Kilian Kerner
Interview — Kilian Kerner
Der Ruf der großen Stadt
Comeback des Berliner Modeschöpfers: Kilian Kerner erklärt, warum er jetzt ein besserer Mensch ist und was ihn an der Datingkultur der Hauptstadt so traurig stimmt.
22. Januar 2019 — MYP N° 24 »Morgen« — Interview: Katharina Weiß, Fotos: Robin Kater
Als vor genau einer Woche die Mercedes-Benz Fashion Week im Berliner E-Werk gastierte, hallten überraschte Jubelrufe durch den historischen Backsteinbau. Der Grund für die ungewöhnlich lebhafte Reaktion des Publikums war ein Kleidungsstück, genauer gesagt ein Sweater. „I’m gay and my parents love me“ war darauf zu lesen – eine Botschaft, die den vielen queeren Modeblogger*innen im Publikum besonders gut gefiel.
Zu sehen war der Sweater auf der Show des Modedesigners Kilian Kerner – und dieses Kleidungsstück war bei weitem nicht das Einzige, was die Mundwinkel der geladenen Gäste nach oben wachsen ließ: Das Publikum feierte neben Kerners neuer Kollektion vor allem die Tatsache, dass der Berliner Designer hier im E-Werk sein Comeback feierte. Nach dem Ende seines Labels im Jahr 2016 mussten die Catwalks der Hauptstadt eine ganze Weile auf sein Talent verzichten, jetzt ist er wieder da.
In ein paar Wochen wird Kilian Kerner 40 Jahre alt. Man könnte also sagen, dass er seinen runden Geburtstag schon mal vorfeiert, indem er sich eine Reise zurück zu seinen Wurzeln schenkt, zur Berliner Fashion Week. Viel wichtiger aber ist zu erwähnen, dass der Modeschöpfer mit seiner neuen Kollektion auch ein neues Verkaufskonzept mitgebracht hat, das so ziemlich mit allen Regeln der Branche bricht: Müssen interessierte Kunden normalerweise mindestens eine Saison warten, bis sie die auf dem Laufsteg gezeigten Stücke auch tatsächlich kaufen können, ist Kerners „watch and buy“-Kollektion bereits jetzt in seinem Onlineshop verfügbar – nur eine Woche nach der Show. „KXXK“ nennt er das Ganze – und die Arbeit daran ist wahrscheinlich nicht nur das größte Geburtstagsgeschenk, das man sich selbst machen kann, sondern auch das anstrengendste.
Umrahmt wird Kilian Kerners Comeback von einem Film, dem er den Titel „Großstadtleben“ gegeben hat. Der Schwarzweiß-Streifen erzählt davon, wie es sich anfühlt, wenn man dem unbändigen Ruf einer Metropole wie Berlin erliegt – mit all ihren Möglichkeiten und Verlockungen, mit all ihren Tücken und Enttäuschungen. Wir haben den Modedesigner im Vorfeld der Dreharbeiten am Set zum Interview getroffen.
Katharina:
Warum ist die Berliner Konkurrenz noch nicht auf die Idee gekommen, so eine progressive „watch and buy“-Systematik zu etablieren?
Kilian:
Als Designer bringt man, wie ich es früher auch gemacht habe, eigentlich jedes Jahr zwei Kollektionen heraus. Das ist viel Arbeit. Diesem Fluss kann man sich auch nur schwer entziehen, weil man von vielen Leuten abhängig ist, die sich diesem Rhythmus angepasst haben: Stoffproduzenten, Presse und so weiter. Da ich ohne die Verantwortung für ein Label keiner Norm mehr hinterherlaufen muss, kann ich dieses Experiment wagen und etwas zeigen, das sofort verkaufbar ist. In den letzten Jahren habe ich vor allem mit Kooperationspartnern gearbeitet und zum Beispiel eine Tennis-Kollektion sowie Business-Handtaschen für Samsonite entworfen. Das Projekt KXXK dagegen sehe ich als Kooperation mit mir selbst.
Katharina:
Du bist seit über 16 Jahren in der Branche und hast viele Aufs und Abs mitgemacht. Wie hat sich die Szene in deinen Augen verändert?
Kilian:
Da ist viel passiert. Es gab Tiefpunkte wie etwa die weltweite Finanzkrise, aber um das Jahr 2012 herum auch einen Boom für deutsche Labels. Auch ich habe damals einen Riesensprung gemacht: 2010 war ich in elf Läden vertreten, knapp zwei Jahre später in über 120 weltweit. Zur aktuellen Lage kann ich wenig sagen, da ich mich in letzter Zeit wenig damit beschäftigt habe.
»Ohne den ganzen Stress und Druck viel netter und freundlicher geworden.«
Katharina:
Wie wirkt sich deine aktuelle Lebensphase auf das Design von KXXK aus?
Kilian:
Die wirkt sich extrem darauf aus! Ich war in den Jahren als Labelchef eine sehr gestresste, sehr angespannte Person. Das hat sich verändert. Ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch.
Katharina:
Ein besserer?
Kilian:
Ja, definitiv. Ich bin ohne den ganzen Stress und Druck viel netter und freundlicher geworden. Und ich empfinde mich als entspannter. Das sieht man auch an der Kollektion, die ist sehr lässig. Vieles ist sehr oversized. Der Stil ist zwar immer noch eher hochgeschlossen, aber die Strenge ist verloren gegangen, was ich sehr gut finde.
Katharina:
Stimmt es, dass du erst vor zwei Monaten auf die Idee kamst, eine Kollektion zu kreiern? Das wäre ja in der Kürze der Zeit ein Mammutprojekt…
Kilian:
Ja, es ist wahr. Ende Oktober hatte ich plötzlich Lust darauf. Ganz spontan rief ich dann meine Managerin und die Kooperationspartner an, die natürlich erst mal sehr erstaunt waren. Für mich ist das ein Geschenk, dass ich mir selbst zu meinem 40. Geburtstag mache. Viele fanden das ein bisschen irre und es war auch ein wilder Ritt, aber für mich geht es damit zurück zum Ursprung: Mode machen, und zwar aus reiner Lust an der Freude.
Katharina:
Welches Stück aus deiner neuen Kollektion macht dich besonders stolz, weil es zum Beispiel besonders vielseitig ist?
Kilian:
Das kann ich jetzt noch nicht sagen, so etwas kristallisiert sich immer erst im Nachhinein heraus. Es sind 34 Looks, also um die 70 Einzelteile, alle in einem schicken, modernen Street Style. Meine ausladenden Roben und die bestickten Kleider sind für diesen Moment erst mal Vergangenheit. Ich hoffe, da war keiner enttäuscht. Es ist keine Showeffekt-Kollektion, sondern eine komplett im Alltag tragbare Kleidung für Menschen, die Mode mögen.
»Wenn man in der heutigen Zeit die Chance bekommt, den Mund aufzumachen, muss man das auch tun.«
Katharina:
Warum hast du dich bemüßigt gefühlt, politische Statements auf deine Hoodies zu drucken?
Kilian:
Weil ich finde: Wenn man in der heutigen Zeit die Chance bekommt, den Mund aufzumachen, muss man das auch tun. Die Statements sind sehr ernst gemeint, haben aber einen selbstironischen Unterton. Der Spruch „Ich bin kein Rassist und dafür muss ich nicht mal schlau sein“ drückt aus, dass es das einfachste Ding der Welt ist, kein Idiot zu sein. Wie kann man einen Menschen hassen, nur weil er nicht aus dem gleichen Land kommt? Ich verstehe das ganze Konzept von Rassismus einfach nicht. In den fünf Kleidungsstücken mit Statement-Druck geht es einfach darum, Menschlichkeit zu zeigen.
Katharina:
Und die vermisst du wann am meisten?
Kilian:
Es fängt schon in der Kindheit an – mit Mobbing. Das habe ich selbst erlebt. Kinder können das Gemeinste auf der Erde sein. Ich war auch Mobbingopfer und finde, dass wir uns selbst und unsere Kinder immer wieder für Menschlichkeit sensibilisieren müssen. Wenn dann eine Frau wie Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Chefin gewählt wird, die die Homo-Ehe mit Inzest verglichen hat, dann finde ich das schlichtweg zum Kotzen. Da will ich nicht schweigen.
Katharina:
Wie kamst du auf die Idee zu deinem neuen Fashionfilm, in dem Gizem Emre aus „Fack ju Göhte“ die Hauptrolle übernommen hat?
Kilian:
Die Kollektion thematisiert das Hauptstadtleben, der Film setzt das in den Kontext zur schwierigen Datingkultur Berlins. Man weiß: Hier gibt es immer Nachschub an potenziellen Partnern. Und als ich Anfang 20 war, habe ich da auch mitgemacht. Aber irgendwann nervt das. Erst nur ein wenig, dann ganz massiv. Hier legt sich einfach niemand fest. Man muss nicht nur mit anderen Anwesenden in einem Club konkurrieren, sondern auch mit der Auswahl auf Tinder, Grindr und Co. Diese Konflikte werden im Film von einer jungen Frau verkörpert, die sich kompromisslos alles nimmt, was sie will – aber dabei eigentlich unglücklich ist.
Katharina:
Du hast im Vorfeld verlauten lassen, dass vor allem die Band Rakede dein neues Design maßgeblich beeinflusst hat. Das wirkte insofern etwas überraschend, da die Deutschpop-Band mit Reggae und Hiphop-Elementen eher nach Kiffen am Baggersee klingt als nach Champagner auf dem Catwalk. Was genau konntest du für dich aus der Musik herausziehen?
Kilian:
Ich habe eh keine Champagner-Kollektion gemacht, deshalb ist das total in Ordnung. Ich mag diese Band schon sehr lange und als ich kürzlich im Flugzeug saß und mal wieder ihre Musik hörte, wurde mir erneut deutlich bewusst: Die halten auch nicht den Mund, sondern sagen, was sie denken. Das hat mich zu den politischen Statements der Kollektion inspiriert. Wenn ich das Lied „Hurensöhnlein Brilliant“ höre, muss ich etwa sofort an Trump und andere denken. Deshalb lief das Lied auch während meiner Show auf der Fashion Week.
»Ich konnte mir erst auch nicht ganz vorstellen, wie Crocs zu meinen Sachen aussehen würden.«
Katharina:
Ebenso ungewöhnlich wie die Musik war die Wahl deines Schuhwerk-Kooperationspartners…
Kilian:
Stimmt. Als die Anfrage kam, konnte ich mir erst auch nicht ganz vorstellen, wie Crocs zu meinen Sachen aussehen würden. Aber ich finde, es passt wie die Faust aufs Auge und gab dem ganzen Look nochmal einen großen Kick. Bei all dem neuen Wind bin ich aber auch dankbar für die Treue meiner langjährigen Kooperationspartner, dem Premium-Wasser Staatl. Fachingen sowie Samsonite, die wirklich immer hinter mir stehen und mit im Boot sitzen. NYX Professional Makeup dagegen ist ein ganz neuer Partner, auf den ich sehr stolz bin.
Katharina:
Viel Persönliches erfährt man von dir in den sozialen Netzwerken nicht, du drückst dich eher durch deine Kunst aus. Was allerdings bekannt ist: Du bist großer Tennis-Fan. Vielleicht kannst du noch das eine oder andere Geheimnis mehr für uns lüften. Wie wohnst du zum Beispiel?
