneller ans Ziel, wenn man Dinge für sich ausschließen kann.

Alina:
Für einen Künstler ist es die größte Herausforderung, Antworten auf bestimmte Fragen zu finden, wie zum Beispiel: Wie klingt meine Stimme? Was ist mein Sound? Welche ist meine Sprache? Welche Geschichten erzähle ich mit meiner Musik? Auch für mich war es das große Ziel, das Musikalische herauszufiltern und meine eigene Identität zu finden – und zwar in dem Moment, in dem ich mich entschlossen habe, Musik zu machen, und an der Popakademie angenommen wurde. Dementsprechend hat sich mein Stil mit der Zeit erst entwickelt.
Rückblickend kann ich sagen, dass es bei einem solchen Findungsprozess wichtig ist, sehr viel auszuprobieren – und vor allem herauszufinden, was man nicht will. Man kommt schneller ans Ziel, wenn man Dinge für sich ausschließen kann. Wenn man sagen kann: Das gefällt mir nicht, das bin ich nicht.

Jonas:
Wie etwa auf Englisch zu singen?

Alina:
Ja, genau. Ich habe bis vor sechs, sieben Jahren nur auf Englisch gesungen, bis ich mich schließlich im Deutschen gefunden habe. Diese Reise zu gehen, hat mir vor allem die Popakademie ermöglicht. Ich habe dort herausgefunden, dass ich im Englischen sprachlich eher so lala bin und dazu keine wirkliche Verbindung herstellen kann. Im Deutschen, meiner Muttersprache, gelingt mir das viel besser: Mit dieser Sprache kann ich alles bauen und alles genauso sagen, wie ich es will. Ich glaube, das war noch so ein Schlüsselmoment in meinem Leben.
In all den Jahren zuvor hatte ich verschiedenste Genres ausprobiert und irgendwie versucht diese zu erfühlen. Ich hatte Jazz gesungen, mich in die Klassik begeben und mich mit Hip-Hop, RnB und Soul auseinandergesetzt. Aber nie konnte ich eine echte Verbindung aufbauen.
Für mich war es eine krasse Erfahrung, dass meine Musik im Deutschen auf einmal eine ganz andere Farbe hatte, stimmlich wie inhaltlich. Das erste Lied, das ich dann auf Deutsch geschrieben habe, war der Song „Kind sein“. Dieses Lied hat den Grundstein gelegt für die Identität, die ich heute als Künstlerin habe, und war für mich wie ein Geschenk: Der Song sprudelte plötzlich aus mir heraus, als ich mit verschiedenen Sounds herumprobiert habe und über ein Celeste-Thema gestolpert bin, das mich sehr stark an meine Kindheit erinnert hat und mich nicht mehr loslassen wollte.
Ich dachte nur: Wow, wo kommt das denn her? Welche Seite von mir ist das? Und warum fühlt es sich so richtig an? Während mir in meinen ersten Jahren an der Popakademie noch nichts so richtig gelingen wollte, wusste ich mit diesem Song genau, wohin ich will. Von da an hat es ziemlich genau sechs Jahre bis zur Fertigstellung meines ersten Albums gedauert.

Jonas:
Dein Album trägt den Titel „Die Einzige“ und ist nach dem gleichnamigen Song benannt, der wohl der schonungsloseste und intimste auf der ganzen Platte ist: Du besingst darin das Gefühl, nicht gut genug zu sein, und erzählst von der Angst, ein Leben lang alleine zu bleiben. Wie ist dieses Lied entstanden?

Alina:
Vor knapp zwei Jahren hatte ich geplant, eine eigene EP herauszubringen – zusammen mit dem kleinen Label meines Managements, auf dem ich damals gesignt war. Den Showcase, den wir dazu veranstaltet haben, hat sich auch Tom Bohne angesehen, der President of Music bei Universal Music Deutschland ist. Tom wollte mich noch am selben Abend kennenlernen und sich mit mir unterhalten. Das war ein wirklich tolles Gespräch, denn Tom hat mir ein so differenziertes und professionelles Feedback gegeben, wie ich es vorher noch von keinem erhalten hatte. Irgendwie habe ich mich dadurch total von ihm gesehen gefühlt.
Unser Gespräch gewann immer mehr an Tiefe und irgendwann sagte Tom: „Du, Alina, ich finde es ja toll, dass deine Songs so persönlich sind. Ich glaube aber, dass es da noch Themen gibt, an die du dich noch gar nicht herangetraut hast.“ Das hat richtig gesessen! Und schon wieder ging in mir eine riesige Tür auf. Nicht nur, weil jemand wie Tom, der für mich so etwas wie eine lebende Legende im Musikgeschäft ist, mir diese große Aufmerksamkeit gewidmet hat. Sondern auch, weil ich instinktiv das Gefühl hatte, dass da was dran ist.
In den nächsten sieben, acht Tagen drehten sich in meinem Kopf ununterbrochen die Rädchen. Ich fragte mich ständig: Gibt es da noch irgendwelche Themen? Habe ich irgendetwas in mir übersehen? Und plötzlich – ich war gerade dabei, meine Wäsche zusammenzulegen – schoss mir folgende Frage durch den Kopf: „Ey, sag mal, bin ich eigentlich die Einzige, die für immer alleine bleibt?“ Auf einmal war nicht nur das Thema da, nach dem ich die ganze Zeit gesucht hatte. Mit dieser Frage hatte ich dazu gleich auch die wichtigste Songzeile in der Hand.
Eigentlich pocht dieses Thema ja schon seit Jahren in meiner Brust und ist omnipräsent in meinem Leben. Ich rede mit meinen engsten Freunden ständig über gescheiterte Dates, unglückliches Verliebtsein und die Angst, alleine zu sein. Dennoch ist es mir jahrelang nicht in Sinn gekommen, dieses Thema künstlerisch anzupacken – obwohl es so offensichtlich war.

