Interview — Kida Khodr Ramadan

Kreuzberg, Übersee

Wir trafen den Berliner Schauspieler und passionierten Boule-Spieler Kida Ramadan in seinem Kreuzberger Lieblingscafé, um mit uns über seinen Beruf, neue Nazis und seine enorme Bewunderung für Kanzlerin Angela Merkel zu sprechen.

3. März 2010 — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke

Wer aus seiner Heimat flieht, hat meistens einen Grund. Der eine lässt sie hinter sich, weil er die Schwere der Provinz nicht mehr erträgt. Der andere versucht nichts weiter, als dem nackten Elend zu entkommen. Persönliche Befindlichkeiten versus Hunger, Krieg und Unterdrückung. Seltsam ist die Welt geworden. Und paradox.

Leider erreicht nicht jeder Fliehende sein Ziel. Der eine scheitert, weil er nicht zu seiner Mitte findet. Der andere, weil er im kalten Meer ertrinkt. Was existenzielle Not bedeutet, ist nicht einfach eine Frage der Perspektive. Sie wird bestimmt vom Schicksal und vom Glück. Und von der Gnade der Geburt.

Ganz egal, um welche Art von Fliehenden es geht, in einem sind sich alle gleich: Wer es geschafft hat anzukommen, baut sich irgendwie ein neues Leben auf. Und formt sich darin ein Zuhause. Denn zuhause sein bedeutet, einen festen Platz zu haben – einen ganz bestimmten Ort, an den man hingehört. Oder einen ganz bestimmten Menschen, bei dem man sich geborgen fühlt.

Es ist Sonntagabend. Gemeinsam mit Schauspieler Kida Khodr Ramadan sitzen wir in der hinteren Ecke einer sympathischen Café-Bar am Berliner Paul-Lincke-Ufer, die den verheißungsvollen Namen „Übersee“ trägt. Vor dem Eingang ist ein mit Pflanzen bewachsener Metallpavillon installiert, aus dessen Dach Dutzende kleiner Lampen hervorragen. Zusammen mit dem gold-gelb illuminierten Schriftzug der Café-Bar spiegelt sich ihr Licht in der nachtschwarzen Oberfläche des Landwehrkanals.

Es fällt uns etwas schwer, mit dem Gespräch zu starten, denn ständig kommt jemand an unseren Tisch, der mit Kida ein paar Worte wechseln will. Der 40-Jährige lebt bereits seit seiner frühesten Kindheit in dieser Gegend, er kennt hier jeden und jeder kennt ihn. Und spätestens seit dem Jahr 2014, als er für seine Rolle in „Ummah – Unter Freunden“ sowohl für den Deutschen Filmpreis als auch für den Deutschen Schauspielerpreis nominiert war, kennt man ihn auch über Kreuzberg hinaus.

Jonas:
Als wir dich vor kurzem gefragt haben, ob es hier in Berlin einen Ort gäbe, der dir besonders am Herzen liegt, hast du ohne zu zögern das Café Übersee genannt. Bist du oft hier?

Kida:
Ja, sehr oft – ebenso wie viele meiner Schauspielkollegen. Frederick Lau oder Numan Acar zum Beispiel, die kommen regelmäßig ins Übersee. Oder Herbert Knaup, der hat sich auch schon ein paar Mal hier blicken lassen. Wir nennen diesen Ort „unsere Base“, denn es ist total familiär und gemütlich hier. Und Firat, der Chef, ist ziemlich cool. Irgendwie hat es sich auch so entwickelt, dass wir alle hier mittlerweile ganz gerne unsere Interviews abhalten. Das Übersee ist daher so etwas wie unser Büro. Und unser Jugendclub.

Kreuzberg ist ein sehr ambivalentes Pflaster, wo viele crazy Motherfuckers herumlaufen. Hier ist man einfach nicht so prüde wie etwa in Zehlendorf.

Jonas:
Du hast tatsächlich als waschechter Kreuzberger deinen geliebten Kiez verlassen?

Kida:
Ja, ich wollte meiner Frau und meinen fünf Kindern einfach mehr Platz und Freiheit schenken. Und zumindest einmal im Leben sollte man sich eine schönere Wohnung leisten, oder? Außerdem hat mich dieses überdrehte Hipster-Leben hier in der Ecke genervt. Das wird von Tag zu Tag schlimmer.

Jonas:
Deine Familie stammt ursprünglich aus dem Libanon. Wegen des Bürgerkriegs musstet ihr Ende der 70er Jahre von heute auf morgen aus Beirut fliehen und seid am Ende in Kreuzberg gelandet. Was ist deine früheste Erinnerung an diesen Stadtteil und seine Menschen?

Kida:
Der Zusammenhalt. In Kreuzberg gab es damals viele Leute, die so waren wie wir. Sie waren in einer ähnlichen Situation, hatten eine ähnliche Geschichte. Hier im Kiez habe ich als Kind viel Freundschaft und Liebe erfahren. Als ein Flüchtlingsjunge, der ich damals ja war, wurde ich gut behandelt. Das hat mich sehr geprägt.