Kilian:
In meiner Freizeit geht tatsächlich viel Zeit für Tennis drauf. Das spiele ich nicht nur selbst, sondern schaue es mir auch an und reise zu Turnieren. Zu meinem Zuhause: Ich wohne in Pankow, in einer Loft-artigen Wohnung mit dicken Steinwänden. Es gibt ein Schlafzimmer und einen sehr großen Hauptraum, der verschiedene Ebenen hat, die man über kleine Stufen erreichen kann. Die Einrichtung ist eher minimalistisch, mit gedeckten Farben. Ich habe viel Kunst an den Wänden, Modefotografien oder ähnliches sind aber nicht dabei. Momentan sieht es allerdings bei mir zuhause aus, weil überall Stoffe und Schnitte herumliegen. So sehr ich die Zeit der Fashion Week auch genieße – ich freue mich, endlich mal aufräumen zu können, wenn das Ganze vorbei ist.
»Als ich noch jung und unschuldig war, kannte ich kein Halten.«
Katharina:
Wie verbringst du einen idealen Tag mit deinem Partner?
Kilian:
Ich habe ja gerade keinen, aber wenn ich einen Freund hätte, dann wäre das vielleicht so: Ich wache zuerst auf und bringe ihm Frühstück ans Bett. Dann würden wir ein bisschen Händchen halten und vielleicht was auf Netflix gucken. Und gegen zwölf Uhr könnten wir dann langsam aufstehen und spazieren gehen. Einfach miteinander Quality Time verbringen. Wenn ich mich jetzt verlieben würde, dann würde ich versuchen, so viel Zeit wie möglich alleine mit dieser Person zu verbringen. Ich würde mich auch freuen, wenn ich meinem Freund die Liebe fürs Tennisspielen näherbringen könnte. Außerdem reise ich gerne. Irland finde ich besonders schön, da bin ich schon mehrfach gewesen, das würde ich ihm zeigen. Ein Clubgänger bin ich allerdings überhaupt nicht mehr – da habe ich mich exzessiv ausgelebt, als ich nach Berlin gezogen bin.
Katharina:
Das hat für ein Leben gereicht…
Kilian:
Das hat für zwei Leben gereicht! Als ich noch jung und unschuldig war, kannte ich kein Halten.
»Als es mit meinem Label vorbei war, war es für meine Freunde teilweise schlimmer als für mich.«
Katharina:
In jeder Karriere läuft es mal besser, mal schlechter: Hast du das Gefühl, von Freunden umgeben zu sein, die dich in jeder Lebenslage unterstützen? Oder wurdest du in der Vergangenheit auch oft von Menschen enttäuscht?
Kilian:
Ohne meine Freunde hätte diese Spontanaktion mit der Kollektion nicht funktioniert. Viele von ihnen arbeiten in verwandten Bereichen, zum Beispiel als Grafiker, Schnittmacher oder Fotografen – die konnte ich sofort einspannen, die sind immer für mich da. Als es damals mit meinem Label vorbei war, war es für meine Freunde teilweise schlimmer als für mich. Dass ihnen das so nah gegangen ist, hat mich sehr berührt. Aber natürlich gibt es auch viele Beziehungen, die unschön auseinander gegangen sind. Wenn du diesen Job 16 Jahre lang machst, dann wird man oft enttäuscht, verarscht und betrogen – und auch ich habe mit Sicherheit einige Leute enttäuscht. Über das Thema könnte ich Bücher schreiben.
Katharina:
Mit welchen Strategien überkommst du solche Rückschläge?
Kilian:
Ich bin schon als Kämpfer auf die Welt gekommen. Als Kind hatte ich mit Asthma zu tun, bin einmal fast erstickt, das war prägend. Ich boxe mich immer durch. Und wenn ich etwas wirklich will, dann räume ich jedes Hindernis zur Seite.
#kiliankerner #kxxk #robinkater #mypmagazine
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Text: Katharina Weiß
Fotografie: Robin Kater
Location: Kleinundpläcking Studios
Maggie Rogers
Interview — Maggie Rogers
21st Century Woman
Two years ago at NYU, then-student Maggie Rogers enchanted Pharrell Williams in front of a camera by presenting her song “Alaska.” The video went viral, and the young musician from Maryland became known around the world. Now she has released her long-awaited debut album “Heard It In A Past Life.”
18. Januar 2019 — MYP N° 24 »Tomorrow« — Interview: Jonas Meyer, Photography: Steven Lüdtke
A drained pool in the backyard of a small house somewhere in a suburb of Los Angeles. The Californian sun shines through the palm trees, the only thing that lights up this lost place. The scenery looks like it’s stuck somewhere in the 70s. A young woman enters the scene, wearing white cowboy boots, red sport shorts, and an oversized white T-shirt. Sitting on a white plastic chair, she starts singing: “If I was who I was before / Then I’d be waiting at your door / But I cannot confess I am the same.” Then, a couple of seconds later, some other young women join her, dancing and skateboarding in the empty pool.
The young woman is Maggie Rogers, and the group of girls are her friends. Together they perform in the music video for her new song “Give A Little” that is part of her debut album Heard It In A Past Life that she just released. The joyful video is inspired by the skateboard culture of the 70s that was born in the rough Dogtown area of Santa Monica, California. The small difference is that at that time, mostly boys could be seen on skateboards. But in this video, no boys can be seen.
Maggie Rogers was introduced to the world by chance when she left Pharrell Williams speechless in early 2016. Back then, Maggie was studying at The Clive Davis Institute of Recorded Music at NYU’s Tisch School of the Arts, where Pharrell Williams hosted a masterclass for music students. A couple of them had the chance to present their projects to the world-famous producer and music artist, who offered constructive criticism to the students. When it was Maggie’s turn, she played her song “Alaska.” With every second listening to it, the smile on Pharrell’s face became brighter and brighter. When the song was over, Pharrell just said “Wow,” followed by a second “Oh wow.”
»In Maryland I had the privilege of growing up really slowly.«
Jonas:
If you could be a teenager again, would you like to grow up again in Easton, Maryland, as you did in the early 2000s? Or would you prefer to grow up in the Dogtown area of Santa Monica in the 1970s—the place that inspired your “Give A Little” video?
Maggie:
I think I loved growing up in Maryland, I don’t know if I would change anything about where I’ve been because it’s brought me where I am. Growing up in Maryland was calm and quiet—in so many ways. When I think about that area in Dogtown in the 70s, those guys grew up very quickly which is why they were so creative and free and why so much came out of it. In Maryland I had the privilege of growing up really slowly. I was an 18-year-old playing cards on a Saturday night—which is crazy! That means that I had way more fun when I went to New York, but I also know how to have fun just by making my own fun. And that’s something I’m really glad I have.
»Creativity comes out of boredom, it’s really important to just have nothing to do.«
Jonas:
Do you think that even today, in the world of 2018, it is possible to grow up so slowly?
Maggie:
It depends. I think you have to be deliberate about it. That was a choice that my family and I all really purposefully made and as I got older, I continued to choose that. Just because I think that creativity comes out of boredom, it’s really important to just have nothing to do—so that you go on to make things to fill this phase. But I think anything is possible today. I mean, people say that there’s so much stimulation and we have a problem with social media, but ultimately, that’s consistently a choice. So choose something else!
Jonas:
Your music video “Give A Little” is very much inspired by Catherine Hardwicke’s movie Lords Of Dogtown from the year 2005. Why is this movie so important to you?
Maggie:
I don’t know. It was just a movie that my friends and I loved watching when we were in high school. I had two best friends, Lucy and Molly, and the three of us would just go skateboarding all the time together. So, I think I just saw myself in it. And there is this really, really raw energy in the sense of a competitive adventure to those guys which I think about a lot when I think about performance. It’s sort of “How can you do that?! Ok, I’m gonna do it!” It’s consistently pushing you out of your comfort zone.
»Every chance to create is a chance to have fun.«
Jonas:
Five days before the release of the clip, you posted on Facebook a screen video that reenacted a group chat with Camila Mendes and Rachel Matthews—two of your “best college pals,” as you called them. It shows how you asked them to contribute to your “Give A Little” clip as protagonists. Why did you—as the one who directed the music video—decide to make a big, funny friends gathering out of it?
Maggie:
It’s a lot of the spirit of the song. It makes me really happy and it makes me want to dance with my friends. The song is about something like skateboard culture and I was connected to these images. But there are often only men in these photos, although there are some insane female skateboarders and although female skateboarding culture is just as powerful. I wanted to recreate these images I was connecting to with images of all women. I generally think that every chance to create is a chance to have fun…
Jonas:
What a sentence!
Maggie:
I mean, there’s so much space for this topic to get serious and very intense. But to be honest, I just really missed my friends. It’s like a dream day: hang out with my best friends doing dances, it’s just like, “Why not?”
Jonas:
Are you very movie-addicted?
Maggie:
No, I’m not—which is interesting because I feel so connected with Lords Of Dogtown. I didn’t grow up with TV or watching films, and I still don’t.
»I want to see more people that don’t look like me—because that’s how our world looks like.«
Jonas:
At the end of the friends chat video on Facebook, you wrote that this would be the “reunion of the century.” When I was reading this, I had to think of a wonderful movie that came to the theaters two years ago: 20th Century Women by Mike Mills. It tells the story of three strong women in Santa Barbara exploring love and life in the late 70s. Considering the fact that you replaced the fictional male actors of the Lords Of Dogtown movie by real female characters in “Give A Little,” is your music video also a homage to strong women? Is it a plea for more women’s power that we urgently need in the 21st century?
Maggie:
I feel women’s power has always been there, we got so much of it already. Feminism is about equality, the #MeToo movement is about validating women’s voices and giving them a space to speak. I think it’s mainly about showcasing, women are doing amazing work—as well as men are doing amazing work.
Jonas:
So it’s important to underline it more.
Maggie:
Exactly! That’s something we all can do on a daily basis, it’s just about making mainstream pop culture. The news, for example, just has to represent what our society actually looks like instead of representing how the people in power look like. That means men, that means women, that means people who don’t identify with a gender, that means people of all kinds of races. Our news and culture are often very homogenized, but I want to see more people that don’t look like me—because that’s how our world looks like.
»When I listen to music, I want to be a part of a culture. I want to listen to creators who stand for something and try to connect to something bigger than themselves.«
Jonas:
Speaking of strong women: in 2018 the record The Miseducation Of Lauryn Hill celebrated its 20th birthday. You thanked Lauryn for this on Facebook with the words: “Dear Ms Hill, thank you for fearlessly welcoming us into your world and inspiring me to share my own. Respect and gratitude, MR.” What was it that Lauryn taught you? And what is it what you want to share with your music?
Maggie:
That record is one I grew up with, it’s something that my mom would play for me in the car. It’s like I would roar in the kitchen, it’s like I would know that my mom was having a really great day if I walked into the house and Lauryn Hill was playing. It’s a really special texture as a kid. Now listening to that record as an adult, Lauryn is so vulnerable in it. What I love about it is the use of sound samples and that she’s really capturing her community and sharing it. It feels like such a beautiful, purposeful and forward depiction of exactly what her life looks like. I think something I’ve really learned from Lauryn Hill is transparency. So much of music is just about being yourself. When I listen to music, I want to be a part of a culture. I want to listen to creators who stand for something and try to connect to something bigger than themselves. What Lauryn inevitably did and what I’m trying to do is just create community: to bring people together and to remind them that we may have more in common then they might think.