Jonas:
Hast du eine Erklärung dafür, warum du an diesem offensichtlichen Thema so lange vorbeigelaufen bist?

Wer stellt sich schon gerne hin und sagt: »Juhu, ich bin Dauersingle!« Man möchte sich ja nicht selbst demütigen.

Alina:
Vielleicht weil das Thema nicht wirklich sexy ist. Wer stellt sich schon gerne hin und sagt: „Juhu, ich bin Dauersingle!“ Man möchte sich ja nicht selbst demütigen. Daher hatte ich vor dem Thema wahrscheinlich richtig große Angst. Aber beflügelt durch mein Gespräch mit Tom war ich nun absolut offen dafür.

Jonas:
Der oder die Einzige auf der Welt zu sein, das sagt sich so schnell. Dabei gibt es womöglich Millionen andere Menschen, denen es ganz genauso geht.

Alina:
Ich mag es, mit großen Begrifflichkeiten zu arbeiten. Songtitel wie „Die Einzige“, „Schönheitskönigin“ oder „Mit Größe gehen“ sind zwar große, schwere Worte. Sie alle haben aber eine inhaltliche Kehrseite. Und die Kehrseite kann ich am besten erzählen, indem ich die glanzvolle Fläche auf der Vorderseite nutze. Diese Herangehensweise hat es mir auch ermöglicht, den Song „Die Einzige“ zu schreiben, ohne mich dabei lächerlich zu machen.

Jonas:
Mit einer einzelnen Zeile, die man beim Zusammenlegen der Wäsche textet, hat man noch lange keinen fertigen Song. Wie hast du daran weitergearbeitet? Immerhin war ja nun endlich das gesuchte Thema da.

Alina (lacht):
Stimmt! Als plötzlich dieser Satz da war, konnte ich nicht einfach so mit der Wäsche weitermachen. Ich wollte so schnell wie möglich den Song entwickeln. Leider hatte ich in diesem Moment kein Instrument zur Hand. Also habe ich mein Handy genommen und aus dem Nichts heraus improvisiert.

(Alina stimmt die Melodie des Refrains von „Die Einzige“ an)