Jonas:
Lauryn Hill made a lot of political and societal statements on her record. Is it important to stand up for good to be perceived as a credible artist?
Maggie:
No. I think it’s important to stand up for whatever you stand up for. By the way, “credible artist” is an interesting, redundant term—because just by calling yourself an artist you should be credible. Being an artist is about not having something to prove but just being. And just making from what you are. I don’t think it’s required to make a statement on current events just to be an artist. But if you feel passion about it, speak about it! And that goes for your love life, your friendships or politics. It’s just about really caring about things.
Jonas:
In early 2016 when you were sitting down with Pharrell Williams at NYU and presenting him your song, he said following to you: “I have zero, zero, zero notes for that. And I tell you why: it’s because you’re doing your own thing, it’s singular […] That is such a special quality and all of us possess that ability. But you have to be willing to seek and you have to be really frank in your music and frank in your choices.” Was there a special moment in your life when you learned that real frankness is needed to create your very own style of music?
Maggie:
It’s not something I ever really thought about because…
Jonas:
… you’ve always been frank?
Maggie:
I’ve always been me. And that’s the only thing I’m really good at. (laughs)
Jonas:
Pharrell also said that it wouldn’t happen very often that someone brings something completely new and singular onto the stage—and he mentioned the Wu-Tang Clan as a good example. Do you have a favorite band or artist that embodies this kind of a singularity in the world of music?
Maggie:
I have many! Björk, Alanis Morissette, Kate Bush, Tom Petty, Stevie Nicks, Lauryn Hill, Erykah Badu, Outkast—it goes on and on, they’re all really good. All you have to do is take a look into history. But do I have an artist that does it consistently? I’m just trying to think if there’s someone I’ve been listening to recently who does this… probably David Byrne. I saw him perform at Coachella in 2018 and I had never seen anything like that. Everyone on stage was wearing these oversized suit jackets that had like three to five pockets and looked totally absurd. The gig was set up somewhere between a Broadway play, a marching band, and a rock band. They had like 14 musicians on stage and everyone was standing in a line, even the drummer. It was totally deconstructive—and this is what I love! People like David Byrne continue to constantly challenge themselves. It would have been so easy for him to just go up there, walk up on stage, wearing whatever he was wearing, catch up staying, have a band playing. That would have made everyone happy. But he started the performance alone sitting at a table, holding a plastic human brain in his hand he was talking to. It was amazing! He didn’t have to do that, but he still loves doing these things. He’s still engaged, he’s still creating something new, he’s still thinking about what it means to perform on stage and what it means to bring music to life. He’s very inspiring.
»In a city, it’s really easy to ignore where things are created for you and your lifestyle.«
Jonas:
Speaking of inspiration: Your song “Alaska” is inspired by Alaska’s nature, right?
Maggie:
Kind of…
Jonas:
In your documentary Back In My Body, you’re talking about the experiences you made there. What is it in your heart, in your inner soul that so consistently calls you to pure nature?
Maggie:
It’s less about nature and more about being alone, I think that’s part of that boredom thing. I get pegged a lot as a nature girl—which is fine, I love nature! Nature is important—because it is disappearing. And it reminds you of your vulnerability. In a city, it’s really easy to ignore where things are created for you and your lifestyle. But “Alaska” isn’t about the place itself so much, even though it got that title. It’s about the time of change in my life, it’s about what I’m processing and what I’m thinking about.
»Democracy is this beautiful system that, when everyone is involved, can give the best of humanity.«
Jonas:
We’re facing times when politics and parts of society are questioning or denying the fact of climate change.
Maggie:
Right.
Jonas:
How do you deal with that behavior in society, considering that nature is so important?
Maggie:
Climate change is important for everyone. For me, it’s important because I love nature. But it’s also important because I love my parents. Or my partner. And I want to have kids someday. It’s important because it’s about community and shared spaces. And more than anything, it’s about respect—for the world around us and consideration. I think something that I try to do with my life as well as with my music is being really purposeful about the things I say and do. I try to make decisions based on all factors and to think of the world outside of myself. This is something I think about so much in my country because we’re so divided. There’s so much hate. But realistically, the things that are dividing us are really anti-partisan issues. Gun violence, for example, is a human issue, it’s not something that only Democrats or Republicans deal with. It’s something that affects everyone. In my opinion, politics work so much for us when we’re involved in them. Democracy is this beautiful system that, when everyone is involved, can give the best of humanity. But it’s not really doing that right now, everything is changing.
Jonas:
But there’s still hope! Just look at people like Emma González, David Hogg or Cameron Kasky: a few teenagers that stood up against the NRA when they started a nationwide anti-gun movement after 2018’s high school shooting in Parkland, Florida.
Maggie:
Oh yes, that’s very inspiring! And that’s what “Give A Little” is about. The song was written on the day of the National School Walkout against gun violence. On the one hand, “Give A Little” is as much about my life. I wanted to reintroduce myself to my fans like I wrote it, I wanted to start my show in terms of “Alright, we’re starting over! Forget your ever-new me! Let’s just be present!” But on the other hand, it’s also a protest song in the style of Al Green. That’s something I love so much about his music: you don’t need to know that those songs are protest songs to enjoy them, but if you put them in context, maybe they have a new meaning and that feels really true to me.
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Interview: Jonas Meyer
OSVKV und XPYRVMND – Cowboys
Editorial — OSVKV und XPYRVMND
Cowboys
Nis Alps war mit den Rappern OSVKV und XPYRVMND im Hamburger Umland unterwegs und hat sie dort aufs Pferd gesetzt. Ein Editorial über zwei Cowboys aus dem deutschen Hiphop-Untergrund.
12. Januar 2019 — MYP N° 24 »Morgen« — Fotografie: Nis Alps
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Artists Of The Future (2) – Strip Down
Interview — Artists Of The Future (2)
Strip Down
The Future is non-binary: Electro-Synthpop artist Strip Down talks about coming out as trans—and about the most special duet of their life.
7. Januar 2019 — MYP N° 24 »Tomorrow« — Interview: Katharina Weiß, Photography: Lea Bräuer
Part 2 of our »Artists Of The Future« series:
Strip Down
When activism meets art: To female, trans and non-binary artists, the chances of making a career in show business can resemble that of a particularly nasty dice game. DICE Conference + Festival wants to shift the power structures in the entertainment industry, which is why during the three days of DICE, cis-male artists stay in the audience. MYP met some of the international artists performing at DICE in Arkaoda, Berlin-Neukölln.
We present Berlin-based composer Elie Gregory who identifies as non-binary. Under the moniker Strip Down, they produce Electro-Synthpop for the urban club culture.
Katharina:
In your opinion, how are the two terms “being an artist” and “being an activist” related?
Elie:
For me as a musician and also being active on the feminist scene for electronic music and digital arts, they’re quite related. This has also developed a new meaning since transitioning because now, I only play at feminist or queer festivals and events.
Katharina:
How has a certain struggle over identity shaped your path?
Elie:
I began Strip Down before transition, still presenting as female and actually stopped the project when I came out as trans, mostly because I wasn’t sure if I would be able to continue singing after the changes to my voice—which used to be a soprano. I’ve now actually used these changes in my voice to produce a special debut album.
»It sounds like two different people singing together, but actually it’s one person.«
Katharina:
We could read about “Remakings”, that it is supposed to combine your past and your present voices. How can we imagine that?
Elie:
Most of the songs use old recordings of my voice combined with recent recordings of my voice since transitioning, often an octave lower. The result is quite interesting because it sounds like two different people singing together, but actually it’s one person – with exactly the same accent and intonation.
Katharina:
Complete the sentences: I hate being labeled as…
Elie:
… any gender that I don’t identify with. As a trans person and also identifying as non-binary, being misgendered is something that happens every day.
Katharina:
On the contrary, I would wish to be appreciated for my…
Elie:
… honesty.
Katharina:
You play shows during the nights. What do you do during your days?
Elie:
Something a lot of people don’t know about me: Every week I teach music to about 100 very small children. I often show them my music videos and they always really enjoy it.
»I don’t have to explain myself to children in the way that I have to explain myself to an adult.«
Katharina:
Do you have to explain your non-binary identity to those children?
Elie:
That different gender identities are an issue that that needs to be discussed or categorized is a concept created by adults. We are not born with these ideas of a gender binary or heterosexuality. It is something we learn. I don’t have to explain myself to children in the way that I have to explain myself to an adult.
#stripdownmusic #diceberlin #mypmagazine
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More about DICE Conference + Festival:
Interview & Text: Katharina Weiß
Artists Of The Future (1) – Hoe__mies
Interview — Artists Of The Future (1)
Hoe__mies
Gizem Adiyaman und Lucia Luciano schmeißen fantastische Hip-Hop-Partys, bei denen vor allem Frauen, die queere Community und People of Color eine Plattform erhalten. Wir haben das Duo zum Interview getroffen.
30. Dezember 2018 — MYP N° 24 »Morgen« — Interview: Katharina Weiß, Fotografie: Lea Bräuer
Teil 1 der Serie »Artists Of The Future«:
Hoe__mies
Teil 1 der Serie
»Artists Of The Future«:
Hoe__mies
Wenn Aktivismus auf Kunst trifft: Für weibliche, trans- und nicht-binäre Künstler*innen kann die Chance, im Showgeschäft Karriere zu machen, wie ein besonders trickreiches Würfelspiel erscheinen. Das DICE Conference + Festival will die Machtstrukturen in der Unterhaltungsindustrie verschieben. Deshalb müssen männliche Künstler während der drei DICE-Tage im Publikum bleiben. MYP traf sich mit einigen internationalen Künstler*innen im Club Arkaoda in Berlin-Neukölln.
Zum Auftakt unserer fünfteiligen Serie präsentieren wir euch das Berliner Hip-Hop-Kollektiv Hoe__mies. Gizem Adiyaman und Lucia Luciano leisteten Pionierarbeit und installierten innerhalb der Hauptstadt-Szene das erste Hip-Hop-Partyevent für vorrangig weibliche Künstler*innen of Color.
»Ich gehöre Minderheiten an, denen ich durch meine Arbeit zu mehr Sichtbarkeit verhelfen will.«
Katharina:
In welcher Beziehung stehen die Begriffe „Künstler*in“ und „Aktivist*in“?
Lucia:
Beide eint das Verlangen, sich auszudrücken, um auf bestimmte Umstände und Realitäten aufmerksam zu machen. In meinem Fall heißt das: Ich bin schwarz und eine Frau, damit gehöre ich Minderheiten an, denen ich durch meine Arbeit zu mehr Sichtbarkeit verhelfen will.
Gizem:
Ich komme ursprünglich aus dem Aktivismus und habe mich erst später der Musik zugewandt. Die Kunst, die mich interessiert, ist immer subversiv oder systemkritisch. Da im Hip-Hop besonders oft marginalisierte Geschichten erzählt werden, arbeiten wir daran, diese Stimmen zu amplifizieren.
»Wir leben nun mal in einer sexistischen, rassistischen Gesellschaft.«
Katharina:
Hip-Hop und verbale Grenzüberschreitungen, etwa in die sexistische Richtung, gehen oft Hand in Hand. Welche Gedanken macht ihr euch über dieses Thema?
Lucia:
Hip-Hop ist ein gesellschaftliches Produkt. Und wir leben nun mal in einer sexistischen, rassistischen Gesellschaft. Diese Realitäten werden auch von manchen Künstler*innen aufgenommen und reproduziert. Oftmals auch, weil eine kapitalistische Kaufkraft dahintersteht, die die Objektifizierung von Frauen unterstützt.
Gizem:
Das kritisieren wir auch – und zeigen stattdessen alternative Künstler*innen auf, die auch mit viel Erfolg im Hip-Hop stattfinden, ohne sich an Klischees abarbeiten zu müssen.
Lucia:
Trotzdem haben wir auch unsere problematic favourites, auch guilty pleasure songs genannt: Das sind Songs, die inhaltlich zwar problematisch sind, aber die einem trotzdem gefallen.
»Wir versuchen bewusst, niemanden auszugrenzen, dem der Zugang zu akademischen Diskursen fehlt.«
Katharina:
Wie hat ein gewisser Kampf um Identität euren Lebensweg geprägt?
Lucia:
Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Je mehr wir lernen, desto stärker wird der Wunsch, etwas zu verändern.
Gizem:
Ich habe auch durch mein Studium ein erweitertes Bewusstsein dafür entwickelt, wie sehr das Thema Identität meinen Alltag prägt. Die spannende Erfahrung: Sobald du ein Vokabular für diese Probleme kennst und Wörter hast, um genau die Dinge zu benennen, die schief laufen, fällt es einem einfacher, deren Komplexität zu durchdringen.
Lucia:
Auf der anderen Seite versuchen wir auch bewusst, niemanden auszugrenzen, dem der Zugang zu akademischen Diskursen fehlt. Die Musik kann da auch Brücken bauen.
»Ich bin so viel mehr als nur Türkin.«
Katharina:
Vervollständigt den Satz: Ich hasse es, als … gelabelt zu werden?
Lucia:
… als „süßes Girl“. Ich werde lieber als rauer wahrgenommen.
Gizem:
Schwierig. Erst hat es mich zum Beispiel geärgert, dass ich ungefragt als Türkin bezeichnet wurde. So würde ich mich nicht präsentieren, ich sehe mich als Berlinerin. Klar, meine Eltern stammen aus der Türkei und das ist Teil meiner Wurzeln – aber korrekt ist es nicht. Ich bin so viel mehr als nur Türkin.
»Oft denken sich Veranstalter: ›Die laden wir ein, das sind zwei süße Mädels, die kann man super vermarkten.‹«
Katharina:
Ich würde stattdessen gerne für … gewertschätzt werden?
Lucia:
… für die Community, die wir mittlerweile aufgebaut haben. Und dafür, dass wir uns trauen – auch wenn nicht immer alles perfekt läuft. Wir versuchen es wenigstens.
Gizem:
Oft denken sich Veranstalter: „Die laden wir ein, das sind zwei süße Mädels, die kann man super vermarkten.“ Ich würde mir aber wünschen, dass sich Menschen mehr mit den Inhalten beschäftigen, die wir vorantreiben. Wir laden zum Beispiel jede Woche eine neue Playlist auf Spotify hoch. Der Fokus liegt dabei auf Frauen, queren Künstler*innen und POC-Produzenten, die mehr Aufmerksamkeit verdient haben.
Katharina:
Wann können wir euch zum wieder mal live sehen?
Gizem:
An Silvester laden wir unsere Freunde und alle Interessierten zur Party in der Arena ein. Die Details geben wir rechtzeitig auf unseren Social-Media-Kanälen bekannt.
#hoe__mies #diceberlin #mypmagazine
Mehr von und über Hoe__mies:
facebook.com/hoemiesberlin
instagram.com/hoe__mies
soundcloud.com/hoemies
Mehr von und über DICE Conference + Festival:
Interview & Text: Katharina Weiß
Fotografie: Lea Bräuer
Sean Chancela Mongoza
Editorial — Sean Chancela Mongoza
Vortex Of Emotions
Tel Aviv-based actor Sean Mongoza can't keep still. To him, his own change is key to tomorrow. Sasha Prilutsky and Moran Moradi met him to capture some moments with the camera.
27. Dezember 2018 — MYP N° 24 »Tomorrow« — Text: Sean Chancela Mongoza, Creative Direction & Photography: Sasha Prilutsky (DVISION), Video: Moran Moradi (DVISION), Music: Mr. Bungle
Tomorrow is all I have. Tomorrow is what led me when we left Congo.
Tomorrow is what gave me faith to run away from home when I was 6.
I don’t know what’s behind this door.
My tomorrow is a mystery to me.
For me, thinking about tomorrow is a vortex of emotions.
It’s both happiness and sadness, stress and giving hope.
Tomorrow is the summary of all the outcomes of energy I spend in here and now in being alive.
My tomorrow doesn’t scare me. I know it’s gonna bring me beautiful things.
My change is key to my tomorrow.
#seanmongoza #tomorrow #dvisionstudio #mypmagazine
More about Sean Chancela Mongoza:
Photography and creative direction by Sasha Prilutsky:
dvisionstudio.com
facebook.com/dvisionstudio
instagram.com/dvisionstudio
instagram.com/dvisionpeople
instagram.com/seemyfeelings
Video by Moran Moradi for DVISION:
facebook.com/moranm5
instagram.com/mmframez
vimeo.com/user27836157
Music by Mr. Bungle:
Philipp Christopher
Interview — Philipp Christopher
Gefangen in der Zukunft
Überlebenskampf im All: Philipp Christopher brilliert in der internationalen YouTube-Produktion »Origin« in der Rolle eines gequälten Außenseiters und impulsiven Fieslings. Mit uns geht die Reise zurück zu den Anfängen des Schauspielers: in eine Bar.
20. Dezember 2018 — MYP N° 24 »Morgen« — Interview: Katharina Weiß, Fotos: Steven Lüdtke
Haben wir bald einen neuen deutschen Star in Hollywood? Für Philipp Christopher stehen die Chancen auf jeden Fall nicht schlecht. Der Schauspieler bekam eine Hauptrolle in der „YouTube Premium“-Produktion “Origin“ und konnte an der Seite von „Harry Potter“-Ikone Tom Felton und „Game of Thrones“-Darstellerin Natalia Tena zeigen, warum sich 13 Jahre New York samt einer „Method Acting“-Ausbildung an der „School of Visual Arts“ ausgezahlt haben. Der gebürtige Berliner spricht akzentfrei Englisch, sein Spiel steht dem der internationalen Kollegen in nichts nach. Im Gegenteil: In „Origin“ hat der 38-Jährige mit der Figur Baum Arndt eine Rolle übernommen, die dem Zuschauer sofort ins Auge sticht. Halb als gequälter Außenseiter, halb als impulsiver Fiesling manövriert er sich durch die ersten Episoden – und wächst einem dabei erst nach und nach ans Herz.
Philipp Christopher selbst hingegen braucht keinen Anlauf, um mit Situationen warm zu werden. Wir treffen den gebürtigen Berliner in der Vesper Bar. Die einzige Cocktailbar direkt auf dem Kurfürstendamm bietet Bartender-Kultur in elegantem Ambiente. Dort verbreitet der Gentleman mit seiner schicken Fliege und den markanten Wangenknochen ein prickelndes James-Bond-Feeling. Genau wie der berühmte Geheimagent genießt auch Philipp Christopher seinen Feierabend am liebsten mit einem Grey Goose Martini. Dass er sich mit Drinks auskennt, beweist er auch gerne mal hinter dem Tresen. Und so dauert es nicht lange, bis er auch hier in der „Vesper Bar“ plötzlich einen Cocktail-Mixer in der Hand hält.
Während des Schauspielstudiums in New York arbeitete Philipp Christopher als Barkeeper. Vor kurzem landete er wieder in dem Hotel, das ihn damals angeheuert hatte. Doch dieses Mal war er nicht zum Shaken da, sondern zur Vorstellung seiner neuen Serie. In „Origin“ befindet sich eine Gruppe Fremder auf dem Weg zu einem fremden Planeten. Doch mitten auf der Reise geht etwas schief und das Transportschiff wird zum dystopischen Dschungel, auf dem das Überleben eine Herausforderung ist.
»Mir ist wichtig, dass ich schnell den Überblick gewinne.«
Katharina:
Überwiegen Angst oder Faszination, wenn du an die Möglichkeit denkst, fünf Lichtjahre von der Erde entfernt eine Kolonie zu gründen?
Philipp:
Angst. Der Mensch hat das ja noch nie gemacht und wir wissen überhaupt nichts darüber. Alles wäre neu. Zuerst würde ich vermutlich ein Gefühl der Furcht empfinden – die Faszination kommt danach.
Katharina:
Diese Serie ist eine Art „Big Brother“ im Weltraum. Welche soziale Rolle würdest du einnehmen, wenn dir das gleiche Schicksal wie deinen Protagonisten widerfahren würde? Gehörst du zu den Neugierigen oder zu den Sicherheitsbedürftigen?
Philipp:
Erst mal zurücklehnen und die anderen beobachten (lacht). Meine Figur wirkt zwar in der ersten Folge recht führungsstark, er reagiert aber eher aus Furcht und Frustration. Später übernehmen andere Charaktere die Führungsrolle. Aber ich persönlich? Ich nehme im echten Leben schon mal das Zepter in die Hand. Ich fühle mich ungerne ohnmächtig und versuche immer zu verstehen, was abgeht. Mir ist wichtig, dass ich schnell den Überblick gewinne.
»Es ist spannend zu sehen, was Menschen mit dieser nahen Zukunft anstellen, die noch meine Gegenwart kannten.«
Katharina:
Welche Science-Fiction-Motive inspirieren dich am meisten?
Philipp:
Ich finde Welten, die in völlig entfernter Zukunft spielen, weniger interessant als Stoffe, in denen unsere Welt in ein paar Jahrzehnten entworfen wird – wie zum Beispiel in „Blade Runner“. Es ist spannend zu sehen, was Menschen mit dieser nahen Zukunft anstellen, die noch meine Gegenwart kannten.
Katharina:
Welche Gadgets, mit denen die Menschen in „Origin“ ihren Alltag bestreiten, würden dich reizen?
Philipp:
Es gibt ja jetzt schon VR-Brillen, aber in „Origin“ ist die Technik vollkommen ausgereift und man kann durch andere Welten reisen, sich darin bewegen und mit dieser virtuellen Realität interagieren. Und mit Space Ships zu reisen – also als normaler Mensch im Weltraum wirklich fliegen zu können – hat natürlich auch seinen Reiz.
Katharina:
Die in der Serie gezeigte Extremsituation lässt Raum für viele philosophische Gedankenspiele. Eine Frage, die man sich da stellen kann: Wie oft schafft man es, problematische Tatsachen durch positives Denken zu ändern?
Philipp:
Oft. Ich bin ein positiv denkender Mensch und versuche, aus allen Situationen einen Gewinn herauszukitzeln.