So ist die Melodie des Refrains entstanden. Das war einer der seltenen Momente im Leben, in denen sich ein Song richtig aufdrängt und endlich aus einem heraus will. Als ich den Refrain hatte, habe ich mein Handy wieder zur Seite gelegt, mich um die nächste Ladung Wäsche gekümmert und mir dabei Gedanken darüber gemacht, wie ich in die Strophe reinkomme. Ich habe mich wieder an das Gespräch mit Tom erinnert, der damals zu mir sagte: „Manchmal ist es ein gutes Stilmittel, Fragen zu stellen.“ Also habe ich Fragen gestellt. Und hatte bald die erste Strophe zusammen.
Mit diesem Gerüst aus Refrain und Strophe bin ich in eine erste Session mit meinem heutigen Gitarristen Robert gegangen. Ich hatte vorher nie mit ihm gespielt und habe daher vorgeschlagen: Wir können jetzt bei Null anfangen oder wir spielen diesen Song – den muss ich unbedingt zu Ende bringen. Gott sei Dank war Robert dafür total offen. Und so haben wir gemeinsam ein wundervolles Arrangement erarbeitet und ich habe die zweite Strophe geschrieben.
Leider hatten wir keine Möglichkeit, den Song in einer halbwegs ordentlichen Qualität aufzunehmen. Wir hatten nur eine krakelige Aufnahme, die alles andere als optimal war. Diese Aufnahme habe ich zu meinem ersten offiziellen Meeting mit Tom Bohne bei Universal Music mitgenommen, aber habe mich erst mal nicht getraut, sie ihm vorzustellen. Erst ganz am Ende unseres Gesprächs sagte ich: „Tom, du hast mich zu einem Song inspiriert, den würde ich dir gerne vorspielen.“
Dann habe ich mein Handy an seine Anlage angeschlossen und war mehr als peinlich berührt: Die Aufnahme war wirklich unterirdisch, der Song krakelte nur so durch die Boxen. Die Situation war so unangenehmen, dass ich permanent aus dem Fenster gestarrt habe, um irgendeinen Punkt zu finden, an dem ich krampfhaft meinen Blick festmachen konnte. Als das Lied zu Ende war, sagte Tom mit tiefer Stimme: „Krass!“ – man muss wissen, dass er nicht die überschwänglichste Art hat (Alina lacht). In diesem Moment war klar, dass es irgendeine Zusammenarbeit geben würde.
Als wir uns einige Wochen später zu einem zweiten Meeting trafen, hatte das Lied intern bereits Wellen geschlagen. Man muss wissen, dass Toms Assistentinnen und Assistenten immer alles mitbekommen, was Tom so abspielt. Eine seiner Mitarbeiterinnen umarmte mich und sagte: „,Die Einzige’, ,Die Einzige’! Das ist mein Lied! Mir geht’s genauso!“ Und nicht nur die Mädels im Vorraum haben über den Song gesprochen, auch die Abteilung nebenan hat irgendwie Wind davon bekommen. Dort fragten sie sich nur: „Sagt mal, warum findet sie denn keinen?“
Dadurch, dass der Song so schnell seine Runden gemacht hatte, war für mich klar: Das ist das Lied des Albums. Die eigentliche Kraft des Songs besteht ja darin, dass er sich anfühlt wie eine Trost spendende Umarmung. Wie du bereits gesagt hast: Im Grunde gibt es unzählige Menschen auf der Welt, denen es ganz genauso geht, die das Gefühl haben, der oder die Einzige zu sein.

Jedes Lied, das man auf dem Album findet, ist in einem sehr intimen Moment entstanden – in einem Moment, in dem ich zu mir selbst sehr ehrlich war und mich sehr alleine gefühlt habe.

Jonas:
Und weil „Die Einzige“ das Lied des Albums ist, hast du auch das Album selbst so benannt?

Alina:
Nicht ganz. Warum auch das Album „Die Einzige“ heißen muss, ist mir erst später klar geworden: Jedes Lied, das man auf dem Album findet, ist in einem sehr intimen Moment entstanden – in einem Moment, in dem ich zu mir selbst sehr ehrlich war und mich sehr alleine gefühlt habe. In jedem dieser Momente kam es mir vor, als wäre ich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, dem es so geht. Daher heißt nicht nur dieser eine Song so, sondern auch das gesamte Album.

Jonas:
An diesem Album hast du ganze sechs Jahre lang gearbeitet. Hast du mit der Gewissheit, dass dein musikalisches Baby nun endlich geboren wird, auch deine Selbstzweifel besiegt?

Alina:
Selbstzweifel wird es in meinem Leben immer geben. Die Frage ist nur, woran genau ich zweifele. Als Künstlerin habe ich in den letzten Jahren sehr viel an Selbstbewusstsein gewonnen, das freut mich natürlich. Für mich ist es der allergrößte Erfolg, diese Platte gemacht zu haben. Dass sie genauso auf die Welt kommen darf, wie ich es wollte und geplante habe, macht mich sehr, sehr zufrieden.
Als Mensch ist es nochmal eine ganz andere Nummer. Dass man plötzlich ein glücklicherer Mensch wird, nur weil man eine Plattenfirma gefunden hat und endlich ein Album veröffentlichen kann, ist eine Illusion. Auch das ist mir in den letzten Jahren klar geworden. Glück zieht man nicht aus irgendeinem Erfolg, sondern aus anderen Momenten. Und die kann man nicht planen.
Trotzdem: Diesen Moment der vollkommenen Zufriedenheit und Glückseligkeit, den ich gerade erlebe, möchte ich so lange wie möglich konservieren und mir irgendwie erhalten. Ich weiß, das ist sauschwer, denn mein Leben schreibt sich kontinuierlich weiter – meine Musik schreibt sich kontinuierlich weiter. Da ich in meinen Songs immer das verarbeite, was ich gerade erlebe, bin ich eigentlich schon ein paar Schritte weiter. Und daher ist es auch schön, das Ganze nach sechs Jahren loszulassen.

Hair & Make-up: Luiza Simor / @luizasimor