Katharina:
Wie viele Menschenleben müssten gerettet werden können, damit du bereit wärst, dein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen?
Philipp:
Das kommt vermutlich auf den Menschen an. Wenn es mein Sohn wäre, dann ganz klar: ein Leben. Krasse Frage! Wahnsinnig schwer zu sagen…
»Ganz besonders interessant ist es, wenn sich das Böse versteckt hält.«
Katharina:
Wann macht das Böse am meisten Spaß?
Philipp:
Immer. Aber ganz besonders interessant ist es, wenn es sich versteckt hält. Kein direktes „Ich bin das Böse!“, sondern ein Agieren aus dem Hintergrund, das sich erst nach langem Lauern zeigt.
Katharina:
Was ist die wahre Stärke: Macht über die Maschine oder Macht über den Menschen?
Philipp:
Macht über den Menschen!
Katharina:
In jeder Episode enthüllt die Serie die Vorgeschichte eines „Origin“-Charakters. Du spielst einen Hochstapler namens Baum Arndt, der sich irgendwann in einem Spiel wiederfindet, dass er nicht austricksen kann. Wann erfährt man mehr über dich?
Philipp:
Auf dem Schiff lernt man ihn zunächst als Außenseiter kennen, der gelegentlich fiese Kommentare einstreut. Die Hintergrundgeschichte in der sechsten Episode zeigt eine ganz andere Facette meiner Rolle. Hier wird erklärt, wieso Baum so ist wie er ist, und man bekommt seine emotionale Seite zu sehen.
Katharina:
Wie hoch schätzt du seine Überlebenschancen ein?
Philipp:
Hoch. Er wird sich so durchschlängeln.
»Wir haben die Einsamkeit schnell bekämpft.«
Katharina:
Nimm uns mal mit hinter die Kulissen: Wie war es, sechs Monate lang in Südafrika zu drehen?
Philipp:
Wir haben in den riesigen „Cape Town Filmstudios“ gedreht und ansonsten viele abgefahrene Locations in Kapstadt und Umgebung ausgesucht. Ein verlassenes Hotel direkt am Strand ist zum Beispiel dabei. In der Zeit haben wir uns alle ganz gut kennengelernt. Ich selbst hatte auch meine Frau und meinen dreijährigen Sohn dabei, der dort in eine englische Montessori-Kita ging. Deshalb hatte ich es wahrscheinlich etwas leichter als andere Kollegen, die sich alleine einfinden mussten. Wir Schauspieler und das gesamte Team haben aber viel miteinander unternommen – und so haben wir die Einsamkeit schnell bekämpft.
Katharina:
Welche soziale Rolle hast du am Set eingenommen?
Philipp:
Hm, vielleicht ein kleines bisschen den Klassenclown.
Katharina:
Wie kann man sich eure Freizeitaktivitäten so vorstellen? Bartouren mit Tom Felton und Safaris mit der ganzen Crew?
Philipp:
Mit meiner Familie habe ich eine Safari unternommen, mit Tom und weiteren Kollegen habe ich zum Beispiel einen Reitausflug am Strand gemacht. Da habe ich einen immensen Respekt vor dem Reiten bekommen. Ich habe lange nicht mehr so viel Schiss gehabt! Das Pferd fing irgendwann an zu galoppieren – ich sah mich schon stürzen und gelähmt wieder aufwachen. Wegen der laufenden Dreharbeiten durften wir keine gefährlichen Freizeitaktivitäten wie etwa Fallschirmspringen unternehmen. Es wäre einfach zu riskant gewesen, wenn sich da jemand verletzt hätte und so die ganze Produktion durcheinandergeraten wäre. Aber ganz im Ernst: Gegen diese Reiterfahrung wäre ein Sprung aus dem Flugzeug vielleicht fast entspannt gewesen.
Katharina:
Was habt ihr von dem Leben außerhalb der Arbeitsblase mitbekommen?
Philipp:
Über Bekannte bin ich zu einem Projekt namens „KidsPot“ herangeführt worden, bei dem ein Ehepaar in einem der sozial schwachen Townships einen Kindergarten organisiert. Dieser Kindergarten soll arbeitende oder arbeitssuchende Eltern entlasten, die sich sonst keine Betreuung leisten können. Davon habe ich auch all meinen Kollegen erzählt, denn wie die Menschen in den ärmeren Nachbarschaften leben müssen – das ist schon heftig! Das hat sich eingebrannt. Daher werde ich dieses Projekt auch weiterhin unterstützen. Außerdem ist es toll zu sehen, wenn Spenden direkt ankommen – und am nächsten Tag zum Beispiel eine neue Schaukel auf dem Spielplatz steht.
#philippchristopher #youtube #originseries #mypmagazine
Mehr von und über Philipp Christopher:
imdb.me/philippchristopher
facebook.com/philippchristopher
instagram.com/philipp.christopher
instagram.com/origin_series
Text: Katharina Weiß
Fotografie: Steven Lüdtke
David Schermann
Editorial — David Schermann
Insomnia
In Hongkong haben Fotograf David Schermann und Sozialpsyschologin Katharina Dinhof Menschen in ihren Schlafzimmern besucht und mit ihnen Nachtspaziergänge unternommen. Dabei haben sie sie zu ihrer Schlafqualität und ihren Erfahrungen mit Lichtverschmutzung befragt.
14. Dezember 2018 — MYP N° 24 »Morgen« — Fotografie: David Schermann, Interviews: Katharina Dinhof
»Am Anfang dachte ich mir, dass mich die Lichter in Hong Kong nicht beeinträchtigen. Ich schlafe immer mit zugezogenen Vorhängen. Aber gestern vergaß ich, sie zu schließen. Plötzlich drehte mein Nachbar sein Licht auf und weckte mich dadurch auf. Im Allgemeinen hat man in Hongkong überhaupt keine Privatsphäre. Die Häuser sind so dicht aneinander gebaut, dass man jeden Schritt seines Nachbarn verfolgen kann. Aber auf der anderen Seite herrscht hier auch eine große Anonymität.«
— Ozzy
»Es scheint mir, als würden die Menschen in Hongkong bunte Neonlichter lieben. Geschäfte, Cafés und große Neonschilder überfluten die Straßen Hongkongs, besonders in den Gegenden wie Mong Kok. Die Beleuchtungen sind so hell, als wäre es Tag. Selbst der Himmel ist nie richtig dunkel in der Nacht. Dadurch leiden viele Menschen unter Schlafproblemen, das Gleiche galt für mich, als ich als Austauschstudent für ein halbes Jahr dort gelebt habe. Im Gegensatz zu Cafés in Europa, in denen man oft im Trüben, romantischen Kerzenlicht sitzt, sind die Cafés in Hongkong oft mit roten, blauen oder lila Lichtern angestrahlt. Geschäfte versuchen, mit bunten, hellen Beleuchtungen mehr Kunden anzulocken. Auf Dauer schädigt die anhaltende und intensive Beleuchtung die Sehkraft der Menschen. Das größte Problem war für mich persönlich das Einschlafen. Man hat Hongkong den Namen ›Stadt, die nie schläft‹ gegeben. Außerdem verpassen die Menschen durch die schlimme Lichtverschmutzung den schönen Sternenhimmel, was ich ja sehr schade finde.«
— Lulu
»Ich habe den Eindruck, dass sich viele nicht über den Schaden bewusst sind, den das Licht anrichtet. Menschen, die in Gegenden leben, in denen keine exzessive Lichtverschmutzung auftritt, werden die Neonlichter eher schön finden. Die zahlreichen Neonreklamen Hongkongs werden wohl als wichtiges Merkmal der Stadt gesehen. (…) Wenn ich Einschlafprobleme habe, dann meistens aus persönlichen Gründen, weil ich mir Sorgen über die Zukunft und meinen jetzigen Job mache.«
— Jessica
„Ich musste mein Wohnheim verlassen, da der benachbarte Fußballplatz mit seinen
Flutlichtern direkt in mein Zimmer schien. Trotz zugezogener Vorhänge war es immer noch störend hell.“
— Kathy
#davidschermann #insomnia #hongkong #mypmagazine
Mehr von und über David Schermann:
davidschermann.com
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Mehr von und über Katharina Dinhof, MSc:
Fynn Kliemann
Portrait — Fynn Kliemann
Konservierte Kindheit
Fynn Kliemann führt uns durch die Rumpelkammer seines Do-it-yourself-Domizils „Kliemannsland“ und zeigt uns, warum es zu Hause einfach am schönsten ist.
8. Dezember 2018 — MYP N° 24 »Morgen« — Text: Katharina Weiß, Fotos: Steven Lüdtke
Fynn Kliemann ist einer, der sich gegen das Erwachsenwerden wehrt. Nichts Besonderes, könnte man meinen, vor allem nicht bei einem jungen Mann in seinen späten Zwanzigern. Doch bei Fynn Kliemann ist das etwas anders – denn die halbe Nation schaut ihm dabei zu. Mit wenig Trotz und viel Virtuosität lässt er uns auf YouTube von jenen Kindheitstagen träumen, an denen wir mit uns in Papas Garagenwerkstatt die Hände zusammenleimen durften. Oder an denen wir mit anderen kleinen Helden zu langen Eroberungstouren aufbrachen, die uns durch unsere Kindheit führten, querfeldein durch das moosbewachsene Hinterland der Republik. Bei manchen von uns liegt das vielleicht im Allgäu, bei anderen vielleicht im Sauerland. Oder eben, wie im Falle Kliemann, in der norddeutschen Provinz.
Die eierlegende Wollmilchsau – der gelernte Webdesigner ist Agenturchef, YouTube-Heimwerker, Autor und neuerdings ziemlich guter Musiker – hat hier inmitten seiner Heimatlandschaft ein Do-it-yourself-Domizil errichtet: Das „Kliemannsland“ liegt in einem Kaff namens Rüspel. Nach Bremen sind es 50 Kilometer, nach Hamburg 70. Heute empfängt uns der Hausherr bei schönstem Schmuddelwetter: Kein Flecken Blau am Himmel, dafür perlen die Tropfen schön vom goldenen Herbstlaub herab, das den braunen Boden vor den Backsteingebäuden des Hofs verdeckt.
Spaß am Dreck gehört zum Prinzip der Landliebe.
Kliemann hat neue Schuhe an, rot-weiß-karierte Vans, die nach dem Shooting im Matsch auch ordentlich Braun in ihrer Farbpalette haben. Aber ihn scheint das nicht zu stören. Spaß am Dreck gehört zum Prinzip der Landliebe. Sein Kliemannsland, ein mehr als drei Hektar umfassendes Gelände, dient seit dem Frühjahr 2016 als Spielwiese für Selbermacher: Wessen Idee von Fynn Kliemann und seinem Team abgenommen wurde, der kann die alten Scheunen und Ställe als Tüftelhütte, Atelier oder Drehort nutzen. Immer mit dabei: der Digitalkanal „Funk“, der das Treiben hier im Auftrag des NDR mit der Kamera einfängt.
Der Wahnsinn hält sich in Grenzen – das empfinden seine Fans als überraschend angenehm.
Wer Teil des Ganzen werden möchte, betätigt den „Fynnder“ auf der Kliemannsland-Website. Hier kann man sich als Helfer bewerben und eigene Vorschläge einreichen. Wer jedoch denkt, dass es Aussteiger und Aktivisten sind, die hier ihren Sehnsuchtsort gefunden haben, der irrt sich – nach Promiskuität und Hedonismus wird hier vergebens gesucht. Im Kliemannsland packen Graphikdesigner aus Köln-Rodenkirchen, Fitnesstrainer aus Hamburg-Eimsbüttel oder zahntechnische Assistenten aus Berlin-Neukölln mit an. Wer nach den Allerqueersten, den Vegansten oder Durchgekanlltesten sucht, für den hätte das Kliemannsland einen enttäuschenden Beigeschmack der Mittelmäßigkeit. Auch mit routinierten Gruppenorgien und Drogenexzessen kann Kliemann wenig anfangen: „Wir sind keine komische Hippie-Kommune.“ Der Wahnsinn hält sich in Grenzen – und das empfinden seine Fans als überraschend angenehm.
Was könnte man nicht alles schreiben, um in diesen Gutshof generationenspezifische Seelennöte hineinzuinterpretieren: Ein Märchenland für Millenials, ein Schutzgebiet der Smartphone-Jünger, denen jeden Tag aus einem anderen Grund die neu erwachte Spießigkeit nachgesagt wird: Es wird nicht mehr gesoffen und ordentlich randaliert, stattdessen wollen wir alle nur mit Avocados gefüttert werden und in unserer Instagram-Story das Ergebnis des letzten Yoga-Workshops festhalten. Wir lieben unsere Funktionsjacken und unsere langjährigen Lebenspartner, mit denen wir eher in den Schwarzwald als nach Sri Lanka fahren.
»Mann, wäre ich jetzt gerne zu Hause, da hätte ich was zu tun.«
Doch was soll all die Ironie, wenn man auch mal zugeben kann: Kuscheln ist toll, das Resultat eigener Hände Arbeit macht wahrhaftig stolz, ein Lagerfeuer wärmt am innigsten – und zu Hause ist es einfach am schönsten. Wenn Kliemann in der Stadt auf Events ist, denkt er sich oft: „Mann, wäre ich jetzt gerne zu Hause, da hätte ich was zu tun.“ Und seine Vorstellung von Glück findet viele Anhänger, die in ihm endlich ein Aushängeschild gefunden haben. Ein paar von ihnen arbeiten mittlerweile für die Marke Kliemannsland, sie sind dafür aufs Dorf gezogen. Rüspel und die ganze Zevener Umgebung profitieren von den neuen Bewohnern und den vielen Besuchern. Auch die FAZ bewundert das und schreibt: „Etwas pathetisch könnte man sagen: Fynn Kliemann holt die jungen Menschen, die es seit Jahren in die Metropolen zieht, zurück aufs Land.“
Fynn Kliemann hat das »Niemals-aus-dem-Dorf-gekommen-Sein« zum Lifestyle-Ziel erklärt.
So hat er einfach mal so im Alleingang ein Konzept zur erfolgreichen Bekämpfung der Landflucht aufgestellt. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht und das „Niemals-aus-dem-Dorf-gekommen-Sein“ zum Lifestyle-Ziel erklärt. Absehbar war das lange nicht: „Hier zu leben war damals eher eine ‚Aus-Versehen-Entscheidung‘ – ich bin nicht rausgekommen. Früher fand ich das sehr doof. Ich wollte ja auch unbedingt weg. Es war immer der ganz feste Plan, hier abzuhauen“, erzählt Kliemann, der nach dem Abitur eine Ausbildung zum Webdesigner in Bremen anfing und sich noch in den ersten Ausbildungsmonaten selbstständig machte. Die Umzugsfinanzierung wurde immer weiter verschoben, er pendelte.
Dass Kliemann abseits davon sein Schicksal von Anfang an selbst in die Hand nahm, wird auch durch eine kleine Schummelei in seinem Lebenslauf deutlich: Auf Wikipedia stehen zwei verschiedene Geburtsjahre zur Option, 1990 und 1988. Der Grund? „Ich habe die ersten Jobs mit 18 gemacht. Und wenn du zu einem Konzern hingehst, der viel Geld hat, dann geben die das ungern jemandem, der die Cap schrägt trägt, dort mit kaputten Skateboard-Schuhen reinläuft, augenscheinlich überhaupt kein Geld hat und zudem noch keine zwanzig ist“, erklärt Kliemann, warum er sich für kurze Zeit zwei Jahre älter machte. Auch sonst nimmt er es mit genauen Jahresdaten nicht so ernst, die kann er sich einfach nicht gut merken. „Die Mutter meiner Freundin weiß zu jedem Ereignis immer das Datum, die müsst ihr fragen, ich selbst weiß gar nix“, scherzt er. Mit seiner Partnerin Franzi ist Kliemann zusammen, seitdem er 15 Jahre alt ist.
»Wo ich schlafe und was ich esse, ist mir egal. Geld brauchst du nur, um Ideen zu realisieren.«
Wer die vielen Karrierestationen des heute 28-Jährigen betrachtet, fragt sich schnell: Wurde er mit der goldenen Spiegelreflexkamera in der Hand geboren? Gehören seine Eltern zum deutschen Kreativadel? Aber nein. Zu markigen Sätzen wie „Bei Geld fühle ich absolut gar nichts!“ kam Kliemann nicht, weil dieses immer im Überfluss vorhanden war. „Reichtum hat keine Rolle in unserer Erziehung gespielt“, sagt der älteste von drei Brüdern. „Wir waren Mittelschicht, aber unterste. Es ging immer so, aber viel war nie da.“ Er betont, dass er keine Leidensgeschichte zu erzählen hätte, weil ihm und seinem Umfeld das immer ziemlich egal gewesen sei. Fehlendes Kapital wurde erst dann zum Störfaktor, wenn ihm das Werkzeug fehlte, um Dinge umzusetzen, und er sich keine Kamera leisten konnte, um ein Video zu drehen, oder eine Gitarre fehlte, um Musik zu machen. „Wo ich schlafe und was ich esse, ist mir egal. Geld brauchst du nur, um Ideen zu realisieren. Wenn es deshalb scheitert, dann nervt das so kolossal, dass ich irgendwann angefangen habe, so viel zu arbeiten und mich so vorzubereiten, dass es diese Einschränkungen nicht mehr gibt.“
»Du musst lernen, wie du denen deine Ideen so verkaufst, dass sie diese genauso gut finden wie du.«
Auf der Metaebene hat Kliemann hier ein Morgenland neuer Arbeitsweisen erschaffen, das die Kreativität befreien soll. Für seine vielen Geistesblitze war ein einziger Job nie genug. Schnell merkte er: „Ich brauche vier, damit ich das machen kann.“ Was übrig blieb, investierte er in ein neues Projekt, bis sich die verschiedensten Perspektiven langsam aufbauten. Doch dann lernte er, dass es Baustellen gibt, die so teuer und groß sind, dass auch sechs Jobs nichts helfen. Hier begann das Netzwerken: „Dann brauchst du Kontakte zu Menschen, die genug Kapital haben. Und du musst lernen, wie du denen deine Ideen so verkaufst, dass sie diese genauso gut finden wie du. Wofür du wiederum eine Referenzliste mit Sachen brauchst, die schon funktioniert haben.“ Nur so können Herzensprojekte wie das Kliemannsland realisiert werden. Eine ganze Maschinerie darum herum macht es möglich, dass dieses Landstück zum Ort kleiner und großer Visionen wird. Und auch wenn der NDR die Sendung „Kliemannsland“ bezuschusst: Für die Haltungskosten des Hofs zahlen nur Kliemann und sein Geschäftspartner. Zudem leben mittlerweile fünf Angestellte hier, die teilweise gleichzeitig Redakteur und Gärtner sind. Bei so viel kreativer und personeller Verantwortung kann man kein Trödler sein: „Wenn du viel schaffen willst, brauchst du eine Struktur im Hintergrund, damit das halbwegs glücklich abläuft“, sagt Kliemann, der während des Gesprächs flink in seinen Laptop hämmert oder mit schnellen Strichen kleine Häuser oder dekorative Ornamente auf einen Notizzettel kritzelt. Bis er zum ersten Mal Augenkontakt hält, dauert es etwas, aber er verströmt so eine lässige Energie, dass er einem trotzdem schnell ans Herz wächst. Er selbst kann nie still sitzen, aber sein Umgang mit Menschen ist sehr unaufgeregt.
»Mach deinen Saft selber oder stell mich ein!«
Auch seine neue Assistentin Antje scheint glücklich mit ihrem Arbeitsplatz zu sein: Via Instagram suchte er nach jemandem, der sein „halbes Gehirn“ wird. Neben einem Lebenslauf schickte sie ihm eine Überraschungsbox. Kliemann testete zu jenem Zeitpunkt, ob der übermäßige Genuss von Karottensaft auf Dauer die Haut wirklich orange macht. Antje packte eine Reibe, ein Kilo Karotten und eine Zitrone in die Kiste und schrieb: „Mach deinen Saft selber oder stell mich ein!“ Dem Maestro ein Getränk zu reichen ist allerdings eher ein seltenes Vergnügen. Meistens kämpft sich Antje durch Presseanfragen und kümmert sich um den Webshop sowie seine Agentur-Termine.
Wenn zusammen gefeiert wird, dann immer mit Schaulustigen und Kliemann-Fans. Bekannt sind mittlerweile die Hoffeste mit klingenden Namen wie „Schnabulier und Trödel ma!-Tage“ oder der „WuWiZaKliLa“ (Wunderlicher Winterzauber Kliemannsland), der dieses Jahr wieder am dritten Advent Besucher nach Rüspel lockt. Mit dabei: jede Menge Überraschungen und oft auch ganz spezielle Gäste, die für die musikalische Untermalung sorgen. So waren zum Beispiel schon Clueso oder Casper vor Ort.
»Ich habe keinen Bock darauf, in irgendwelchen Containern eingepfercht zu sein.«
Doch selbst die konnten Kliemann, der im Oktober das Album „Nie“ veröffentlichte, das Tourleben bisher nicht schmackhaft machen: „Ich habe das bei Bekannten und Freunden mitbekommen, das sah immer scheiße aus: Ich habe keinen Bock darauf, in irgendwelchen Containern eingepfercht zu sein und abgeschottet hinter Sicherheitsabsperrungen zu sitzen, um dann wieder in den total verfurzten Tourbus zu steigen und zum nächsten Stop zu fahren. Alle haben schlechte Laune, sind schlecht bezahlt, überarbeitet und übermüdet. Dann habe ich auch noch Schiss vor den Auftritten. Ich sehe da nix Positives dran“, sagt Kliemann. Er klimpert lieber auf dem alten „Gustav Lutze“-Klavier im Festsaal des Anwesens vor sich hin, das sich das Kliemannsland mit der Gemeinde teilt. Wenn nicht gerade ein Dorfbewohner getauft, getraut oder beerdigt wird, dann feiern hier die Stadtbesucher und Kliemann-Jünger. Und vielleicht hält sich auch ein Pärchen an den Händen und singt leise mit, wenn mal wieder jemand den robust-romantischen Song „Zuhause“ anstimmt: „Mein Zuhause ist kein Ort, das bist du.“
#fynnkliemann #kliemannsland #mypmagazine
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Text: Katharina Weiß
Fotografie: Steven Lüdtke
Kaplan Weichlein
Portrait — Kaplan Weichlein
Wie fühlt sich spiritueller Instinkt an?
Wir sprechen mit einem katholischen Kaplan über das Mysterium der inneren Berufung, geistige Intimität und die Einsamkeit im Priesteramt.
24. November 2018 — MYP N° 23 »Instinkt« — Text: Katharina Weiß, Fotos: Maximilian König
Es ist Samstag, genauer gesagt der 25. August 2018. In Berlin findet gerade der „Zug der Liebe“ statt, eine öffentliche Tanzparade, auf der viele freizügige Technojünger den Slogans diverser NGOs und Initiativen huldigen – wie etwa „Reporter ohne Grenzen“, „Mission Lifeline“ oder „Moabit hilft“. Wir nehmen einen ähnlichen Weg wie die Feierdemonstranten, biegen jedoch kurz vor deren Ziellinie ab – zusammen mit unserem Fotografen Maximilian König zieht es mich heute an einen Ort, der für Prozessionen anderer Art bestimmt ist. Unweit der S-Bahn-Station Frankfurter Allee steht die katholische Pfarrkirche St. Mauritius. Hier – im Einzugsgebiet des „Berghain“, des „Polygon Club“ oder der „Rummels Bucht“ – predigt seit 2015 der junge Kaplan Raphael Weichlein. Ein Kaplan ist ein Hilfspriester, der nach seiner Priesterweihe noch keine Alleinverantwortung für eine Kirchengemeinde trägt. Ich habe den Theologen um ein Gespräch gebeten, in dem es um eines der größten privaten Mysterien gehen soll: die innere Berufung.
Wie ein spiritueller Instinkt drängt sie den, der sich angesprochen fühlt, zu einer bestimmten Lebensaufgabe. Während die katholische Kirche diese innere Berufung zum Priestertum als besondere Gnade Gottes betrachtet, kann sich der durchschnittliche Hauptstädter das entsagungsreiche Leben im Dienst einer Gemeinde kaum mehr vorstellen. Selbst ich – mit meiner bayerischen Kleinstadtsozialisation und den zehn Jahren als Messdienerin und Chorsängerin einer katholischen Mädchenschule – frage mich: Was bewegt einen Menschen dazu, sich für einen so vermeintlich unzeitgemäßen Lebensweg zu entscheiden?
»Mein Gemeindepfarrer sagte zu mir, dass es sich lohnen würde, auf die Stimme Gottes zu hören.«
Im Fall von Kaplan Weichlein begann die Identifikation mit dem Christentum durch die Taufe. In seinem Heimatort Herxheim in der Südpfalz wurde er auch Ministrant, sein Gemeindepfarrer war dabei eine prägende Figur seiner Kindheit. „Später sagte er zu mir, dass es sich lohnen würde, auf die Stimme Gottes zu hören“, erzählt Kaplan Weichlein. Bereits als Schüler verspürte der Lehrersohn „innere Impulse“, die ihn öfter zur Bibel trieben, als es bei Gleichaltrigen der Fall war. Ansonsten beschreibt sich Kaplan Weichlein damals als „unspektakulären Teenager“: Ein Gymnasiast, der einigermaßen gerne lernte und in einem Kinder- und Jugendchor sang. Er erinnert sich aber auch noch an die aufwühlende Fußballsaison 1998, während der er mit Kumpels den Aufstieg des 1. FC Kaiserslautern zum Deutschen Meister verfolgte.
Schon mit 15 begann er, die Interviewbücher von Kardinal Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zu lesen. „Ich kann nicht rational erklären, was mich da geritten hat, so ein Interesse zu entwickeln. Vielleicht bedeutet Berufung in meinem ganz persönlichen Fall, dass Gottes Geist mir eine Offenheit ins Herz gelegt hat, mich früh solchen Themen zu stellen.“ Das Priesteramt war immer eine Option, die manchmal vage war – und manchmal ersehnt. Doch direkt nach dem Abitur merkte er: „Ich bin noch nicht bereit, ich bin noch nicht reif.“ Da kam der Einberufungsbescheid der Bundeswehr gerade recht. Weichlein entschied sich gegen die zivile Alternative und für den normalen Wehrdienst, da ihm ein befreundeter Priester dazu geraten hatte. „Ich bin in einem sehr behüteten, dörflich-bürgerlichen Milieu großgeworden und war neugierig auf die Herausforderung, Menschen mal in einem ganz anderen Ambiente zu begegnen“, erklärt der junge Kaplan.
»Ist es mir wichtig, mich als Christ zu definieren? Ist es mir wichtig, weiterhin in die Kirche zu gehen?«
Die Monate beim Bund wurden zu einer wichtigen Erfahrung, er tauchte in vollkommen fremde Welten ein. Unterschiede in puncto Bildungshintergrund und Wertvorstellungen ließen ihn seine eigene Haltung nochmal überdenken: „Ich fragte mich: Ist es mir wichtig, mich als Christ zu definieren? Ist es mir wichtig, weiterhin in die Kirche zu gehen?“ Zu den eigenen Interessen zu stehen, auch wenn die anderen jungen Männer in der Einheit teilweise wenig Verständnis dafür hatten, formte den Willen von Raphael Weichlein. „Ich wurde innerhalb der Gruppe schon als einer wahrgenommen, der ein bisschen anders ist – auch wenn ich meinen Glauben niemandem auf die Nase gebunden hatte. Als wir mal darüber ins Gespräch kamen und ich mich mit meinem Gedanken, nach der Bundeswehr Priester zu werden, einem Kameraden anvertraute, war die erste Reaktion: ‚Waaaaas? Kriegst du keinen hoch, oder wie?‘ Da habe ich auch gelernt, mit solchen Fragen umzugehen“, erzählt der heute 35-Jährige mit versöhnlichem Ton.
»Evangelisch zu werden, nur um als Pfarrer heiraten zu dürfen, kam mir wie eine Mogelpackung vor.«
Die größte Prüfung sollte ihn allerdings am Ende seiner Wehrpflicht erwarten: Kaplan Weichlein, der damals 19 Jahre alt und einfach nur Raphael war, verliebte sich. Die junge Frau kannte er aus einer anderen Kirchengemeinde, in einer Bar kam er mit ihr zusammen. Schnell war es um die beiden geschehen – der Bezug zum Glauben verband das junge Paar: „Sie war nur ein paar Wochen zuvor auf dem Weltjugendtag in Toronto gewesen und erzählte mit viel Begeisterung von ihren Erlebnissen – das hatte sie sehr angerührt“, sagt Kaplan Weichlein. Er erinnert sich gerne daran, dass er mit ihr offen über viele persönliche Themen reden konnte. „Das war auch nicht nur eine kleine Romanze oder Affäre, sondern eine tiefergehende Beziehung, die über zwei Jahre hielt. Salopp gesagt: Alles war schick. Aber irgendetwas wollte mir keine Ruhe lassen. Die Berufung war wie ein inneres Ziehen. Irgendwann konnte ich nicht mehr leugnen, dass mich die Lebensform des Priesters stärker beschäftigt, als ich mir während der ersten Verliebtheit eingestehen wollte“, erzählt er mit nostalgischer, aber nicht wehmütiger Stimme.
Trotzdem merkt man ihm an, dass es ihm wehtat, die Verbindung zu lösen und der jungen Frau damit Liebeskummer zu bereiten. Einfach zu den Protestanten zu konvertieren, hätte sich für ihn nicht stimmig angefühlt. „Evangelisch zu werden, nur um als Pfarrer heiraten zu dürfen, kam mir wie eine Mogelpackung vor. Das wäre nicht redlich gewesen. Aber natürlich habe ich sehr mit mir darum gerungen, ob es nicht möglich ist, beide Wege zu gehen. Die Kirche sagt selbst: Beide Berufungen, die zur Ehe und die zum priesterlichen Dienst, ergänzen sich wechselseitig und sind gleich wertvoll.“
In der darauffolgenden Zeit konzentrierte er sich ganz auf dieses innere Ziehen. Und nach dem Weltjugendtag im Sommer 2005 entschied er sich endgültig, den Schritt ins Priesterseminar zu wagen. Dafür kam er nach Berlin. Schon bald stellte sich ein Gefühl der Ruhe ein: „Ich war angenommen und wusste: Es ist richtig.“
»Ich muss mir immer wieder der Frage stellen: Wie lebe ich meine Männlichkeit?«
Dennoch bleibt die Balance zwischen Geistig-Religiösem und dem Sinnlich-Lusterfüllten weiterhin ein Thema für Kaplan Weichlein. Vor zwei Jahren initiierte er in der Gemeinde St. Antonius in Friedrichshain, die neben der Gemeinde St. Mauritius in Lichtenberg der zweite pastorale Wirkungsraum von Kaplan Weichlein ist, einen „Kreis Junger Erwachsener“. Auch hier wurde bereits die Vereinbarkeit von Körperlichem und Geistigem diskutiert. „Ich als zölibatär lebender Priester darf mich da nicht ausnehmen. Ich muss mir immer wieder der Frage stellen: Wie lebe ich meine Männlichkeit?“ Es sei wichtig, dass auch Priester nicht vergäßen, sich als körperliche Wesen wahrzunehmen. Partnerschaften seien zudem nie nur eine Frage der Erotik, sondern vor allem des geistigen Austauschs. „Und hier müssen wir alle an unserer Reife arbeiten. Für die genitale Ebene findet man in jedem Lifestyle-Magazin viele Tipps und Tricks. Aber die geistig-personelle Ebene bedarf viel mehr Arbeit, für die uns oft das Know-how fehlt. Meine Kompetenz als Seelsorger kann es sein, hier geistige Stimuli anzubieten“, sagt er.
»Wer sich heute noch dazu entscheidet, katholisch in einer Kirche zu heiraten, dem bedeutet das auch etwas.«
Jetzt sitze ich hier und frage einen Priester nach den Grundsätzen für gelungene Partnerschaften. Doch im Gegensatz zu Schauspielern, mit denen ich über ihre Film-Ehen spreche, oder Rockstars, die ich nach ihren besten Flirt-Tipps frage, fühle ich mich in diesem Gespräch mit Kaplan Weichlein viel aufgehobener. Dass es den Leuten durchaus Spaß bereitet, Gespräche über Sex und Liebe auf einer theoretischen und manchmal abstrakteren Ebene als gewöhnlich zu führen, kennt er schon. Gerade in Paargesprächen zur Ehevorbereitung spreche er gerne über die beiden Dimensionen der Begegnung, die durch Christus, der mit in den Ehebund genommen wird, vielleicht sogar dreidimensional werden kann. Von den über 20 Paaren, die er bisher traute, sei noch keines geschieden worden.
„Wer sich heute noch dazu entscheidet, katholisch in einer Kirche zu heiraten, dem bedeutet das auch etwas.“ Miteinander beten, so sagt der Gottesmann, sei die beste Versicherung für eine lange Ehe. Das finde ich etwas kitschig. Romantisch hingegen finde ich seinen nächsten Satz: „So schön die Intimität zum Anfassen auch ist, eine starke Partnerschaft zeichnet sich auch durch eine geistige Intimität aus, die das ganze Zusammenleben erfüllt.“ Auch wenn ihm durch sein Gelöbnis der Ehelosigkeit die Mainstream-Erotik versagt bleibt, sieht sich Kaplan Weichlein durchaus mit Beziehungen gesegnet, die ihn durch geistige Nähe erfüllen: „Klar, jeder Mensch braucht Intimität. Aber die Frage ist, welcher Art.“
»Jeder Mensch braucht Intimität. Aber die Frage ist, welcher Art.«
Darüber will ich viel von ihm wissen – und Kaplan Weichlein antwortet auch geduldig und persönlich. Immer wieder webt er Stellen aus dem Alten Testament ein, in denen über die Liebe gedichtet wird. Doch so gut wir uns auch verstehen: An einem gewissen Punkt geraten wir unvermeidlicherweise an Inhalte, die uns an zwei Ufern eines reißenden Flusses positionieren, über den noch keine starke Brücke führt: Der Missbrauch-Skandal, die fehlenden Frauen im Priesteramt, die Ehe für alle. Es scheint unmöglich, ohne diese Totschlagthemen auszukommen – zumindest wenn man sich dabei nicht einfach so von einer journalistischen Beobachterin aktueller Kirchendebatten zur Gläubigen umetikettieren lassen will. Doch es muss auch reflektiert werden, dass die Fragen, mit denen ich Kaplan Weichlein auf die Pelle rücke, durchaus aktivistischer Natur sind. Objektivität ist im Hinblick auf die emotionale und zutiefst private Natur dieser Debattenfelder ein unerreichbares Gut.
Bevor wir unseren höflichen Streit vertiefen, stellt Kaplan Weichlein ein paar grundlegende Worte voran: Nur wer Schüler Gottes sei, könne sich daran beteiligen, das Reich Gottes zu verwirklichen. Dass ein Schüler eben auch lebenslang Korrekturen in Kauf nehmen müsse, unterstreicht Weichleins Wille zur Wandlungsfähigkeit. „Den christlichen Glauben zu leben heißt, sich gerade nicht in einem festen Lehrgebäude zu verschanzen und gegen alle möglichen Formen der Kritik zu immunisieren. An seinem Glauben zu wachsen bedeutet auch, ein Umdenken zuzulassen.“ Als Beispiel, wo dies der katholischen Kirche als solche gelungen sei, nennt er die Religionsfreiheit. Im 19. Jahrhundert gehörte der Vatikan zu den eifrigsten Gegnern des Konzepts der säkularen Religionsfreiheit. Mitte des 20. Jahrhunderts würdigte er es schließlich als grundlegendes Menschenrecht. Dass hier auch ein klerikaler Machtverlust das Umdenken erleichtert haben mag, sei meinerseits hinzugefügt.
»Christ zu sein ist in Berlin spannender als anderswo.«
Schwer tut sich die katholische Kirche auch immer noch damit, was Frauen im Priesteramt und gleichgeschlechtliche Ehebündnisse angeht. Kaplan Weichlein fällt da nicht aus der Reihe. Mit sexistischem oder homophonem Vokabular macht er sich aber nicht gemein, in diese Ecke kann ich ihn nicht stellen – auch wenn das einfacher wäre, als den Versuch zu unternehmen, ihn in seinem philosophisch durchdrungenen Glaubenssystem zu begreifen.
Generell ist ein Priester in Berlin auch nicht unbedingt die richtige Ansprechperson, um den Katholizismus von hinten aufzurollen. Denn die Schäfchen des Vatikans befinden sich hier schon seit Jahrhunderten in der Minderheit. Unsere Hauptstadt war eine der frühesten säkularen Städte, von manchen Schreibern wird sie sogar als „Hauptstadt des Atheismus“ bezeichnet. „Christ zu sein ist hier spannender als anderswo“, sagt Kaplan Weichlein. Dass der Priestermangel in Berlin weniger spürbar als in anderen Städten sei, läge nicht nur an dem herausfordernden Charme der Metropole, sondern vor allem an der großen „neokatechumenalen Szene“: Seit Anfang der 1990er Jahre ziehe das Priesterseminar „Redemptoris Mater“ junge Männer aus aller Welt nach Berlin, die sich diesem besonderen Glaubensweg besonders verpflichtet fühlten, der auf der ganzen Welt verbreitet ist.
Der „Neokatechumenale Weg“ entstand in Spanien zeitgleich zum Zweiten Vatikanischen Konzil und betrachtet sich als innerkirchliche Erneuerung. „Der Gründer, ein bekannter Kunstmaler, ließ sich in den Barackenvierteln von Madrid nieder, um in den armen Menschen Christus zu begegnen“, erzählt Kaplan Weichlein. Und er fährt fort: „Viele von uns wurden bereits als Baby oder Kleinkind getauft. Die neokatechumenalen Gemeinschaften bieten einen Glaubensweg an, der zu einer Bewusstwerdung und Erneuerung der eigenen Taufe führt – eine Art ‚Update‘ der eigenen Taufe für Erwachsene.“ In dieser jungen und dynamischen Gemeinschaft wird die Sehnsucht kommuniziert, Dimensionen der Wirklichkeit zu entdecken, die über das rein Profane hinausgehen. „Es gibt mehr als ‚business as usual'“, sagt Weichlein.
»Es ist wichtig, seine Zeit alleine mit Gott zu haben, aber manchmal braucht man auch den menschlichen Austausch.«
Doch natürlich gibt es auch für Gottesmänner einen Alltag. Im Pfarrhaus von St. Mauritius wohnt er mit dem Gemeindepfarrer unter einem gemeinsamen Dach, aber in seiner eigenen Wohnung. „Es wäre gefährlich, als Priester immer alleine zu leben und von morgens bis abends nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. Es ist wichtig, seine Zeit alleine mit Gott zu haben, aber manchmal braucht man auch den menschlichen Austausch.“ Mittwoch- und Sonntagmittag essen die beiden Priester von St. Mauritius zusammen, manchmal schauen sie gemeinsam einen Film an – und zwar in den seltensten Fällen „fromme“ Filme. Im Kino war er zuletzt im Roadmovie „303“: „Tolle und interessante Dialoge, die wichtige Fragen unserer Generation gut wiedergeben!“, ist seine Meinung zu dem deutschen Liebesfilm.
Ansonsten halten Gemeindeveranstaltungen und Privateinladungen den Kaplan ausreichend auf Trab – er würde sich wünschen, in seiner Freizeit ein paar Mal öfter laufen zu gehen, am Ende fesselt ihn aber doch eher ein gutes Buch an die Couch. Momentan liest er ‚Christusmord‘ von Wilhelm Reich sowie ein Buch über den Priester und Evolutionswissenschaftler Teilhard de Chardin. Dass hinter der Amtsperson immer auch ein Normalsterblicher steht, stellt ihn und seine Kollegen manchmal vor Identitätskonflikte. „Es gibt einen Respekt vor dem Amt, der automatisch eine Distanz schafft. Trotzdem musst du dich als Priester auch darum kümmern, persönliche Kontakte zu pflegen. Wenn aus einem falschen Berufungsverständnis eine übergroße Vorsicht erwächst und man zu jedem auf Abstand geht, dann läuft man Gefahr, zum Eigenbrötler zu werden.“
Während ich mir unser Gespräch ein paar Wochen lang durch den Kopf gehen lasse, Weichleins Beitrag im Kunstband „Sein. Antlitz. Körper“ lese und mir seine Gedanken zum Osterfest im Podcast „Gott bewahre!“ anhöre, hat der junge Kaplan seine Zelte in Berlin wieder abgebrochen: Vorerst wird er in Innsbruck weitere Studien der Philosophie aufnehmen, um später vielleicht einmal als Dozent tätig zu sein.
Unerwarteterweise schreibt mir Kaplan Weichlein eine Mail, die eine kleine Überraschung enthält: Während des Fotoshootings im Kirchengebäude von St. Mauritius hatte ich ihm von „Narziß und Goldmund“, meinem liebsten Hesse-Werk, erzählt, das gerade mit Jannis Niewöhner und Sabin Tambrea in den Hauptrollen verfilmt wird. Ich fragte den Kaplan, wie sich das spirituelle Werk in seine Systematik von körperlicher und geistiger Intimität und Lebenslust einfügt. Er konnte sich an den Text nicht mehr erinnern, versprach aber, dies nachzuholen. Ich führe seit acht Jahren journalistische Interviews. Damit, dass er seine Floskel einlöst und mir die Frage später in einer Mail beantwortet, macht er sich zum Präzedenzfall. Weil die Art, wie er schreibt, viel über ihn aussagt, will ich ihm in diesem Text das letzte Wort geben:
»Ich möchte anderen Menschen einen Weg aufzeigen, dass es möglich ist, das Körperliche vom Spirituellen wirklich erfüllt werden zu lassen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen.«
„Die Spannung zwischen dem Geistig-Religiösen und dem Sinnlich-Lusterfüllten, wofür Narziß und Goldmund ja exemplarisch stehen, ist in der Erzählung schön und plastisch beschrieben. Das eigentlich Interessante ist meines Erachtens jedoch, dass beide nach und nach voneinander lernen, dadurch welchselseitig die ‚blinden Flecken‘ der jeweils eigenen Seite aufdecken und in ihren Haltungen transformiert werden. ‚Ich habe auch das Glück gehabt zu erleben, dass die Sinnlichkeit beseelt werden kann‘, sagt Goldmund gegen Ende der Erzählung. Und Narziß erkennt durch Goldmund die Enge und Einseitigkeit seiner allzufromm-vergeistigten Weltsicht.
Ich denke, es ist lohnend, hierauf noch näher einzugehen. Vordergründig scheint in der Erzählung ja Narziß der Christ zu sein; doch ist seine Religiosität durch weite Strecken hindurch viel zu wenig geerdet. Im Durchdingen beider Pole, wozu es in Hesses Erzählung nach und nach kommt, liegt auch aus meiner Sicht der eigentliche Kern eines gelebten christlichen Glaubens: Gottes Sohn nimmt Fleisch an (Weihnachten), auf dass der Leib des Menschen geisterfüllt und transformiert wird (Ostern und Pfingsten).
Das Verhältnis von geistiger und körperliche Liebe (Agape und Eros) hat Papst Benedikt XVI. in einem Lehrschreiben einmal so formuliert: ‚Der zum Sex degradierte Eros wird zu Ware, zur bloßen Sache; man kann ihn kaufen und verkaufen, ja der Mensch wird dabei selbst zur Ware. […] Demgegenüber hat der christliche Glaube immer den Menschen als das zweieinige Wesen angesehen, in dem Geist und Materie ineinandergreifen und beide gerade so einen neuen Adel erfahren. Ja, der Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade darum verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen.‘
Dieser Text sowie auch die von Papst Johannes Paul II. inspirierte „Theologie des Leibes“ war und ist mir persönlich sehr wichtig geworden. Durch die zölibatäre Lebensform, zu der ich mich gerufen fühle, möchte ich anderen Menschen einen Weg aufzeigen, dass es möglich ist, das Körperliche vom Spirituellen wirklich erfüllt werden zu lassen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen.“
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Mehr von und über die katholische Kirchengemeinde St. Mauritius in Berlin:
Text: Katharina Weiß
Fotografie: Maximilian König